Was ist neu

Gentleman

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27.09.2009
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Gentleman

Er hätte auch so bleiben können.
Der Manager befühlte den geschlechtslosen Körper. Unter der Haut spannten sich schon die Muskeln, auch der bronzene Teint verlieh ihm etwas Männliches. Er wirkte nicht nackt, sondern auf seine Art vollkommen.
"Nun komm!" murmelte der Manager. "Zieh Dich an!"
"Er zuckt ja schon." sagte der Techniker, der neben ihm stand.
Der Roboter erhob sich und ging zum Kleiderschrank. Er öffnete die Türen und beäugte eingehend das Inventar, bevor er sich für einen dunkelgrauen Anzug entschied. Schweigend kleidete er sich an.
Die Räume für die Endkontrolle wirkten wie Wohnzimmer, wenn man von den technischen Geräten absah. Der Lärm und die Betriebsamkeit der Produktionshallen waren hier weit weg.
Die Checks waren durchwegs gut. Der Manager war vom Charme des Androiden angetan, den Techniker beeindruckte seine Auffassungsgabe.
"Wir wollen ihn Gentleman nennen." sagte der Manager.
Der Techniker fand, das sei eine gute Idee.

Gentleman verabschiedete sich bald darauf und ging.
Auf der Straße angekommen blinzelte er in die Sonne und betrachte dann eine Zeitlang seine Umgebung. Das alles war natürlich neu für ihn.
Die Akkus waren aufgeladen und er war mit der Kreditkarte der Firma ausgestattet, über die er großzügig verfügen konnte. Natürlich bestand seine Aufgabe darin, Geld zu verdienen. Er musste sich um einen Job kümmern.
Zunächst wollte er in die Stadt.
Schon in dieser ersten Stunde seines Daseins verhielt Gentleman sich tadellos. In der Straßenbahn nahm er sich keinen Sitzplatz, sondern stellte sich in eine Ecke, wo er reglos verharrte.
Er gehörte nicht mehr zu jener Generation von Androiden, in der nach möglichst großer Menschenähnlichkeit gestrebt worden war. Diese Mimikry war weit getrieben worden, unter den Passanten waren die Maschinen kaum noch als solche auszumachen gewesen. Das sorgte für Bestürzung und eine detektivische Lust am Enttarnen, für eine Aura der Unheimlichkeit, in die sich immer mehr Gleichgültigkeit mischte.
Diese Zeit war so gut wie vorbei.
Die neuen Roboter präsentierten sich ehrlicher, man konnte auch sagen: selbstbewusster. Gentleman war groß, er war dünner als ein Mensch, seine Haut glänzte metallisch, seine Mimik war starr.
Ihn trafen viele Blicke. Man sah ihn nicht wie eine Sache an, nicht einmal wie ein technisches Superprodukt. Es lag etwas Abschätzendes in diesen Blicken, als kämpften sie mit einem Gefühl von Minderwertigkeit.

Gentleman ging in ein Roboterhotel. Die sahen alle ähnlich aus und kosteten auch das Gleiche. Die Kammern waren fensterlos und fast ohne Möbel. Die Androiden nächtigten auf Holzpritschen, ansonsten beschränkte sich die Ausstattung auf einen Spind, eine Ladestation und einen Netzanschluss. Im Kellergeschoss waren die technischen Anlagen, in denen sich die Schläuche spülen liessen und wo defekte Teile ausgewechselt werden konnten. Menschen kamen nie hierher und die Roboter schlichen grußlos aneinander vorbei. Es waren stille Orte.

Er fand bald Arbeit in der Personalabteilung einer IT-Firma. Er studierte die eintreffenden Bewerbungen und die Dossiers der Geschäftsleitung, rapportierte an seine Vorgesetzten und interviewte die Kandidaten. Natürlich war er unermüdlich und ohne Launen. Schon nach einem Jahr wurde er zum Personalchef.
Seine Abende verliefen immer gleich. In seinem Hotel angekommen, durchlief er das Wartungsprogramm, lud die Batterien auf und zog sich dann in sein Zimmer zurück, wo er sich ins Netz der Firma einloggte und bis zum nächsten Morgen verharrte.
Roboter träumen nicht. Dennoch ist die Ruhephase für sie genauso wichtig wie für Menschen. Sie rekapitulieren den vergangenen Tag. Minute für Minute. Sie berechnen die damals unter Zeitdruck entschiedenen Situationen neu und füttern die Informationsspeicher. Die Firma stellte Rechenkraft und Software zur Verfügung.

