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Gegenangriff

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Mailand, Stazione Centrale, am fünften Dezember zweitausenddrei, sechzehn Uhr sieben

Plötzlich war ein ohrebetörender Knall zu hören. Glassplitter, Steine, Metallstücke, Leichenteile wurden durch die Luft geschleudert. Die Schreie, das Kreischen hallten durch die umliegenden Viertel des Bahnhofes. Selbst am Corso Buenos Aires hielten die Menschen erschrocken inne. Martinshörner heulten durch die ganze Stadt, Polizeifahrzeuge, Wagen der Carabinieri, Feuerwehr eilten in Höchstgeschwindigkeit zum Ort des Geschehens. Die Hauptstraßen der Stadt wurden gesperrt.

Umherirrende riefen verzweifelt nach Angehörigen, Freunden, mit welchen sie gerade am Bahnhof waren. Von Schmerz verzerrte, weinende Gesichter, blutbefleckte Kleidungsstücke, Blutlachen am Boden, auf den Trümmern. Sanitäter kämpften sich durch die in Angst und Verzweiflung umherirrende Menge, ihre Gesichter hinter weißen Masken verborgen. Fernsehstationen hatten schnellstens ihre Journalisten samt dazugehöriger Kameraleute entsandt. Direktberichte vor Ort wurden in die ganze Welt ausgestrahlt. Inzwischen war bekannt geworden, dass es im ganzen Land Anschläge auf die Hauptverkehrsverbindungen der Eisenbahnen gegeben hatte. Es wurde vermutet, die Attentate wären durchgeführt worden, um die amerikanischen Truppentransporte zu den italienischen Häfen lahm zu legen, von wo aus man Soldaten und Gerät in das Kriegsgebiet am Persischen Golf verschiffte. Der Anschlag auf den Hauptbahnhof in Mailand, so mutmaßte die Mehrheit der Analysten, wäre der Abschluss einer Serie von Attentaten, um allgemeine Unruhe und Angst hervorzurufen.

Cesare Falconi versuchte, auf seinem mitgebrachten Klappschemel auf Zehenspitzen auf und ab wippend, Fotos zu schießen. Obwohl er, als die Nachricht vom Attentat durchkam, sofort zum Hauptbahnhof eilte, waren schon unzählige Fotografen vor ihm eingetroffen. Unentwegt drückte er auf den Auslöser seiner Kamera, manchmal, sah er gar nicht, was er fotografierte, hielt die Kamera so weit er konnte, mit gestreckten Armen nach oben, drückte unentwegt ab. „Ein paar werden sie mir schon abkaufen", dachte er, „das Monat wäre somit gerettet". La Storia Vera würde sicher einige seiner Bilder bringen, flüsterte er zu sich selbst. Das Wochenmagazin war schließlich sein Hauptabnehmer und bei einem solchen Ereignis, würden sie sicher mehr bezahlen. Allerdings wusste er nicht, wer der Redaktion noch Fotos anbieten würde, ob nicht ein Kollege schneller gewesen sein könnte als er und deshalb bessere Bilder aus der Nähe geschossen hätte.

Vollkommen erschöpft verließ er um drei Uhr morgens den Ort des Geschehens. Er durfte nichts versäumen. Einiges hätte sich noch ereignen können, doch entfernten sich die Journalisten, Fotografen und Kameraleute allmählich von dem Platz. Bis an den Rand des Möglichen arbeitende Rettungsmannschaften, mit undurchdringlicher Miene bewachende Carabinieri waren nun für die Berichterstattung ausgeschlachtet. Genug der weinenden Polizisten, der betroffenen Sanitäter und Ärzte, befragten Überlebenden, die mit zitternd bebender Stimme unter Tränen, das Erlebte in die Kameras erzählten. Cesares Beine schmerzten, auch hatte es zu regnen begonnen. Sein Haar war vollkommen durchnässt. Drei Stunden Schlaf konnte er sich noch gönnen, dann musste er in die Redaktion von La Storia Vera, um seine Fotos anzubieten. Missmutig öffnete er die Fenster seiner kleinen Wohnung. Vielleicht, dachte er, könnte er den ersten Film entwickeln, um zu sehen, ob die Bilder etwas hergeben würden. Cesare bewohnte nur eines seiner beiden Zimmer, das andere hatte er zu einem Fotolabor umgewandelt. Anstatt zu schlafen, entwickelte er den ersten Film und war von sich begeistert, als er sah, wie sich im dunkelroten Schein der Lampe auf dem in der Flüssigkeit schwimmenden Fotopapier ein Bild entstand, das aus geringer Entfernung einen Haufen blutüberströmten Schutts zeigte, auf welchem ein abgetrennter Fuß im modischen Stiefel mit dicker Kreppsohle lag. „Das", schrie Cesare voller Begeisterung, „ist ein Vermögen wert." Er rätselte, wie es ihm gelungen war, von der Entfernung ein solches Bild zu bekommen. Das Teleobjektiv hatte er offenbar genau richtig eingestellt. Auch der Blickwinkel gefiel ihm. Ob andere auch solche Bilder gemacht hätten?

