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GeMo

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11.07.2008
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GeMo

GeMo

Der Psychochirurg warf einen verschlafenen Blick auf die Konsole, während er einen Schluck lauwarmen, schon etwas bitter schmeckenden Kaffee aus einem dünnen Plastikbecher nahm. Der Kaffee war nicht besonders. Kein Gold-Coast-Blend, keine Costa Rica Hochlandmischung. Auch kein kolumbianischer Premium. Das war echtes holländisches „Gewächshaus-Ich-schmecke-nach-alten-Schuhsohlen-Gebräu“. Na ja, besser als nichts. Seit die Atlantik-Passage endgültig unpassierbar geworden war konnte man froh sein, überhaupt irgend etwas zu bekommen, dass Koffein enthielt und keine Cola war.
Die Zeiger der Uhr krochen zähflüssig langsam vor sich hin. Verdammt! Hinzu kamen die bohrenden Kopfschmerzen. Der Psychochirurg hatte das Gefühl, als hätte jemand eine Schlagbohrmaschine in seinen Schädel fallen lassen. Zum Glück machte der Computer alles mehr oder weniger alleine. Müde setzte er den Becher an den Rand der Konsole und rieb sich die Schläfen.

„Tina, hör auf, mit Sebastian zu streiten, und pass auf, was der Professor euch erzählt!“ Streng sah die Lehrerin zu ihren beiden Schäfchen hinüber. Insgeheim musste sie jedoch über die beiden schmunzeln. Tina und Sebastian ließen keine Gelegenheit aus, sich gegenseitig zu piesacken, wo es nur ging. Ständig ärgerten und balgten sie sich. Und dennoch hatte der neunjährige Sebastian keine Sekunde gezögert, einem drei Jahre älteren Mitschüler eine blutige Nase zu verpassen und ihn heulend vom Pausenhof zu verjagen, als dieser sich über Tinas Sommersprossen lustig gemacht hatte. Und es verging keine Pause, in der Tina ihre liebevoll geschmierten Pausenbrote nicht mit Sebastian geteilt hätte, wobei sie immer darauf achtete, dass er das größere Stück bekam. Die Lehrerin war fest davon überzeugt, dass die beiden in dem Augenblick ein Paar sein würden, wenn die Pubertät einsetzte. Tina würde die Mutter von Sebastians Kindern werden und Sebastian (der es sich verbat, „Basti“ genannt zu werden!) würde die Hypotheken für ihr gemeinsames Haus bezahlen.
Das Gesicht der Lehrerin verfinsterte sich unmerklich. Derart schönen Träumereien von der Zukunft ihrer Schüler würden sich allesamt in radioaktive oder bakteriologisch verseuchte Luft auflösen, wenn dieser verdammte Krieg so weiterging. Erst letzte Woche war die Altersuntergrenze für den Wehrdienst auf achtzehn Jahre für unverheiratete Männer heruntergesetzt worden. Die Entscheidung, dass auch Frauen unter die Wehrpflicht fallen sollten, war nur mit einer Mehrheit von drei Gegenstimmen gekippt worden. Dieses Mal! In den nächsten Kabinettsbeschlüssen in zwei Jahren würde sich dieses Problem wahrscheinlich überhaupt nicht mehr stellen. Dann wären ohnehin zu wenig Männer übrig, um die Armeen aufzufüllen.
Mit einem energischen Ruck holte sich die Lehrerin wieder in die Gegenwart zurück. Vielleicht konnte genau das, wovon der Professor gerade mit wichtigtuerischer Miene sprach, die Zukunft ihrer Kinder retten.