Seit er Personalchef geworden war, lud der Direktor ihn häufig zum Mittagessen ein. Natürlich war es nur der Direktor, der aß und trank. Auch war er es, der die meiste Zeit redete, er gefiel sich in Monologen.
„Ich hatte die Stelle dir nicht geben wollen.“ sagte er einmal. „Aber die Umstände haben mich dazu gezwungen. Die Inkompetenz und die grassierenden Intrigen waren dabei, zu vieles kaputtzumachen. Ich musste eine Schlüsselposition mit einem loyalen und kompetenten Typen besetzen. Mit einem wie du es bist.“
Gentleman nickte.
Ein anderes Mal sagte der Direktor: „Stelle ich nur Roboter ein, habe ich keine Kunden. Arbeite ich mit Menschen, bin ich nach zwei Jahren ruiniert. Mische ich beides, habe ich Milieuprobleme aller Art. Es ist ein Desaster.“
Gentleman nickte wieder.
Nur ein Mal gab er eine klare Antwort, aber da war der Direktor betrunken gewesen. Auf die Frage angesprochen, warum die Androiden auf dem Arbeitsmarkt immer mehr Erfolge hatten, antwortete der Androide knapp: „Die Menschen haben zu viele Probleme.“
Der Direktor lachte, laut und freudlos.
Er hielt den Androiden für seinen Schützling. „Stell nicht zu viele von deiner Sorte ein!“ mahnte er. „Du mußt auf den inneren Frieden achten.“ Oder er sagte: „Menschen und Roboter. Roboter und Menschen. Das geht nicht immer gut. Achte auf die Kultur unserer Firma!“
Gentleman meinte darauf, er hätte verstanden.
Er erntete lange, skeptische und erwartungsvolle Blicke.

Die Positionen der Menschen waren angreifbar geworden. Zwar war es nach wie vor so, daß ein guter Programmierer die Konkurrenz der Androiden nicht zu fürchten brauchte, doch schon im Bereich des Testens sah es anders aus. Für viele noch immer überraschend war der Erfolg der Roboter in den praxisnahen Projekten.
Gentleman traf seine Entscheidungen mit Umsicht. Sie waren ausgewogen und hatten keine humanophobe Tendenz. Als sich herumsprach, daß er die Androidisierung der Arbeitswelt nicht vorantrieb, sorgte das in der Firma für Erleichterung.
Er war sehr präsent geworden. Wenn er die Büros betrat, wurde es ruhig. Er war so groß, daß er alle anderen überragte. Seine Magerkeit und sein starres Bronzegesicht verliehen ihm etwas Asketisches. Er sprach stets ruhig. Oft stand er auch nur da und niemand wusste genau, was in ihm vorging. Die Aura der Stille, die von ihm ausging, war einigen unheimlich.
Seit er Personalchef war, stabilisierte sich die Firma wieder. Sie verlor keine weiteren Kunden. Der Androide, erfolgreich und ohne Eitelkeit, behielt seinen Kurs bei. Headhunters kontaktierten ihn, der Direktor erhöhte sein Gehalt.
Gentleman sprach oft mit den Menschen. Er passte sie überall ab: an der Kaffeemaschine, in den Gängen oder er ging direkt zu ihren Arbeitsplätzen. Meist kam er als Ratsuchender, er holte sich die Meinungen der Mitarbeiter ein, diskutierte über die Details der laufenden und der zukünftigen Projekte und brütete sogar mit den Entwicklern über den Programmcodes. Er war immer gut informiert. Es kam kaum einmal vor, daß man sich ihm verweigerte, denn es galt als sicherer, sich ihm gegenüber kooperativ zu zeigen.

So verging die Zeit.
Gentleman galt als parahuman. Nur selten kam er in die Nähe der anderen Androiden. Das war auch nicht nötig. Roboter neigen (wie bekannt ist) im Gegensatz zu Menschen nicht zur Gruppenbildung. Wenn sie etwas voneinander wollen, schicken sie sich Kommunikationspakete, das ist alles. Zwar waren die neueren Maschinen nicht mehr so offenherzig wie ihre Vorfahren. Die Strategien des berechnenden Verhaltens, des Verschweigens und des Verschleierns hielten in der Kybernetik immer mehr Einzug. Schliesslich waren die Androiden für die Konten ihrer Hersteller geschaffen worden, es lag also durchaus in deren Interesse, sie in einem möglichst guten Licht erscheinen zu lassen.
Gentleman durchschaute die Kollegen. Er war von derselben Art, nur besser.

Die Menschen wurden nicht warm mit ihm.
Als es wieder aufwärts ging und die Auftragsbücher sich füllten, fanden viele, es sei an der Zeit, wieder zu einer normalen Firma zu werden.
Scheele Blicke trafen ihn. Die Leute tuschelten leise mit Kaffeetassen vor den Gesichtern, doch niemand rebellierte offen. Gentleman erkannte die Situation. Tagsüber zog er sich zurück und überliess vieles seinen Stellvertretern und nachts mietete er sich mehr Rechenkapazität. Nach einer Weile verzog sich auch der Hass.

