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Geralds Wasser
Die ersten Tests belegten auf einen Liter Flüssigkeit einen Gehalt von 100 mg Magnesium, 250mg Calcium, 1,0 mg Fluorid, 1200mg Sulfat, 1300mg Hydrogencarbonat und 1000mg Kohlendioxid. Außerdem wurde eine bis dato unbekannte Substanz entdeckt, der die ausführenden Mediziner aufgrund ihrer Untersuchungsergebnisse scherzhaft den Namen Wonderfluid² gaben. Die Versuche mit speziell für kosmetische Versuche gezüchteten Laborratten wiesen laut Doktor Sven, dem Leiter des Untersuchungskomitees, eine deutliche Verschönerung des sonst als so außerordentlich hässlich verschrienen Rattenschwanzes auf.
Nicht wenige werden nun denken: „Aha, schon wieder ein neuer Trick der Kosmetikindustrie. Haben wir nicht schon genug dieser Cremes und Seifen, die uns den Himmel versprechen, und mussten wieder hilflose Tiere für unser krankhaftes Streben nach ewiger Jugend elendig verrecken?“
Ein Einwand, der durchaus seine Berechtigung hat. Zumindest, wenn man zu ungeduldig ist, um sich den Rest dieser kleinen Anekdote anzuhören.
Diese Daten nämlich, die mir in jenem Herbst von einem befreundeten Ökotrophologen zugespielt wurden, waren keinesfalls das Resultat der Untersuchung eines aus den Tiefen unserer wunderschönen Erde entspringenden Quells. Waren schon gar nicht aus der Erforschung jahrtausendealten Arktisschmelzwassers hervorgegangen. Und waren noch viel weniger vom Rumpf einer verschollen geglaubten Marssonde in die Reagenzgläser der NASA-Forscher getropft. Vielmehr handelte es sich bei dem Umschlag, den mir einer dieser unrasierten Fahrradkuriere auf den Schreibtisch schleuderte, um eine ärztliche Bescheinigung, deren Inhalt mir nach dem ersten Lesen zur Überschrift zurückgekehrt den Atem verschlug.
"Bakteriologisch, parasitologische Stuhluntersuchung, Gerald Moschinsky", stand und steht nach wie vor (mittlerweile aber eingerahmt neben dem ILS-Diplom an der Wand meines Büros) auf dem schlecht kopierten Duplikat des streng vertraulichen Dokuments. Auf die Seitenmitte hatte man einen Stempel gestampft, dessen Bedeutung ich nicht treffender hätte formulieren können: „Besonderer Befund“
Meine Reaktion, die manchem heimlichen Beobachter damals sicherlich befremdlich, oder sogar manisch vorgekommen wäre, erklärt sich möglicherweise durch einen Umstand, den ich aufgrund einer vielleicht etwas zu ausschweifenden Einleitung vergessen habe zu erwähnen: Mein Name ist Detlef „Detti" Werner und ich war und bin Promoter. Nicht, wie übereilt angenommen werden könnte, einer dieser Verteiler uninteressanter Zettelwerbung, der einem am Fuße der Rolltreppe den Weg versperrt. Nein, weit gefehlt.
Ich bin Regionalleiter der Promotion-Agentur Swiftbatch, dem Marktführer in Sachen Wirtschafts- und Produktförderung.
„Such mir alle Gerald Moschinskys aus Düsseldorf heraus, aber gestern!“, kreischte ich so laut in die Sprechanlage, dass das verzerrte Echo aus der Box meiner Sekretärin trotz der geschlossenen Bürotür zwischen uns in meinen Ohren schmerzte.
Gerald Moschinsky war ein untersetzter Mittdreißiger, dessen krampfhaft zusammengepresste Hände seinen Daumen eigentlich das Blut abdrücken mussten.
Ich setzte mein Vertrauen erweckendstes Gesicht auf.
„Soso, Sie sind also dieser Wunderknabe.“
„Ich glaube nicht, dass ich ein Wunderknabe bin“, antwortete er mit niedergeschlagenem Blick.
„Was machen Sie denn so, Gerald, was machen Sie beruflich?“, fragte ich um Verständnis bemüht, während ich die erste Notiz in mein Filofax kritzelte.
Gerald, französisch aussprechen!
