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Geh bitte in den Keller, Georg!
Geh' bitte in den Keller, Georg! (Überarbeitete Version)
Geh' bitte in den Keller, Georg!
(Das Bier-Monster)
1.
Krachend explodierte der Donner über der kleinen, schlafenden Stadt, tief im Herzen von Wales.
Doch nicht alle fanden Schlaf bei diesem Unwetter.
So zumindest, erging es Marta Wellington.
Ein gewaltiger Donnerschlag riss sie aus ihrem unruhigen Schlaf. Erschrocken versuchten ihre müden Augen, dass schwache Licht von der Straßenlaterne einzufangen, welches durch das einzige Fenster des Schlafzimmers matt herein schimmerte. Der Rollladen war nicht herunter gelassen (Marta fürchtete die absolute Dunkelheit) und so prasselte der Regen in heftigen Kaskaden gegen die Glasscheibe, an dem er in wirren Rinnsalen herunter strömte.
Martas zittrige Hand knipste die kleine Nachttischlampe an, woraufhin ihr das warme Licht ein flüchtiges Gefühl von Geborgenheit verlieh. Sie mochte keine Gewitter; diese ungebändigte Gewalt der Natur, ängstigten sie schon als Kind.
Scheu sah sie zu Georg, ihren Mann, der friedlich und ungestört an ihrer Seite leise vor sich hin schnarchte.
In diesem Augenblick, war Marta für seine Anwesenheit fast dankbar, obwohl sie alles andere, als Zuneigung für ihn empfand.
Er war ihr leider kein guter Ehemann; zeigte keinerlei Respekt, oder Achtung; ganz im Gegenteil. Wo er nur konnte, gab er sie der Lächerlichkeit preis, beschimpfte sie regelmäßig.
All diese unschönen Dinge, veranlassten Marta vor einiger Zeit, ihrem Mann mitzuteilen, ihn zu verlassen. Seine Drohung daraufhin, sie windelweich zu prügeln, wenn sie es auch nur versuche, nahm sie nicht ernst genug. Der Morgen, an dem sie dann tatsächlich mit gepackten Koffern an der Tür stand, belehrte sie schmerzlichst eines besseren.
Später, am gleichen Tag, berichtete Marta bedrückt dem Arzt, der ihre Platzwunde an der Stirn versorgte, wie ungeschickt sie doch die Kellertreppe, mit dem Wäschekorb in den Händen, hinunter gepurzelt sei. Georg saß mit finsterem Blick neben ihr.
2.
Von diesem Tage an, versuchte sie nie wieder ihre Koffer zu packen. Doch Hass und Angst vergifteten langsam ihre Seele.
Die Uhr an der Wand, zeigte kurz nach halb eins in der Früh. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ein greller Blitz überstrahlte für Sekunden das Licht der Nachttischlampe, gefolgt von einem weiteren, heftigen Donnerschlag, der das ganze Haus erzittern ließ. Wie ein kleines, verängstigtes Mädchen, zog Marta die Bettdecke ans Kinn.
Sie spürte eine Bewegung an ihrer Seite. Georg gähnte und streckte die Beine, während seine grobschlächtige Hand, blind umher tastete und mit einem leisem Klatsch auf Martas nackten Arm landete. Zufrieden grunzte Georg und mit matter Stimme sagte er:
„Ich hab Durst, Marta. Geh und hol mir ein Bier aus der Küche!“
Martas Magen verkrampfte.
„In der Küche ist keines mehr, Georg. Der Kasten steht immer noch im Keller. Eigentlich, wolltest du ihn gestern hoch holen.“
„Dann würde ich vorschlagen, du machst dich auf den Weg und bringst mir gleich zwei Flaschen mit!“, entgegnete Georg angriffslustig, dem der latent-trotzige Tonfall seiner Frau keineswegs entgangen war, „denn ich hab' jetzt Durst und will jetzt mein Bier, okay?“
Eingeschüchtert rutschte Marta aus dem Bett, streifte ihren Bademantel über und verließ wie ein getretener Hund das Zimmer.
Im Korridor streifte sie den großen Garderobenspiegel mit einem flüchtigen Blick, der ihr müdes und blasses Antlitz wider gab. Sie verabscheute dieses traurige Gesicht, dass nicht den Mut fand, diesem verkorksten Leben zu entrinnen.
