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Geschichte eines Ritters

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13.12.2003
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Geschichte eines Ritters

Wir waren vier Freunde: Marina, die Älteste war zwölf, Jonas und Tobias die Zwillinge und ich. Die Nacht war kühl und feucht, als wir uns aufmachten das Dorf, die Eltern und die Prügel hinter uns zu lassen.
Dick gepackt waren unsere Rucksäcke, denn wir hatten zum Abschied das Allerheiligste geplündert: Die Vorratskammern der Lehnsherren unserer Eltern. Feiste Bauern, die genügend Grund besaßen, um ihn von Anderen bestellen zu lassen. Nun trugen wir Schinken, Würste und Speck bei uns, dass uns das Laufen schwer fiel. Wir dachten, dass dieses Essen für die Ewigkeit reichen würde.
Als die ersten Sonnenstrahlen sich durch das Grau des Morgennebels kämpften, wussten wir, dass im Dorf bereits nach uns gesucht wurde. Es war höchste Zeit, den Weg zu verlassen, den wir gefolgt waren, und uns direkt durch die Wälder zu kämpfen. Bald würden sie mit Pferden nach uns suchen.
Wir folgten Tierpfaden und Bächen, wir irrten durch Grashaine und Unterholz und die Wege, die wir kreuzten, überwanden wir in hektischer Nervosität.
Bald schon stand die Sonne hoch über uns. Die Lungen brannten und die Unterschenkel schmerzten uns. Heiße Füße und eiskalter Rücken.
Ich verlangte nach einer Pause und auch die anderen waren sichtlich froh über meinen Vorschlag.
So ließen wir uns mitten im Wald nieder und labten zum ersten Mal an unseren Vorräten und tranken Wasser aus einem Schlauch, den Jonas mitgenommen hatte. Die Sonne stand hoch und ihre Strahlen erwärmten uns durch die Wipfel der Bäume.
Zum ersten Mal schaute ich mich um.
Buchen und Kastanien umgaben uns. Ihr volles Blattwerk rauschte im sanften Wind. In der Entfernung blühte eine Wildkirsche. Erst jetzt bemerkte ich das andauernde Zwitschern und Zirpen. Emsige Insekten krabbelten über den Waldboden. Es duftete feucht und modrig aber nicht unangenehm. Inzwischen war es sehr warm geworden.
Ich schaute durch die Wipfel der Bäume und sah flauschige Wolken durchs blaue Himmelszelt gleiten. Alles war so friedlich.

*

Als ich aufwachte, zitterte ich vor Kälte am ganzen Leibe. Die Nacht war bereits wieder hereingebrochen. Verwirrt schaute ich mich im fahlen Mondlicht um, sah Jonas und Tobias in der Nähe liegend und dann auch Marina. Dann fiel mir wieder ein, wo wir waren; was wir getan hatten. Ich sprang auf, schlotternd vor Kälte und bewegte mich, um Wärme in den Körper zurück zu bringen.
Den anderen, die ich mittlerweile geweckt hatte, erging es nicht besser. Glücklicherweise hatte Marina gleich drei volle Beutel Zunderhölzchen mitgehen lassen und mit einigen Mühen brachten wir klammes und eilig gesammeltes Holz zum brennen. Und wie wir am Feuer saßen und die Kälte langsam von uns wich, kamen die Schmerzen als Resultat der Wanderung und des Schlafens auf hartem Boden.

