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Gentleman
Er hätte auch so bleiben können.
Der Manager befühlte den geschlechtslosen Körper. Unter der Haut spannten sich schon die Muskeln, auch der bronzene Teint verlieh ihm etwas Männliches. Er wirkte nicht nackt, sondern auf seine Art vollkommen.
"Nun komm!" murmelte der Manager. "Zieh Dich an!"
"Er zuckt ja schon." sagte der Techniker, der neben ihm stand.
Der Roboter erhob sich und ging zum Kleiderschrank. Er öffnete die Türen und beäugte eingehend das Inventar, bevor er sich für einen dunkelgrauen Anzug entschied. Schweigend kleidete er sich an.
Die Räume für die Endkontrolle wirkten wie Wohnzimmer, wenn man von den technischen Geräten absah. Der Lärm und die Betriebsamkeit der Produktionshallen waren hier weit weg.
Die Checks waren durchwegs gut. Der Manager war vom Charme des Androiden angetan, den Techniker beeindruckte seine Auffassungsgabe.
"Wir wollen ihn Gentleman nennen." sagte der Manager.
Der Techniker fand, das sei eine gute Idee.
Gentleman verabschiedete sich bald darauf und ging.
Auf der Straße angekommen blinzelte er in die Sonne und betrachte dann eine Zeitlang seine Umgebung. Das alles war natürlich neu für ihn.
Die Akkus waren aufgeladen und er war mit der Kreditkarte der Firma ausgestattet, über die er großzügig verfügen konnte. Natürlich bestand seine Aufgabe darin, Geld zu verdienen. Er musste sich um einen Job kümmern.
Zunächst wollte er in die Stadt.
Schon in dieser ersten Stunde seines Daseins verhielt Gentleman sich tadellos. In der Straßenbahn nahm er sich keinen Sitzplatz, sondern stellte sich in eine Ecke, wo er reglos verharrte.
Er gehörte nicht mehr zu jener Generation von Androiden, in der nach möglichst großer Menschenähnlichkeit gestrebt worden war. Diese Mimikry war weit getrieben worden, unter den Passanten waren die Maschinen kaum noch als solche auszumachen gewesen. Das sorgte für Bestürzung und eine detektivische Lust am Enttarnen, für eine Aura der Unheimlichkeit, in die sich immer mehr Gleichgültigkeit mischte.
Diese Zeit war so gut wie vorbei.
Die neuen Roboter präsentierten sich ehrlicher, man konnte auch sagen: selbstbewusster. Gentleman war groß, er war dünner als ein Mensch, seine Haut glänzte metallisch, seine Mimik war starr.
Ihn trafen viele Blicke. Man sah ihn nicht wie eine Sache an, nicht einmal wie ein technisches Superprodukt. Es lag etwas Abschätzendes in diesen Blicken, als kämpften sie mit einem Gefühl von Minderwertigkeit.
Gentleman ging in ein Roboterhotel. Die sahen alle ähnlich aus und kosteten auch das Gleiche. Die Kammern waren fensterlos und fast ohne Möbel. Die Androiden nächtigten auf Holzpritschen, ansonsten beschränkte sich die Ausstattung auf einen Spind, eine Ladestation und einen Netzanschluss. Im Kellergeschoss waren die technischen Anlagen, in denen sich die Schläuche spülen liessen und wo defekte Teile ausgewechselt werden konnten. Menschen kamen nie hierher und die Roboter schlichen grußlos aneinander vorbei. Es waren stille Orte.
Er fand bald Arbeit in der Personalabteilung einer IT-Firma. Er studierte die eintreffenden Bewerbungen und die Dossiers der Geschäftsleitung, rapportierte an seine Vorgesetzten und interviewte die Kandidaten. Natürlich war er unermüdlich und ohne Launen. Schon nach einem Jahr wurde er zum Personalchef.
Seine Abende verliefen immer gleich. In seinem Hotel angekommen, durchlief er das Wartungsprogramm, lud die Batterien auf und zog sich dann in sein Zimmer zurück, wo er sich ins Netz der Firma einloggte und bis zum nächsten Morgen verharrte.
Roboter träumen nicht. Dennoch ist die Ruhephase für sie genauso wichtig wie für Menschen. Sie rekapitulieren den vergangenen Tag. Minute für Minute. Sie berechnen die damals unter Zeitdruck entschiedenen Situationen neu und füttern die Informationsspeicher. Die Firma stellte Rechenkraft und Software zur Verfügung.
Seit er Personalchef geworden war, lud der Direktor ihn häufig zum Mittagessen ein. Natürlich war es nur der Direktor, der aß und trank. Auch war er es, der die meiste Zeit redete, er gefiel sich in Monologen.
„Ich hatte die Stelle dir nicht geben wollen.“ sagte er einmal. „Aber die Umstände haben mich dazu gezwungen. Die Inkompetenz und die grassierenden Intrigen waren dabei, zu vieles kaputtzumachen. Ich musste eine Schlüsselposition mit einem loyalen und kompetenten Typen besetzen. Mit einem wie du es bist.“
Gentleman nickte.
Ein anderes Mal sagte der Direktor: „Stelle ich nur Roboter ein, habe ich keine Kunden. Arbeite ich mit Menschen, bin ich nach zwei Jahren ruiniert. Mische ich beides, habe ich Milieuprobleme aller Art. Es ist ein Desaster.“
Gentleman nickte wieder.