Was war nur aus ihr geworden? Neununddreißig Jahre alt und ihres Mannes Leibeigene, dass war aus ihr geworden. Endstation Sehnsucht?!
An der Treppe knipste Marta das Licht zum Keller an und stieg mit schweren Beinen hinab.
Unterdessen grollte das Unwetter grimmig weiter. Ein Donner folgte dem nächsten, die hier unten, zwischen den dicken Mauern jedoch, nicht mehr so furchteinflössend, wie noch zuvor im Schlafzimmer klangen.
Die Kellerräume bestanden aus einem großen, rechteckigen Raum, der Waschküche und Vorratslager gleichermaßen war und einem anschließenden, kleineren Raum, in dem Georgs Gerümpel herum lag. Marta mied diesen Ort, in dem es kein Licht gab, denn die sich dort in der Dunkelheit, schemenhaft abzeichnenden Umrisse, ließen die Fantasie Dinge kreieren, denen man nur ungern in einem dunklen Keller begegnen wollte.
Im vorderen Raum hing eine kurze Neonröhre an der Decke, die nach dem Einschalten immer erst einige Sekunden nervös flackerte, bevor sie mit einem monotonen Brummen den Keller erhellte.
Marta erspähte den vollen Bierkasten neben der Waschmaschine, trat heran und zog zwei Flaschen des dunklen Bockbieres heraus, das Georg so liebte. Sie selbst, mochte nicht mal dessen Geruch. Vielleicht gerade deshalb, weil Georg jedesmal nach diesem Zeug stank, wenn er Lust auf Sex hatte.
Ein kurzes Quieken, ließ Marta erschrocken herum wirbeln. Wie ein Blitz, schoß aus Georgs Gerümpelraum, eine Ratte hervor und verschwand unter einem eisernen Regalständer, der mit Konservendosen bestückt, an der Wand gegenüber stand.
„Verdammtes Mistvieh!“, fluchte Marta schnaubend. „Hast mich fast zu Tode erschrocken!“
Impulsiv schleuderte sie eine der Bierflaschen nach der Ratte, die mit einem satten Knall an dem Regal zerplatzte. In einem heftigen Schwall ergoss sich die braune Flüssigkeit durch die breiten Ritzen über die Ratte, die mit kräftigem Schütteln die unfreiwillige Dusche quittierte.
Auch das noch! Wenn Georg mitbekam, daß sie eins seiner geliebten Biere für eine Ratte verschwendet hatte, war die Hölle los. Gleich morgen früh, wenn er das Haus zur Arbeit verließ, käme sie herunter und würde die Spuren ihres nächtlichen Zorns beseitigen.
In Wahrheit aber, so wußte Marta, galt dieser Wurf weniger der Ratte, als vielmehr ihrem ungeliebten Ehegatten.
Gerade wollte sie eine weitere Flasche aus dem Kasten ziehen, da vernahm sie ein seltsam tapsendes Geräusch. Irritiert drehte sie den Kopf und... erstarrte.
Eine riesige Spinne, von der Größe eines ausgewachsenen Schäferhundes, verharrte vor dem mit Bier besudeltem Eisenregal. Der Körper glänzte matt in einem, fast schon grellem gelb, das im starken Kontrast zu den pechschwarzen, behaarten, mindestens je anderthalb Metern langen, acht Beinen, stand. Zwei dunkle, Tischtennisballgroße Augen wurden von einer Vielzahl kleinerer flankiert, in denen sich das grelle Neonlicht trübe widerspiegelte. An der Vorderseite ihres Kopfes, ragten zwei furchteinflössende Gifthauer, die wie schwarze Zähne aussahen, hervor. Links und rechts davon, saßen kräftige Fangzangen, die den Eindruck erweckten, eine einmal gefasste Beute, nicht mehr loszulassen.