„Wie ihr alle ja wisst, ist unsere Freiheit, Demokratie und Sicherheit nicht umsonst. Wir müssen sehr viele Anstrengungen unternehmen, um uns zu schützen!“ Der Professor blinzelte hinter den Gläsern seiner Brille wie eine Eule. „Schützen!“, rief er nachdrücklich und stieß seinen Zeigefinger theatralisch in Richtung der Schulklasse. „Auch ihr, meine lieben kleinen Mitbürger, müsst euren Beitrag leisten! Wisst ihr auch, wodurch?“ Der Wissenschaftler hob seine buschigen Augenbrauen.
„Wir geben unser Besten für unser Land, mit treuem Herz, klugen Kopf und starker Hand!“, riefen die Kinder im Chor. Genau so, wie sie es jeden Morgen vor Beginn der ersten Schulstunde taten.
Ein freudiges Lächeln erhellte das Gesicht des Professors! „Sehr richtig, verehrte Kollegen....äh...Kinder. Sehr richtig!" Dann drehte er sich um und deutete auf die gigantische Fabrikationshalle, die sich hinter ihm im schummerigen Halbdunkel verlor. Vom Boden bis zur Decke erstreckten sich zahllose Reihen von sargähnlichen Boxen, die an Schläuche, Röhren und Kabel angeschlossen waren. Ein dumpfes, elektrisches Summen erfüllte die nach Plastik riechende Luft wie eine riesige Biene, die in einem Pappkarton steckte. Hinzu kam ein leises elektronisches Zwitschern und Piepsen. Auf jeder Box blinkten und flackerten Lichter, Lämpchen und Symbole.
„Was ihr hier seht, ist das Herz von ZEPD-96-ES. Das steht für Zentrale Entwicklung-, Produktions- und Depoteinheit 96, Europäischer Sektor. Hier bauen wir....das hier!“ Wie ein Zauberer, der einen besonders spektakulären Trick vorführen will, wedelte der Professor mit einem Arm und drückte gleichzeitig auf einen Knopf an einem Schaltpult, das neben ihm auf einem Computertisch stand.
Eine Box in der Nähe des Professors glitt mechanisch surrend auf Scharnieren nach vorne und schwenkte dann mit dem Frontteil zum Professor und der Kindergruppe. Mit lautem Schnappen sprangen an den Seiten der Kiste mehrere Stahlklammern auf. Dampf und weiße, kalte Dunstschwaden zischten aus den Fugen der Box. Unwillkürlich wichen die Kinder mit einem leisen, ängstlichen Murmeln zurück und sperrten Münder und Augen auf. Tina tastete nach Sebastians Hand und drückte sie nervös. Sebastian, der dies unter normalen Umständen mit einer spöttischen Bemerkung quittiert hätte, erwiderte stumm ihren Druck.
Der Deckel der Truhe öffnete sich und aus dem Innern trat eine entfernt humanoide Gestalt hervor. Sie war über zwei Meter groß und extrem muskulös. Ihre Haut war dunkelgrau, fast anthrazitfarben. Sie trug keine Kleidung, hatte jedoch keinerlei Haarwuchs oder erkennbare Geschlechtsmerkmale. Ihr Gesicht wirkte nur annähernd menschlich. Mund, Nase und Ohren waren allenfalls rudimentär ausgeprägt. Ihre Augen hingegen glichen zwei glühend roten Diamanten, die tückisch hin- und herruckten. Das erschreckendste jedoch waren die beiden zusätzlichen Arme, die sich hinter breiten Schulterblättern wie zwei riesige Sensen nach vorne schwangen und in sichelförmig gezackten Schneiden ausliefen. Der Kopf des Wesens war über ein Kabel mit der Box verbunden.
Die Kinder stießen jetzt eindeutig ängstliche Schreie aus und drängten sich um ihre Lehrerin. Zwei kleinere Kinder fingen an zu weinen.
„Aber, aber, Kinder,“, rief der Professor hastig, „ihr müsst überhaupt keine Angst vor unserem GeMo haben. Er tut euch nichts. Wirklich, er ist völlig harmlos!“ Um seine Worte zu bekräftigen, schritt der Wissenschaftler zu der riesigen Gestalt und tätschelte sie an der Schulter. Dazu musste er sich allerdings auf die Zehenspitzen stellen.
„Das hier ist das neue Gefechts-Modul, kurz: GeMo. Wir sagen scherzhaft, dass das für „Gemeines Monster“ steht!“ Der Professor kicherte albern, wurde aber sofort wieder ernst, als ihm bewusst wurde, dass diese Einleitung nicht gerade zur Beruhigung der Kinder beitrug.
„Das GeMo wird schon in wenigen Wochen eure Väter und Brüder an den vielen Fronten ersetzen. Dieser nette Bursche hier sorgt dafür, dass ihr Weihnachten wieder alle zusammen feiern könnt. Unsere Fabrik ist auf dem allerneusten Stand der Technik. Sie arbeitet vollautomatisch und entwickelt bei Maximalauslastung mehr als tausend GeMos pro Tag. Darüber hinaus ist sie absolut bombensicher und hat die allerbesten Verteidigungsanlagen. Man kann sie also auch nicht kaputt machen.“
Die Schulkinder beruhigten sich allmählich. In einigen Augen wich die Angst bereits skeptischer Neugier. Die Lehrerin hingegen sah dieses Ding mit einer Mischung aus Furcht und Abscheu an. Dies war nichts anderes als eine weitere Drehung in der Spirale der totalen, rücksichtslosen Kriegsführung. Sie fragte sich, was der „Feind“ in diesem Moment seinen eigenen Schulkindern vorführte.

