Genozid
Augen und Ohren schmerzten ihm als er langsam zu sich kam. Alles um ihn herum blitzte und es roch nach verschmorten Kabeln. Als ein Metallstück an seinen Kopf prallte, wachte er schlagartig auf und realisierte, dass er sich in einem kleinen Raumschiff befand. Die Steuerelemente schienen ihren Dienst versagt zu haben und er trudelte im interstellaren Raum herum. Ohne sich allzu viele Gedanken zu machen auf welche Art und Weise er hierher gelangt war versuchte er erst einmal sich ein Bild von seiner aktuellen Lage zu machen. Irgendetwas musste das Schiff getroffen haben, dachte er sich, denn alle möglichen Leitungen hingen lose im Cockpit herum und verursachten dabei fleißig Kurzschlüsse. Die Lebensversorgung, Thoms nächster Gedanke, arbeitete den wenigen, übrig gebliebenen Instrumentenanzeigen zufolge noch recht gut. Jetzt war es wichtig, dass er es schaffte die restliche Energie aufrechtzuerhalten, die Notaggregate in Gang zu bringen und ein paar Kabel kurzzuschließen um die Steuerung zu reparieren.
Da es nur ein relativ kleines Reparaturschiff war, konnte er die notwendigen Schritte recht zügig erledigen und hatte das Schiff relativ schnell wieder unter Kontrolle. Thom hatte in der ganzen Zeit nicht ein Mal bewusst aus dem Cockpit geschaut. Dies tat er nun und glaubte zu träumen. Auf was er da zusteuerte war ihm schnell klar, kam ihm der Planet doch langsam aber sicher immer näher. Blitzartig erinnerte er sich der Geschehnisse vor diesem Dilemma. Das letzte an das er sich erinnern konnte war, dass er mit seinem Reparaturschiff einen Check der Raum-Station durchführen wollte. Er hatte dies freilich aus purer Langeweile getan, denn wenn etwas defekt gewesen wäre hätte der Stationscomputer ihn davon in Kenntnis gesetzt. Als er gerade am Generator der Station entlang geflogen war hatte es einen grellen Blitz gegeben. Er war aus der Richtung des Wurmlochs gekommen, dass sich in einigen Millionen Kilometern entfernt von der Station befand und seit Jahren untersucht wurde. Thom hatte erkannt, dass etwas aus diesem Loch herausgekommen war. Er hatte es mit den Schiffssensoren gescannt und für eine Art Sonde befunden. Daraufhin flog er ihr entgegen um sie zu untersuchen. Was danach geschah blieb schwarz.
Er war sich nicht sicher aber er glaubte sich noch an einen letzten Funkspruch von Frank, seinem Kollegen zu erinnern, welcher ihn sicherlich gewarnt hatte zu nah an den Horizont zu fliegen. Rückblickend wunderte er sich über seine Torheit direkt auf die Singularität zuzufliegen. Laut seinen Berechnungen hätte er sich allerdings noch in sicherer Entfernung befinden müssen. Er würde später darüber nachdenken, denn nun hatte er erst einmal andere Probleme.
Das kleine Shuttle war jetzt mittlerweile zwar recht passabel zusammengeflickt aber es blieb letztlich nur ein kleines Schiff, das nicht dafür konzipiert war, interplanetare, geschweige denn interstellare Reisen durch das All zu unternehmen. Es hatte keine großen Schilde und an Waffen war gar nicht erst zu denken. Es konnte zwar auf einem Planeten landen, jedoch nicht in jeder Atmosphäre und was die anbelangte konnte Thom nichts Konkretes über seine Messinstrumente in Erfahrung bringen.
Viel Zeit blieb ihm jedoch nicht mehr, denn er musste sich langsam zwischen All und Planet entscheiden. Die Wahl fiel auf letzteren und einige Zeit später befand sich Thom in der oberen Atmosphäre des Planeten. Er schaltete auch sogleich einen kleinen Transistor ein um sozusagen einen ersten primitiven Test auf intelligentes Leben durchzuführen. Da er jedoch nur ein allgemeines Rauschen empfing machte er sich wieder daran ein wenig mehr Energie in die vorderen Schildaggregate zu bekommen. Er koppelte das Lebenserhaltungssystem an die Notstromgeneratoren und konnte somit im Notfall der entstehenden Reibung standhalten in dem er sich selbst in Gefahr brachte. Ein riskanter Plan aber er hatte keine andere Wahl. Er hatte so gut wie keine Kontrolle mehr über das Schiff, wurde immer schneller und die Außenbordtemperatur betrug schon um die 500 Grad Celsius.
