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Gemalte Welt: 1 - Vorwort in Grün
Ich bin auf dem Weg zu einer Freundin.
Ingrid ist umgezogen, wohnt nun im Grünen. Ich folge der Einladung in ihr neues Domizil. Freue mich sie wieder zu sehen.
Notiere die wichtigsten Punkte auf einen Zettel, lasse die Straßenkarte offen neben mir liegen.
Nach zwei Stunden Autobahn, fahre ich ab. Die Gegend ist gut ausgeschildert.
Anhand der Karte und unserem Gespräch von gestern Abend, muss ich erst Richtung Bleuern, danach links abbiegen und nach Grün fahren. Drei Kilometern dahinter, wäre es das rot weiße Haus, in skandinavischem Stil, im Giebel sei ein rundes Fenster.
Ich bin glücklich sie wieder zu sehen. Es wird ein tolles Wochenende.
Noch halte ich mich in Richtung Bleuern. Eine schöne Gegend, waldig hügelig und die Straßen kurvenreich.
Ich komme an eine Kreuzung, nach Bleuern geht es rechts herum. Danach führt mich die Strecke an einem wunderbaren See mit Teichrosen vorbei.
Was für ein Anblick!
Kurz hinter dem See wird es diesig, im Wald staut sich der Dunst aus dem See. Wie toll es aussieht, wenn zwischen den Bäumen die Sonnenstrahlen als gerade Linien zu erkennen sind. Ich fahre langsamer um das zu genießen. Märchenhaft, alles wird ganz hell.
Bemerke ich den Grund, der Dunst wird dichter. Im Rückspiegel beobachte ich, wie sich der Nebel hinter meinem Auto kringelt. Was für ein Schauspiel.
Plötzlich ist alles um mich herum Weiß; flauschig, wolkig, undurchdringlich.
So dichten Nebel habe ich noch nie gesehen.
Wasser perlt an der Windschutzscheibe runter.
Halte an, keiner wird auf der Straße fahren, nicht bei solchem Nebel.
Steige aus, fühle den Nebel auf meiner Haut. Nichts ist zu hören, kein Geräusch.
Weiße Lautlosigkeit.
Ich gehe um mein tropfnasses Auto herum, will nicht mitten auf der Straße stehen, man weiß ja nie. Sehe kaum ein drittel meines Wagens, mache einen Test. Ich gehe rückwärts von der Motorhaube weg, nach zweieinhalb Schritten ist der Wagen verschwunden. Gehe wieder auf ihn zu, drei Schritte, vier! Ich bin erschrocken, gehe schneller, fünf sechs. Da taucht er aus dem Nebel auf. Beeile mich, reiße die Fahrertür auf, es ist nicht einfach in das Auto zu steigen, es rollt rückwärts, komme zu sitzen, ...und ziehe die Handbremse! Ich Schussel, war wohl durch den Nebel so abgelenkt, dass ich nicht bemerkt hatte an einem Hügel gehalten zu haben.
Ich kurble das Fenster runter, bin fasziniert von der Stille. Schaue auf die Uhr, 14 Uhr, ab jetzt werde ich von Ingrid erwartet. Fahre mit ausgestrecktem Arm durch die Wolke, Wirbel werden sichtbar, von meinen Händen tropft es. Spiele herum.
Schaue noch mal auf die Anzeige, immer noch genau 14, obwohl die kleinen Doppelpünktchen blinken. Warte. 13 Doppelpunkt 00. Ich zähle ganz langsam bis neunzig. 14:00!
Eindeutig, die ist hin.
Ein Geräusch, einem Klirren gleich; hübsch, kann es aber nicht einordnen.
Vielleicht ist vor mir noch ein havarierter Autofahrer, der Musik hört?
Ich lausche.
Mittlerweile wird der Innenraum vom Nebel beschlagnahmt.
Noch einmal dieses Geräusch, es scheint näher zu kommen.
Versuche vergeblich das Weiß mit meinen Augen zu durchdringen.
Der Nebel im Auto ist jetzt so dicht, dass ich die Uhr nicht mehr sehen kann, selbst das Lenkrad ist verschwommen.
Das helle melodische Klingen ist ganz nah, als es ein drittes Mal zu hören ist.
Danach beginnt ein Rauschen. Kann mich nicht entscheiden, ob ich es hören oder fühle.
Das Ende des Nebels.
