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Gemein: Von Hundefutter-Memen befallen!
»Happi, Happi, Wow! Wow!«, bellte Anger und griff der Stewardess an den Hintern. Die drehte sich um und starrte ihn verwirrt an. Das konnte Anger gut verstehen, er war mindestens ebenso durcheinander. Er hatte das gar nicht tun wollen. Das Greifen schon, aber was sollte dieser blöde Werbespruch?
Er sprang auf und drängte sich an der jungen Frau vorbei in die Touristenklasse. Seine Gattin Eva klemmte in Reihe 15 zwischen einem schwitzenden, dicken Managertypen im Anzug und einem bärtigen Studenten, der ein Laptop malträtierte. Anger hatte sich wie üblich einen Sitz in der First-Class gebucht.
»Na, Schatz«, sagte er. »Amüsierst du dich?«
Ihr ärgerliches Funkeln konnte er nicht wie sonst genießen, immer noch ging ihm sein Ausbruch von eben durch den Kopf. Wie war das gekommen? Er wollte die Stewardess begrapschen und dann hatte er einfach - »Happi, Happi, Wow! Wow!«
Heilige Scheiße!
»Du wirst auch immer bekloppter, je älter du wirst!« Eva winkte einer Stewardess zu. »Hallo? Ich glaube, der Mann hier ist betrunken!«
Zwei kräftige Flugbegleiterinnen packten ihn an den Handgelenken und führten ihn höflich aber bestimmt zu seinem Sitz zurück.
»Können wir Ihnen etwas bringen?«, fragte die eine und lächelte ihn dabei an, als sei er etwas, das an ihrem Schuh klebte.
»Etwas Hundefutter wäre fein«, antwortete er zerstreut und versenkte sich in das Flugmagazin, das vor seinem Sitz steckte.
»Natürlich.« Die beiden überließen ihn vorerst seinem Grübeln.
Gleich nach der Landung in Stuttgart wurde er von zwei Uniformierten in einen Nebenraum verfrachtet. Er versuchte Eva noch etwas zuzurufen, aber die tat so als höre sie ihn nicht.
Eine weißbekittelte Ärztin nahm ihm Blut ab und untersuchte es in einem Schnellchromatographen auf Drogen und Nanobots. Dann leuchteten sie mit einer Psychosonde in sein linkes Auge. Das Gerät von der ungefähren Form und Größe einer Flugabwehrkanone emittierte wechselnde Folgen von Lichtblitzen, um so eventuelle, in sein Gehirn geprägte Kampfmeme zum Vorschein zu bringen.
»Happi, Happi, Wow! Wow!«, sang er zur Melodie von »Happy Birthday«.
»Was ist das?«, fragte der eine Uniformierte seine Kollegen. »Ein Kampfmem?«
Die Ärztin starrte konzentriert auf ihr Pad und schüttelte den Kopf. »Es ist nicht in der Liste verzeichnet, und ich messe auch keine Imitationsreaktion bei uns.«
»Ich kenne das!«, sagte der zweite Wachmann, ein Schrank von einem Mann mit weichen, fast kindlichen Gesichtszügen. »Das ist eine Hundefutterwerbung. Sie sollten sich auf Mem-Befall untersuchen lassen.«
»Danke, Einstein«, kommentierte Anger. »Kann ich jetzt gehen?«
»Nun werden Sie mal nicht frech.« Der Schrank legte seine Hand schwer auf Angers Schulter. »Sie haben doch die Passagierin belästigt.«
»Diese Passagierin ist meine Frau, und die ist nur sauer, weil sie in der Touri-Klasse reisen musste. - Wow! Wow!«, fügte er hinzu.
Der Große beugte sich nah an sein Ohr und raunte: »Sie sind ein Arschloch. Hauen Sie ab, ehe ich es mir anders überlege!«
Anger presste die Lippen aufeinander, damit er nicht wieder anfing zu bellen. Dann raffte er seine Sachen zusammen und verließ fluchtartig den Raum.
Das Abschlussmeeting in seiner Firma hatte er heute sowieso verpasst, daher diktierte er seinen Bericht zur Südamerika-Außenstelle direkt über die Videoverbindung seines Pads.