Schließlich kam er jedoch unbeschadet in der Topossphäre des Planeten an und konnte schwere, von Entladungen gebeutelte Wolken ausmachen. Da er diesen nicht ausweichen konnte machte er sich für eine Landung bereit und ließ den Fallschirm ausfahren, gleichzeitig ließ er nun die restliche Energie in die Schilde fließen um einem eventuellen Blitzschlag wenigstens ein bis höchstens zwei mal trotzen zu können. Schließlich wurde es dunkler um ihn herum und durch das Cockpit war nichts mehr außer trübem, dichtem Nebel auszumachen, immer wieder erhellt durch die Blitze die hier tobten.
Thom bemerkte schon eine leichte Müdigkeit und wusste was das zu bedeuten hatte. Er musste nun schnell landen sonst würde ihm die Luft ausgehen. Er schätzte, dass der Kohlendioxidgehalt in vier bis fünf Minuten seinen kritischen Wert erreichen würde. Bis zum Grund waren es vielleicht noch 20, vielleicht aber auch 40 Kilometer, so genau konnte er das nicht bestimmen. Er konnte nur hoffen, dass er noch rechtzeitig landen konnte und die Atmosphäre hier zum Atmen geeignet war. Langsam verfiel er in einen leichten Schlaf. Kurze Zeit später - er war schon fast weggetreten - stieß er mit dem Kopf so heftig gegen das Steuerpult dass er wieder zu sich kam. Anscheinend war er gelandet und das eigentlich relativ sanft, wenn man die Umstände betrachtete. Sogleich darauf bemerkte er, dass das Schiff hin und her schaukelte. Mit letzter Kraft öffnete er die Schleuse wobei eine rote, gallertartige Flüssigkeit ins Innere des Schiffes floß.
Nachdem er aus dem Gleiter heraus geschwommen war versuchte er an die Oberfläche zu gelangen, kam jedoch nicht einen Schritt weit höher. Im Gegenteil, er hatte sogar das Gefühl kontinuierlich nach unten gesogen zu werden. Vergeblich versuchte er gegen die Strömung anzukämpfen die ihn nach unten drückte. In Todesangst mobilisierte er die letzten Reserven seines Körpers, kam sogar scheinbar ein Stück weit der Oberfläche entgegen bis ihn kurz darauf jedoch die Kräfte verließen. In dem Augenblick, als er den Mund öffnete und die Flüssigkeit begann in seine Lungen zu fließen realisierte er dass das sein Ende war und schloss instinktiv die Augen.
Anstatt jedoch zu ersticken hatte er einen Atemzug ausgeführt. Er konnte es kaum glauben. Es war kein eigentliches Atmen, vielmehr kam die Luft durch die Flüssigkeit von allein in seine Lungenbläschen. Es fühlte sich in etwa so an als wäre man an einer Beatmungsmaschine angeschlossen. Da jetzt keine Erstickungsgefahr mehr drohte ließ er sich weiter nach unten treiben. Es wurde immer dunkler um ihn herum und bald sah er nicht einmal mehr den kleinsten Lichthauch als er aufsah. In dieser Schwärze trieb er nun dahin und wusste weder ob das fremde Absicht war oder eine Art natürlicher Strudel. In beiden Fällen standen seine Chancen zu überleben nicht gerade sehr hoch. Mit einem Mal spürte er, wie sich etwas um ihn herum schlängelte. Ein kurzer Stich und Thom verlor das Bewusstsein.