„Spüler.“
„Spüler?“
Er arbeitete, wie er mir in mühsam artikulierten Sätzen erklärte, an der Spülstraße in der Küche einer großen Hotelkette, meistens in der Nachtschicht.
Vom Tellerwäscher zum Millionär!
Er war sechsunddreißig, unverheiratet und, wie es schien, leicht zurückgeblieben.
5 % Umsatzbeteiligung!!!
„Nun Jeráld, ich denke, als Spüler werden Sie in Zukunft nicht mehr arbeiten müssen.“
Er blickte mich durch das Glas San Pellegrino, das Juliette ihm gebracht hatte, forschend an. Offensichtlich war er fasziniert von den entstehenden Verzerrungen meines Gesichtes.
„Ich heiße Gerald“, erwiderte er verträumt.
„Jaja, schon klar.“
Ich eröffnete ihm mein Angebot, das erst einmal daraus bestand, dass ich ein Marketing-Konzept entwickeln und herausarbeiten würde, in welcher Form wir das, und das zumindest stand schon fest, viele Geld mit der Sache verdienen konnten. Eine Anzahlung von dreitausend Euro (immerhin dreieinhalb bisherige Monatsgehälter) sollte ihm vorerst einen Ausstieg aus der Stewarding-Branche ermöglichen und ihm das erste Gefühl von finanzieller Unabhängigkeit vermitteln. Den besiegelnden Handschlag erwiderte er kraftlos und abgelenkt.
„Juliette, würden Sie bitte bevor Sie den Vertrag aufsetzen einmal hereinkommen.“ Der Rufknopf der Sprechanlage hatte etwas unter meiner Dynamik vom Vortag gelitten.
„Bitte sprechen Sie zunächst mit keinem darüber, auch nicht mit Ihrem Arzt. Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass das hier Besprochene unter uns bleibt.“
Er nickte.
„Ah, Juliette, wie ich sehe, haben Sie Ihr Glas dabei.“
Juliette / Termin vereinbaren / Enthaarung
Es war dann doch gar nicht so einfach, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wie sich herausstellte, waren es nur anderthalb Liter Wassergewinnung pro Tag, also wäre eine industrielle Abfüllung mitsamt ihrer Vermarktung über den Einzelhandel ein wenig lohnendes Geschäft gewesen. Zumal Flaschendesign und Abfüllanlage zu viel des Mammons verschlungen hätten. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Geralds Wasser nach exakt achteinhalb Minuten Sauerstoffzufuhr seine Wirkung verlor, wie weitere Test ans (nach wie vor eher dämmrige) Tageslicht brachten.
Juliette, die seit jenem ersten Treffen nicht nur eine Schönheit und Grazie ausstrahlte, die mich sie jeden Tag aufs Neue fasziniert betrachten ließ, brachte mich dann schließlich auf die Idee. Auch ihr Verstand war seit der geheimen Verköstigung wie ausgewechselt.
„Promipartys?“
Wie man vielleicht merkt, hatte ich es bislang nicht über mich bringen können, von der Wunderbrause zu naschen.
Juliettes Idee war so simpel wie genial, abgesehen davon, dass sie trotz des Intelligenzschubes wohl übersehen hatte, wem sie ihren Einfall anvertraute.
Sämtliche Veranstalter von Jet-Set-Treffen, Opernbällen und anderen High-Society-Events wurden kontaktiert und mitsamt der einschlägigen Presse zu einer Veranstaltung geladen, wie es sie bis dahin noch nicht gegeben haben sollte. Barbara Ammadin Fackhar, (auch Babbel genannt), die durchgeknallte Ex von Deutschlands Musikproduzenten Nummer Eins, Dietmar Bohrer, hatte sich bereit erklärt, als Gesicht der Kampagne herzuhalten und so die Boulevardpresse anzulocken. Ihr kurzer Ausflug in die rechte Szene im benachbarten Österreich hatte zwar für Negativschlagzeilen gesorgt, wobei ihre mokkafarbene Haut wohl der einzige Grund war, warum es überhaupt jemanden interessierte. Ihre Vorzeigekarrieren als Schlagersängerin und DJane machten, neben ihrem Aufenthalt in dem Straßenfeger „Ich bin ein Dschungel, schmeißt die hier raus ...!“ diesen Vorfall aber mehr als wett.