Zweifelnd zog er seine buschigen Augenbrauen hoch, fuhr mit der Hand über seine fettige Glatze. Eilig zog er sich seinen blauen Wattemantel über, schnappte seine Mappe, in die er die entwickelten Fotos gelegt hatte, und begab sich in die Redaktion der Storia Vera.

Trotz der frühen Stunde herrschte in der Redaktion hektische Aufregung. Kolumnisten tippten eifrig in ihre Tastaturen, unwirsche Rufe wurden von Tisch zu Tisch geschrien. Telefone schrillten, piepsten unentwegt. Mappen in ihren Händen haltend, wuselten emsig Menschen an Cesare vorbei.

Der Redaktionsleiter Gianfranco Manconi war am Rande eines Nervenzusammenbruches, als Cesare das Büro betrat, welches hinter dicken Glasfassaden vom fieberhaft brodelnden Saal der Redaktion abgetrennt war. Stirnrunzelnd blickte Gianfranco auf. „Na gut Cesare, wir haben schon Überflut an Bildern, zeig, was du hast."
Cesare legte die geöffnete Mappe vor dem Redaktionsleiter auf den mit Papieren überhäuften Tisch. Als er die Fotografie mit dem abgetrennten Fuß sah, pfiff er anerkennend durch die Zähne.
„Das", brummte er nickend, „ist ein Goldschuss!"
Er blätterte bedächtig noch die anderen Bilder durch, legte noch eines mit einem weinenden Kind zur Seite.
„Die beiden kaufen wir dir ab, die anderen Filme brauchen wir dann nicht mehr. Wir haben schon viel zu viel. Aber das mit dem Fuß müssen wir bringen."

Cesare war völlig erschöpft, froh, dass er das Bild wahrscheinlich zu einem sehr hohen Preis verkaufen konnte. Er schleppte sich durch die Straßen, vorbei an den Polizeiwagen, den entsetzten Menschen. Die Piazza Duca d’Aosta war abgesperrt. Niemand, außer den Behörden hatte Zutritt. Meterhohe Berge an Blumen lagen vor den Absperrungen. Menschen knieten sich mit feuchten Augen auf den Asphalt, zündeten Kerzen an, schlugen das Kreuzzeichen. Viele standen nur stumm mit gesenktem Kopf, verweilten einen Augenblick lang, gingen weiter. Unbekannte sprachen sich an, fielen sich in die Arme, „Wie kann jemand so etwas tun!"
Fahnen hingen auf Halbmast. Der Ausnahmezustand war ausgerufen worden. Cesare fühlte einen Kloß in seiner Kehle, hörte seine Schritte am Trottoir widerhallen, blickte hinauf zu den Häusern, den dunklen Rollläden, den backsteinbraunen Fassaden, den Fensterläden. Die Stadt war plötzlich still geworden.

*****

Wien, Flughafen Schwechat, am sechsten Dezember zweitausenddrei um sieben Uhr fünfundzwanzig

Mit steinerner Miene, stieg der amerikanische Sonderbotschafter aus der Limousine. Umgeben von stahlgesichtigen Sicherheitsbeamten, begab er sich in die Halle des Flughafengebäudes. Er hatte tags zuvor bei einer Behörde der Vereinten Nationen über den Kriegsverlauf auf der Arabischen Halbinsel, sowie im Irak Bericht erstattet. Anschließend führte er noch ein Gespräch mit dem österreichischen Außenminister, der immer auf die Neutralität des Landes verwies und jegliche Durchfahr- und Überfluggenehmigungen verweigerte. Nun stand die Sondermaschine bereit, die den Botschafter auf direktem Wege zurückbringen sollte. Polizeibeamte streiften zwischen den Wartenden, Umherschlendernden und Sich-Verabschiedenden, beobachteten die Warteschlangen missgestimmter, mürrischer Reisender, die erhöhte Sicherheitskontrollen schon am Eincheckschalter über sich ergehen lassen mussten. Manchmal forderten sie Ahnungslose auf, die Taschen zu öffnen, durchwühlten den Inhalt, griffen mit Lederhandschuhen, Wäschestücke, Fotoapparate, Zeitungen, Bücher, Spielzeug und so manch Sonderbares ab.

Ein groß gewachsener rothaariger Mann schlenderte, den Einkaufssack eines Souvenierladens in seinen Händen schwingend, durch die Einkaufsmeile des Flughafens. Gelangweilt setzte er sich auf eine der Aluminiumbänke, ließ seine Füße unter der Sitzfläche ruhen. Er fummelte eine Weile im Plastiksack herum, stellte ihn auf den Boden, schob ihn unter die Sitzbank, stand auf und ging weiter, durch die automatische Glasschiebetür ins Freie.

