Geschäftspartner
Da kam er auch schon um das Häusereck. So wie jeden Freitag. Zwar sind seine Besuche über die Jahre immer seltener geworden, doch kann ich mich nicht erinnern, dass sein Kommen jemals ausblieb. Und er war pünktlich, wie immer. Auch diesmal kündigte das tapsende Geräusch seiner ein bisschen zu kurz geratenen Beine sein Erscheinen an. Er lugte um die Ecke und ging in meine Richtung. Dicht hinter ihm sein großer schlanker Boss, gehüllt in seinen braunen Mantel. Sein einst noch mit schwarzen Strähnen durchzogenes Haar war über die Zeit immer schütterer geworden und verblasst. Doch seine Laune verblasste nicht. Leider, denn sie war immer noch so schlecht, wie vor all den Jahren.
Demütig blieb er immer nahe seinem Boss, wagte nicht sich zu weit zu entfernen. Denn sein Boss hätte jedes Verhalten, dass nicht seinen Vorstellungen entsprach, sofort missbilligt, was bedeutete, dass er allein das Ventil dessen schlechter Laune werden würde. Ich konnte es ihm nicht verübeln.
Das Duo tat mir Leid. Ein Mann der nur das schlechte in der Welt sehen konnte und sein Partner, der unter den Launen von diesem litt. Es war ein komisches Duo, nicht nur was den Größenunterschied betraf.
Ich hatte den kleinen Kerl wirklich gern. Auch seinen Namen kannte ich. Walther hieß er. Dieser war das Einzige, was ich den geknurrten Befehlen seines Bosses entnehmen konnte, wenn ihn wieder einmal für das geringste Vergehen zurechtwies. Ob er meinen Namen kannte wusste ich nicht, denn wir wechselten nie ein Wort miteinander. Warum sollten wir auch? Oft würdigte er mich nicht einmal eines flüchtigen Blickes. Wir taten beide immer nur unseren Teil der Abmachung. Einer nie ausgesprochenen Abmachung. Einer Abmachung, die wenn sie durch einen Biologen bewertet werden würde, sofortig als Synthese-ähnliche Beziehung abgetan würde. Doch sie basierte genauso auf Vertrauen wie jede andere Abmachung. Zumindest von meiner Seite.
Es war ein typisches Geschäftsverhältnis. Wobei ihm seine Geschäfte immer wichtiger waren.
Gerade als er zu mir tappen wollte, hielt er kurz inne und wand seinen fragenden Blick zu seinem Boss, der beide Hände in den Tiefen seiner Manteltaschen verborgen hatte. Der alte Mann machte jedoch keine Anstalt, ihn aufzuhalten. Er blickte mit trüben Augen in die Ferne. Ob er an eine lange vergangene Zeit dachte oder sich ein Blick-Duell mit einem zähnefletschenden Tiger lieferte, der neben meinem Stamm kauerte, ich konnte es nicht sagen.
Während sein Boss in seiner typisch gebückten Manier unbeirrt weitergestakste, kam sein kleiner Partner mit aufgestellten Ohren genau auf mich zu. Es gibt da eine Sache, die Hunde gern mit Bäumen machten. Und Walther war da keine Ausnahme. Nach einem kurzen Schnupper hob er genüsslich ein Hinterbein, um sich zu erleichtern…
So war ich zumindest von meinem banalen Teil der Abmachung entbunden. Einer fairen Abmachung, wie ich fand.
Doch ich spürte den warmen Strom fast gar nicht mehr, der an meiner groben Rinde hinunterrann und zwischen meinen breiten Wurzeln versiegte, denn diese alte Borke war von Käfern zerfressen und fühlte nichts mehr. Ich war am Ende meines Lebens. Lange wird es nicht mehr dauern, bis ich geschwächt durch mein hohes Alter einer Krankheit oder der nächsten dreisten Windböe eines Herbstturms erliege. Denn diese geschädigten Wurzeln vermögen es nicht länger, meine Äste und die schwere Frucht, welche an diesen hängt, zu tragen.