Wie ein Ganzes zieht er ab. Beeindruckend!
Ich steige aus.
Mir folgt der Nebel aus dem Wagen, ein Schleier der sich beeilt den großen Nebel einzuholen.
Plötzlich stehe ich wieder im golden funkelnden Sonnenschein. Alles tropft und glitzert.
Wende mich der Straße zu, weder ist dort ein anderer Wagen, noch eine Anhöhe.
Neige meinen Kopf ein wenig. War der Nebel so stark, dass er den Wagen weggeschoben hat?
Steige wieder ein, alles ist nass. Meinen Haaren tropfen, die Straßenkarte klebt zusammen, bevor ich losfahren kann, müssen die Scheiben von innen getrocknet werden. Im Handschuhfach liegt eine Rolle Küchenpapier, nehme so viel Wasser auf wie es geht. Vor dem Beifahrersitz sammelt sich ein Haufen nasser Tücher.
Fahre weiter, verlasse den Wald. Eine Heidelandschaft erwartet mich, es duftet nach Birken und Sand. Alles ist hier trocken. Komme mir wie ein Alien vor, Wassertropfen tanzen im Fahrtwind auf der Motorhaube.
Ich erreiche eine Kreuzung. Von Bleuern ist nichts zu lesen, aber Grün ist ausgewiesen, dem Straßenschild nach, geht es rechts herum. Wage das zu bezweifeln, konsultiere meinen Zettel. Komplett unleserlich. Verläuft Kugelschreiber? Dann eben die Straßenkarte; meine Güte ist die schwer. Demnach liegt Grün hinter Bleuern. Ich suche den Wald, durch den ich eben gefahren bin. Da ist keiner! Bin an einem See vorbei. Kein noch so winziger blauer Punkt zu finden.
Wahrscheinlich mache ich irgendwo einen Fehler, kann ja sein.
Fahre los, Richtung Grün. Habe trotzdem das Gefühl in die falsche Richtung zu fahren.
Ortseingang. Das Dorf ist so klein, es hat nicht einmal ein gelbes Schild. Komme an einem grünen Schild vorbei, auf dem Grün steht.
Dahinter hängen jede Menge Plakate, auf denen für die verschiedensten Ausstellungen geworben werden. Fahre langsamer, versuche so viele Plakate zu lesen wie möglich. Die Namen mit denen geworben wird, kennt jeder: Rousseau Magritte Dali Bacon Popowa Derain Manet Rosetti Canaletto Rubens Eyck.
Man kennt sie alle. So etwas würde ich eher in London oder Paris erwarten. Was ist denn hier los? Ein Festival der Kunst? Ein geheimes Treffen der Galerien und Museen?
In Grün?
Folge der Straße, stehe bald vor einem Marktplatz.
Cafès unter Bäumen und Sonnenschirmen wechseln sich ab mit den bunten Markiesen etlicher Galerien. Dass ich auf dem Weg zu Ingrid bin, erinnere ich für den Moment, nicht im Mindesten. Suche einen Parkplatz, gehe danach in ein Cafè.
Auf den Tischen liegen Prospekte über das in Grün Angebotene.
Mein Kaffee wird gebracht.
Hatte ich bestellt?
Bei der Bedienung erkundige ich mich über das hier, mache eine weitschweifende Geste.
Das Festival der Kunst fände alljährlich in Grün statt. Gestern Abend sei die große Abschlussfeier gewesen und heute bis 17 Uhr geöffnet, bekam ich zur Antwort.
Was jetzt?
Meine Freundin anrufen, sie bitten uns hier zu treffen, oder erst nach Fünf zu ihr zu kommen. Warum hatte sie davon nichts erwähnt? Sie kennt mich doch.
Bezahle den Kaffee, trinke nur einen Schluck davon, gehe los, nehme das Handy rufe Ingrid an. Fast jedes Haus hier ist eine Galerie, es ist egal wo ich anfange. Die Leitung steht, sofort startet die Ansage, dass der Teilnehmer vorübergehend nicht zu erreichen ist. Ich werde es später noch mal versuchen.
Ich betrete die erste Galerie.
Goya!
Was lässt mich mehr staunen? Der nahezu perfekte Ausstellungsraum oder die Anzahl der Bilder? Hier hängen mindestens dreißig Gemälde.
Leicht benommen gehe ich zu einer Dame hinüber.
Sie wendet sich mir freundlich zu.
