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Geige und Stein

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02.05.2002
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Geige und Stein

Die Töne drangen sehr gedämpft durch die dicken Mauern, wie ein Lichtstrahl, der sich mühsam durch endlose Schneewehen kämpft. Auch ihre Überlebenschance war gering: umgeben von Beton, verweht in Strömen von Dunkelheit. Sie waren zum Sterben verurteilt, zu einem langsamen Versinken in Vergesenheit. Nichts würden sie bewegen, nichts verändern – nichts. Und dennoch: Einzelne, vom Beton schon fast zerfressene Fetzen erreichten mein Ohr, drangen in meinen Kopf. Ich verstand nichts von Musik, konnte die Qualität nicht beurteilen. Doch war dies überhaupt nötig, musste ich sie noch weiter zerstören? Nein! Ihre Verlorenheit rührte mich. Sie erfüllten mein gefrorenes Inneres mit Wärme, und zerteilten die Schneewehen in meiner Seele mit kräftigen Bogenstrichen. Es war eine Geige, und ich kannte die Person, die sie spielte. Sie war vor zwei Wochen in die Nachbarwohnung eingezogen, eine kleine, zierliche Person – ebenso zerbrechlich wie ihre Musik.
Warum hatte sie nicht schon früher angefangen zu spielen? Ich richtete mich in meinem Bett auf und drückte das Ohr fest an die Wand. Der Beton griff hart nach meiner Wange, versuchte mich einzusaugen, mich zu einem Teil der Wand zu machen, zu einem unwichtigen Teil in einer erstarrten Masse. Doch die Töne schmiegten sich um mein Gesicht und schoben mich sanft von dem kalten Gestein zurück. Sie streichelten meine Wangen, fuhren leicht durch mein Haar und bedeckten meine Stirn mit zärtlichen Küssen. Dann schoben sie mich behutsam zur Seite und begannen den Raum mit einem warmen Leuchten zu überziehen. Wo vorher kahle Wände gewesen waren, blickte nun von jeder Seite ihr Gesicht auf meinen im Bett kauernden Körper. Ein wissendes Lächeln umspielte ihren Mund, ein zärtliches Kräuseln auf einem Teich, in den irgendwer einen Stein geworfen hatte. Immernoch lächelnd floss sie aus der Wand. Ich konnte ihre Bewegungen kaum wahrnehmen. Zu flüchtig waren sie, nur ein Wimpernschlag in der Zeit. Und doch spürte ich sie plötzlich neben mir im Bett. Ich konnte den Duft ihrer Haare riechen, ebenso intensiv und vergänglich wie die Töne in meinem Ohr. Ihre Hände strichen über meinen Körper, kräftige gefühlvolle Bewegungen, ein Bogen der über die Geige streicht. Meine Hände berührten ihr Gesicht. Die Haut fühlte sich glatt und weich an. Der Schwung ihres Mundes teilte sich und ich konnte ihren Atem auf meiner Haut spüren. Sie rückte näher an mich heran und umfing mich mit ihren Armen. Alles umfing mich. Es gab kein Zimmer mehr, kein Bett, kein Schreibtisch – keine Welt. Wir beide wurden eins und gleichzeitig alles. Ich war in ihr und sie in mir. Wie die Musik wogten wir einmal hierhin, einmal dorthin und fegten die kalten Mauern beiseite.
Doch dann war sie weg. Mein Gesicht berührte Stein. Keine Musik war mehr zu hören, nur das mechanische Surren der Autos, die unter meinem Fenster vorbeifuhren. Die Wände grinsten mich an, doch es lag keinerlei Zärtlichkeit in ihren Zügen. Plötzlich gab es überhaupt keine Welt mehr, alles war Stein.
Mühsam löste ich mein Gesicht von der Wand und erhob mich vom Bett. Mit unsicheren Schritten ging ich in die Küche, öffnete die Haustür und betrat den Flur. Ich betätigte den Lichtschalter und gleißendes Neonlicht verbrannte mein Fleisch. Der Gang schien sich bis in weite Fernen auszudehnen: Tür, Wand, Tür, Wand, Tür, ... . Ganz in der Nähe lauerte ein Feuerlöscher. Mit letzter Kraft wankte ich zur Nachbartür und hob den Finger zum Klingelknopf.

 

Wow, mehr hast du deine geschichte mit Methapern nicht vollstopfen können oder? :D
Spaß beiseite, die geschichte ist nicht schlecht, auch wenn Erotic einfach nicht mein Themenbereich ist.
Ich verstehe blos nicht, was das mit dem Feuerlöscher soll. Warum lauert er? hat er ihrgent eine Bedeutung oder wolltest du enfach mal das Wort "lauern" benutzen? ;) :kuss:

 

Hi Marot!
Ja,ja - "lauern" ist ein schönes Wort, oder? Es soll aber auch vor allem das ungute Gefühl unterstreichen, das dem Protagonisten von seiner sterilen Umgebung eingejagt wird.
ciao Bruderherz :kuss:

[ 10.05.2002, 18:24: Beitrag editiert von: Elis ]

 

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