*

Auf den ersten Tag der Wanderung folgten ein zweiter und ein dritter. Bald machten wir uns keine Sorgen mehr, dass wir erwischt werden würden und verlegten die Wanderschaft wieder auf normale Wege. Doch der einst enorme Vorrat an Lebensmitteln schwand zusehends und wir mussten entscheiden, wie es weitergehen sollte.
Wir kamen an Dörfern vorbei, deren Namen mir fremd waren. Wir tauschten einen halben Beutel Zunderhölzchen gegen drei Laibe Brot. Wir fragten nach Arbeit, doch waren wir meist viel zu jung. Bei einem Dorfbesuch erfuhren wir schließlich vom Ausbildungsmarkt.
In der Stadt Thule gab es alljährlich ein großes Treffen, bei dem Väter ihre Söhne in die Lehre vermitteln konnten. Meister aller Handwerke kamen aus der Stadt und den Dörfern der Umgebung zusammen und wählten Lehrlinge aus, wenn sie keine eigenen Kinder oder zu wenige hatten, die das Handwerk übernehmen konnten.
Ich hatte in meinem Leben noch nie eine Stadt gesehen und war - wie wir alle - beeindruckt vom regen Treiben, das hier herrschte. Wir hatten unsägliches Glück, denn wir erreichten die Stadt genau am richtigen Tage. Den Markt zu finden war nicht schwer, denn alle Straßen der Stadt schienen genau dort hin zu führen.
Und so fanden wir uns wieder im Trubel der Menge. Dort standen wir in Gruppen, wurden begafft, gekniffen und befragt. Und wir logen, als nach unseren Eltern gefragt wurde.
Auch auf dem Ausbildungsmarkt gehörten wir zu den Jüngsten. Zumeist waren es Burschen, die eine Lehre begannen. Doch auch einige Mädchen wurden hier und dort vermittelt. Marina fand als erste von uns eine Einstellung: Gerbereigewerbe.
Der Vormittag war noch nicht um, da war Tobias Lehrling im Bäckereihandwerk und Jonas einem Tischlermeister gefolgt. Alle drei waren direkt in Thule untergekommen und nun stand nur noch ich dort und harrte der Ereignisse, die da kämen.

*

Gegen Mittag wurde der Markt noch belebter. Aus dem hektischen Treiben wurde ein regelrechtes Gedränge. Mir wurde klar, dass es unser Glück war, bereits so früh in der Stadt gewesen zu sein, denn nun strömten mehr und mehr Knaben und Mädchen aus den entfernteren Dörfern auf den Platz. Ebenso Väter und Meister. Bäcker, Braumeister, Weber, Schuster; alle Berufsklassen waren vertreten. Ich fürchtete keine Anstellung zu finden, denn viele waren zwei, drei Jahre älter als ich und wesentlich kräftiger.
Plötzlich stoben Männer zu Pferden durch die Menge. Prächtige Reiter auf edlen Rössern. Ich schrie, als sie direkt auf mich zuhielten, und wurde von dem ersten Pferd regelrecht umgehauen.
Zwei Reiter trabten achtlos an mir vorbei weiter durch die Menge, doch ein dritter stieg vom Pferd und half mir, als ich mich vom Boden aufrappelte.
„Wie ist dein Name“, erkundigte er sich.
„Valentin“, antwortete ich.
Als ich verneinte bereits eine Anstellung gefunden zu haben fragte er, ob ich willens sei, ihm als Knappe zu dienen.
Ich sagte - innerlich vor Glück jauchzend - zu.

*

Ich versorgte die Pferde, sammelte Holz, flickte Stiefel, machte Botengänge. Ich lernte das Reiten eines Maulesels. Jakob, Clemens und Hedwig standen im Dienste des Herzogs der Wintermark. Wir reisten viel durchs Land, so dass ich schon fürchtete, eines Tages zurück ins Dorf meiner Geburt zu kommen. Doch ich erfuhr, dass die Stadt Thule an der nördlichen Grenze der Wintermark lag. Meine Geburtsstätte lag jenseits im Königreich Fallern.
Jakob bekleidete den Rang des Hauptmannes in der herzoglichen Garde. Während er zu Tische mit Bürgermeistern und Amtsräten speiste, gaben mir Clemens und Hedwig manchmal Unterricht im Fechten. Oft schaute ich auch nur zu, wie sie sich im Umgang des Degens übten. Ich lernte schnell.
Unsere Aufgabe war es, Besuche des Herzogs vorzubereiten, Erlasse in die Städte zu bringen und hin und wieder Botschaften zwischen den Städten und Dörfern zu übermitteln.