Der einzige Grund, warum Marta nicht in kopfloser Panik die Flucht ergriff, mußte wohl der sein, dass es ihr gesunder Menschenverstand schlicht ablehnte, dieses Monstergebilde als Realität zu akzeptieren. Stattdessen starrte sie wie versteinert auf das Unmögiche, keine fünf Meter von ihr entfernt. In ihrem Kopf, wurden aber dennoch die alten Urängste vor Spinnen, die den Menschen seit Anbeginn begleitet haben, freigesetzt; mochte sie doch schon die „normal“ große Ausgabe dieser Gattung nicht besonders, so potenzierte sich diese Abscheu bei dieser mutierten Riesenausgabe, ins unermessliche.
Marta hätte nicht sagen können, wie lange sie in diesem Zustand der Erstarrung verweilte. Die Zeit schien ihre Bedeutung vorübergehend verloren zu haben. In einem anderen Winkel ihres Kopfes, machten sich ein rationaler Gedanke selbstständig. Was würde passieren, müsste sie hier die ganze Nacht so stehen bleiben, regungslos, gebannt auf diesem Punkt, zur Salzsäure erstarrt, ja keine Aufmerksamkeit erregend? Käme Georg irgendwann herunter, um nach ihr... pardon, seinem Bier zu schauen? Vielleicht würde sie aber auch einfach in ihrem Bett aufwachen und über diesen idiotischen Alptraum lachen.
Die Gedanken formierten sich mehr und mehr und ließen ihre innere Verkrampfung ein wenig zurück weichen.
Eine Schweißperle lief ihr von der Stirn ins Auge. Reflexartig rieb sie ihr Auge. In diesem Moment ging ein Schauer durch den Spinnenkörper. Marta hielt den Atem an.
Aber das achtbeinige Raubtier, machte keine Anstalten, sie anzugreifen.
5.
Stattdessen, begann die Spinne das besudelte Regal zu beschnuppern, zumindest hatte es so den Anschein, denn ihr rundlicher Hinterleib hob und senkte sich nun leicht rhythmisch, fast so, als atmete sie den Duft von dem klebrigen, süß-herb riechenden Gesöff ein.
Ihr Kopfteil sank nun zu einer kleinen Bierpfütze, die neben dem Regal entstanden war. Etwas ,das Marta flüchtig an eine Art Rohr erinnerte, tauchte in die dunkelbraune Flüssigkeit ein und saugte sie mit einem ekelhaften Schlürfen auf.
Wenn die Situation nicht so grotesk und beängstigend gewesen wäre, hätte Marta wohl gelacht: eine gelbe Riesenspinne saß in ihrem Keller und soff Georgs Bier! Was würde er wohl dazu sagen?
Doch bevor sie für Georg antworten konnte, schoss die mit Bier durchnässte Ratte urplötzlich unter dem Regal hervor und spurtete schnurstracks auf die geöffnete Eingangstür zu.
Mit unglaublichen flinken, trippelnden Schritten, holte die Spinne aber den flinken Nager bereits auf der Hälfte des Weges ein und fasste ihn behände mit ihren kräftigen Beißzangen. Ein kurzes Quieken, dann baumelte das graupelzige Opfer bereits schlaff zwischen den gewaltigen Fängen.
Wieder konnte sie das ekelhafte Schlürfen vernehmen und schloss keuchend die Augen. Dabei wankte sie ein kleines Stück zurück und stieß geräuschevoll gegen den Bierkasten. Erschrocken blickte sie zur Spinne, deren beiden, langen Vorderbeine nervös zu zucken begannen, denn dort hatte sie, spinnenüblich, ihre Ohren sitzen. Mit einer raschen Bewegung, wirbelte das Monster herum und entlockte Marta doch noch einen spitzen Schrei, der von einem ansetzenden, tiefen Donnergrollen begleitet wurde.
Sie war entdeckt. Die Spinne hatte sie erst in diesem Augenblick richtig wahrgenommen und begann langsam auf Marta zu zukrabbeln....
6.
Georg war wieder halbwegs eingeschlummert, bevor er von einem gewaltigen Donnerschlag unsanft aus dem Versinken ins Reich der Träume zurück geholt wurde.
Mit einer fahrigen Bewegung glitt seine Hand über die trockenen Lippen und erinnerte ihn an seinen nächtlichen Durst.
