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Gegensätze

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19.06.2002
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Gegensätze

In dem Moment als der Zug einfuhr wusste ich, daß es eine blöde Idee gewesen war. Nein, eigentlich wusste ich es lange vorher, aber ich versuchte mir einzureden dass es lustig werden könnte, ein ungezwungenes Widersehen unter alten Bekannten, nicht mehr und nicht weniger. Die Neugierde hatte ihr Übriges dazu getan und jetzt stand ich hier am Bahnhof, in der Menge der hetzenden, blassgesichtigen Menschen und wartete auf ihn. Ich beobachtete die jungen Mädchen mit ihren bunten Plastiksonnenbrillen, die zeitunglesenden Mittvierziger, die ihnen verschämt hinterher sahen und Mütter mit eisverschmierten Kindern an jeder Hand. Unbewusst blickte ich an mir herunter, versuchte mich mit seinen Augen zu sehen. Würde er mich überhaupt erkennen ? Ich hatte mich verändert, war dünner geworden seitdem, trug weniger Make Up und offene Haare. „Natürlich“ - war das das Wort ? Ich fühlte mich überhaupt nicht natürlich, eher wie ein künstliches Objekt, ausgesetzt in artfremdem Lebensraum und unweigerlich auffällig. Beobachtet fühlte ich mich, wie ich hier stand und mich zwanghaft an meine Zigarette klammerte. Ich fing an zu schwitzen und fuhr mir nervös mit der Hand durch die Haare. „Ich sollte aufhören mich so verrückt zu machen.“ beruhigte ich mich innerlich. Schließlich konnte es mir egal sein was er dachte. Ich war nicht mehr seine Freundin, seine perfekte kleine Gespielin, die man nach Bedarf an- und abschalten konnte. Er würde mich nicht widererkennen, und das befriedigte mich. Ich war reifer geworden, selbstbewusster. Zumindest sagte ich mir das.
Ich sah auf die Uhr. Zehn nach. Sowas muss man einkalkulieren. Innerlich lächelte ich. Früher war ich es, die ständig zu spät kam. Sonderkurs dies und Termin das.... Damit konnte ich ihn wahnsinnig machen. Er hasste es, wenn etwas nicht nach Plan lief. Wenn ich nicht nach Plan lief. In allen anderen Bereichen ersparte ich ihm das zumindest.
Wir waren ein auf sonderbare Art perfektes Paar, zumindest behaupteten das unsere gemeinsamen Freunde (die jetzt ausschließlich seine Freunde waren) . Gegensätze ziehen sich an, so sagt man doch immer. Ich fand es unglaublich zutreffend damals, doch im Nachhinein muss ich diesen Satz korrigieren. Wir zogen uns nicht an, er zog mich an. Das ist ein himmelweiter Unterschied den jeder kennt, der sich auf Partys in die dritte Reihe stellt um seinen eigenen Freund reden zu hören. Es machte mir nichts aus. Genau so wenig wie es mich störte dass er andere Frauen traf (alte Bekannte) und ständig irgendwo eingeladen war, wärend ich mir die Nacht mit billigen Sitcoms und einer Packung Kleenex verbrachte. Es machte mir nichts mehr aus sobald er wieder auftauchte, lächelnd und mit dem sonderbar schweren Geruch der Nacht in seinen Kleidern, und seine Blicke ausschließlich mir galten.
Ich gewöhnte mich daran dass er ausging, fast fing ich an es zu mögen, denn je mehr er am Leben teilzunehmen schien, desto mehr zog ich mich zurück. Ich liebte ihn dafür, dass er ein Stück der Realität in meine kleine, neurotische Welt brachte und mich durch seine Augen am Leben teilhaben ließ.
Jetzt war es halb 5. Eigentlich könnte ich nach Hause gehen, überlegte ich. Seltsam, wie meine Nervosität verflogen war. Ich sah mich noch einmal abschließend um, obwohl ich nicht erwartete ihn zu entdecken. Der Bahnsteig war leerer geworden, neben mir spielte ein kleines Mädchen mit leeren Coladosen. Ich konnte gehen, aber irgendwie hatte ich es nicht mehr eilig. Stattdessen setzte ich mich auf die kleine Bank neben dem Mädchen und wartete. Es war mir nicht klar auf was, aber vielleicht hoffte ich innerlich es würde für all das eine Erklärung geben. Sicherlich, das war nicht gerade reif und selbstbewusst. Aber es ist verdammt schwer, reif und selbstbewusst auf jemanden zu warten. Jemanden, der einem egal sein sollte, während man mit jeder Sekunde deutlicher spürt dass es nicht so ist.

 

Hi Candyflip,

nette Geschichte über ein Thema, das wohl jeder kennt, man empfindet noch etwas für die oder den Ex und benimmt sich eigenartig, weil man es nicht wahrhaben will. Die Geschichte ist flüssig zu lesen, und die Bilder sind gut beschrieben, man kann sie sich gut vorstellen, wie sie nervös und genervt wartet.Mir gefällt die Geschichte.

Ciao
stillsearchin

[ 19.06.2002, 18:38: Beitrag editiert von: Stillsearchin ]

 

Herzlich willkommen auf kurzgeschichten.de Candyflip,

:mad: da hast Du gesessen und Dein Köpfchen zermartert
und der Schweinsgeiger ist garnicht gekommen. :heul: :heul:
Also, räche Dich!! ;) ;)
Nichts für ungut und herzliche Grüße, Hot Soul. :) :)

 

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