»... haben keine nennenswerten Neumärkte erschließen können«, wiederholte seine Sekretärin. »Äh, happy, happy, wow?«
»Nichts«, wiegelte er er ab. »Streichen sie das.«
Er legte grußlos auf und ließ sich vom Pad eine Liste in Stuttgart erreichbarer Memopäden ausgeben. Er schickte dem obersten Eintrag eine Kurznachricht mit der Bitte um einen Termin. Zwei Stunden später saß er bereits im Sprechzimmer des Arztes.
Doktor mem. Lisbot saß ihm gegenüber und lächelte ihn verbindlich an. Das fiel ihm nicht schwer, denn er war nur als computergeneriertes Bild auf einem wandfüllenden 2.5D-Display anwesend. »Und wie oft tritt das Mem an die Oberfläche?«
»Immer häufiger. Zuerst nur, wenn ich an bestimmte Dinge dachte ... arrr ... wow! ... Jetzt nahezu ständig.«
»Was für Dinge?«
»Hmm?« Anger biss die Zähne zusammen.
»Welche Art von Dingen genau?«
»Nh - Sex! Wow! Wow!«
»Verstehe.« Lisbot senkte den graubärtigen Kopf und notierte sich etwas auf seinem Klemmblock - der natürlich genauso virtuell war wie seine gesamte Hälfte des Raumes.
»Können Sie es entfernen?« Anger schwitzte bei dem Versuch an nichts erotisches zu denken. Normalerweise tat er das gewohnheitsmäßig, besonders in langweiligen Sitzungen, im Auto, in Flugzeugen, beim Telefonieren. Eigentlich dachte er nur dann nicht an Sex, wenn seine Frau im Zimmer war. Vielleicht, grübelte er, war das der Grund, warum er sie geheiratet hatte.
»Das kann ich so nicht sagen.« Lisbot klopfte mit seinem simulierten Kugelschreiber gegen die Vorderzähne. »Es hängt davon ab, ob das Mem zu einem Memplex gehört, und wenn ja, zu welchem.«
»Was soll das heißen? Meinen sie, dass es unter Naturschutz stehen könnte oder so was?«
»Ganz so einfach ist das nicht. Wie Sie wissen, sind Memplexe, also Komplexe von Memen, die informationsräumlichen Projektionen von Wesenheiten aus einem eher unzugänglichen Informations-Hilbertraum.«
»Was für'n Traum?«
Lisbot räusperte sich und schlug die Beine übereinander. »Ich meine damit, dass ein Memplex sozusagen das Bild eines Organs eines hyperdimensionalen Wesens darstellen kann. Wenn wir das Mem einfach so aus ihrem Hirn entfernten, käme das eine Amputation gleich. Der betroffene Memplex könnte auf Körperverletzung klagen.«
»Mir egal. Schneiden Sie ihm den Fuß ab. Er steckt in meinem Kopf!«
»Gerne. Erst aber bin ich gesetzlich verpflichtet, die Anspruchslage zu überprüfen.«
»Was zieren Sie sich eigentlich so? Sind doch nur Ideenklumpen, oder?«
Lisbot räusperte sich und starrte ihn vorwurfsvoll an.
»Oh, ich verstehe!« Anger schlug sich auf den Schenkel. »Sie sind auch so ein Memplex-Typ. Ich hatte Sie für eine KI gehalten.«
»Das passiert oft.«
»Na gut, prüfen Sie die Gesetzeslage. Ich bin ja kein Unmensch. Aber schnell. Schließlich bezahle ich Sie.«
Lisbot nickte. »Zu diesem Zweck muss ich die genaue Niep-Pieper-Signatur ihres Mems bestimmen.«
Auf einen unhörbaren Befehl stürmte eine Assistentin in den Raum. Als sie sich zu Anger herabbeugte, musste er wieder bellen.
»Noch nicht«, wies Lisbot ihn an.
Das Mädchen stülpte ihm eine Apparatur über den Kopf, die wie eine Zehn-Kilo-Sonnenbrille mit angeschraubtem Gehörschutz aussah. Augenblicklich konnte Anger rein gar nichts mehr sehen und kaum etwas hören.
»Wird das wehtun?«, fragte er.