*

Nach einigen Monaten ritten wir das erste Mal in den Hof der herzoglichen Burg ein. Ich war unendlich beeindruckt von der Pracht und Würde, die von den Gemäuern ausging. Ich hatte mittlerweile Städte gesehen, die noch weit größer als Thule waren. Ich kannte Burgen und Festungen, doch dies war ein Palast.
Die höchsten Zinnen, die ich je erblickt hatte; überall wehten die Banner des Herzogs in den Farben Rot und Gelb.
Die Stallungen waren voll von prächtigen Pferden: Braunen, Rappen und Schimmeln. Es gab Säle, in denen wir speisten. Sogar ich - ein einfacher Knappe - speiste in einem dieser feudalen Räume.

*

Die Jahre gingen ins Land. Es waren glückliche Jahre, obwohl ich die Freunde meiner Kindheit sehr vermisste. Aus dem schmächtigen Jungen, der einst die Herren seiner Eltern bestohlen hatte, war ein Jüngling geworden, der sich zum erfahrenen Knappen ehrenvoller Gardisten gemausert hatte. Ich ritt nun ein Pferd.
Oft dachte ich an Jonas, Tobias und Marina. Obgleich wir bereits drei weitere Male Thule besucht hatten, hatte ich sie nicht wieder gesehen.
Doch im Winter des vierten Jahres braute sich Ungemach zusammen. Weit im Norden, jenseits von Fallern erstarkten die Kräfte des dunklen Mannes.
Geschichten und Gerüchte breiteten sich im Lande aus. Mal nannte man ihn Wollok, mal den schwarze Herrscher. Es hieße, er stehe mit dem Bösen im Bunde. Er stelle Armeen auf, die nicht aus Menschen sondern Kreaturen der Finsternis bestünden.
Im Sommer hieß es, die Nordauen seien besetzt. Gleichzeitig starb in Fallern der alte König bei einem Anschlag und der Thron wurde bestiegen von seinem unerfahrenen Sohn Julian dem Dritten.
Im Winter fiel Fallern ohne Kampf, denn der junge König glaubte den Versprechungen des Dunklen Mannes.
Man munkelte eine gewaltige Streitmacht stände im Norden und bereitete sich nun auf den Einfall in die Zentralen Herzogtümer vor.

Unsere Aufträge führten uns nun weit über die Grenzen der Wintermark heraus. Wir besuchten die umliegenden Ländereien und erbaten Unterstützung für den anstehenden Kampf. Auch der Herzog reiste. Bald waren Bündnisse geschmiedet, doch schon drang der Feind von Norden ein; besetzte Wetterwende, Grenzberg und Agerland. Bei Thule stand die Hauptmacht der Gardisten.

*

Wir ritten, wie wir es noch nie getan hatten. Bald schon vereinten wir uns auf der Straße nach Norden mit anderen Reitern. Bei Thule tobte schon der Kampf.
Unweit vor der Stadtgrenze stand es schlecht um die herzogliche Kavallerie als wir eintrafen. 600 Reiter, prächtig, edel gegen 20000 Hobaccs, Melacken und Burunen.
Die Kreaturen stürmten ohne Vorsicht den Reitern entgegen. Reihe um Reihe fiel, doch es waren zu viele.
Bald war der Boden schwarz vor toten Körpern. Die Hobaccs waren Wesen mit vier Armen und schwangen gleich mehrere Schleudern. Melacken waren gedrungen und unglaublich mit Muskeln bepackt. Sie waren mit Keulen bewaffnet und hatten einen seltsam kleinen Kopf mit nur einem Auge. Das schlimmste waren die Burunen. Unendlich schwerfällig wirkten sie mit einem sechs Meter großen Torso, an welchem eine groteske Anzahl an Gliedmaßen verschiedener Formen zu sehen waren. Es waren nur einige dutzend Burunen doch hielten einzelne von ihnen gleich mehrere Reiter in Schach. Jakob hielt ohne zu zögern mitten aufs Kampfgeschehen zu. Hedwig und Clemens, sowie die anderen Reiter folgten.

