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Genschweinerei

Seniors
Beitritt
15.04.2002
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4.195

Genschweinerei

»Letzte Nacht Sportkanal geguckt, Mann?«
»Jau, Wrestling ...«
»Nee, diesen Werbespot, hier, guck:«
Fernbedienung, abgegriffen, speckig; grüner Knopf, Re-Live, HD-Recorder springt an, spielt ab:

(volle Biergläser, schäumend, perlende Fröhlichkeit)
Saufen, ohne dass der Arzt kommt!
Gönnen Sie sich eine neue, frisch gezüchtete DrinknLife Superleber, jetzt während unserer Sonderaktionswochen (HeliCam, Überflug Garten, blumig, dann ein Gebäude, weiß) inklusive Viereinhalb-Sterne-Klinikhotelaufenthalt an der Schwarzmeerküste!
(Strand, Mann mit Bierflasche, prostet uns zu)

»Boah, ist das teuer?«
»Achwas, meine Krankenkasse zahlt sogar nen Zuschuss!«

...

Großaufnahme Visitenkarte:
Clemens Aydin
External Data Consultant
info@aydin-consult.eu

Der Mann – roter Glitterschlips, Anzug Anthrazit, anonym, Haare millimetergenau gekürzt, an englischen Rasen erinnernd – legte die Visitenkarte vor sich auf den Tisch, exakt parallel zu dessen Kante. So sah auch das Lächeln aus, das er seinem Gesprächspartner präsentierte. Niemand hätte sich gewundert, wenn er auch noch die Fingerspitzen aneinander gelegt hätte.
»Herr Aydin«, sagte der Mann, »ich möchte nicht lange drumherum reden. Wir werden beide nicht für Zeitverschwendung bezahlt.«
»Allein schon diese Anmerkung ist Zeitverschwendung«, versetzte Aydin und machte sich eine Notiz.
Sein Gegenüber fuhr unbeeindruckt fort: »Ich mag Lügen«, erklärte er, »wenn es meine eigenen sind. Oder wenn ich sie durchschaue, wie den Aufdruck auf Ihrer Karte.«
Aydin stutzte, lehnte sich zurück. Der Meeting-Raum war kalt: sowohl die Temperatur als auch die Farben.
»Industriespionage«, sagte der Mann langsam, »ist Ihr Metier, und deshalb sind Sie hier.«
»Die Leute wollen belogen werden«, antwortete Aydin, »sie können die Wahrheit nicht vertragen.«
»Sie ist auch meist recht kompliziert. Lügen sind einfach, deshalb werden sie gerne geglaubt.« Der Mann klappte einen Ordner aus schwarzem Leder auf und entnahm ihm ein gelbes Dokument. »Herr Aydin, der Markt für künstliche Organe explodiert. Da lässt sich gutes Geld machen, mehr als mit Klingelton-Abos oder Astrologie-Hotlines.«
»Das hätte ich nicht gedacht«, versetzte Aydin. Seine dunklen Augen strahlten die Ruhe vor dem Sturm aus.
»Es gibt aber neuerdings einen Anbieter, der die Preise kaputt macht, indem er das übliche Niveau deutlich unterbietet.«
»DrinknLife«, nickte Aydin.
Ein dreiviertel Nicken. »Finden Sie heraus, was dahinter steckt.«
»Made in Rumänien«, sagte Aydin. »Beschissene Gegend.«
»Enormes Honorar und Erfolgsprämie«, entgegnete der Mann.
Aydin nickte.

...

Rumänien. Es schoss Weihnachten 1989 seinem Diktator eine Kugel durch den Kopf. Zuvor hatte er hunderte Demonstranten von seiner Securitate abschlachten lassen. Gedichte nannten ihn Titan der Titanen und Genie der Karpaten; er übertrieb die Industrialisierung des Agrarlandes, bis ihm die Leute verhungerten. Die Kinder armer Eltern verfrachtete er in Kinderheime, wo sie wie Schweine gehalten wurden.
Nun, Jahre später fand man auf dem Grab des »Führers« immer wieder frische Blumen, und die Schweinefarmen züchteten für Menschen verträgliche Organe. Sehr lukrativ. Da hängte sogar die Kinderporno-Mafia ihre Kameras an den Nagel.