Ich hatte ein langes erfülltes Leben, das nicht frühzeitig durch Axt und Keil beendet worden ist. Jeden Herbst erbrachte ich gute Ernte. Ich erinnere mich gern an die Gruppe von Menschen, die Leitern benutzen, um mich von der Last meiner Früchte zu befreien. Besonders die Jungen erfreuten sich immer an diesen. Viele Paare suchten im Sommer unter meinem Blätterdach Schatten. Erheitert dachte ich zurück an die Tage, an denen ich so manchen Denker, welcher an meinen Wurzeln sinnierte durch eine geschickte Nutzung der Erdanziehungskraft aus seinem Träumen riss. Es ist schon komisch letztendlich wird sie auch mich zu Fall bringen.
Der kleine Dackel ließ sich Zeit, zu viel nach der Meinung seines Bosses, der dieser mit einem genervten Knurren Ausdruck verlieh und bereits ein gutes Stück weiter den groben Kiesweg hinunter gelaufen war. Das veranlasste den kleinen Kerl sich zu beeilen und kurz darauf im Hunds-Trapp zu dem alten Mann aufzuholen. Als er schon an ein paar meiner Früchte, die sich im Gras unter meinen ausladenden Ästen häuften, vorbeigegangen war, machte er plötzlich Kehrt und hob die Luft prüfend die Schnauze. Seine Nase verschwand einen Augenblick zwischen den Halmen, als sie sofort darauf mit einem Apfel zwischen den Kiefern wieder auftauchte. Nur mit Mühe schafften es die Dackelkiefer mit ihren Zähnen den großen Apfel festzuhalten. Der Dackel wand sich wieder weg von mit und trappte zurück mit zu seinem Boss, der sich zum ihm mit einem skeptischen Blick in den Augen umdrehte. Dieser wich kurz darauf einem demonstrativen Augenrollen, als sich der Mann mit einem entnervten Seufzer umdrehte und weiterging. Schwanzwedelnd verschwand Walther mit seiner Wertvollen Fracht mit seinem Boss in der nächsten Straße. Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass ich ihn sah.
Was ist diesem Mann wohl für ein Schicksal erfahren, dass er so verschlossen und immer schlechter Laune war? Worin ist sein Trübsal, dass er auf der größten und tiefsten Tuba blies, begründet? Hat er keine Familie? Niemanden den er liebte? Gibt es nichts, was ihm wichtig ist? Will er nicht einmal eine gute Erinnerung hinterlassen, wenn er nicht mehr ist? Ich hab mich das schon gefragt, als er vor vielen Wintern das erste Mal an mir vorbeikam. Doch auf diese Fragen werde ich keine Antwort mehr erhalten. Niemand wird das mehr.
So viele Menschen vergeuden ihr Leben. Machen sich keine Gedanken was sie hier zurücklassen. Es war bestimmt nicht meiner Lebenserfahrung zu verschulden, die relative Gesehen der dieses armen Menschen entsprach; aber selbst ein Baum fragt sich was er Spuren in dieser Welt hinterlässt.
Mir ging es immer darum, meine Art zu erhalten und so werde ich in den kleinen Sprossen, die aus meinen Früchten hervorgehen werden, weiterleben. Doch hier unter meinem Blätterdach konnten sie nicht wachsen. Zum Glück wussten auch die vielen Vögel, die in meinen Ästen nisten oder im Frühling erschöpft von ihrer Rückkehr aus dem Süden auf mir rasten, meine Äpfel zu schätzen. So trugen sie meine Samen in die Welt hinaus.
Der kleine Dackel war auch ein Teil des großen Ganzen. Und er war mir immer treu geblieben, nicht so wie die eigensinnigen Vögel, die auch schnell beleidigt weiterzogen, wenn die Früchte nicht süß genug waren. Ob der kleine Dackel wusste, was er mir für einen großen Dienst erwiesen hat? Vermutlich nicht. Glücklicherweise nicht. Wüsste er es, hätte er bestimmt mehr verlangen.
Ausschnitt aus einer Lokal-Zeitung:
[…]wurde der große Apfelbaum in der Dorfmitte, der[…], während des Herbstgewitters entwurzelt[…] Dieser schmückte unseren Marktplatz schon seit 1853 und […]