Gab es was besseres, als einen kühlen Schluck Bier? Nein! Er liebte es über alles. Auch wenn die Form seines Bauches, mit den Jahren darunter etwas gelitten hatte. Aber was war schon ein Mann ohne Bauch?! Natürlich war Georg nicht mehr der Attraktivste, aber wozu auch. Er hatte ein Haus, ein Auto, einen guten Job bei der Stadt und er hatte eine Frau, die ihm gehorchte und willig war, wenn er Lust auf sie hatte (zumindest vertrat Georg diese Ansichtsweise, nach einigen Flaschen Bier). Vielleicht bekam er ja später ein wenig Lust, nach dem Bier, auf Marta?
Verdammt! Wo blieb nur dieses lahme Weib mit seinem Bier. Es war offensichtlich wieder mal an der Zeit, ihr eine kleine Lektion zu erteilen. Energisch schlug er die Bettdecke zur Seite.
In dieser Sekunde flog die Tür auf und Marta taumelte, sichtlich nach Luft ringend, herein. Die Haare hingen ihr verklebt über das verschwitzte Gesicht und verleiteten Georg zu der idiotischen Vorstellung, seine Frau wäre anstelle im Keller Bier holen, draußen in dem Unwetter herum gejoggt.
„Was soll die Scheiße? Bist du durch die Nacht gerannt, oder was?“, fragte er in bissig-ironischer Weise. „Kann man dich jetzt nicht mal mehr in den Keller schicken, ohne das du dich dabei überanstrengst, hä? Wo ist mein Bier? Ich sehe keins.“
„Georg, du wirst es mir nicht glauben, was ich soeben im Keller erlebt habe“, stammelte Marta, mit der einen Hand an ihre bebende Brust fassend, mit der anderen, auf der Kommode Halt suchend. Georg setzte zur Erwiderung an, aber Marta schüttelte schnell den Kopf.
„Bitte, Georg, es klingt völlig --- verrückt, aber du mußt mir unbedingt glauben! In unserem Keller sitzt eine --- eine riesige Spinne.“
Georg starrte sie einige Sekunden lang verdutzt an, warf dann überraschend den Kopf in den Nacken und begann lauthals zu lachen.
7.
Mit einer Mischung aus Abscheu und Angst betrachtete Marta sein Theater, wissend, dass es nur das Vorspiel zu einer möglichen Tragödie sein würde.
Abrupt hörte Georg auf und säuselte mit gespielt sanfter, belehrenden Tonart, die man, seiner Meinung nach, bei kleinen Kindern und Idioten einsetzen sollte: „Marta, Marta! Natürlich gibt es bei uns im Keller, und nicht nur dort, Spinnen. Willst du mir ehrlich sagen, du hast mir kein Bier mitgebracht, weil dich eine Spinne erschreckt hat?“ Bei dem letzten Wort erhob Georg sich vom Bett und trat näher.
Der sanfte Tonfall wich jetzt einem bedrohlichen Knurren.
„Willst du allen Ernstes behaupten, du machst dir wegen einem verdammten Krabbelvieh so ins Höschen, daß du nicht in der Lage warst, mir mein Bier zu holen?“
„Sie -- sie ist -- größer, als alles was ich bisher an Spinnen gesehen habe, Georg“, jammerte Marta eingeschüchtert. „Bitte, du mußt mir einfach glauben. Ich habe gesehen, wie sie eine Ratte mit nur einem Biss getötet und verspeist hat. Danach wollte sie auch mich angreifen. Es war ein Wunder, daß ich aus dem Keller entkom...“
Marta sah den Schlag nicht kommen. Die Ohrfeige traf hart gegen ihre Schläfe und ließ sie unsanft zu Boden stürzen.
„Du verdammtes, blödes Miststück“, schrie Georg breitbeinig über ihr. „Was willst du mir hier für einen Mist erzählen? Eine Riesenspinne, die Ratten frißt und auf Menschen losgeht? Ich wusste ja, daß du sie nicht mehr alle hast, aber das ist ja wohl das...“
Georg stockte mitten im Satz, als wäre ihm etwas in den Sinn gekommen. Marta versuchte die Pause zu nützen.