Frage ob es Drucke sind?
In Grün würden nur Originale ausgestellt, beteuert sie.
Wende mich den Bildern zu, erkenn ein paar von ihnen wieder. Erinnerungen werden wach. Mein Vater hatte ein kleines Buch über Goya. Als Kind habe ich mir die Bilder darin angesehen. Damals ängstigte ich mich, so düster waren die Darstellungen. Ab und an habe ich es aufgeschlagen, doch irgendwann blieb es geschlossen. Das Gruseln gewann damals. Weiß nicht ob meine Eltern das mitbekommen haben? Obwohl der erste Kontakt zur Kunst so misslungen, ist es doch erstaunlich, dass ich selbst angefangen habe zu malen. Diese Bilder reichen tief in meine Kindheit hinein.
Ich gehe zur Tür, die Dame winkt mir zum Abschied.
Die nächste Galerie.
Die Bilder hier sind ausnahmslos surrealistischer Natur. Gehe herum, schaue und genieße.
Komme vor einem Gemälde zu stehen. Dieses Bild erkenne ich wieder.
Es war in der fünften Klasse, wir besuchten eine Ausstellung. Zu sehen waren ausschließlich Gegenständlichkeiten, die aus ihrem gewohnten Kontext entnommen. Kreative Willkür sprach mich damals schon an. Unsere Hausaufgabe war: Ein Aufsatz zu einem Bild. Meines war schnell gefunden. Ich erinnere mich wieder an das Gefühl, als ich in das Gemälde eintauchte, darin umherwanderte. Für mich war es das erste Mal, dass ein stillstehendes und wortloses Bild dermaßen agil und redselig war. Ich war dermaßen fasziniert davon, wollte schon dort der Lehrerin meine Entdeckung mitteilen.
Anstatt sich mit mir zu freuen, blaffte sie mich an, dass ich es aufzuschreiben hätte.
Heute stehe ich wieder davor.
Schaue mich um, stehe ich nicht in einer Galerie?
Könnte ich das Gemälde kaufen? Das erste Mal in meinem Leben hege ich einen solchen Gedanken. Wende mich an einen jungen Mann und frage danach.
Ich erzähle ihm Geschichte.
Meine Güte ist der nett. Er freut sich mit mir.
Ich erkundige mich nach dem Preis.
Siebentausend Mark kostet es! Leider zu viel für meinen Geldbeutel
Lächelnd rät er mir, mal Lotto zu spielen.
Bedanke mich für den Tipp, schreibe mir noch Name und Titel auf und verlasse die Ausstellung.
Beim Wegpacken der Notiz fällt mir mein Handy in die Hand. Ich versuche noch mal Ingrid zu erreichen.
Wieder die gleiche Ansage, in dem Fall vielleicht die Selbe.
Sie wird sich schon fragen wo ich bleibe.
Es tut mir leid, meine Liebe, aber es gibt so viel zu schauen.
Eine Haus weiter finde ich Clara Peeters: Hering mit Kapern und Orangenscheiben auf Zinnteller, von 1620. Hier wo ich jetzt stehe, stand vor fast 400 Jahren Frau Peeters und malte das Bild.
Wenn man in der Nacht zu den Sternen hoch schaut, sollte man sich gelegentlich klar machen, dass das Licht, von dem man in diesem Moment berührt wird, Millionen Jahre alt ist.
Auf dem Marktplatz, dringt aus einem Cafè Musik. Es ist die Erkennungsmelodie einer TV Sendung: Hundert Meisterwerke! Wieder eine Erinnerung aus meiner Kindheit.
Mir kommt es so vor, als ob ich durch die Kunsterfahrungen meines Lebens wandere.
Betrete die nächste Ausstellung.
Alles sehr reduziert hier, daneben wirkte ein Mondrian geradezu verschnörkelt.
Vier Bilder werden auf voller Länge, glatt in der Mitte geteilt. Die linken Bildhälften sind farbig, die anderen Seiten mit Blattgold beklebt. Beeindruckend schlicht!
Trotz der einfachen Art, gelingt es mir nicht, Zugang zu den Bildern zu bekommen.
Ich wende mich um, kein Mensch zu sehen.
Mitten im Raum steht eine weiße T-förmige Säule, mit einem Glaskasten oben auf, darin ein Text. Der wird helfen. Eine irrige Hoffnung.