Ein achtjähriges Mädchen hob schüchtern eine Hand und fragte: „Warum hat er so eine komische Haut? Er sieht überhaupt nicht wie ein normaler Erwachsener aus.“
„Da hast du recht, Kleines. Das GeMo ist viel stärker, schneller und widerstandsfähiger als ein Mensch. Es spürt keine Schmerzen und hat unglaubliche Reflexe. Du könntest ihm beide Beine und Arme wegschießen. Es würde nicht nur am Leben bleiben, sondern seine Arme und Beine würden mit der Zeit nachwachsen. Das ist das Resultat genetischer Biooptimierung und metabolischer....egal, es kann das jedenfalls. Und was seine Haut betrifft, nun, unser Feind ist hinterhältig, bösartig und verschlagen. Vor einigen Jahren hat er eine Biowaffe namens DermaTox entwickelt. DermaTox reagiert mit kaukasischer und afroamerikanischer Hautpigmentierung. Jeder, der unsere Hautfarbe oder die unserer Verbündeten hat, stirbt, wenn er mit DermaTox in Kontakt kommt. Das GeMo hier hat dieses Problem nicht. Seine Haut ist so gemacht, dass sie sich an alle uns bekannten Gifte anpassen kann.“
Die Lehrerin verkrampfte ihre Hände. Ihr Bruder hatte im südöstlichen Frontabschnitt gekämpft, bevor vor drei Jahren getötet worden war. Er hatte von den schrecklichen Kämpfen und grauenhaften Gemetzeln so gut wie nie gesprochen, als er auf Fronturlaub war. Nur einmal hatte er nach ein paar (einer Menge) Gläsern Schnaps erzählt, dass er seinen Urlaub nur deshalb gekriegt hatte, weil seine Einheit eine neue Waffe bekommen hatte, gegen die er erst geimpft werden musste. Die Waffe hatte zwar offiziell irgendeine militärische Seriennummer mit allen möglichen Kürzeln und Zahlen gehabt, aber hinter vorgehaltener Hand wurde sie nur „Ebola-2“ genannt. Die Lehrerin fragte sich erneut, ob irgendein Wissenschaftler gerade auf der anderen Seite der Welt erzählte, wie heimtückisch und rücksichtslos der Feind war. Was war zuerst da gewesen? Huhn oder Ei? DermaTox oder Ebola-2? Nietzsche hatte einmal gesagt: „Wenn man lange genug in einen Abgrund starrt, dann starrt der Abgrund irgendwann zurück.“ Und Einstein sagte, er wisse zwar nicht, mit welchen Waffen man im dritten Weltkrieg kämpfen würde, aber dafür, mit welchen Waffen im vierten Weltkrieg – mit Keulen und Steinen.