„Wenn du mir nicht glaubst, dann geh bitte in den Keller, Georg!“, wimmerte Marta mit erstickender Stimme. Georg setzte einen Schritt zurück. „Nachdenklich fragte er: „Diese Spinne, die du gesehen hast, wie sah die aus? War sie gelb?“ Marta nickte. „W—woher weißt du das?“
„Und wie groß, sagtest du, wäre sie?“, überhörte er ihre Frage.
„Ich – ich weiß nicht genau“, stotterte Marta unsicher, „etwa wie ein großer Hund?“
8.
Ohne ein weiteres Wort, ging Georg zum Kleiderhaken, an dem sein Morgenmantel hing und streifte ihn hastig über. Dann trat er grob mit dem Fuß gegen ihren Oberschenkel. „Los! Hoch mit dir! Wir schauen uns das mal aus der Nähe an!“
Leise schluchzend erhob sich Marta und schlurfte mit pochender Schläfe wie ein Todeskandidat zur Tür hinaus. Sie wusste, jeder weitere Widerstand hätte in dieser Situation, nur noch mehr schmerzliche Folgen.
Wenig später, standen sie vor der geschlossenen Kellertür.
Marta verspürte nicht gerade großes Verlangen, diese Tür wieder zu öffnen, aber die Gegenwart von Georg, war in diesem Augenblick realer und beängstigender, als das, was hinter der Tür möglicherweise wartete.
Vielleicht war dieses Untier ja gar nicht mehr da. War möglicherweise aus dem Keller entwichen. Aber wie? Und überhaupt, wie kam es in den Keller hinein? Nirgends gab es eine derart große Öffnung, durch das sie hätte reinkommen, geschweige denn entfliehen können.
Georg bemerkte das Zögern und versetzte Marta einen derben Stoß.
Ein langgezogener Donner rollte über das Haus hinweg und für einen Moment wünschte Marta, der Blitz würde einschlagen, oder es könnte einer von Georgs unmöglichen Freunden an der Haustür klingeln.
Aber weder Blitz, noch ein unverhoffter Besuch, bewahrten sie wohl davor, diese Kellertür zu öffnen.
Marta drückte die Klinge mit zittrigen Fingern und stieß die Tür weit nach innen auf.
Das Licht brannte noch, von der Spinne jedoch war nichts zu sehen. Georg drängte sie zur Seite und machte zwei entschlossene Schritte in den Kellerraum. Dort blieb er mit den Fäusten in den Hüften gestemmt stehen und betrachtete mit gerunzelter Stirn den ausgemergelten Körper einer toten Ratte vor seinen Füßen.
Ein vertrauter Geruch kroch Georg in die Nase und ließ seinen Blick kreisen. Sogleich entdeckte er die Ursache. In der Mitte des Kellerbodens, prangte ein sternförmiger Abdruck verspritzten Bieres, garniert von den Überresten der zerborstenen Flasche.
9.
Ebenso am Fuße des gegenüber stehenden Regals. Dort lagen gleichfalls, überall kleine braune Glassplitter verstreut. Dazwischen konnte man noch Überreste von verschütteten Bier erkennen.
Dann sah er in den Bierkasten. Zwei Flaschen. Diese Wahnsinnige hatte tatsächlich zwei Flaschen seines gutes Bieres dazu benutzt, sie in ihrer idiotischen Hysterie nach – ja, nach was eigentlich, zu werfen?
„Was hast du Verrückte, verdammt noch mal, mit meinem Bier getan, frage ich dich?“, knurrte Georg, der in dieser Sekunde, weder an Spinnen, noch an sonstigem Getier dachte.
Marta schwieg verängstigt.
„Aber diese Frage kann ich auch selbst beantworten, meine Liebe“, fuhr Georg daher fort. „Dir hat’s einfach gestunken, daß du mir mitten in der Nacht Bier holen solltest. Bist wütend hier rein gekommen, hast die Flaschen geschnappt und sie mit deinem unnützen Verstand durch die Gegend gepfeffert, um dich so an mir indirekt zu rächen.“
Georg stierte wieder in den entweihten Bierkasten, so als könne er es einfach nicht glauben. Das würde sie ihm büßen.