Ich saß auf meinem Pferd. Ich war nur Knappe, kein Soldat – niemand verlangte von mir, mich in die Schlacht zu stürzen. Ich gebe zu, es war Angst, die mich bewog, mich nicht von der Stelle zu rühren.
Es sah schlecht aus. Von der Stelle, wo ich saß, bemerkte ich, wie sich die Reihen der Reiter lichteten. Ich konnte nicht erkennen, wer Jakob, Clemens, Hedwig oder sonst einer war. Reiter gingen zu Boden, verschwanden in der Masse der Anstürmenden Kreaturen.
Der Durchbruch der Reihen war erfolgt und 400 verbleibende Gardisten sammelten sich in neuer Formation umzingelt von tausenden Feinden.
In diesem Moment stießen von Osten 200 weitere Reiter dazu. Der Herzog war mit seinen Edelgardisten angekommen und die Wucht seines Angriffes verwirrte die Kreaturen so dass sich die Reiter vereinen konnten.
Dann traute ich meinen Augen nicht. Die Stadttore öffneten sich und eine Menge mit Sensen, Harken und anderen Werkzeugen geführt von der Stadtwache zog singend in die Schlacht.
Doch noch immer war die Situation aussichtslos und die Bürgerwehr war nicht mehr als ein farbiger Klecks im Meer schwarzer Kreaturen.
600 Reiter drängten 10000 Angreifer zurück von der Stadt, doch einzelne Trupps des Feindes umgingen das Kampfgeschehen und stürmten das jetzt wieder geschlossene Tor an.
Brennende Stoffballen wurden über die Mauern geschleudert und entflammten die Dächer der verschlossenen Stadt.
Aus der Ferne hinter mir hörte ich plötzlich ein Donnern. Ich blickte mich um und sah die Reitarmee der Herzogs von Neblungen. 1000 stolze Ritter zu Pferde mit dem Grünen Drachen im weißen Banner.
Die Ritter drangen in die Flanke der Kreaturen und schlugen einen Korridor, so dass sich die Armeen vereinigen konnten.
Ich sah die brennende Stadt, dachte an Marina, Jonas und an Tobias und plötzlich war da nur noch Wut.
Also stürmte ich als einzelner Reiter die Hügel hinab in die Schlacht, zog den Degen, den mir Jakob einst schenkte und streckte den ersten Hobacc nieder.
Ich schwang die Waffe, wie Clemens und Hedwig es mich gelehrt hatten. Schwarzes Blut rann an der Klinge herab. Widerlicher Geruch. Blut. Schweiß. Fauler Atem. Um mich herum hörte ich Schreie und Laute, die nie ein Mensch wahrnehmen sollte. Plötzlich traf mich etwas mit solcher Wucht, dass ich vom Pferd niederging. Benommen fand ich mich am Boden alsbald begraben von einem stinkenden Melacken. Ich trat den Körper beiseite und fand meinen Degen zerbrochen. Die Wut gab mir Kraft und ich schlug mit der Hand mitten auf das Auge des nächsten Melacken, der auf mich zustürmte. Wieder lag ich am Boden, gestolpert über einen Körper. Wütend wollte ich mich wieder aufrappeln, doch dann erkannte ich Jonas. Ich war über Jonas gestolpert, meinen Freund, den ich schon so lange vermisste. Und er lag da im Schlamm und im Blut und seine leblosen Augen glotzten weit aufgerissen in meine.
Ich begann am ganzen Körper zu beben. Er war in der Bürgerwehr gewesen. War auch Tobias tot?
Ich fühlte mich ohnmächtig und elend. Doch weiter wuchs die Wut in mir und gab mir neue Kraft.