Mittlerweile dozierte der Professor munter weiter. „Ihr fragt euch vielleicht, wieso ihr heute diesen Ausflug in unsere Fabrik macht, Kinder, nicht wahr?“ Einige Kinder nickten eifrig. Mittlerweile war die Angst vor der grauen Kreatur, die wie eine Statue hinter dem Professor aufragte, vergessen. Auch Tina war versucht gewesen, die Hand von Sebastian loszulassen. Aber sie hatte sich dagegen entschieden. Es war irgendwie schön, seine Nähe zu spüren. Ihm schien es genauso zu gehen.
„Seht her, Kinder. Das GeMo ist in gewisser Weise auch ein Kind, genau wie ihr. Er ist kein Roboter, sondern ein hochentwickeltes Lebewesen. Wir müssen ihm genauso Sachen beibringen wie euch. Natürlich lernt er nicht Rechnen oder Lesen. Er lernt, wer sein Feind ist und wer nicht. Wen er angreifen muss und wen nicht. Und wir sind im Gegensatz zu unserem Gegner weder grausam noch unmenschlich. Wir bringen dem GeMo und seinen tausenden von Freunden bei, dass er zum Beispiel keine Kinder angreifen soll. Er lernt später, wenn sich sein Gehirn in ein paar Wochen an die neue Prägung ausreichend gewöhnt hat, welche Erwachsenen seine Feinde und welche seine Freunde sind. Das nennt sich „Konditionierung“. Man kann das mit einem Hund vergleichen, dem man beibringt, dass der seine Familienmitglieder nicht beißen darf.“ Bei der Vorstellung, das GeMo hätte etwas mit einem Hund zu tun, mussten alle grinsen. Die Kinder wegen der Hunde-Analogie. Die Lehrerin wegen der zynischen Bagatellisierung dieser Killer-Kreatur.
„Die Konditionierung übernimmt ein Psychochirurg. So nennen wir den Mann, der darauf achtet, dass das GeMo alles richtig lernt. Dass macht er natürlich nicht selbst, sondern ein richtig toller Computer. Und genau hier kommt ihr ins Spiel. Euch, liebe Kinder, haben wir deshalb hier in unsere Fabrik eingeladen, damit wir euch als Beispiel-Exemplare dafür nehmen, wen die GeMos nicht angreifen dürfen. Ihr erinnert euch doch sicher, wie ihr euch alle vorhin, als ihr hier angekommen seid, für ein paar Minuten auf ein komisches Bett legen musstet, nicht wahr? Mit diesem Bett haben wir eure....äh....sagen wir „Muster" aufgezeichnet und dann in den Computer eingespeist, der die GeMos unterrichtet. Die GeMos befinden sich jetzt im Lernmodus. Das bedeutet, sie lernen im Augenblick. Seht ihr, heute seid ihr mal die Lehrer. Toll, nicht wahr?“ Der Professor grinste wie eine Handpuppe aus einem Kasperletheater.
Der Lehrerin drehte sich fast der Magen um. Wieso hätten die Kinder diesen genetischen Monstren nicht ihre guten Eigenschaften beibringen können, wie sie nur Kinder besitzen. Ihre kindliche Unschuld, ihre Liebe für das Leben? Ja genau, ganz toll!

Der Psychochirurg hatte mittlerweile einen ausgewachsenen Migräneanfall. Die Zahlen und Symbole auf den Monitoren hatten sich in Laserstrahlen verwandelt, die sich durch seine Netzhaut geradewegs in sein Gehirn fraßen. Gott, er brauchte eine Tablette.
Er drehte sich um und stieß den Becher mit dem mittlerweile kalten Kaffee um. Die Brühe schwappte über den Rechner und lief in die vergitterten Lüftungsschlitze.
„Verdammte Scheiße!“, murmelte der Psychochirurg und wischte mit dem Ärmel seines Laborkittels den Kaffee auf, so gut es eben ging. Er kam natürlich nicht an den Teil des Computers heran, der sich im Innern des Gehäuses befand. „Ich brauche echt was gegen die Schmerzen.“, sagte er zu sich selbst und begann in seiner Aktentasche zu kramen. Er hatte oft Kopfschmerzen und nahm für den Notfall immer ein paar Schmerztabletten mit. Während er die Medikamente suchte, fiel ihm nicht auf, dass ein dünner Rauchfaden aus dem Lüftungsgitter des Computers aufstiegt.

„Ich zeige euch nun, Kinder, wo sich die Zuchttanks der GeMos befinden. Wir haben eine autonome Versorgung, die einen ständigen Nachschub an GeMos klont. Wie gesagt, zusammen mit unseren Maschinen und unserer eigenen Energieversorgung sind wir hier auf niemanden mehr angewiesen. Die Fabrik kann im Prinzip alles ganz allein machen. Die Kontrolle haben aber natürlich immer noch...“
Das GeMo gab ein grollendes Knurren von sich und drehte seinen Oberkörper. Zum ersten Mal, seit es aus seinem Tank getreten war, bewegte es sich. Es sah beinahe so aus, als würde es sich in der Halle umschauen.
„Was zum Teufel....?“,murmelte der Professor und machte einen Schritt auf das GeMo zu. Im nächsten Moment erstarrte er mitten in der Bewegung. Eine weitere Box schob sich auf ihren Laufrollen nach vorne und öffnete mit einem metallischen Schnappen ihre Verschlüsse. Dann eine dritte, Vierte. Überall knallten die Stahlklammern peitschend auf. Das elektrische Murmeln der Hintergrundgeräusche in der Halle wurde durch einen dröhnenden Orkan aufklappender GeMo-Tanks übertönt.
„Schaffen Sie die Kinder zum Ausgang! Sofort!“ Der Professor grinste nicht mehr. Er wirkte nicht einmal mehr ansatzweise freundlich. „Beeilen Sie sich, aber fangen Sie nicht an zu laufen!“
„Kinder, wir gehen. Schnell jetzt.“ Die Lehrerin schluckte den eiskalten Klumpen Angst, der in ihrer Kehle saß, so lange runter, damit sie mit halbwegs ruhiger Stimme sprechen konnte.
Tina und Sebastian hielten sich immer noch an den Händen, als sie in Richtung des Ausgangs eilten.