"Wie gnädig von dir, dass du nicht gleich alle Flachen kaputt gemacht hast. Aber, ehrlich gesagt, macht das eh keinen Unterschied mehr.“
Ohne Vorwarnung machte er einen Satz auf Marta und riss sie so heftig zu Boden, dass ihr Kopf unsanft auf den harten Betonboden knallte. Benommen spürte sie das schwere Gewicht ihres Mannes auf ihren Brustkasten, der grob ihren Hals zu würgen begann.
Hilflos schlug Marta auf die kräftigen Arme ihres Mannes ein. Erst als sie ihm mit ihren Fingernägel die Wange aufriss, ließ er mit einem Schmerzensschrei von ihr. Fluchend tastete er nach der Verletzung und sah auf das Blut zwischen seinen Fingern.
„Du verdammtes Luder!“, schrie er wild, „ich dreh´ Dir denn Hals rum!“ und holte weit zum Schlag aus. Marta kniff die Augen zu und hielt den Atem an...
Aber nichts geschah. Stattdessen erhob sich Georg vorsichtig von Marta.
„Was in Teufels Namen....?“, hörte sie ihn keuchen. Ein Blick zur Seite zeigte ihr den Grund: es war die Spinne.
10.
Wie ein Wesen aus einer anderen Welt, schwebte sie auf ihren langen, armdicken Beinen im Türrahmen des kleineren Raumes und schien beide Kontrahenten neugierig zu beobachten.
Ihr Hinterleib schwang kaum merklich auf und nieder, während die zwei vorderen Beine im schnellen Wechsel zuckten.
„Ich glaub´ ich werde verrückt!“, rief Georg verblüfft. „Mein Gott! Das ist ja Wahnsinn! Was für ein Ungeheuer von Spinne!“ Fasziniert starrte er sie mit aufgerissenen Augen an.
„Das ist sie!“, flüsterte Marta angstvoll. „Ich hab´ sie mir nicht eingebildet.“
Georg sprang plötzlich vor und klatschte dabei laut in die Hände, woraufhin das mutierte Ungetüm erschrocken einen kleinen Satz nach hinten machte.
Georg lachte selbstgefällig.
„Und davor hast du dir in die Hose geschissen?“ Arrogant stemmte er seine Hände in die Hüften. „Diese Viecher reagieren doch alle gleich, egal wie groß sie sind. Aber wer hätte gedacht, daß dieses Mistvieh so schnell wächst“, hörte sie ihn amüsiert sprechen.
"Ihr Glaskasten, muß ihr irgendwann zu klein geworden sein, ts, ts. Als Harry mir die Spinne brachte, war sie nicht größer als meine Faust. Er erzählte mir, dass sie aus irgend so einem Programm stamme, in dem sie mit manipulierten Genen und Bestrahlungen herumexperimentieren. Harry sagte mir, dass das Vieh noch ein wenig größer werden könnte. Aber so groß... - damit hatte er wohl selbst nicht gerechnet, glaube ich. Keine Ahnung was diese Idioten damit bezwecken, ist mir auch Wurst.“ Georg machte eine kurze Pause und schielte zu Marta, wobei er ihren bestürzten Gesichtsausdruck bemerkte. Mit herablassendem Tonfall fuhr er fort.
„Jedenfalls hat einer von der Konkurrenz Harry viel Geld geboten, wenn er ihm eins dieser manipulierten Dinger verkaufen würde, illegal, versteht sich. Na, ja! Und ich habe Harry vorgeschlagen, wenn er sie aus dem Labor klaut, sie bei mir solange zu verstecken, bis etwas Gras über die Sache gewachsen wäre. Dafür bekomme ich dreißig Prozent Provision. Will gar nicht wissen, was er jetzt erst für dieses Prachtexemplar bekommen wird. Das gibt richtig Kohle, mein Schätzchen.“
11.
Martas Bestürzung war komplett. Der miese Hund hatte, ohne ihr auch nur ein Wort zu sagen, dieses Monster ins Haus geholt. Und all die Zeit, in der sie hier herein kam, um etwas zu holen, oder Wäsche zu waschen, lauerte dieses Ding im Raum nebenan und wuchs gemächlich vor sich hin. Nicht zu fassen! Sie war sprachlos.
