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Gepäckband

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15.08.2011
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Gepäckband

Ich stehe am Gepäckband, 12.30 Uhr. Mein nächste Flieger geht in 20 Minuten, Gate B und ich muss noch durch die Sicherheitskontrolle. Ja, schon wieder. Ich packe meine Sachen auf das Band, ziehe den Gürtel aus, die Schuhe auch, Laptop raus in die extra Wanne, dann ab durch den Scanner. Alles in Ordnung, dankeschön. Ich hetze nicht, laufe aber zügig. Gate B, Flight is ready for boarding. Flugticket und Personalausweis für die Dame am Schalter, nicke ihr zu, dankeschön, dann durch den Schlauch ins Flugzeug. Ich nehme keine Bon-Bons, klemme mir dafür die Illustrierte unter den Arm und weiß schon ohne auf meine Boardingcard zu gucken wo ich sitzen werde. Mir egal wer neben mir sitzt, Fenster brauch ich auch nicht, Wolken habe ich schonmal gesehen.

Dann ist es soweit. Langsam haben sich alle hingesetzt, der Tumult beim Einstieg hat sich gelegt, es geht los. Die Stewardess gibt über die Lautsprecher bekannt, dass wir jetzt zum Starten bereit sind. Ich gucke nicht mal zu ihr hoch. All meine elektronischen Geräte habe ich schon längst ausgeschaltet, ich kenne das, bin kein Anfänger mehr. Sie läuft nochmal durch die Gänge, kontrolliert, ob auch alle Kinderchen schön angeschnallt sind, und dann -endlich, endlich- starten die Motoren. Umständlich fährt der Pilot uns über den Flughafen zur Startbahn, aber mir egal, ich lese im Spiegel gerade was über verunreinigtes Trinkwasser – schlimme Sache das, was steht im Feulliton?

Jetzt die Motoren: Woooooosh, geben sie Schub. Ich liebe das Gefühl, wie mein Magen jedesmal einen Sprung macht. Das ist das Gefühl von Fliegen, so fühlt es sich an wenn man fliegt – und alle sagen immer, es wäre so toll, so leicht, so völlig schön zu fliegen, wenn sie doch nur fliegen könnten. Dabei fühlt es sich garnicht so frei an. Eigentlich ist die Kabine solch eines Airbus ziemlich eng und gedrängt. Neben dem breiten Geschäftsmann zu meiner Linken fühle ich mich garnicht frei, sein Schweißgeruch löst bei mir andere Gefühle aus als ein Losgelöstsein. Aber ok.

Dann das übliche Programm: Erst Getränke, dann schlechtes Essen, die Stewardess kommt vorbei, lächelt, fragt ob alles in Ordnung ist, draußen rasen die Wolken am Fenster entlang. So schlimm das mit dem verseuchten Wasser auch ist, ich habe meine Illustrierte satt und krame das Buch aus meiner Tasche hervor. Die Wolken interessieren mich nicht, ich weiß auch ohne hinzusehen wie schön der weiße Teppich ist. Leider ist mein Buch auch nicht so der Bringer und ich überlege, ob ich nicht lieber ein Nickerchen halten sollte.

Dann Turbulenzen. Ich kenne das, ich hab das schon erlebt. Das Flugzeug wackelt etwas, ein Luftloch, für eine Sekunde fühlt man sich als würde man fallen, der Magen springt an die Decke, wie im rasenden Fahrstuhl, aber kein Grund zur Sorge. Immer gibt es jemanden, der Angst bekommt, ein Anfänger, jemand der das noch nie gemacht hat und fragt „Was ist das für ein Geräusch?“, „Muss das so sein?“. Dabei gibt es keinen Anlass nervös zu werden. Luftlöcher sind ganz normal und solch hochtechnisierte Maschinen geben nunmal seltsame Töne von sich. Ob wirklich etwas Schlimmes passiert, erkennt man am Gesicht der Stewardess...

Dann: Sorge im Gesicht der Stewardess. Mir wird doch etwas mulmig: Was guckt sie so betont gelassen? Warum wirkt sie trotzdem so hektisch, wo will sie so eilig hin? Sie verschwindet im Cockpit, gedämpftes Gemurmel. Sie kommt zurück, sieht noch besorgter aus. Sie wirkt gehetzt, geht zum Funkgerät für die Lautsprecher und sagt: „Entschuldigen sie bitte die Turbulenzen, aber es scheint als hätten wir gerade ein paar Probleme mit...“ und plötzlich fallen die Sauerstoffmasken von der Decke. Man kann den Schrecken und die Verunsicherung spüren, auf einmal ist alles ganz anders als ich das kenne.