Der Psychochirurg starrte ungläubig auf die Statusanzeige der GeMos. Auf einem Monitor, welcher die Tanks anzeigte, sprangen immer mehr Symbole von grün auf rot um. Jedes Symbol stellte einen GeMo-Tank dar.
„Abbruch! Abbruch! Abbruch!“, stammelte er, während er hektisch auf der rauchenden Konsole herumtippte. Seine Finger hackten immer heftiger auf die Tastatur ein. Vor seinen Augen flimmerte es. Sein Kopf fühlte sich mittlerweile an, als stecke er in einer hydraulischen Schrottpresse. Alle Lichter und Lampen schienen ihm direkt in sein Gehirn zu brennen. Irgendwann riss er das Keyboard vom Tisch hoch und drosch damit auf den Computer ein.
„Abbruch, du verdammtes Scheißding! Abbruch! ABBRUCHABBRUCHABBRUCHAB...!!!“

Der Professor sah sich in der Halle um. Er sah immer mehr GeMos, die aus ihren Boxen stiegen und sich unschlüssig umschauten. Sie alle waren über die Kabel in ihren Köpfen mit ihren Boxen verbunden. Der Professor wusste nicht, ob das gut oder schlecht war. Die Kinder waren mit ihrer Lehrerin beinahe am Ausgang angekommen, als eine andere Tür aufgerissen wurde und eine bewaffnete Werkschutzeinheit in die Halle stürmte. Die Männer hielten schwere Maschinenpistolen in den Händen. Als sie die grauen Riesen sahen, gingen sie automatisch hinter Tischen und Schränken in Deckung und legten auf die GeMos an.
„Nicht schießen!“, brüllte der Professor. Er war fast hundert Meter von den Soldaten entfernt und rief, so laut er konnte, um sich vom Lärm in der Halle hervorzuheben. Dabei winkte er mit den Armen und lief auf die bewaffneten Männer zu. „Um Gottes willen, nicht feuern. Sie sind harmlos! NICHT FEUERN!!!“

„Hey, das ist der Professor!“, sagte einer der Soldaten zu seinem Vorgesetzten. „Was für eine Scheiße geht denn hier ab?“
„Kannst du verstehen, was er da brüllt?“, fragte sein Nebenmann. Der Professor war bis auf etwa fünfzig Meter herangekommen, als er strauchelte und der Länge nach hinfiel. Dabei brüllte er immer noch aus Leibeskräften„Nicht feuern! Nicht feuern!“.
„Scheiße, er hat grad „FEUERN“ gerufen und sich auf den Boden geschmissen! Shit!!!“, rief ein weiblicher Soldat.
Die Soldaten waren hervorragend ausgebildete Veteranen. Kampferprobt, gehorsam und mit blitzschnellen Reflexen. Exzellente Schützen waren sie auch.
„FEUER!“, brüllte der Vorgesetzte. Die Maschinenpistolen ratterten los.

Die vorderen GeMos wurden von Dutzenden von Kugeln getroffen und zu Boden geworfen. Ihr Äquivalent von Blut spritzte durch die Halle und besprenkelte ihre Kameraden. Die GeMos befanden sich im Lernmodus. Was einer lernte, lernten alle. Die Erfahrung, die einer sammelte, wurde über direktes Feed-back durch die Kabel in ihren Köpfen auf alle GeMos übertragen. Der Professor hatte sie mit jungen Hunden verglichen, die lernten. Was macht ein junger Hund, wenn er angegriffen wird? Er beißt.