Ich fand ein Schwert – edel, silbern schimmernd. Ich schwang es wie den Degen. Sieben Melacken und fünf Hobaccs erledigte ich mit der rechten Hand. Dann nahm ich es in beide Hände und wirbelte durch die Reihen der Kreaturen.
Ich erreichte die Pferde der Armee und schwang mich auf ein herrenloses Tier. Jetzt erst bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit geschrieen hatte.
Ich befand mich nun nicht mehr in vorderster Front und verschaffte mir einen Überblick.
Die Truppen des Feindes zogen sich scheinbar zurück, allerdings nur, um sich neu zu ordnen. Ich konnte nur ahnen, wie groß die Verluste auf unserer Seite waren. Mein Herzog war in unmittelbarer Nähe zu mir und schaute mir direkt in die Augen.
„Welchen Hauses seit ihr?“, schrie er mir den Kampflaut übertönend zu.
Ich sah, dass er eine blutende Wunde über dem rechten Auge hatte.
„Ich bin niemanden hohen Hauses Sohn!“, rief ich zurück, „Ein einfacher Knappe der Euch und Eurem Hauptmann Jakob verpflichtet ist.“
„Ihr tragt das Schwert eines Fürsten und reitet den Rappen eines Gardisten! Ich ernenne Euch zum Ritter, denn ihr kämpft wie einer.“
Dann war die Schlacht wieder um mich herum und ich hieb wie besessen in die Meute der Monster. Kurz sah ich Hedwig im Kampf seinen Degen schwingend. Dann traf ihn ein Geschoß und er ging nieder. Ich spaltete den hässlichen Kopf eines Melacken. Brachte mit einem Gründrachenritter einen Burunen zu fall.
Plötzlich wurde es ruhiger. Die Feindlichen Truppen zogen sich zurück.
Ich erkannte den Grund: Weitere Reiter waren eingetroffen. Die Garde der Rothelme von Fürst Wilhelm von Derwin. Die Reitstaffeln der freien Städte Blank, Wrode und Teuhausen mit ihren bunten Bändern. Und weitere trafen ein. Ich kannte nicht einmal alle Banner. Nun standen 4000 gut ausgebildete Ritter gegen eine geschwächte und unorganisierte Herrschaar von Gegnern. Doch schon sammelten sie sich erneut und griffen taktisch klüger an. Sie kamen von vorn und verstärkt stürmten sie gegen unsere Flanken an. Die Hobaccs hielten sich in zweiter Reihe und schleuderten ihre Steine aus der Deckung hinter den Melacken.
Ein Ruf ging durch unsere Reihen: „Der dunkle Mann!“
Er führte seine Armee nun persönlich an.
Ich spähte über die feindlichen Linien und da sah ich ihn.
Er ritt einen Burunen, den größten den ich bisher gesehen hatte.
Er trug eine schwarze Vollrüstung und in der Hand hielt er ein Szepter aus schwarzem Stahl. Die andere Hand gestikulierte und gab Zeichen wie seine Truppen auf uns einstürmen sollten.
In einiger Entfernung sah ich den Herzog umgeben von anderen hochstehenden Reitern. Ich sah auch Jakob bei ihnen. Er nickte, schüttelte den Kopf; offensichtlich diskutierten sie kurz die Lage.
Dann ritten sie auseinander, gaben Befehle. Während die Kreaturen unsere Flanken angriffen bildeten wir Reiter aus der Mitte der Reihen heraus eine Keilform und schlugen uns direkt in Richtung des dunklen Mannes durch.
Der Gegner war überrascht.