Ich ringe mit dem Text, bezweifle das die Wörter in der richtigen Reihenfolge stehen
Gebe mir wirklich Mühe.
Dies hier ist genau so, wie es nicht sein sollte. Enttäuscht schaue ich auf das perfekt präsentierte Blatt unter Glas, dann auf vier Bilder. Ich fühle mich allein gelassen.
Das einzige was mir helfen wird, ...ist die Tür nach draußen.
Auf dem Trottoir atme ich tief durch.
Eine Erfahrung mit Beigeschmack, und den gilt es weg zu spülen.
Nebenan ist ein Kiosk.
Bevor ich das kleine Lädchen betrete, lese ich das Schild, das über der Tür installiert ist: Kiosk m. (türk.) Zeitungs-, Erfrischungshäuschen; offenes Gartenhäuschen.
Man lernt nie aus.
Ich bezahle meine Limonade. Neben der Kasse steht ein Kasten mit Rubbellosen.
Ich erinnere mich an die Worte des Galeristen und kaufe eines dieser bunten Kärtchen.
Vor der Tür ist eine Bank, nehme eine Münze und mache mich daran die Felder frei zu rubbeln.
Eigentlich schabt man sie frei.
Aber wie klingt schon Schabelose?
Wer nichts erwartet, wird auch nicht enttäuscht. Dennoch, das Schaben kommt einem Trommelwirbel gleich.
Es gilt den richtigen Winkel mit der Münze zu erwischen, damit die Deckschicht auch weggeputzt wird.
Wegputzlose wäre auch noch eine Möglichkeit.
Die Felder liegen frei.
Was soll ich sagen?
Das Bild ist mein.
Erstaunlich, ich Reagiere auf diese freudige Überraschung, kurzfristig lethargisch.
Dann wandelt sich die Starre zu einem flotten Verve.
Zurück in das Erfrischungshäuschen, dort dem Betreiber mein Los präsentieren. Er gratuliert mir zu dem Gewinn von siebentausend Mark. Gehe zielstrebig zur Galerie, auch dort zeige ich freudestrahlend das Los. Er nimmt es an sich und erklärt mir, während das Bild für mich einpackt wird, dass Lose nicht namensgebunden seien, er es ebenso gut für mich einlösen könne. Geschwind bringe ich das Bild in mein Auto, gebe noch im Kiosk bescheid.
Nach diesem kleinen Rausch, bemerke ich aus den Augenwinkeln Bewegung auf dem Marktplatz, langsam wird zusammen gepackt.
Wie schade.
Ob ich noch in eine Ausstellung besuchen darf?
Wende mich dem nächsten Eingang zu, im Rahmen steht eine schöne Frau in elegantem roten Kostüm.
Ich frage, ob ich noch eintreten könne?
Sie konsultiert ihre Uhr; es sei halb Fünf, also noch genügend Zeit sich ihr Exponat anzusehen.
Nur ein Bild?
Betrete den Raum, und schaue auf einen sonnigen Tag am Meer, vor mir präsentieren sich die Kreidefelsen auf Rügen, gemalt 1818, von Caspar David Friedrich.
Daneben kommt, geöffnet, ein Buch zu liegen, mit einem schönen Kugelschreiber oben auf.
Erkenne, dass die jeweiligen Betrachter des Gemäldes, ihre Gedanken in das Buch geschrieben hatten.
Die gutgekleidete Dame tritt leise an mich heran, nur mit einer Geste fordert sie mich auf, denen gleich zu tun.
Alle Vorgänger vermerken Ort und Datum. Beide aufgeschlagenen Seiten beginnen mit: Grün 2011. Lese die Texte. Blättre ein paar Seiten zurück, Elberfeld 1987. Noch weiter zurück, Paris 1940. Wie lag begleitet das Buch wohl schon das Bild? Schlage die aller erste Seite auf.
Die Schrift besteht nur aus Schnörkel und Kringel, ein Klecks verrät mir, dass es mit einer Feder geschrieben wurde. Allein die Jahreszahl ist für mich zu entziffern.
1818.
Hat Herr Friedrich selbst das Buch zum Bild gebracht? Schade, dass ich es nicht lesen kann.
Ich schlage die aktuelle Seite auf.
Mein Text lautet: Grün 2011. Ich verspreche Herrn Caspar David Friedrich, demnächst nach Rügen zu fahre, mich dorthin zu stellen, wo ich jetzt stehe, vielleicht werde ich ein rotes Kleid tragen.
