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Geplänkel vom Thema sinnlos
"Beim nächsten mal klappt es bestimmt besser.", lächelte sie ihn an.
Er fühlte sich beim Anblick ihrer übertrieben gekünstelten Mimik unwillkürlich an ein lebensgroßes Smilie erinnert.
Vermutlich hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie irgendeinen Satz gesagt, den sie auch nur annähernd ernst gemeint hätte, was seiner Meinung nach im Grunde genommen nicht anders war, als bei den meisten anderen Menschen auch.
Der Unterschied lag allerdings darin, dass Claudia es auf geradezu meisterhafte Art und Weise verstand, ihrem Gegenüber diese Tatsache völlig unverhohlen auf dem Silbertablett zu servieren.
Er hatte sich schon mehr als oft gefragt, ob sie das aus purer Absicht machte, doch vermutlich war sie einfach bloß eine schlechte Lügnerin, und so hatte wohl selbst das > Ja, ich will! < auf ihrer Hochzeit vor zehn Jahren wie ein Wahlversprechen geklungen.
Eigentlich konnte es ihm ja auch egal sein. Er sah sie zweimal die Woche, jeweils für eine Stunde.
Zwischen Knabberkram und aus dem Henkelmann angeheiterten Fruchtcocktails bemühten sich die beiden um die Erzwingung einer zumindest halbwegs funktionierenden Konversation, dann gab sie ihm zum Abschied zwei Küsse auf die Wangen und wünschte noch alles gute für die nächsten Tage, ehe sie sich auf den Weg zu ihrer Arbeit in der Schneiderei machte.
"Sicher, das nächste mal wird´s hinhauen.", entgegnete er in einem Tonfall, der ihn selbst als unprofessionellen Lügner zu entlarven schien.
"Natürlich wird es das. Du musst nur daran glauben. Der Glaube macht uns schließlich zu dem was wir sind."
> Ach ja, was sind wir denn? Zwei leicht angetrunkene möchtegern Individuen, die mit ihrem Leben nicht zurecht kommen und zur besten Zeit des tages in einem muffigen Zimmer sitzen und Salzbrezeln in sich hineinstopfen. >, fügte er in Gedanken hinzu.
Vielleicht sollte er das laut aussprechen?
Friedrich versuchte sich vorzustellen, wie sie darauf reagieren würde. Vermutlich stünde sie empört auf, würde ihre kitschige Handtasche unbeholfen an sich reißen und ihn fragen, wie er bloß einen solchen Unfug von sich geben könne. Anschließend wäre sie schneller durch die Tür verschwunden als gute Vorsätze zu Silvester dem Gedächtnis entwichen.
Möglicherweise nicht das Schlechteste.
Er hätte seinen Rollstuhl bei den Rädern packen, und sich endlich mal wieder unter richtigen Menschen sehen lassen sollen. Weg von diesen ganzen Zombies aus der Selbsthilfegruppe, die sich gegenseitig bedauerten, auf niedrigstes Selbstmitleidniveau begaben und dabei ständig auf ihr lachhaft biblisches ´Glaube versetzt Berge` Motto beriefen, die reale Umwelt scheinbar hoffnungslos ignorierend.
In Wahrheit hingen ihm diese ganzen Heuchler schon seit Jahren zum Hals raus. Er sollte das machen, was er schon früher, vor seinem Unfall gemacht hatte. Sich unter das Volk mischen, bei den wahren Bewohnern dieser Erde sein, und nicht in einem Gefängnis wie diesem verweilen.
"Die Zeit ist leider mal wieder abgelaufen. Geht immer viel zu schnell, findest du nicht?", spulte sie eine ihrer unzähligen Standardphrasen ab.
"Wir sehen uns ja aber nächste Woche wieder Friederich.", ergänzte sie überflüssiger Weise noch rasch.
Er hasste es, wie sie seinem Namen ein zusätzliches ´e` aufzwang. Er hieß Friedrich und nicht Friederich. Diese Schlampe konnte, oder wollte sich das einfach nicht merken.
Eine unbeschreibbare Wut stieg in ihm auf. Eine Emotion die auf natürlicher Ebene einem mittleren Vulkanausbruch gleichzusetzen war, durchflutete in herrlicher Intensität seinen Geist.
So gut hatte er sich schon seit langem nicht mehr gefühlt.
Ganze fünf Jahre, um genau zu sein. Der Tag an dem er in die gnadenlose Umarmung des Schicksals geraten war. Der alte Passat war von der regennassen Fahrbahn abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Die Frau neben ihm, die ihn freundlicherweise als Anhalter mitgenommen hatte, war auf der Stelle tot gewesen. Er hatte sich für diesen Vorfall immer die Schuld gegeben.
"Nein, werden wir nicht. Ich habe die Schnauze nämlich voll von euch allen und eurem Gelabere!"
Er war über die Tatsache diesen Satz von sich gegeben zu haben, offensichtlich für den Moment noch mehr überrascht als Claudia.
"Das glaube ich jetzt nicht!" - Zum wahrscheinlich ersten mal in ihrem Leben war sie vollkommen ehrlich gewesen, und so starb sie in reinem Gewissen.
Das noch halbgefüllte Glas zersprang unter der Wucht des auf ihm einschlagenden Schädels. Dunkelrotes Blut, vermischt mit dem hellen Grün des Kiwisaftes lief in an Sauce Hollandaise erinnernder Gestalt die Tischkante herunter und bildete eine große, bizzar anmutende Lache auf dem ansonsten farblosen Teppich.
Er rollte auf einen der Hinterausgänge zu.
"Wir können ihrem Antrag nicht stattgeben.", murmelte er dabei leise. "Sie sind noch lange nicht genesen. Ganz ehrlich gesagt, ich glaube nicht dass sie hier jemals wieder herauskommen werden." Er musste der Versuchung widerstehen seinem den Klinikleiter nachäffenden Spott allzu lautstark Ausdruck zu verleihen. Schließlich durften sie ihn nicht dabei erwischen, wie er versuchte durch den Lieferanteneingang in die Freiheit zu gelangen, um endlich wieder seinem Hobby fröhnen zu können.
Endlich wieder morden. Wenn auch nie wieder in einem fahrenden Wagen, schwor er sich.