Die Ordnung der Keulenschwinger und Steinschleuderer schwand dahin und wir stießen fast bis zum Anführer der dunklen Mächte vor.
Doch unsere Verluste waren ebenfalls verheerend. Ich sah Jakobs Pferd unter Keulenhieben Zusammenbrechen und er selbst verschwand in den Massen. Ich schwang mein Schwert bis es im Kopf eines Hobaccs hängen blieb und mir der blutbeschmierte Griff aus den Fingern glitt. Auch mein Pferd ging nun mit mir zu Boden. Ich hieb mit den Fäusten und trat um mich herum, doch ohne Waffe hatte ich kaum eine Chance.
Dann fiel direkt neben mir der Herzog zu Boden. Zwei Melacken schlugen mit Keulen auf ihn ein. Ich stürzte mich auf sie und es gelang mir beide außer Gefecht zu setzen. Weitere Pferdereiter drängten von hinten durch und kämpften, so dass direkt um uns herum nur die eigenen Krieger waren.
Der Herzog lag im Sterben – kein Zweifel. Ich kniete mich zu ihm, Blut rann ihm übers Gesicht. Seine Seele war noch nicht aus seinem Körper geglitten. Er gab ein gurgelndes Geräusch von sich, dann rollte er die Augen und fasste mit erstaunlicher Kraft meinen Arm.
„Nimm mein Schwert!“; ich konnte es kaum verstehen und dann ließ er mich los. Mit Zwei Fingern deutete er in eine Richtung. Ich schaute hin und sah den riesigen Burunen des Dunklen Mannes nur noch knapp vor den eigenen Reihen aufragend.
„Ja, Herr!“, sagte ich, doch war der Herzog in dem Moment schon ins jenseitige Leben übergetreten.
Ich griff zu. Der Stahl war edel. Nie hatte ich eine solche Klinge auch nur gesehen. Sie lag geschmeidig in der Hand. Ein Schwert, leicht wie ein Dolch, scharf wie eine Barbierklinge und tödlich wie ein Giftpfeil. Biss war der Name der Klinge und ich erhob mich aus der blutigen Erde und hielt Biss in der Rechten. Ich rief die hohen Ritter an - sie gehorrchten mir. So peitschte ich sie nach vorne, Meter um Meter dem dunklen Anführer entgegen. Ich lief an vorderster Front zwischen den Pferden. Die Linke schlug ich einem Einauge ins Gesicht und Biss spaltete mehr als nur Köpfe.
Und ich ging wie von Sinnen durch die letzten Reihen der Feinde - die Reiter schlugen einen Korridor. Den Burunen des Dunklen Mannes erledigte ich mit einem Hieb, der seinen Leib in zwei Teile trennte, während der dunkle Mann auf seinem Rücken mit zahlreichen Rittern einen unglaublichen Kampf ausfocht.
Als sein Burune zu Boden ging sprang er herab - die Bosheit persönlich - und ich schrie; Biss schwingend und mit der Wut der ganzen Welt und Kraft der Jugend hieb ich auf ihn ein, dass selbst das Szepter zerbarst und die schwere Rüstung durchtrennt wurde.
Da stand ich nun: Inmitten der Feinde und verbliebenen Rittern blutverschmiert, unendlich müde und hatte gerade den dunklen Mann, ihren Anführer getötet. Ich hatte nicht einmal mehr die Kraft zu schreien.
Ich ließ Biss aus der Hand gleiten - bereit, mich dem Schicksal zu ergeben.
Doch der Kampf war vorbei.
Ohne Ordnung trieben die verbliebenen Reiter die Kreaturen der Finsternis zurück; vernichteten sie alle bis auf den letzten.
Ich schloss die Augen und fiel vor Erschöpfung.