Ein langes Dasein war ihm nicht vergönnt.
Es endete jäh schon in seinem fünften Jahr. Eines Abends, er war auf dem Heimweg, sah er sich plötzlich von einer Gruppe Jugendlicher umringt. Gentleman wusste sofort, was die Stunde geschlagen hatte.
„Du Bastard!“ schrie einer der Rowdies und spuckte. Ein anderer warf einen Stein nach ihm.
Der Androide fixierte den Anführer. „Was ist?“
„Wir killen dich.“
„Geht nach Hause. Ich kann mich wehren.“
„Du darfst es gar nicht.“
„Doch. Du kennst die neuen Richtlinien nicht. Was glaubst du, wie du aussiehst, wenn ICH zuschlage?“
Er hatte eine Kälte in seine Stimme gelegt, die ahnen liess, wozu er fähig wäre. Doch als die Halbstarken zur Attacke übergingen, zog er es vor, den Selbstvernichtungsmechanismus auszulösen. So entging er der Gefahr, zu einem Trojaner zu werden, einem im Sinne der Cyberterroristen umfunktionierten Androiden.
Säure ergoss sich in seine Schaltkreise. Gentleman murmelte noch einige Worte, die niemand verstand. Auf den Gehweg sinkend, ehrte er ein letztes Mal seinen Namen.

 

Hey Steffen,

nun ja - einen Innovativpreis bekommst du zwar nicht für dein Werk, dafür ist zu viel Asimov drin, aber: flüssig zu lesen; sehr unterhaltsam und genau richtig von der Länge her ... Hat mir gefallen. :)

Memo an mich: Auch mal wieder eine Robo-Story schreiben ... :D

Liebe Grüße!

Der Dante

Headhunters kontaktierten ihn, der Direktor erhöhte sein Gehalt.
Headhunter

 

Mehr gewünscht hätte ich mir zu der Konfliktsituation zwischen Mensch und Technik,
Ach, hierzu ist in vielen vielen anderen Geschichten eigentlich schon alles gesagt und getan worden: ein leichtes "Anzitieren" reicht hier mE völlig aus für den Zweck ...

 

Hallo Steffen!

Eine schöne Robotergeschichte. Das steht für mich fest.
Aber es ist auch ein SF Text, der mich über den Schlusssatz hinaus beschäftigt. Ich weiß nur nicht genau, in welche Richtung.
Geht es hier ausschließlich um Gentleman (schöne Robotergeschichte) oder auch um die Verantwortung des Herstellers gegenüber der Gesellschaft oder gar um mehr, wie z.B. die schleichende Umstrukturierung der Gesellschaft durch Technik?
Es steckt von allem ein bisschen drin.


„er war mit der Kreditkarte der Firma ausgestattet, über die er großzügig verfügen konnte. Natürlich bestand seine Aufgabe darin, Geld zu verdienen. Er musste sich um einen Job kümmern.“
Der Hersteller macht seinen Gewinn also nicht mit dem Verkauf seiner Produkte. Die Produkte müssen (bei anderen Firmen) selber für ihren Unterhalt sorgen und den übrigen Lohn ihrem Hersteller geben. Das ist eine interessante Variante! Sie spricht für die Umstrukturierung der Gesellschaft durch Technik. Nicht nur der körperliche Mensch wird kopiert, sondern auch sein Erwerbsverhalten.


„Er gehörte nicht mehr zu jener Generation von Androiden, in der nach möglichst großer Menschenähnlichkeit gestrebt worden war. Diese Mimikry war weit getrieben worden, unter den Passanten waren die Maschinen kaum noch als solche auszumachen gewesen. Das sorgte für Bestürzung und eine detektivische Lust am Enttarnen, für eine Aura der Unheimlichkeit, in die sich immer mehr Gleichgültigkeit mischte.“
Hier scheint eine Verantwortung des Ingenieurs gegenüber den Nutzern oder der Gesellschaft zu bestehen. Und interessant, das dadurch die Androiden von einem naturgleichen zu einem naturungleichen Produkt zurückentwickelt wurden. Wobei die Rückentwicklung sich auf die äußere Erscheinung beschränkt und nicht auch das Verhalten und die Aufgaben der Androiden umfasst.
Es muss also eine recht große Akzeptanz in der Gesellschaft gegenüber dem Wirken der Androiden bestehen.


„Man sah ihn nicht wie eine Sache an, nicht einmal wie ein technisches Superprodukt. Es lag etwas Abschätzendes in diesen Blicken, als kämpften sie mit einem Gefühl von Minderwertigkeit.“
Sehr schön beobachtet. Auch Industrie-Roboter werden selten (nur) als Sache betrachtet, sondern vielmehr als Konkurrenz.