Die GeMos rissen sich von ihren Boxen los und stürmten mit einer Geschwindigkeit auf die Soldaten los, die sich nicht in Worte fassen ließ. In weniger als fünf Sekunden waren alle Wachsoldaten nur noch blutige Klumpen. Die Wunden derjenigen, die angeschossen worden waren, hatten sich mittlerweile schon wieder geschlossen. Der Professor wollte sich aufrichten, als ihm ein GeMo mit einer fast beiläufigen Bewegung den Kopf von den Schultern riss. Das Lernprogramm hatte ihnen beigebracht, dass Kinder keine Feinde waren. Die Schüsse der Soldaten hatten ihnen beigebracht, dass ausgewachsene Menschen Feinde waren. Das Direkt-Feedback übermittelte diese Informationen an alle GeMos, die sich in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung befanden. Immer weiter und weiter. In einer Endlosschleife.

Die Lehrerin schaffte es noch, sich umzudrehen, bevor ein sensenartiger Arm eines GeMos durch ihre Brust stieß, ihre Wirbelsäule durchtrennte und ihre Lungen zerfetzte. Aus dem Augenwinkel sah sie ihre schreienden Kinder. Sie konnte Tina und Sebastian sehen, die sich weinend umklammerten. Die GeMos ignorierten die Kinder. Sie liefen rechts und links an ihnen vorbei und strömten zum Ausgang der Fabrik.
Ihr letzter Gedanke galt den Worten aus der Ansprache des Professors: „....Maximalauslastung...tausend GeMos pro Tag....Fabrik...allerneuste Verteidigungsanlagen...bombensicher....vollautomatisch....eigene Energieversorgung....“
Dann dachte sie nichts mehr.

Am Abend sahen Tina und Sebastian Feuerschein am Horizont. Sie waren zusammen mit den anderen Kindern schon seit Stunden auf den Beinen. Sie alle wollten nur noch nach Hause zu ihren Eltern. Der Busfahrer war zusammen mit den übrigen Erwachsenen auf dem Fabrikgelände innerhalb weniger Minuten abgeschlachtet worden. Zu Fuß würden sie mindestens drei Tage bis zu ihrer Stadt brauchen, selbst wenn sie den Weg auf Anhieb finden würden.
Die traurige Kolonne wurde von einem ständigen Jammern, Schluchzen und Weinen begleitet. Alle hatten Hunger und Durst. Sie wurden ständig von Gruppen von GeMos überholt, die mit irrsinniger Geschwindigkeit in alle Himmelsrichtungen rannten. Ihre Instinkte sagten ihnen, dass erwachsene Menschen eine Gefahr bedeuteten. Diese Gefahr galt es zu eliminieren. Irgendwann hatten sich die Kinder an den Anblick der stummen, anthrazitfarbenen Ungeheuer gewöhnt. Genauso hatten sie sich an den Anblick der zerfetzten Leichen gewöhnt, die sie von Zeit zu Zeit sahen.
Schließlich ließen sich die Kinder müde am Straßenrand nieder, als es allmählich dunkel wurde. Tina blickte verzweifelt zu Sebastian auf, der sie im Arm hielt.
„Ich will nach Hause.“
Sebastian seufzte. „Das will ich auch.“
„Was machen wir, wenn diese Monster vor uns zu Hause ankommen? Werden sie unseren Eltern was tun?“ Sebastian zuckte mit den Schultern.
„Und wenn wir irgendwann groß werden?“ Sebastian strich ihr übers Haar und sah der Sonne nach, die zwischen den Zweigen der Bäume verschwand.

 

Der Psychochirurg hatte das Gefühl, als hätte jemand eine Schlagbohrmaschine in seinen Schädel fallen lassen.
Bei solchen Kopfschmerzen wäre ich nicht mehr arbeitsfähig! ;-)
Ansonsten ist der Text für mich okay. Die Geschichte selbst könnte auch zu einem richtigen Roman mit ausführlicherem Hintergrund ausgebaut werden. Der kommt hier nämlich etwas zu vage.
Richtig kurz würde die Story, wenn die Geschichte nur auf Professor und Kinder reduziert wird (aber Hand aufs Herz – wer streicht schon gerne ;-))
Schöne Tage noch
kinnison

 

Hallo Kinnison!