Wende mich dem Gemälde zu, schaue an Kreidefelsen vorbei, hinaus auf das Meer.
Die Dame tritt wieder an mich heran, wirft einem Blick in das Buch, nickt, lächelt, nimmt mir den Stift aus der Hand und schließt das Buch.
Tja. Das ist eindeutig.
Auf dem Marktplatz wähle ich ein Kaffee, mit Blick auf das Treiben, ohne zu stören oder gestört zu werden.
Eine Glas Sekt wird mir serviert.
Bin mir sicher keine Bestellung getätigt zu haben.
Siedendheiß fällt mir meine Freundin ein!
Wieder nur diese Ansage.
Mache ich mir Sorgen. Ihr wird doch nichts zugestoßen sein?
Nicht mehr so entspannt trinke ich den Sekt.
Vergewissere mich noch einmal bei der Kellnerin, während ich bezahle, ob jedes Jahr in Grün dieses Festival stattfindet.
Sie nickt und kassiert.
Gehe zu meinem Auto, das Gläschen Sekt gab mir Schwung und die Sorge, in meinem Inneren, mahnt.
Nicht das Ingrid seit Stunden auf meine Hilfe wartet.
Versuche weder auf dem verschmierten Zettel zu lesen, noch schaue ich in die Straßenkarte. Ich steige ein und fahre los, eine Dummheit, so knapp nach dem Genuss von Alkohol. In unserem letzten Telephonat sagte sie mir, dass ich nach Grün nur der Straße folgen müsse und dann das rot-weiße Haus schon sehe.
Zumindest habe ich jetzt das Gefühl, in die richtige Richtung zu fahren.
Gebe Gas, eine Mischung aus zu Hilfe eilen und Sekt, spricht aus meinem Fuß.
Ein Fasan, der genau diesen Zeitpunkt wählt, um im niedrigen Flug, vor mir, die Straßenseite zu wechseln, macht, dass ich scharf bremsen muss.
Das Bild hinter mir rutscht von der Rückbank.
Mein Herz rutscht auch eine Etage tiefer.
Der Fasan macht, dass ich den Alkohol im Blut instantan abbaue und von dem Moment gesitteter fahre.
Keine fünf Minuten später parke ich vor ihrem Haus.
Mein Blick fällt auf die Uhr im Armaturenbrett, 14:00. Immer noch kaputt. Nehme meine Tasche, ziehe den Schlüssel ab, lege meine Brille auf ihren Platz, noch einmal streift mein Blick die Uhr, 14:01. Oh? Verschwende keinen weiteren Gedanken daran, springe aus dem Auto, öffne das Gartentor und laufe zur Haustür.
Die in dem Moment auf geht und eine gesunde, freudestrahlende Ingrid kommt auf mich zu, und freut sich ausdrücklich darüber, dass ich so pünktlich bin.
Wir umarmen uns.
Ich beglückwünsche sie zu ihrem schönen Haus, dann erst gehe ich auf ihre Anspielung ein, vier Stunden später als erwartet hier eingetroffen zu sein. Erkläre, dass ich zuerst in dichtem Nebel gefangen, danach festgestellt falsch gefahren zu sein und dann in der Stadt Grün das Festival der Kunst angesehen. Jedoch dreimal versucht sie anzurufen und mir letztendlich Sorgen um sie gemacht hatte. Das alles, die Gründe seien, weshalb es so spät geworden ist.
Ingrid lächelt irritiert, rollt mein Gesagtes von hinten auf. Spät? Ich sei ungewohnt pünktlich. Geklingelt hätte ihr Handy nicht. Was für eine Stadt? Der nächste Ort sei Bleuern, dazwischen läge nichts, nicht mal eine Bushaltestelle. Was für ein Festival? Davon müsste sie doch wissen. Zu dem Nebel könne sie nichts sagen.
Wir stehen immer noch vor der Tür, schauen einander an. Wir beide argwöhnen, dass jeder den anderen auf den Arm nehmen will.
Ich sage, es sei nach Fünf.
Ingrid hebt ihren Arm, streift ihren Pullover beiseite, lässt mich schauen, 14:09 Uhr!