Als er wieder zu sich kam glaubte er geträumt zu haben. Er fand sich in seinem Quartier wieder. Alles sah ziemlich aufgeräumt und fast schon steril aus, was ihn etwas verwunderte, da er nicht der Mensch war, der so penibel auf Ordnung achtete. Als er dann den Stationscomputer rief und keine Antwort bekam begann er langsam sich Gedanken über seine Umgebung zu machen. Er stand auf und bemerkte bei dieser Gelegenheit, dass er nackt war, was ihm wiederum merkwürdig erschien, denn normalerweise pflegte er mit Shorts ins Bett zu gehen. Er zog sich etwas an (wenigstens die Sachen fehlten nicht im Schrank) und ging auf die Tür zu. Sie öffnete sich jedoch nicht und langsam schwante ihm was hier vor sich ging auch wenn er es sich nicht erklären konnte. Diese Einrichtung war anscheinend nicht wirklich sein Zimmer und irgendjemand oder irgendetwas versuchte ihn hier festzuhalten. Er rief ein paar Mal, ob ihn jemand höre aber niemand antwortete ihm. Also setzte er sich auf die Couch und sah sich im Zimmer um. Erst jetzt fiel ihm auf, dass hier alles sehr unreal, ja fast schon surreal aussah. Die Einrichtungsgegenstände hatten fast alle diffuse Farben und die Konturen der Objekte sahen meist viel zu weich aus, gerade so als ob man durch ein trübes Auge blickte. Manche Objekte schienen sogar nur andeutungsweise vorhanden zu sein. Doch so merkwürdig ihm dass auch schien, irgendwie hatte es gleichzeitig auch etwas vertrautes an sich.
Er überdachte die geschehenen Ereignisse, der Flug durchs Wurmloch, der Landeanflug, der beinahe Erstickungstod, dieser merkwürdige Gallert-Ozean in dem er atmen konnte und schließlich das Erwachen in diesem Raum hier. Wer oder was auch immer ihn hierher gebracht hatte, es wusste wie sein Zimmer aussah. Das ließ den Schluss zu, dass sein Gegenüber irgendwie in seine Psyche gelangt sein konnte, denn das Reparaturschiff hatte nur ein paar allgemeine Daten über die Station gespeichert und an eine Funkverbindung zur Station, möglicherweise mithilfe des Shuttles war auch nicht zu denken, da es wohl, selbst bei völliger Instandsetzung unmöglich war durch das Loch hindurch Daten zu empfangen bzw. zu übermitteln. Jahrelang hatte man das Wurmloch erforscht und unzählige Sonden hinein geschickt von denen keine einzige wieder zurückkam oder auch nur andeutungsweise vor dem Verschwinden im Nichts noch verwertbare Informationen übermittelte. Allerdings tauchten immer wieder Objekte aus diesem Gebilde auf. Ohne Vorwarnung materialisierten sie sich um meist gleich darauf wieder zu verschwinden. Keiner konnte sagen was das für Objekte waren da man nie die Zeit hatte sie eingehender zu untersuchen bevor sie wieder verschwanden. Vielleicht lag hier der Grund warum Thom sich wagemutig der Sonde genähert hatte.
Aber das alles war jetzt zweitrangig und als er sich wieder mehr seiner Umgebung widmete begriff er langsam warum ihm hier alles so bekannt vorkam, denn das waren seine letzten Erinnerungen an die Station. Er überprüfte dies indem er nach einem Buch auf dem Schreibtisch suchte welches er zurzeit las. Er fand es und ging hinüber um es sich anzusehen. Nur der Titel war erkennbar, als er es aufklappte erkannte er nur diffuse, wirre Buchstabenketten, welche durch spärlich gesäte, einzelne Wörter unterbrochen waren. Er empfand das gewissermaßen als normal, da alles hier, das Buch eingeschlossen scheinbar eine Manifestation seines Gedächtnisses darstellte. Den Inhalt des Buches kannte er zwar, an den genauen Text konnte er sich aber logischerweise nicht erinnern. Er ging zum Nahrungsaufbereiter und bestellte einen Scotch. Er bekam stattdessen einen Kaffee. Es wäre schon verwunderlich gewesen, wenn er seinen bestellten Drink bekommen hätte, denn Scotch trank er eigentlich nie. Er hatte nur das bekommen, an dessen Anblick er sich am stärksten erinnerte, einen guten, starken Kaffee, welchen er des Morgens zu trinken pflegte. Während er diesen nun nach der aufreibenden Reise hierher genoss dachte er einen Moment daran, wie schön es jetzt wäre, eine Zigarette dazu zu rauchen. Plötzlich roch es etwas verqualmt und er schaute sich um. Da bemerkte er eine Zigarette in seiner rechten Hand, zum baldigen inhalieren bereit, zwischen Zeige- und Mittelfinger gesteckt. Er betrachtete sie eine Weile ungläubig und beschloss einen Zug zu nehmen. Sie war genau so real wie der Kaffee und ergänzte sich gut zum Koffeingenuss.