Außerdem passte sie halt in unseren knapp budgetierten Rahmen ... was sollte ich denn machen?
Ein Paar Berichte in Gala, Bunte und einigen billigeren Ablegern sollten reichen, um das Interesse der Bevölkerung auf Gerald zu ziehen und den Marktwert unseres Produktes in den marktwirtschaftlichen Kosmos aufsteigen zu lassen. Vielleicht noch ein Besuch von Gerald (oder einem Schauspieler) in einer der gängigen Talkshows und die Sache wäre geritzt gewesen. Selbstverständlich, so merkte Juliette an, würde dann auch Femke Rudolf in einem ihrer „Das Leben der Reichsten“-Spezials über das neue Luxusgut und seine Wirkung berichten.
„Toll Juliette, was wäre ich nur ohne Sie. So, und jetzt hopp, hopp, die zahlungswillige Kundschaft angerufen, aber gestern!“
~
Als der große Abend gekommen war, an dem unser Durchbruch besiegelt werden sollte, war soweit alles im Sack. Juliette hatte die brillante Idee das Wasser L’eaucul (als Anspielung auf den römischen Kaiser Lukullus) zu taufen und ein passendes Logo war von unserem Topdesigner ebenfalls entworfen und auf zweihundert samtenen Klopapierrollen verewigt worden, die am Ende des Abends an die geladenen Gäste aus Partyveranstaltern und Medien verteilt werden sollten. Als Location hatten wir den Edel-Club 2010 im Düsseldorfer Medienhafen angemietet, wo nach der Vorführung DJ Snop noch ein Set abliefern sollte. Ebenfalls Juliettes Idee war es, Geralds epilierte und gepuderte (entschuldigen Sie bitte, dass ich das so direkt sage) Arschbacken für Werbezwecke zu nutzen. Und so kam es, dass die Logos von Jesus Dermotex und Kornpower eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn vom Airbrushkünstler Exelento auf die dafür vorgesehenen Körperteile gesprüht wurden.
Lediglich Gerald war ein wenig angespannt. Bislang hatte er aus Schamgefühl sogar auf Saunabesuche verzichtet und nun sollte er seine vier Buchstaben, wie er es nannte, in eine Menge von Fremden strecken.
„Das wird schon, Gerald. Denk an das Geld! Und gewöhn dich besser dran.“
Ich klopfte ihm versöhnlich auf die Schultern und ließ ihm zur Beruhigung von Juliette noch einen Espresso besorgen.
Vor dem 2010 hatte sich bereits eine Schlange gebildet und die Symphoniker hatten den Probedurchlauf der kleinen Wassermusik beendet. Der Regieassistent der Show platzierte Gerald zwischen die zwei edlen Schokobrunnen und die frisch geschnittenen tropischen Früchten, während er beruhigend auf unseren Star des Abends einredete.
„Was ist mit ihm?“, fragte ich, nachdem er Gerald überzeugt hatte, seinen Platz einzunehmen.
„Seine Eier tun weh.“
Wir hatten seine Genitalien aus Gründen der Pietät mit doppelseitigem Klebeband hochgesteckt und das zog nun in der Hundestellung wohl etwas. Die Damen der höheren Schichten wären aber sicherlich nicht erpicht darauf gewesen, unter der Quelle des heute angepriesenen Jungbrunnens einen faltigen Sack baumeln zu sehen.
„Da muss er jetzt wohl durch.“
Ich gab das Zeichen zum Öffnen der Türen und das Orchester setzte ein, während die Lasershow für die optischen Reize sorgte und die Gäste, unwissend, der Dinge, die da kommen würden, langsam den Saal füllten.
Durch das Showprogramm führte Vera Lindt, ehemalige Bestsellerautorin und TV-Show-Moderatorin, die ich über Umwege kannte und sie somit diesen Umständen und dem Status ihres momentanen Marktwertes entsprechend günstig für unsere Sache engagieren konnte.
Babbel hatte sich wohl Mut angetrunken, jedenfalls roch sie so.
„Und es kommt wirklich aus seinem Arsch?“, hatte sie bei unserem ersten Treffen entgeistert gefragt. Doch die (zugegebenermaßen leicht retouchierten) Vorher-Nachherbilder von Juliette und die tausendfünfhundert Euro hatten sie schließlich überzeugt, L’eaucul zu präsentieren.