Für Georg bot sich nun die ideale Gelegenheit, seiner Frau einen Schrecken und eine ordentliche Lektion zu verpassen. Eine Lektion, die sie so schnell nicht vergessen sollte und sie allzeit daran erinnerte, wer hier der Chef im Hause war; wem sie bedingungslos zu gehorchen hatte.
Georg fasste kurzerhand einen Plan.
Marta wusste anscheinend nicht, dass Spinnen in der Regel niemals Menschen angriffen. Und es war kaum anzunehmen, so schreckhaft wie diese vorhin reagierte, dass sie es, selbst bei dieser Größe, versuchen würde.
Georg kehrte der Spinne spontan den Rücken und schritt mit gesenktem Haupt auf Marta zu, die zitternd Stück für Stück zurück wich, bis die Waschmaschine ihr Halt gebot.
Mit einer fahrigen Bewegung zeigte Georg zur Spinne.
„Darf ich dir Anna vorstellen? So hat sie Harry getauft. Weißt du, Anna ist nicht irgendeine, sondern eine ganz besondere Spinne. Sie gehört nämlich einer Spezies an, die, für ihre Nachkommenschaft zu sichern, ein äußerst grausames Verfahren anwendet, denn sie benutzen manchmal ihre Beute gleichzeitig als Wirt, als Brutstätte für ihre Eier, wenn du verstehst was ich meine?“
Georg machte eine vielsagende Pause. Es gefiel ihm, den Klugscheißer vor ihr zu spielen. Noch mehr gefiel es ihm, dass sie solche Schiss vor dem Ding hatte. Ein Gefühl von Macht schwoll in seiner Brust.
Marta verstand nicht wirklich. Mit Tränen gefüllten Augen, schüttelte sie den Kopf.
„Wie immer hast du eine lange Leitung, mein Schatz. Diese Spinnen fressen ihren Fang nicht immer selbst auf, nachdem sie es mit ihrem Gift gelähmt haben.“
12.
„Bei Bedarf nämlich, legen sie in die noch lebende, aber hilflosen Beute ihre Eier ab, aus denen nach einer Weile, kleine Baby-Spinnen schlüpfen und sich von dem Fleisch des Opfers ernähren, bis sie eines Tages, stark und groß von dem üppigen Mahl, ihren Wirt verlassen und selbst auf Jagd gehen. Der Wirt dagegen, überlebt diese ‚verzehrende’ Prozedur, in aller Regel nicht.“
Martas Blick flog entsetzt zu der Spinne, die mit zuckenden Vorderbeinen im Türrahmen stand, scheinbar unschlüssig, was sie tun sollte. Georg genoss die Angst seiner Frau in vollen Zügen.
„Solange sie noch so klein war, hätte sie sich niemals an einen Menschen herangewagt. Mit dieser Größe allerdings, braucht die Gute ein wenig mehr Fleisch als eine Ratte, oder Maus für ihre Babys hergeben könnte, begreifst du?“
Marta begriff voller Schrecken. Die Spinne sollte sie töten. Nein, nicht sofort! Erst sollte sie als Vorratslager für Hunderte, wenn nicht gar, Tausende von diesen ekelhaften Dingern dienen.
„Fressenszeit!“, rief Georg plötzlich laut mit einem diabolischen Grinsen. „Komm her, meine Süße, hier gibt es ein leckeres Weibersteak für deine Babys!“
Demonstrativ ergriff Georg Martas Haaren und begann lachend daran zu zehren.
Marta knickte in die Knie und versuchte schreiend sich irgendwo festzuhalten. Ihre Hand streifte den Bierkasten und ergriff instinktiv eine der Flaschen. Mit aller Kraft schlug sie gegen Georgs Kopf, an dem sie mit einem hässlich dumpfen Knall zerbarst. Bier vermischte sich, mit aus seiner Stirn herabfliesendem Blut und ließ Georg benommen zurück stolpern. Mit einem heißeren Ächzen, plumpste er schwer auf sein Hinterteil.
„Du verfluchte Hure“, kreischte er grell, „wieso tust du das? Du Hirnamputiertes Weibstück! Jetzt werde ich dir den Hals umdrehen! Das schwöre ich dir!“
13.