...

Clemens Aydin war den Job als Industriespion – Verzeihung, External Consultant – gründlich leid. Alternative: Altenpfleger. Die Senioren der Graue-Panther-Republik waren Goldesel, die sich gerne melken ließen, wenn man ihnen immer pünktlich die Windeln wechselte.
Das Schwarze Meer. Ein Kaff in der Nähe von Constanta; den Namen konnte Aydin sich nicht merken. Die Häuser trugen eine Patina, die auch nach drei Jahrzehnten noch Sozialismus atmete.
Shekawi behauptete der gegelte Leberzuchtbesitzer zu heißen. »Wirklich sehr freundlich«, erklärte Aydin, »dass Sie mir kurzfristig eine Führung gewähren.«
»Gerne«, gab Shekawi zurück, prüfte in einer dunklen Scheibe den Sitz seiner Frisur und sah im Profil ziemlich persisch aus. »Wer empfängt nicht gerne einen EU-Beamten, der neue Subventionsobjekte sucht?«
Aydin gönnte sich ein dünnes Lächeln. Die Nummer mit den Subventionen zog immer, spätestens wenn er auf die erstaunlichen Auswirkungen von Korruption hinwies. »Ihre Gen-Schweine sind wirklich eine herausragende Entwicklung.«
Bei dieser Bemerkung Aydins schien Shekawi einige Millimeter zu wachsen, vielleicht lag das aber auch an der Geometrie der Gänge, durch die sie liefen. Weiße Wände, die so gar nicht zum Gestank der Schweine passen wollten, bildeten ein Labyrinth, dem Aydin nach einer halben Stunde entfloh. Als er neben Shekawi – ganz der stolze Vater – stehend den Schweinen beim Fressen zusah, wurde ihm nämlich furchtbar schlecht.

...

Als Altenpfleger durfte man auch nicht zimperlich sein, dachte sich Aydin, als er in der folgenden Regennacht, ganz in schwarz gekleidet, völlig durchnässt, ausgestattet mit lichtempfindlicher Digicam, heimlich auf der Schweinefarm herum schlich. Der Gestank war abschreckend genug, vielleicht gab es deshalb kein Sicherheitspersonal.
Irgendeine Tür war immer offen. Treppen führten nach unten, Aydin irrte eine Weile umher, dann fand er sie. Die wirklichen Zuchttiere. Die armen genmanipulierten Schweine, die keine waren.
In vergitterten Verschlägen lagen sie. Auf Schaumstoffmatten. Styropor-Einstreu. Unförmige Wesen. Riesige Bäuche, asymmetrische Leiber. Ein endloser Raum, Käfighaltung bloß ohne Hennen; ein Gestank nach untotem Mensch, der meilenweit aufgefallen wäre, ohne die Schweine.
Gelähmt stand Aydin da, die Digicam in der Rechten, unfähig, sie zu heben. Gedanken rasten durch seinen Kopf, prallten schmerzend gegen die Raster der Vernunft.
Zum Zeitpunkt X wurden die Superlebern geerntet, die Reste grob zerkleinert und an die Schweine verfüttert. Aydin dachte an den Finger, den er heute Nachmittag bei der Fütterung erkannt hatte.
Dann ein Geräusch, Aydin fuhr herum. Zwei Erkenntnisse:
Es gab hier doch Sicherheitspersonal.
Und die Schweine mochten ihn.

 

N'Abend Uwe!

Was für eine Schweinerei! :D (höhö)

Also, wie bring ich dir das denn jetzt bei...:Pfeif:
*In Deckung geh*
Also das Ding ist... zu kurz. Und stilistisch zu inkonsistent.
Der Anfang (Werbespot und Breafing) gehören zu einer Satire, die du dann doch nicht geschrieben hast, gleich danach kommt ein totaler Umbruch im Tonfall der Story. Und am Schluss verpasst du dem Leser so schnell einen Kopfschuss, dass er gar keine Zeit hat zu merken, dass er tot ist.