*

Als ich nach zwei Tagen in weißen Laken erwachte, tat ich dies nicht mehr als Knappe. Nicht mehr als entlaufendes Kind prügelwütiger Landarbeiter.
Machten mich die Worte des verblichenen Herzogs zum Ritter, so machte mich sein Schwert zum Helden.
Und auch der Sohn des Herzogs, der mir gleich an Jahren war, erkannte meine Stellung an. Und am selben Tage, als er den Platz seines Vaters einnahm und ich ihm Biss überreichte, führte er den Ritus des Schlags in aller Öffentlichkeit durch.

*

Noch immer denke ich in Trauer an jenen Tag der Schlacht von Thule zurück. Denn viele fielen, die ich liebte. Jakob, Clemens, Hedwig und auch Jonas. Später erfuhr ich, dass auch Tobias in der Bürgerwehr gewesen war, die vollständig vernichtet wurde.
Marina traf ich wieder. Sie war eine vorzügliche Gerberin geworden und eine noch bessere Gemahlin. Sie schenkte mir sieben Kinder.
Bis heute habe ich sechzehn Enkel und dies war meine Geschichte.

 

Hallo Joe!
Deinen Geschichte hat mir gut gefallen. Durchdacht, flüssig geschrieben und eine gute Handlung (ich liebe historische Geschichtchen :) )

Das Einzige was mich ein wenig stört ist, dass du keine Gefühle der Kinder beschrieben hast (bis auf die Wut, als der "Lütte" im Krieg ist).
So konnte ich mich in den "Lütten" nicht so hineinversetzen...da ich kaum gemerkt habe, wie sehr er die anderen Kinder vermisst.

Ich sprang auf, schnatternd vor Kälte und bewegte mich um Wärme in den Körper zurück zu bringen.
(schnatternd...er ist doch keine Ente :)
Wie wäre es mit schlotternd?)

Guten Rutsch ins neue Jahr

LG Joker

 
Zuletzt bearbeitet:

@Joker:
Danke für Deine Kritik. Freut mich, dass sie Dir gut gefallen hat. Ich habe gerade ein paar leichte Verbesserungen in die Geschichte eingefügt, auf die Du mich hingewiesen hast.
Ich bin im großen und ganzen aber dabei geblieben, nicht viele Gefühle zu beschreiben.

Folgendes ist der Grund:
Valentin erzählt die Geschichte selbst und das dreißig, vierzig Jahre nachdem die Ereignisse stattgefunden hatten. Manche Erlebnisse umreißt er ganz kurz, wie die Jahre der glücklichen Knappenzeit. Detailiert wird er in Situationen, die sein Leben auf dramatische Weise verändert haben. Hier die Flucht vor den Eltern, den Beginn des neuen Lebens als Knappe mit der Trennung der Freunde und natürlich besonders den Kampf, in dem er fast alle verliert.

Manchmal hatte mir mein Großvater, der mittlerweile tot ist, Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg erzählt. Er beschrieb mancherlei Situation sehr genau, doch nie (oder zumindest sehr selten) kamen seine eigenen Gefühle, die er dabei empfunden hatte, zur Sprache.
Vieleicht hast du auch einen Opa oder älteren Angehörigen, der Dir mal von weit zurückliegenden Ereignissen erzählt.
Achte darauf: Es wird äußerst selten von Gefühlen gesprochen.
Ich glaube, es liegt einfach daran, dass man Gefühle, die man empfunden hat, als erstes vergisst. Natürlich nicht große Gefühle: Man weiß, man hatte Angst oder Wut oder war verliebt. Aber wie man genau in einer Situation empfand, die man vor langer Zeit erlebt hat... wer erinnert sich schon daran?

Ebenfalls guten Rutsch!

 

Hallo Joe!
Da hast du vollkommen Recht!
Unter dem Aspekt ist die Geschichte sehr gut gelungen!

LG Joker

 

Deine Geschichte hat mir gefallen, Joe. Da kann man sich gut vorstellen, wie er abends am Kamin sitzt und seinen Enkeln erzählt, wie er zum Ritter wurde.
Das er im Alleingang den gegerischen Anführer erledigt hat ist vielleicht etwas dick aufgetragen, passt aber gut in das Gesammtbild.

 

Hi Joe,

die geschichte gefaellt mir durchaus, ich hab sie gern gelesen. nur der alleingang des protagonisten stoert mich einw enig. den solltest du, wenn moeglich, realistischer gestalten...

lgufn, vita

 
Zuletzt bearbeitet:

Hmmm....
Ich glaube, Ihr habt beide recht: Ist ziemlich unrealistisch, dass er allein den Dunklen Mann besiegt. Werde diese Stelle wohl nochmal komplett überarbeiten.
Ich muß mir aber noch Gedanken dazu machen, wie das geht.

Vielen Dank für Eure Kritiken und alles gute fürs neue Jahr. :)


EDIT:
Hab es jetzt nur leicht abgeändert und ergänzt - ist es besser geworden?

 

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