»Ja«, bestätigte Lisbot.
Dann schob sich ein glühender 2000-Hertz-Ton durch seine Ohren bis in die Fußsohlen, der so laut war, dass Anger sich selbst fast nicht mehr schreien hörte.
Eine Stunde in seinem völlig dunklen Schlafzimmer und drei Nanocetamol später hatte sich sein Gehör so weit erholt, dass er Kaspar Gründel anrufen konnte. Gründel war ein alter Studienkollege von ihm und außerdem Inhaber einer Anwaltskanzlei, die auf der nach unten offenen Gewissensskala das Tiefgeschoss belegte.
Anger wählte seine Web-Karte an und Sekunden später grinste ihn Gründels unrasiertes Hackergesicht aus dem Bildschirm seines Pads an. Er schilderte dem Anwalt sein Problem.
»Könntest du es mal wiederholen?« Gründel kratzte sich die Bartstoppeln.
Anger dachte an die Ärztin im Flughafen und bellte seinen Werbesong.
»Ah, das kenne ich. Hundefutter.«
»Das hat der Kerl im Flughafen auch gesagt.«
»Sie planen eine ganze Kampagne daraus zu machen. Ein Animationsfilm, Soundtrack im Abo, Klingeltöne, Vidcast-Show, das ganze Gedöns.«
»Animationsfilm?«
»Ja, so mit intelligenten Hunden nach der atomaren Apokalypse, die sich um die letzten Happi-Reste bekriegen. Soll eine Mischung aus Mad-Max, Die Schöne und das Biest und Moby Dick werden, bloß ohne Wal. Ganz große Sache.«
»Klingt eher nach ganz großem Schwachsinn. Warte mal - heißt das, dass das Ding dann wachsen wird?«
»Sofern die neue Kampagne zum selben Memplex gehört, sicherlich.«
»Hoffentlich findet dieser Quacksalber bald heraus, wessen Organ das ist.«
»Organelle. Sie nennen es Organelle.«
»Meinetwegen können sie es auch Orgelquelle nennen. Hauptsache ich weiß bald, wem es gehört, damit ich es ausbrennen lassen kann.«
»Ich könnte das für dich sofort herausfinden.«
Anger schürzte die Lippen. »Musst du dazu nicht die Piephahn-Signatur haben?«
»Niep-Pieper. Nein, die meisten Meme sind im Internet verzeichnet.«
»Ist das nicht gegen den Datenschutz?« Anger grinste.
»Stimmt.«
»Sehr gut. Mach mal schnell, ich werde sonst noch verrückt.«
Gründel grinste zurück. »Meine Kontonummer hast du ja.«
Anger schlurfte in die Küche und lud sich auf ein Tablett, was er im Kühlschrank vorfand: ein angebrochenes Glas Würstchen, Cola ohne Kalorien und ohne Geschmack, Schweinshaxe-Zero, Bierpudding und probiotische Marshmallows.
Eva, die am Tisch einen Salat gegessen hatte, wollte aufspringen und in ihr Zimmer gehen, aber Anger hielt sie an der Schulter fest. »Bleib mal hier, Engelchen.«
So lange sie da war, musste er wenigstens nicht bellen.
Er drückte die Marshmallows in den Pudding und löffelte die gelbe Masse in sich hinein. Sein Pad klingelte bereits, als er erst die Hälfte geschafft hatte.