Vielen Dank für dein Feed-Back! Es freut mich, dass der Text für dich ok war! Stimmt, mit den Kopfschmerzen hätte der Psychochirurg wohl besser zu Hause bleiben sollen, oder?!;-)

Ich hatte mir gedacht, dass der Hintergrund (natürlich auch in Hinblick auf den Umfang der Story) vage bleiben kann - die Lehrerin wollte ich gern drin lassen, um quasi einen erwachsenen Gegenpol zum Professor zu haben! Ist ja echt immer so ne Sache, die Charaktere rauszustreichen!:-)

Viele Grüße und dir auch schöne Tage,
EISENMANN

 

Tag Eisenmann!
"Ok" war auch mein Gedanke zu deiner Geschichte, jedenfalls bis Kurz vor Schluss, aber sie kam ansonsten ein wenig altbacken daher, was an den schon leicht abgenutzten Elementen lag (unschuldige Kinder, Dritter Weltkrieg, genetische Kampfeinheiten...). Hatte dann schon ein Ende erwartet, das mit erhobenem Zeigefinger in Richtung Krieg-ist-menschenverachtend-und-Propaganda-zynisch zeigt, aber dann wurde ich doch positiv überrascht: Das Gemetzel hat dann den kleinen Sadisten in mir geweckt ;) und das Kinderpaar mit Aussicht auf einen Neuanfang hat für mich was von Adam und Eva. Gabs auch schon mal, aber ich finde, du hast es gut umgesetzt mit der unsicheren Zukunft, die sie als Erwachsene erwartet. Das nimmt dem Ganzen den Kitsch, wie ich finde.
Dein Schreibstil hat mich jetzt nicht vom Hocker gerissen, aber schlecht ist er auch nicht.
Ansonsten stimme ich kinnison zu: Guter Ausgangspunkt für einen Roman! Oder eine Kurzgeschichtenserie? Wäre eine Überlegung wert... :)
Gruß
jacksmouth

 

Hallo Eisenmann,
nicht sensationell, doch passabel geschrieben. Streckenweise etwas langatmig und klischeelastig. Tatsächlich glaube ich nicht, dass die Zukunft der Kriege auf solchen Frankensteinschen Kreaturen beruht. Ich glaube eher an eine Kybernetisierung der Kriege, an eine Dehumanisierung. Wunden, die innerhalb von Minuten heilen, kann es bei Lebewesen nicht geben. Also, willst Du ein realistisches Szenario schaffen oder ein Phantasma?

Viel Spass beim Schreiben

Steffen

 

Hallo ihr Lieben,
Hi Steffen und jacksmouth!

Erst einmal vielen Dank für die Kritik und das Lob!

Ihr habt natürlich recht, die Idee erfindet das "Rad" wirklich nicht neu!;)
Tatsächlich wollte ich eigentlich nur eine (hoffentlich) unterhaltsame Geschichte schreiben, die eine klassische Pointe -die Kreatur, die sich gegen ihren Schöpfer wendet- aufweist.
Von daher ist die Anmerkung, dass z.B. Wunden, die in Sekunden wieder verheilen, in der Realität nicht möglich sind, natürlich gerechtfertigt.

Aber wer weiß - vor 100 Jahren hätte man Telefone, mit denen man Fotos machen und Musik hören kann, sicher auch nicht für möglich gehalten!;)

Viele Grüße euch alle,
EISENMANN

 
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Moi Eisenmann,

ich könnte mir vorstellen, daß die story besser funktionieren würde, wenn Du sie um die Hälfte kürzen würdest. Dann wäre es ein kleiner, wenn auch sehr konventioneller Happen. So erwartet man durch die lange Einleitung sonstwas, und dann laufen nur ein paar Roboter Amok.

Ich weiß nicht, wie weit Du damit in die Zukunft gehen wolltest, aber die Betrachtungen zum Kaffee verorten das Stück für mich viel zu sehr in der aktuellen Gegenwart (wie schnell sich solche Sorten/Markenbezeichnungen ändern!), außerdem tragen sie rein gar nichts zur Geschichte bei.
Für mich liest sich das alles nicht wie SciFi im Sinne von 'futuristisch gedacht', sondern wie eine Mischung aus Zeitgenössischem, teils Altmodischem, und unvermittelt eingestreuten Ideen wie die schnelle Selbstheilung (die Nanomedizin nahelegt, bislang ja nur eine Theorie).