Was aber jetzt passierte, geschah so schnell, dass weder Marta, noch Georg es richtig begreifen konnten. Die Spinne machte überraschend einige kurze, hektische Schritte nach vorne, wieder zurück, kletterte dann mit unglaublicher Geschwindigkeit an der Wand hoch, rannte quer an der Decke entlang, an der anderen Wandseite hinunter und verharrte kurz darauf direkt vor Georgs Nase.
Ihr Hinterleib schwang nun im schnellen Wechsel hoch und runter, während die kräftigen Giftzähne weit nach oben standen.
Georg schluckte trocken. So war das nicht geplant. Er fühlte sich mit einmal, wie ein beschnupperter Knochen. Nur, dass das hier, direkt vor seinem Gesicht, kein Hund war.
Sekunden verstrichen, ohne das was geschah. Schon ließ der erste Schrecken in Georg nach. Ihm fiel die Reaktion er Spinne auf sein Klatschen ein. Na, klar! Diese Viecher waren hochgradig schreckhaft. Was einmal klappte, klappt auch ein zweites mal. Siegessicher grinste er zu Marta, die das Geschehen mit bleichen Wangen beobachtete. Dann klatschte er kräftig in die Hände...
Georg nahm die Bewegung kaum wahr, mit der die Riesenspinne seine Hand schnappte und ihn vollends zu Boden riss. Er brüllte vor Schmerz und Schreck gleichermaßen auf. Mit panischer Anstrengung versuchte er dem tödlichen Griff zu entkommen, doch mit unvorstellbarer Kraft hielt das Monstergeschöpf ihn gnadenlos in den Fängen. Verzweifelt schrie Georg nach Marta, sie solle doch etwas tun.
Bevor Marta jedoch in irgend einer Weise reagieren konnte, zog die Spinne Georg über den Boden in den hinteren Raum, als wäre er nicht schwerer als eine Fliege.
Marta hörte Georgs heftiges Aufschreien, dass in einem hässlichen Gurgeln erstarb. Lebhaft sah Marta vor ihrem geistigen Auge, wie die Giftzähne in Georgs Körper eindrangen und ihm das lähmende Gift injizierte. Mit zitternden Körper kämpfte Marta gegen den aufsteigenden Brechreiz an.
Die Geräusche aus dem Nebenraum erstarben. War Georg bereits tot, oder hatte die Spinne ihn nur gelähmt und setzte ihm ihre Eier in das...?
Sie mochte den Gedanken nicht zu Ende bringen.
Für einen Moment empfand sie Mitleid mit Georg. Doch wollte er sie tatsächlich an die Spinne verfüttern? Wenn ja, hatte er seine gerechte Strafe erhalten.
„Nur zu deiner Information“, murmelte sie schwach, mit aufkeimenden Trotz in ihrer Brust, „sie mag keine -- Weibersteaks, -- sie mag – Bier.“
Epilog
Genau das erkannte Marta nämlich im Angesicht der Spinne, als diese aus der Bierlache trank und die mit Bier besudelte Ratte verspeiste. Als sie glaubte, die Spinne wolle sie angreifen, schleuderte sie eine der Bierflasche vor dem Ungeheuer zu Boden. Tatsächlich stürzte sich die Spinne auf die Bierlache und schlürfte gierig daran. So also, ergriff Marta die Gelegenheit, um aus dem Kellerraum zu fliehen.
Nun war sie frei. Sie hatte den Schlüssel zur Freiheit gefunden. Aber noch einen anderen Schlüssel hatte sie entdeckt: den Schlüssel zur Rache.
Marta sah all die Menschen vor sich, die ihr irgendwann einmal Weh getan hatten. Georg war einer von ihnen und hatte seine Strafe bekommen. Doch es gab noch andere.
Seinen Bruder Barry zum Beispiel, der sie früher mit Vorliebe, genau wie Georg, ständig hänselte und beleidigte. Oder Georgs Kollege von der Stadtverwaltung, der sie stets behandelte, als wäre sie eine Schwachsinnige. Dann war da noch dieser Harry... Ach, was! Das beste wäre, einfach eine Liste zu erstellen, mit all diesen „lieben“ Menschen und sie nacheinander einzuladen.
Und ab sofort würde eine Sache immer gerne auf ihrer Einkaufsliste stehen: jede Menge Bier.....