»Deine Plage ist Teil eines Memplexes namens Harpo Nugtella. Außer dem Werbejingle gehören noch zwei oder drei andere Kampagnen dazu, außerdem eine Handvoll Kettenbriefe und Netz-Hoaxes, sowie eine Buchserie mit angeblichen Tatsachenberichten über Außerirdische, die in Südamerika Ziegen verstümmeln und rote Unterwäsche klauen.«
»Nugtella? Ich habe von einem Bivo Nugtella gehört, der sitzt im« - Anger schnippte mit den Fingern - »EU-Parlament.«
»Nein, in der UN-Vertretung. Er vertritt die Rechte der höheren Memplexe in unserem Teil des Universums. Harpo ist sozusagen sein Sohn.«
»Verdammt. Hätte es nicht die Memplex-Version eines Schweinebandwurms sein können? Wieso wächst dieser Harpo eigentlich so schnell?«
»Er ist quasi in der Pubertät. Du musst bedenken, dass sich die Zeitsysteme nicht ohne weiteres umrechnen lassen, die Zeit im Memoraum ist vierdimensional.«
»Ja, ja. Wie schön für sie. Wie werde ich nun die Leber von diesem Harpo wieder los?«
»Eigentlich ist es nicht seine Leber.«
»Was denn dann?«
Gründel kratzte auf dem kleinen Display an seiner Nase herum. »Es hängt gewissermaßen mit seiner Fortpflanzung zusammen.«
»Happi, Happi, Wow! Wow! Da wird mir doch einiges klar.«
Eva, die aufmerksam zugehört hatte, während sie ihre Biotomaten kaute, lachte gackernd los. »Du hast also den Penis eines Halbwüchsigen Memonoiden in deinem Kopf. Na, das geschieht dir recht!«
»Red nicht von Penissen! Wow! Gründel, was kann ich tun, um den Bengel loszuwerden?«
»Es gäbe eine Möglichkeit. Die ist aber illegal.« Gründel bleckte amüsiert die Zähne.
»Prima. Immer her damit.«
Es stellte sich heraus, dass er Japanisch lernen musste, um in seinem Hirn so viele Nerven neu zu verdrahten, dass das Mem herausrutschte. Als er sechs Monate später nach den Abfahrtszeiten der Tokioter Zeppeline fragen konnte, seine Wäsche in die Reinigung bringen und dabei noch die lokale Kalligraphie loben konnte - alles natürlich auf Japanisch -, ohne sich ein einziges Mal zu verhaspeln, hängte ihm der Nugtella-Clan eine Klage wegen Verstümmelung ihres Thronfolgers an, die er von Gründel bis zum Sankt-Nimmerleinstag verschleppen ließ. Das kostete ihn zwar ein Vermögen, aber er hatte richtig Oberwasser. Durch seine neuen Sprachkenntnisse war er die Karriereleiter nach oben gefallen und arbeitete nun im Vorstand, was effektiv bedeutete, dass er in jeder Außenstelle eine Sekretärin hatte.
Das Bellen suchte ihn nur noch äußerst selten heim. Eigentlich musste Anger schon ziemlich scharf sein, damit er bellte. Dass es überhaupt noch da war, konnte nur bedeuten, dass Nugtella junior nicht ganz so amputiert war, wie
Bivo behauptete, eher impotent. Fast tat ihm der Bengel leid, aber nur fast.
Er hatte die ganze Sache schon beinahe vergessen als im Herbst anlässlich der Übertragung eines Fußballendspiels 1,5 Milliarden Vidcastzuschauer während der vorspulgeschützten Werbepause in die Küche stürzten, um sich ein Bier zu holen. 1,5 Milliarden Kühlschränke wurden simultan geöffnet und regelten ebenso simultan ihre Leistung hoch, um die Temperatur wieder auf den richtigen Wert zu bringen. Vorsorglich meldeten alle einen erhöhten Bedarf bei den Stromversorgern an, die im Handumdrehen weitere Kraftwerksblöcke zuschalteten. Da die Zuleitungen für diesen Mehrbedarf nicht ausgelegt waren, fuhren daraufhin zwei Drittel aller Europäischen Kraftwerke ganz herunter. Das Resultat war ein Stromausfall von drei Stunden. Währenddessen erlitt der öffentliche Netzserver, auf dem Anger seine morgendlichen Weckzeiten speicherte, einen totalen Datenverlust, weil seit fünfzehn Jahren niemand mehr den Dieseltank des Notstromaggregats nachgefüllt hatte. Deshalb stand er eine Stunde zu spät auf und lief im Badezimmer unverhofft Eva über den Weg, ebenfalls zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren.
Sie trug einen an den Ellenbogen ziemlich fadenscheinigen Bademantel und hatte den Kopf mit einer Art Bauschaum bedeckt, der unaussprechliche Dinge mit ihren Haaren anstellte.
»Was starrst du mich so an?« Sie raffte den Mantel vorn zusammen.
»Happi, Happi, Wow! Wow!«, bellte Anger.
Heilige Scheiße!