Die Ereignisse überschlagen sich. Der Flieger bricht ein, irgendwo kommt Rauch her. Wir sinken, schnell, schnell, hart und fatal. Panik bricht aus, es wird geschrien, die Stewardess brüllt über die Sprechanlage, fängt selber an zu schrein, sie hat Angst, ich habe Angst, ich kann nicht mehr atmen, der fette Geschäftsmann neben mir hypeventiliert durch die Sauerstoffmaske, irgendjemand hantiert panisch mit der Schwimmweste, was soll ich tun, Klamotten fliegen umher, die Gepäckfächer springen auf, mein Koffer fällt raus, Chaos, mehr Rauch, ich sehe Feuer durch das Fenster, wo ist der Flügel, wo ist der Flügel, oh mein Gott wo ist der Flügel, die Wolken rasen an uns vorbei, unter uns ist es blau, wir stürzen ab, wir stürzen ab, wir stürzen ab...

Dann: Ruhe. Ich betrachte das Chaos um mich herum als könnte ich darin baden. Als wäre es die Oberfläche eines schimmernden Bergsees, das harmonische Antlitz unberührter Natur. Alles läuft in halber Geschwindigkeit. Ich bin gelassen. Wieso bin ich nur so gelassen? frage ich mich selbst und mir fällt mir auf, wird wirklich bewusst, dass ich falle. Dass ich abstürze. Dass ich fliege. Ich bin dutzende, hunderte Male geflogen, doch zum ersten Mal fühle ich mich wirklich, als würde ich fliegen. Als wäre ich vom Dach eines Wolkenkratzers gesprungen und nun in aller Seelenruhe auf dem Weg zum Asphalt: Die Zeit steht still und während des Sturzes wird mir klar, was ich vorher alles verpasst habe. Mit einem Schlag erkenne ich die Schönheit in dem Chaos um mich herum, mir wird klar, dass jeder panischer Gesichtszug in Wahrheit ein lebensbejahender Schrei von jemandem ist, der noch nicht gelernt hat zu fliegen. Fliegen heißt fallen zu können; Freiheit bedeutet loslassen. Warum wird mir das erst jetzt klar? Erst jetzt, wo wir abstürzen, sehe ich wie schön doch die Sonne von hier oben aussieht. Alles ist gut, so unbeschreiblich wunderschön. Ich bin losgelöst und entspannt, in atemloser Ehrfurcht vor der Schöpfung um mich herum. Ich bereue nichts, garnichts – außer vielleicht, zuviel Zeit am Gepäckband verbracht zu haben.

 

Hallo und herzlichwilkommen groegge,

Dein Erstling ist leider reichlich unausgewogen. Über die Hälfte des Textes schilderst Du eine schwach persönlich eingefärbte Beschriebung von erlebnissen, die inzwischen fast jeder Leser kennen dürfte.
Etwas interessanter wird es erst ab der Mitte des Textes, als der Prot am Gesicht der Stewardess den Ernst der Lage erkennt.

Und auch dann kommst Du nicht ans Erzählen, kannst den Leser nicht in die Situation hineinnehmen, oder wenn Du ihn schon auf Distanz halten willst, mittels der Situation etwas über den Prot, das Leben, das Shicksal, oder sonst irgendwas über das Berichtete hinaus nahe bringen. Ein paar Zeilen lang schilderst Du ein wenig Flugzeugchaos. Dann verliert sich der Text in selbstgefälligen, pseudophilosophischen Phrasen des Protagonisten, und dann ist auch schon Schluss.

Mir ist nicht ganz klar, was genau Du mit dem Text erzählen wolltest, worauf Du den Leser fokussieren wolltest, welche Empfindungen Du auslösen wolltest. Daher können meine Ratschläge nur im Nebel stochern (als den ich den Text erzählerisch tatsächlich empfinde): ich würde den Anfang radikal kürzen, stärker herausarbeiten, umwas für einen Schlag Mensch es sich bei dem Prot eigentlich handelt. Würde ihn seine Schlusserkenntnis nicht abstrakt formulieren lassen, sondern selbst durchleben lassen, indem er z.B. merkt, dass er selbst nicht bereit zu diesem eigenartigen Konzept von Fliegen ist, das er hinterher vertritt; das kann vielleicht anhand von möglichst konkreten, plastischen Erinnerungen verdeutlicht werden, die ihn in dem Moment durch den Kopf schießen.

Ich würde mir als Leser jedenfalls weniger Redundanzen wünschen, sehr viel mehr Nähe zum Geschehen und mehr Nähe zu den Figuren.

LG, Pardus

 

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