Das war gar nicht mal so übel, dachte er sich und probierte es mit einem Aschenbecher, denn seine Erinnerungen beinhalteten einen solchen anscheinend nicht. Auf dem Tisch vor ihm erschien er ihm daraufhin so, wie er sich ihn ausgemalt hatte. Schlichtes, durchsichtiges, blaues Glas, von viereckiger Gestalt. Daraufhin versuchte er auf diese Art und Weise die Tür zu öffnen, was jedoch nicht gelang. Das wunderte ihn auch nicht sonderlich, schließlich musste das alles irgendwo herkommen und diese Quelle wollte ihn offensichtlich nicht aus dem Raum hinaus lassen. Er entschloss sich zur Passivität und legte sich hin um ein wenig nachzudenken. Kurz darauf döste er ein.
Ein schriller Ton ließ ihn aufschrecken. Er schaute auf seine Uhr und bemerkte, dass er etwa eine Stunde geschlafen hatte. Der Ton war wieder verstummt und alles war ruhig. Im nächsten Moment grub sich jedoch eine Stimme in sein Bewusstsein die ihm bedeutete ruhig zu bleiben und sich die kommenden Bilder anzusehen. Er bemerkte, dass er keine andere Wahl hatte, denn sie entstanden nicht vor seinen Augen, sondern direkt in seinem Sehzentrum. Es fühlte sich recht merkwürdig an, so als ob man trotz geschlossener Augen alles sehen konnte.
Er sah einen Planeten, der Erde etwas ähnlich. Viele Wolken, ausgedehnte Ozeane und Kontinente. Das Bild verschwand und wich einer Sicht eines hohen Bergs der Teil einer Gebirgskette war. Erst dachte er, sie zeigten ihm jetzt Bilder über die Erde aus seinem Gedächtnis. Diese These war jedoch nicht weiter aufrecht zu erhalten, als er kurz darauf, wie im Vorbeiflug, große Wälder und Steppen sah, welche eine gänzlich andere Gestalt hatten als jene auf seinem Heimatplaneten. Er konnte zwar keine Details erkennen aber die Bäume hier waren etwa um das fünffache größer, ihre Blätter sehr unförmig und der Stamm war im Verhältnis zur Baumkrone weniger stark ausgeprägt und verjüngte sich ziemlich schnell nach oben hin. Er sah vogelähnliche Wesen, die zum Teil sehr groß waren, deren Flügel jedoch verhältnismäßig klein ausfielen. Als er nach unten schaute, sah er so eine Art Mischung aus Nilpferd und Känguru, zumindest erinnerte es entfernt daran. Diese Lebewesen waren bedeutend größer als die Vogeltiere und hatten einen großes, nilpferdartiges Maul. Sie gingen aufrecht auf ihren starken Hinterbeinen, denn ihre Vordergliedmaßen waren sehr kurz. Mit einem Satz stürzten sich diese Kolosse in die Luft und versuchten eines der kleineren Vogeltiere mit ihrem Maul zu erwischen um danach gemütlich irgendwo auf ihren Sprungbeinen zu landen und ihr Mahl zu genießen. Offensichtlich war die Gravitation dieses Planeten ungefähr mit der des Erdmondes vergleichbar.