Nur ein Mal gab er eine klare Antwort, aber da war der Direktor betrunken gewesen. Auf die Frage angesprochen, warum die Androiden auf dem Arbeitsmarkt immer mehr Erfolge hatten, antwortete der Androide knapp: „Die Menschen haben zu viele Probleme.“
Der Direktor lachte, laut und freudlos.
Er hielt den Androiden für seinen Schützling. „Stell nicht zu viele von deiner Sorte ein!“ mahnte er. „Du mußt auf den inneren Frieden achten.“ Oder er sagte: „Menschen und Roboter. Roboter und Menschen. Das geht nicht immer gut. Achte auf die Kultur unserer Firma!“
Gentleman meinte darauf, er hätte verstanden.
Er erntete lange, skeptische und erwartungsvolle Blicke.
Die Positionen der Menschen waren angreifbar geworden. Zwar war es nach wie vor so, daß ein guter Programmierer die Konkurrenz der Androiden nicht zu fürchten brauchte, doch schon im Bereich des Testens sah es anders aus. Für viele noch immer überraschend war der Erfolg der Roboter in den praxisnahen Projekten.
Gentleman traf seine Entscheidungen mit Umsicht. Sie waren ausgewogen und hatten keine humanophobe Tendenz. Als sich herumsprach, daß er die Androidisierung der Arbeitswelt nicht vorantrieb, sorgte das in der Firma für Erleichterung.
Er war sehr präsent geworden. Wenn er die Büros betrat, wurde es ruhig. Er war so groß, daß er alle anderen überragte. Seine Magerkeit und sein starres Bronzegesicht verliehen ihm etwas Asketisches. Er sprach stets ruhig. Oft stand er auch nur da und niemand wusste genau, was in ihm vorging. Die Aura der Stille, die von ihm ausging, war einigen unheimlich.
Seit er Personalchef war, stabilisierte sich die Firma wieder. Sie verlor keine weiteren Kunden. Der Androide, erfolgreich und ohne Eitelkeit, behielt seinen Kurs bei. Headhunters kontaktierten ihn, der Direktor erhöhte sein Gehalt.
Gentleman sprach oft mit den Menschen. Er passte sie überall ab: an der Kaffeemaschine, in den Gängen oder er ging direkt zu ihren Arbeitsplätzen. Meist kam er als Ratsuchender, er holte sich die Meinungen der Mitarbeiter ein, diskutierte über die Details der laufenden und der zukünftigen Projekte und brütete sogar mit den Entwicklern über den Programmcodes. Er war immer gut informiert. Es kam kaum einmal vor, daß man sich ihm verweigerte, denn es galt als sicherer, sich ihm gegenüber kooperativ zu zeigen.
So verging die Zeit.
Gentleman galt als parahuman. Nur selten kam er in die Nähe der anderen Androiden. Das war auch nicht nötig. Roboter neigen (wie bekannt ist) im Gegensatz zu Menschen nicht zur Gruppenbildung. Wenn sie etwas voneinander wollen, schicken sie sich Kommunikationspakete, das ist alles. Zwar waren die neueren Maschinen nicht mehr so offenherzig wie ihre Vorfahren. Die Strategien des berechnenden Verhaltens, des Verschweigens und des Verschleierns hielten in der Kybernetik immer mehr Einzug. Schliesslich waren die Androiden für die Konten ihrer Hersteller geschaffen worden, es lag also durchaus in deren Interesse, sie in einem möglichst guten Licht erscheinen zu lassen.
Gentleman durchschaute die Kollegen. Er war von derselben Art, nur besser.
Die Menschen wurden nicht warm mit ihm.
Als es wieder aufwärts ging und die Auftragsbücher sich füllten, fanden viele, es sei an der Zeit, wieder zu einer normalen Firma zu werden.
Scheele Blicke trafen ihn. Die Leute tuschelten leise mit Kaffeetassen vor den Gesichtern, doch niemand rebellierte offen. Gentleman erkannte die Situation. Tagsüber zog er sich zurück und überliess vieles seinen Stellvertretern und nachts mietete er sich mehr Rechenkapazität. Nach einer Weile verzog sich auch der Hass.
Ein langes Dasein war ihm nicht vergönnt.
Es endete jäh schon in seinem fünften Jahr. Eines Abends, er war auf dem Heimweg, sah er sich plötzlich von einer Gruppe Jugendlicher umringt. Gentleman wusste sofort, was die Stunde geschlagen hatte.
„Du Bastard!“ schrie einer der Rowdies und spuckte. Ein anderer warf einen Stein nach ihm.
Der Androide fixierte den Anführer. „Was ist?“
„Wir killen dich.“
„Geht nach Hause. Ich kann mich wehren.“
„Du darfst es gar nicht.“
„Doch. Du kennst die neuen Richtlinien nicht. Was glaubst du, wie du aussiehst, wenn ICH zuschlage?“
Er hatte eine Kälte in seine Stimme gelegt, die ahnen liess, wozu er fähig wäre. Doch als die Halbstarken zur Attacke übergingen, zog er es vor, den Selbstvernichtungsmechanismus auszulösen. So entging er der Gefahr, zu einem Trojaner zu werden, einem im Sinne der Cyberterroristen umfunktionierten Androiden.
Säure ergoss sich in seine Schaltkreise. Gentleman murmelte noch einige Worte, die niemand verstand. Auf den Gehweg sinkend, ehrte er ein letztes Mal seinen Namen.