Die Idee mit der Leber ist gut, aber nach dem melodramatischen "Rumänien"-Absatz konnte man sich auch denken, was noch kommt. Die Hauptperson bleibt eine Skizze, das Umfeld schemenhaft.

Der Spot... nenn mich konservativ, aber dieser Drehbuchstil funktioniert bei mir nicht.
Ansonsten sprachlich routiniert, wie man's von einem echten Uwe erwartet, aber für das doch etwas sperrige Thema fehlt der Raum zur Entfaltung.

Da geht viiiel mehr!
Vorschlag zur Güte: Mit der Visitenkarte anfangen, das kommt besser, den Spot im Breafing einbauen (aber ordentlich) und sich für den Rest noch ein Paar Sätze mehr gönnen. Quasi Raum zum Atmen, damit der Gestank auch bis in die letzte Nebenhöhle kriecht.

So, ich geh jetzt ins Bett, nachdem ich mich für meine Gotteslästerung angemessen gegeißelt hab. :shy:

Gute Nacht
omno

 

Hallo Uwe!

omno hat sich getraut und ich trau mich jetzt auch mal. :) Unterm Strich ist die Geschichte nicht sooo interessant. Den Einstieg finde ich in dieser Form gar nicht so schlecht. Werbespot - Visitenkarte - eigentliche Geschichte ist ganz okay. Ich hab mehr Probleme mit dem Inhalt. Und ein ungewohntes Klischeegewälze deinerseits (rumänische Organmafia, EU-Subventionen und das Geldversickern und v.a. das Ende).
Und ich bin wie omno der Meinung, dass die Geschichte zum Ende zu schnell runtererzählt wird. Einbruch - kurzer Schockmoment - Tod. Passt nicht so ganz, v.a. wenn man bedenkt, dass du noch einen Absatz rumänische Geschichte eingebaut hast (den ich ganz gut finde).

Fazit: Inhaltlich schwächer im Verlauf, Form für mich okay, Stilistisch nichts zu meckern.

Beste Grüße

Nothlia

 

Hi Uwe!

Hab dein "Machwerk" jetzt auch gelesen und es läßt mich zwiegespalten zurück.
Ich mag deine Texte, weil sie immer so frisch und ernüchternd herüberkommen.
Dieser tut das auch bis zu einem gewissen Punkt.
Leider fehlt wirklich der Kontext.

Ich sag jetzt nix zur experimentalen Form des Textes, da hab ich selber schon ins Klo gegriffen.
Inhaltlich drängt sich halt die schwerwiegende Frage, alle Moral beiseite lassend (ich hätt nichts gegen einen neue Leber :) ), ob es gentechnisch möglich wird eine Transgenese ohne Immunintoleranz durchzuführen, solange die EU noch existiert.

Mein Fazit: Handwerklich ok, formal ein Versuch, inhaltlich fehlen mir an den "..." Stellen die Antworten auf ein "Wie?" und ein "Warum?"
Der Schluss ist etwas porös serviert.

Trotzdem ungelogen gern gelesen.

lg, LE

 

Hallo Uwe,

nach dem ersten Absatz dachte ich: Oh ja, die Superlebern zeigen dann eigenartige Begleiterscheinungen und das ganze wird zum Flop.
Aber deine Geschichte entwickelt sich dann so vorhersehbar 08/15, dass das Lesen gar keinen Spass mehr machte. Der Schluss ist so komprimiert, dass ich ihn zweimal lesen musste, um ihn zu verstehen.

LG

Jo

 

Danke für eure kritischen Anmerkungen, die sehr hilfreich für mich sind.
Ich denke, eine Überarbeitung dieser Geschichte lohnt nicht.
Und ich verspreche, dass die nächste besser wird!

 

Hi Uwe,

hübsche Schweinerei.
Zu schnell, zu grell, zu unentschlossen (Satire oder Dystopie?).
Aber selbst Dein Schrott ist immer noch lesenswert.
Auch wenn ich im Namen meiner rumänischen Oma auf Heftigste gegen den Ort der Handlung protestiere.

Proxi

 

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