Mit einem Male verdunkelte sich der Himmel in zunehmendem Maße. Thom erkannte bald das drohende Unheil. Die ganze Zeit über war ihm der dunkle Fleck am Himmel nicht aufgefallen der mehr und mehr das Zentralgestirn bedeckte. Ein langes Zischen erklang, welches zunehmend tiefer wurde. Das Ganze hörte sich an als ob ein Flugzeug abstürzen würde. Er hörte einen tiefen Knall aus der Richtung aus welcher der Meteor herunter gekommen sein musste, nicht sehr weit von ihm entfernt. Das Geräusch hörte nicht auf, sondern begann immer dunkler und bassiger zu werden. Gleichzeitig wurde es immer ohrenbetäubender und die Erde begann zu erzittern. Mächtige Rauchwolken, blutrot und da und dort ins Schwarze fließend, stiegen empor. Im selben Moment spürte er, wie sich etwas kraftvolles, vibrierendes auf ihn zu bewegte. Es war die Druckwelle, die in Form eines riesigen Tsunami aus der Richtung der Einschlagsstelle kam. Als die Welle dicht über ihm war zuckte er instinktiv zusammen, obgleich er im nächsten Moment realisierte, dass ihm hier nichts geschehen würde. Thom hörte die klagenden Schreie der verendenden Tiere und das Toben des Wassers.
Um ihn herum wurde es dunkler und die Geräusche verstummten langsam. Wenige Augenblicke später aber brach der Himmel wieder auf und vereinzelte Sonnenstrahlen tasteten vorsichtig das Dunkel in dem das Land lag ab. Es wurde heller und er erkannte plötzlich große, bizarre Bauten in der Umgebung. Sie ragten weit in den Himmel hinein und sahen zumeist sehr oval aus, mit einem Stumpf als Fundament. Manche hingegen waren eher klein und mehr kugelförmig wobei die Größe immer noch beträchtlich erschien. Auch meinte er riesige springende Bälle, zumindest sahen sie danach aus, zu beobachten. ‘Scheinbar eine Art Transportmittel’, dachte er sich. Die Vermutung lag nahe da diese Bälle, sobald sie wieder auf der Erde angekommen waren einen kräftigen Stoß bekamen und so mit großer Geschwindigkeit wieder in den Himmel stiegen um schließlich, eine große Parabel beschreibend, erneut auf dem Boden zu landen. Währendessen kam ihm die Stadt immer näher, jetzt konnte er auch einzelne Lebewesen ausmachen.
Im ersten Augenblick schien es ihm, als wären das Menschen, welche da auf den Strassen umherliefen. Als das Bild näher rückte erkannte er jedoch zugleich seinen Irrtum denn diese Wesen besaßen zwar Arme und Beine, hatten jedoch zusätzlich eine fünfte Extremität, ähnlich einem Schwanz und waren in etwa an die fünf Meter groß und sehr schlank. Mehr Zeit zum Betrachten blieb Thom jedoch nicht, denn ihm drängte sich auf einmal eine völlig andere Szene auf:
Zu sehen war ein scheinbar idyllischer Ort. Ein paar der eigenartigen Bäume standen auf einer etwas hügeligen Weide worauf ein Tier von der Art eines Schaafs oder einer Ziege; so genau konnte er das nicht erkennen, sichtlich zufrieden das Gras stutzte. Ein paar der kurzflügeligen Vögel schwirrten in der Luft und setzten sich ab und zu auf einem der Baumwipfel nieder. Auch wenn er bisher nur Bruchteile der hiesigen Vegetation gesehen hatte so bemerkte Thom doch die Veränderungen in der Tier- und Planzenwelt die sich Millionen Jahre nach dem Meteoreinschlag vollzogen haben mussten. Die Bäume und Vögel beispielsweise waren längst nicht mehr so groß wie ihre Urahnen aber verglichen mit irdischen Exemplaren immer noch imposant anzuschaun.