Die Handlung fängt für mich hier an:

Mittlerweile dozierte der Professor munter weiter.
Das Dozieren ist auch für den Leser zu langatmig und einschläfernd, nicht nur für die Kinder in der story. Besser vllt, das nicht so 1:1 mitlaufen lassen. Die Infos wären auch kürzer untergebracht gewesen.

Schon nach dem intro hätte ich sicher nicht mehr weitergelesen, hätte ich aufgrund Deines Nicks nicht an Tetsuo gedacht, und noch etwas Radikales, Ungewöhnliches erwartet.

Ich finde es ziemlich aus dem Autorenhut gezaubert, daß die GeMos Kinder verschonen lernen, als Einzelschritt. Warum werden ihnen die Reproduktion/Entwicklungsstadien des Menschen auf Anhieb so gut eingebleut, daß sie in Kindern nicht kleinwüchsige Erwachsene - also Menschen allgemein - sehen? Und wären sie dann auch nicht ebenso schnell in der Lage, zw. einem Soldaten (= in Uniform, bewaffnet) und einem Zivilisten zu unterscheiden?
Schon klar, ohne diese Prämisse funktioniert Deine Handlung nicht, aber wäre das nicht eleganter zu lösen? Und ähnlich geht es mir mit der Vorstellung, Kinder würden in eine Militäranlage geführt, um dort die neuste Kampftechnik anzusehen, die nichtmals richtig ausprogrammiert ist (> siehe: Unterschiedung Zivilist / Soldat). Der plot dient also nur dazu, dem Leser erklären zu können, was es mit diesen GeMos auf sich hat, um dann die Kinder in die Sache zu verwickeln ... hmmmm.
Kinder der Zukunft würden auch sicher vor so ein paar Lämpchen und Synthetik nicht zurückschrecken, ähnliches - siehe den eingeschläferten AIWO oder aktueller Transporter Big Dog etc pp - würde doch sicher schon Teil ihres Alltags ausmachen.

Was ist ein "weiblicher Soldat"? Ein Weichei? Ein femininer Schwuler?
Apropos: den weiblichen Lehrer finde ich überflüssig. Er schaudert nur ab & zu, dient im Grunde nur dazu, dem Leser zu zeigen, wie man den Robotern gegenüber eingestellt sein sollte/könnte. Würde ich komplett streichen - zu offensichtlich eine Funktion, nicht eine Figur.

Die Idee mit den durchdrehenden Robotern an sich finde ich gut, und neu muß ja - wie andere schon bemerkten - auch nicht alles sein. Aber die Erklärung, die Handlung generell, dafür ist mir zu dünn, es fehlt die interne Logik, und daher zieht für mich das Finale auch nicht richtig.

Ich denke, hier wäre noch ein bissl was rauszuholen, schöne Ansätze hat es ja durchaus.

Moi moi,
Katla

 

Hallo Eisenmann,

vieles haben meine Vorposter ja schon angesprochen.
Was mich persönlich stört, sind solche Sätze:

Was macht ein junger Hund, wenn er angegriffen wird? Er beißt.
Der Professor wollte sich aufrichten, als ihm ein GeMo mit einer fast beiläufigen Bewegung den Kopf von den Schultern riss.

Zum einen läßt du mir als Leser keine Chance, selber etas herauszufinden, zum anderen läßt mich das Ganze nicht am Geschehen teilhaben. Immerhin beschreibts du hier ein Massaker, Panik unter den Kindern, amoklaufende Roboter. Wie Katla schon empfahl, würde ich raffen, mich auf ein, zwei Charaktere konzentrieren und deren Geschichte erzählen. Der Professor, dessen Lebenswerk gerade sein Leben beendet. Das Kind, dass panisch mit ansehen muss, wie gerade wildgewordene "Dingens" ihre Bezugsperson hinmetzeln. Ausserdem stellst du kurz vor Schluß die Weichen für eine weitere spannende Handlungsebene (die GeMos breiten sich aus), läßt den Leser aber damit dan im Regen stehen und konzentrierst dich auf die beiden Kinder, die wenig glaubhaft in der Abendsonne sitzen.

Alles in allem würde ich sagen, erzähl des Ganze als Novelle, gibt den (wenigen) Figuren mehr Raum und spinn die Geschichte um die GeMos-erobern-die-Welt weiter. Als Kurzgeschichte funktioniert es (für mich) nicht. Die Idee ist zwar nicht neu, aber trotzdem wert, erzählt zu werden.

lg
Dave

 

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