„Wahnsinn ist das, Sachen gibt’s. Also so was ...!“
„Du bist gleich dran, Babs“, zischte ich in ihr mir zugewandtes Ohr. Sie erwiderte noch etwas, doch ich hatte mir abgewöhnt, ihr zuzuhören.
Das Koks des Regieassistenten, das wir uns im Backstagebereich reingezogen hatten, tat das Seine zu meiner Zufriedenheit und Vorfreude auf die überwältigten Gesichter und Geralds vollen Terminkalender. Ich rieb mir die Hände, während vor mir zu Carmina Burana der Vorhang fiel. Dieser Boxansager mit der tiefen Stimme, dessen Name mir beim besten Willen nicht mehr einfallen möchte, erhob seine Stimme und rezitierte die von Juliette verfasste Laudatio auf das Leben und die Schönheit des Weibes. Gipfelnd in Freude schöner Götterfunken zog er sein „L’Eeeeeeeeeaaaaaaauuuuucuuuuuuuuuul ...!“
Dass sich ausgerechnet an diesem Tag und in dieser Sekunde Geralds Stoffwechsel normalisierte, konnte wirklich niemand ahnen. Babbel jedenfalls, mit ihrem Champagnerglas direkt unter der Quelle, blickte fassungslos auf dessen Inhalt, der keinesfalls aus Wasser bestand. Die Musik war verstummt, ebenso die Gäste. Alle blickten auf das prunkvoll gestaltete Buffet und die für ihre Verhältnisse kreidebleiche Präsentatorin.
„Möchte vielleicht jemand exotische Früchte mit Valrhona Couverture?“
Babbel begann trocken zu würgen.
„Vorhang zu!“
Meine Laune schlug um und besserte sich auch nicht, als ich DJ Snop mit einem der angesagtesten Partyveranstalter gackern sah. Ich schnappte mir die Ammadin Fackhar und zog sie an ihrem dünnen Ärmchen hinter mir her.
„Komm!“
Im Backstagebereich zeterte Babbel fürchterlich übertrieben herum und schrie etwas von verklagen und Anwälten. Sie meinte, ihr Ruf sei ruiniert, sie könnte sich nie wieder auf öffentlichem Parkett sehen lassen.
Aber jetzt mal ganz ehrlich. Das ist doch nicht das erste Mal gewesen, dass man Babbel mit etwas Braunem in Verbindung bringen konnte. Wenn ich meine Meinung hier mal so unverblümt kundtun darf.
„Jetzt spiel dich hier mal nicht so auf, Barbara. Für dieses Desaster habe ganz alleine ich gerade zu stehen.“
Vera Lindt blickte mich auf einem Stapel Bankettstühle sitzend an, während sie ihren geeisten Passionsfruchtspieß in die cremige Couverture tunkte und genussvoll abbiss.
„Kann mal jemand Gerald vom Buffet holen?“
Der finanzielle Schaden hielt sich in Grenzen. Wir schickten Gerald (nun wieder deutsch ausgesprochen) in einige Interviews mit Klatschpresse und dem sogenannten TV-Journalismus und kassierten dadurch noch den ein oder anderen Euro.
Juliette musste ich entlassen. Als Ideenfinderin war sie vor der Geschäftsleitung bestens geeignet für die Lösung der zu klärenden Schuldfrage. Die Öffentlichkeit brauchte einfach einen rollenden Kopf wegen des Schlamassels. Ich selber zog mich halbwegs unbeschadet aus der Affäre, was meinen Frust wegen des verpatzten Millionendeals gewiss nicht schmälerte. Der Konzernleiter überreichte mir bei der Weihnachtsfeier allerdings einen Innovationspreis, der einherging mit einer saftigen Gehaltserhöhung. Und so kam ich doch noch auf meine Kosten.
Ich habe mich dann auch wirklich noch ins Zeug gelegt, um Gerald seine Stelle im Hotel wieder zu beschaffen und einen günstigen Zinssatz für die Ratenrückzahlung der dreitausend Euro habe ich ihm auch gewährt.
Ich bin ja kein Unmensch.