Plötzlich fiel etwas ungewohnt langsam zu Boden. BEim näheren hinsehen entpuppte es sich als eine Art Geschoss, eine kleine, völlig schwarze Kugel welche ungefähr einen halben Meter durchmaß. Sie schwebte auf die Erde zu, blieb dort eine Weile unverändert liegen und versank schließlich bis zur Hälfte im Erdreich. Obwohl das Ganze bisher recht ruhig abgelaufen war, hatten alle Tiere in der Nähe bereits die Flucht ergriffen. Mit einem Mal blitzte es grell auf wobei Thom instinktiv die Augen schloss. Als er sie wieder aufgeschlagen hatte sah er, dass das Objekt im Umkreiß von circa fünf Metern nun von einem
Energieschild umgeben war, das sich wie eine Kuppel darüber spannte. Thom vermutete, dass es eine Sphäre um die Kugel ausbildete, der untere Teil bzw. die andere Hälfte jedoch im Boden verlief und somit nicht zu sehen war. Dann begann die Kugel plötzlich zu erzittern und wurde zunehmend diffuser in Farbe und Form und das hinter ihr befindliche Gelände begann durchzuscheinen bis sie schließlich völlig transparent war und optisch mit der Umgebung verschmolz. Allein das Energieschild konnte noch anhand eines leicht gelblich schimmernden Farbtones erkannt werden.
Als er den Bereich musterte, der innerhalb der Sphäre lag bemerkte er etwas Seltsames. Anfangs konnte er noch nicht direkt sagen was es war, doch allmählich erkannte er, dass sich die Struktur des eingeschlossenen Bodens im Inneren der Sphäre langsam zu verändern begann. Das Gras, welches vorher noch saftig und grün durchgeschimmert hatte wurde immer gräulicher und durchsichtiger. Dasselbe geschah zeitgleich auch mit den Steinen, der Erde, ja sogar der Luft die darin eingeschlossen war. Einen Augenblick lang konnte Thom alle Strukturen wie auf einem Schwarz-Weiß-Bild betrachten. Dann wurden die molekularen Bindungen anscheinend aufgebrochen und alles begann völlig miteinander in einer diffusen grauen Masse zu verschwimmen. Das dauerte ein paar Minuten an bis das Gebildete wieder begann eine bestimmte Form anzunehmen. Die Luft wurde wieder etwas durchsichtiger und nahm einen leicht bläulichen Farbton an und der Boden gewann wieder etwas an Struktur wobei jedoch keine einzelnen Steine, Pflanzen oder ähnliches zu erkennen waren. Vielmehr war alles zu einer Art Plastik des vorhergehenden Zustandes geworden, gerade so als hätte jemand alles an dieser Stelle in Gips gegossen. Auch die Luft hatte sich stark verändert. Die ursprünglich eingeschlossene Atmosphäre war jetzt einer trüben, wenn auch schwach durchsichtigen gallertartigen Masse gewichen. Alles war von wellenartigen Bewegungen ergriffen und das ganze Gebilde pulsierte und wogte hin und her wie Wasser in einem Fischglas.
Thom durchdrang ein grauenhaftes Gefühl. Er schaute auf das Energiefeld und stellte mit Erschrecken fest, dass es sich langsam aufzulösen begann bis es schließlich völlig verschwand und ein Bild zurückließ, wie es ein Surrealist nicht besser hätte malen können. Denn beide Bereiche, die gräuliche Masse sowie die übrige, normale Umwelt waren für Augenblicke noch sauber voneinander getrennt. Kurz darauf setzte ein Prozess ein, dessen schreckliche Konsequenzen Thom aufgrund der bisherigen Geschehnisse bereits erahnen konnte. Die Umgebung wurde schockartig von den Wellen, die von der Masse ausgingen erfasst und begann dieselbe Umwandlung zu erfahren wie der Bereich der von der Sphäre eingeschlossen war. Von Oben aus betrachtet sah das Ganze so aus, als ob sich ein Kreis immer weiter ausdehnen würde.