Hole mein Handy raus, öffne die Seite mit den getätigten Anrufen. Kurz bevor ich den Bericht lesen kann, fläscht ganz kurz das Signal auf: Akku laden, dann ist der Monitor schwarz. Erinnere mich sofort, dass das Netzteil zuhause liegt. Das passt!
Versuche es anders, erinnere an unser letztes Telephonat und ihren Hinweis; nach Bleuern links, Richtung Grün fahren zu müssen.
Sie behauptet, gar kein derartiges Gespräch geführt zu haben, sieht dabei aus, als ob sie es ernst meinte.
Ha, jetzt habe ich sie!
Auf der Straßenkarte ist es ja eingezeichnet.
Wir gehen zum Wagen, ich hole die Karte hervor, sie ist immer noch ganz schwer und gewellt.
Was ich damit gemacht hätte? Ins Wasser geworfen?
Nein, das war der Nebel. Als ich mein Gesprochenes höre, fürchte ich ihre Reaktion.
Ernte einen sehr spöttischen Blick.
Verstehe Ingrid ja, die Karte ist so nass, sie steht kurz vor tropfen. So etwas kann kein Nebel, also kein normaler Nebel. Aber das war ja auch der weltbeste Nebel. Supernebel!
Bemerke, dass ich das letzte Wort laut ausgesprochen habe.
Sie lacht mich aus.
Wende mich der Karte zu.
Da! Da ist Grün. Drücke meinen Finger auf die Stelle, als ob sie mir sonst entwischen könne. Lehne die Karte an das Autodach, versichere mich, dass Ingrid auch wirklich hinschaut und ziehe meinen Finger weg.
An dieser Stelle könnte man jetzt das Verb, rubbeln, verwenden!
Diese, von mir so unbedacht durchgeführte Berührung, gab der Karte, genau an der Stelle. den Rest.
Gar nichts ist zu erkennen.
Grün ist von der Karte getilgt.
Wieder lacht Ingrid, applaudiert, sie genießt den, ihrer Meinung nach, wohlinszenierten Jokus.
Man könnte an sich selbst zweifeln.
Mein letzter Trumpf: das Bild!
Schaue auf die Rückbank, oh nein, es ist verschwunden, ich bin schockiert.
Ingrid fühlt sich bestens unterhalten, auch um ihr Entsetzen zu beteuern, legt sie beide Hände an die Seiten ihres Gesichts.
Fast bin ich gewillt blöde Kuh zu ihr zu sagen, es ist ernst, denn jetzt muss ich es mir selber beweisen.
Ich hatte drei Stunden!
Kann froh sein, wenn sie nicht auf den Gedanken kommt, dass ich auf dem schmalen Grat zur Einweisung balanciere.
Endlich fällt mir meine Bremsung ein.
Laut sage ich, ach ja, der Fasan!
Sie stimmt mir zu.
Ich könnte sie würgen.
Schiebe sie beiseite, öffne die hintere Tür. Da ist das Bild. Jetzt kann nichts mehr schief gehen. Sicherlich wird Ingrid mir nicht glauben. Ein eingepacktes Bild ist kein Beweis. Na ja, für sie nicht, für mich schon. Packe es aus.
Und traue meinen Augen nicht.
Es ist nicht das Gemälde.
Auch kann der Galerist es nicht verwechselt haben.
Es ist mein Bild.
Ein Bild, welches ich gemalt habe, vor Monaten.
Ingrid und ich haben es auf einer Ausstellung gesehen. Sie fand es schön, wollte es aber lieber in rot haben. Vorher war es grün.
Das habe ich gemacht, und dann vergessen.
Ihr Umzug. Dann, und bis ein Termin für meinen Besuch gefunden war.
Vergessen.
Er wäre ein schönes Einzugsgeschenk gewesen.
Ist eins.
Ingrid jubelt und fällt mir um den Hals.
Sie erkennt es wieder. Ist ja auch für sie.
Ich will ein großes Glas Wein.
Eine Zigarette.
Mich ausruhen.
Mittlerweile ist es 22 Uhr.
Wir haben die Geschichte zigmal durchgekaut.
Unser Resümee: Gute Geschichte, aber nichts lässt sich beweisen. Die Uhr im Auto könnte eben so gut von mir zurück gestellt worden sein, die Straßenkarte und Küchenrollentücher mit einer Flasche Wasser zu dem gemacht. Und so weiter. Es gibt keine Beweise.
Allein, ich wirke so bedrückt, dass sie mir Glauben schenken wolle.