Aus Sicht des Direktors sieht es anders aus:
„Seit er Personalchef geworden war, lud der Direktor ihn häufig zum Mittagessen ein. Natürlich war es nur der Direktor, der aß und trank. Auch war er es, der die meiste Zeit redete, er gefiel sich in Monologen.“
Er sieht in dem Roboter keine Konkurrenz, sondern einen Untergebenen oder gar Partner.
Was dem Einen vertraut erscheint, ist dem Anderen unheimlich. Auch interessant, da Technikethik meines Wissens diese unterschiedlichen Blickwinkel nicht (oder wenig) berücksichtigt.


„Es kam kaum einmal vor, daß man sich ihm verweigerte, denn es galt als sicherer, sich ihm gegenüber kooperativ zu zeigen.“
Ist das nicht auch gegenüber jedem „menschlichen“ Chef so? Hier fehlt mir das Besondere an der Konstellation Mensch und künstlicher Vorgesetzter.
(daß – dass)


„Zwar waren die neueren Maschinen nicht mehr so offenherzig wie ihre Vorfahren. Die Strategien des berechnenden Verhaltens, des Verschweigens und des Verschleierns hielten in der Kybernetik immer mehr Einzug. Schliesslich waren die Androiden für die Konten ihrer Hersteller geschaffen worden, es lag also durchaus in deren Interesse, sie in einem möglichst guten Licht erscheinen zu lassen.
Gentleman durchschaute die Kollegen. Er war von derselben Art, nur besser.“

Ich meine, Gentlemen mit anderen Androiden zu vergleichen bringt die Geschichte nicht voran. Es verwirrt eher. Wozu dieser Vergleich? Und sind die Neuen neuer als er? Und was ist an berechnendem Verhalten schlimm, wenn es dem Brötchengeber des Androiden dient? So läuft das doch in den Firmen: Bescheiß die Lieferanten, aber nie den eigenen Laden.
Was wird verschwiegen und verschleiert?
(Schliesslich - Schließlich)

„Die Menschen wurden nicht warm mit ihm.
Als es wieder aufwärts ging und die Auftragsbücher sich füllten, fanden viele, es sei an der Zeit, wieder zu einer normalen Firma zu werden.
Scheele Blicke trafen ihn. Die Leute tuschelten leise mit Kaffeetassen vor den Gesichtern, doch niemand rebellierte offen. Gentleman erkannte die Situation. Tagsüber zog er sich zurück und überliess vieles seinen Stellvertretern und nachts mietete er sich mehr Rechenkapazität. Nach einer Weile verzog sich auch der Hass.“

Dieser Absatz überzeugt mich nicht. Der Androide hat seine Schuldigkeit getan, nun kann er gehen. Ist mir zu einfach. Zumal in der Gesellschaft eine hohe Akzeptanz gegenüber den Androiden besteht.
Der Androide hat ihre Arbeitsplätze gesichert, hat er ihnen damit kein Gefühl der Sicherheit gegeben?
Was wird hinter Kaffeetassen getuschelt?
(überliess - überließ)


Gruß

Asterix

 

Hallo miteinander,

vielen Dank für die Kritiken und Anregungen.

Der erste Satz ist auch für mich seltsam und mir war klar, dass er aufstoßen kann. Er bezieht sich in einer Hinsicht tatsächlich auf sein Nacktsein. Warum wird er sich später ankleiden, warum kopiert er da (noch) die Menschen? In anderer Hinsicht wird auf den Zustand vor dem Geborenwerden angespielt, auf den zauberhaften Moment, wo alles reine Möglichkeit ist. Damit wird eine Klammer eröffnet, die sich erst am Ende schliesst.
Nach einigen Zweifeln habe ich diesen Satz stehengelassen, vielleicht vor allem, weil mir kein besserer einfiel.

Der Androide hat seine Schuldigkeit getan, nun kann er gehen. Ist mir zu einfach.]
Vielleicht ist es in mancher Hinsicht tatsächlich so einfach. Ich gehe davon aus, daß in der (wahrscheinlich fernen - ich schätze bis dahin vergehen noch ungefähr 500 Jahre) Zukunft tatsächlich Roboter zu Vorgesetzten von Menschen werden. Ich denke aber auch, dass die menschlichen Instinkte sich gegen diese Situation wehren werden und daß ein tiefes Unbehagen die Folge ist. Was also in einer Zeit der Krise, wo die Firma vom Konkurs bedroht wird, gerade noch hingenommen wird, wird im normalen Geschäftsbetrieb dann vielleicht nicht mehr akzeptabel sein.

Was werden die Leute also miteinander zu tuscheln haben?

Steffen

 

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