Dabei folgte einer Ausdehnungsphase jeweils eine kurze Phase der Kontraktion woraufhin der Kreis geringfügig wieder etwas kleiner wurde um seine Fläche danach sogleich wieder zu verdoppeln. Das Volumen der Sphäre und damit der Umkreis der Zerstörung nahmen also exponentiell zu, was eine unglaublich schnelle Ausbreitungsgeschwindigkeit zur Folge hatte. Da das Ganze Gebilde jedoch pulsierte und sich immer wieder etwas zusammenzog verringerte sich die Geschwindigkeit in dem Maße wie der Umkreis wuchs. Das bedeutete zwar dass der ganze Prozess letztendlich ein natürliches Ende haben würde, doch Thom schätzte dass dann ein erheblicher Teil des Planeten diesen Veränderungen unterworfen sein würde und es konnte durchaus sein, dass die heil gebliebene Umwelt schließlich auch noch kollabieren und sich in die neue Struktur ergießen würde. Thoms Sicht wurde zunehmend erweitert indem er scheinbar immer höher stieg und den Vorgang von weitem betrachten konnte. Es war grauenhaft anzusehen, wie Tiere plötzlich wie von innen heraus verflüssigt wurden um anschließend in schrecklich verzerrten Formen zu erstarren und ein Teil der Masse zu werden. Selbst die eigenartigen Vögel erstarrten mitten im Flug. Ganze Berge wurden so mit einem Mal abgetragen bzw. geglättet.
Thom war inzwischen so hoch gestiegen, dass er eine nahe gelegene Siedlung der Wesen sah, die zusammen mit dem Gelände und den Gebäuden um sie herum verschmolz als die nächste Ausbreitungswelle sie erfasst hatte. Thom stieg noch höher und konnte nun schon die Krümmung des Planeten wahrnehmen. Er sah wie der Planet sich völlig verändert hatte. Alles hatte sich zu einer gallertartigen graubläulichen Masse verbunden, sogar das Meer und zunehmend auch die gesamte Atmosphäre wurden davon erfasst. Die Geschwindigkeit mit der Thom scheinbar aufstieg stieg rasant an, bis er sich schließlich in der Höhe einer Umlaufbahn um den Himmelskörper befand und somit den halben Planeten von Außen betrachten konnte. Er bemerkte zudem, dass sich die Veränderungen rasant beschleunigten, was darauf zurückzuführen war, dass der Film in seinem Kopf jetzt wieder wie im Zeitraffer ablief.
Eine Zeitlang blieb alles unverändert wobei eine Sekunde, so schätzte Thom wohl mehrere hundert Jahre Entwicklung bedeuten mussten. Daraufhin begann sich die Farbe der anfänglich eher trüben Atmosphäre aufzuhellen und es bildeten sich wolkenartige Strukturen aus. Eine Öffnung dieser Wolkendecke gestattete ihm einen kurzen Augenblick lang einen Blick auf die Oberfläche, die jetzt eher dunkelorange bis leicht rötlich aussah und wie eine blubbernde Puddingmasse auf und ab wiegte. Er beobachtete zudem, dass Blitze auf der Oberfläche einschlugen und der Planet bald von einer einzigen zuckenden Wolkendecke umhüllt war.
Die ganze Zeit über war Thom damit beschäftigt gewesen die Bilder die ihm in seinem Kopf erschienen zu betrachten und zu verarbeiten. Er hatte dabei völlig vergessen, wo er sich gerade befand. Jetzt kamen ihm die Gedanken über seine Situation allmählich wieder ins Bewusstsein und er hatte eine Vermutung, was die Natur der fremden Intelligenz betraf, die ihm hier diese Filmschau darbot. Über die Wesen die hier gelebt hatten konnte er hingegen nur spekulieren. Das Geschoss, soviel war sicher, musste jedoch eine Art Waffe gewesen sein. Wahrscheinlich hatten diese Aliens einen Weg gefunden die atomare Struktur, sozusagen von innen heraus zu verändern bzw. zu zerstören wobei der innere Aufbau der Atome verändert wurde. Anstatt also Massen an Energien aufzuwenden um ein Gebiet oberflächlich zu zerstören wurde hier das Gebiet selbst verändert was einer völligen Vernichtung des ursprünglichen Zustandes gleichkam. Nicht einmal eine Wasserstoffbombe hätte dieses Maß an Zerstörung annähernd erreichen können. ‘Der Schuss ging wohl nach hinten los’, dachte sich Thom.
Das war bedauerlicherweise der letzte klare Gedanke den er noch zuende denken konnte bevor er realisierte, dass er sich stofflich schon längst in einzelne Moleküle aufgelöst hatte und sich sein Verstand langsam mit dem des Planeten verband.
Ende