Ein seltsamer Geruch breitete sich in der Halle aus. Menschen begannen zu husten, nach Luft zu ringen, fieberhaft nach Wasserflaschen zu kramen. Husten, Keuchen, Krächzen erfüllte die Halle. Einige hielten sich Tücher vor den Mund, andere pressten die Hand gegen Hals oder Brust, erbrachen sich, fielen zu Boden. Ein kleines Mädchen schlang noch die Arme verkrampft um den Leib seiner bereits toten Mutter, bevor es starb. Aus dem Mund eines älteren Herren quoll Blut, das sich über seinen dunklen Anzug ergoß. Sekunden später schlug er mit dem Kopf gegen die Kante eines Eincheckschalters, fiel zu Boden. Die Bedienstete hinter jenem Schalter, starb nach dem ersten Einatmen. Ihr Leichnam lag rücklings auf dem Boden, mit dem Hinterkopf am Rand des Rollbandes, auf welchem die Koffer zu den Gepäckabfertigungen transportiert wurden.

Schreie ertönten, erstickten bald. Einige hatten sich bereits übergeben. Polizei kam angefahren. Kopflos begannen die Menschen ins Freie zu drängen. Alarm wurde ausgelöst. Polizei, Rettung und Feuerwehr kam angefahren. Sirenen heulten. Blaulicht zuckte auf den Dächern der Fahrzeuge. Polizisten, Sanitäter und Feuerwehrleute rannten, ihre Köpfe in Gasmasken gehüllt, in die Halle. In Panik stürmten Menschen zu den Ausgängen. Reisende lagen bewusstlost am plankpolierten Marmorboden der Halle. Rinnsale an Blut rannen aus den Mündern. Männer, Frauen, Kinder lagen mit verrenkten Gliedmaßen, die toten Augen weit aufgesperrt, durcheinander, teils ineinander verflochten, teils übereinander liegend am Boden. Sauer fauliger Gestank nach Erbrochenem, Urin und Kot breite sich aus, vermengte sich mit dem Geruch des ausgehusteten Blutes. Von jenen, die es nach draußen geschafft hatten, waren viele zusammengebrochen, bekamen Sauerstoffmasken von den Sanitätern über das Gesicht gestülpt, doch die meisten starben. Scheiben wurden von röchelnd nach Atem Ringenden eingeschlagen, um nach draußen fliehen zu können. Sie trampelten über jene, die liegen geblieben waren, stiegen auf in den letzten Zügen liegende Körper. Taumelnd standen manche am Gehsteig, fielen zu Boden, krampften Hände, Beine, Arme, verkrampften ihre Gesichter zu Grimassen des nicht glauben wollenden Entsetzens, rangen nach Luft, erstickten.

Der Sonderbotschafter war ums Leben gekommen. Er war auf dem Wege zum für ihn abgesperrten Ausgang. Als er in Begleitung seiner Leibwächter, sowie der Sicherheitsbeamten knapp vor der Türe standen, drang das todbringende Gift in ihre Lungen. Die Leichname seiner Beschützer lagen neben ihm, einer hatte noch im Todeskampf den Arm auf des Botschafters Rücken gelegt.

Polizisten, die ihre Gasmasken draußen abgenommen hatten, weinten, ob des furchtbaren Höllenbildes, das sie gezwungen waren, mitanzusehen.

Fluchend schlug Franz Komarek mit der Faust gegen das Lenkrad. Absperrung auf der Südosttangente, an einem Samstag um drei viertel acht am Morgen. Ausgerechnet an jenem Tag, an dem er seine Tochter vom Flughafen abholen wollte, die von ihrem Aufenthalt in England zurückkam. Ob er es noch bis neun Uhr schaffen könnte? Stau hatte sich gebildet. Missmutig drehte er den Knopf am Autoradio. Von einem Attentat mit Gas am Flughafen wurde berichtet. Reporter kreischten aufgeregt Berichte vom Ort des Geschehens. „Monika.. um Gottes Willen Monika ... nein!" Monika war noch im Flugzeug. Sie würde erst um viertel zehn landen. Sein Herz begann zu rasen. Sie würde sicher anrufen, wo immer sie auch ankommen würde. Entsetzte Gesichter hinter den Autofenstern rund um. Der amerikanische Sonderbotschafter sei getötet worden, ihm habe der Anschlag gegolten, hieß es.

Monika Komarek verdreht die Augen, als durchgesagt wurde, dass der Flug auf Grund technischer Probleme nach Bratislava umgeleitet werde.
„Das hat man von den Billigflügen, die setzen einen ab, wo’s ihnen grad passt", dachte sie, seufzte und ließ ihr Hinterhaupt gegen die gepolsterte Kopfstütze fallen. Mürrisch setzte sie sich die Kopfhörer ihres CD-Spielers auf. Nach einer halben Stunde rumpelte das Flugzeug auf der Landepiste. Nervös stotterten die Flugbegleiter die Anweisungen ins Mikrofon, entschuldigten sich für die technische Panne, die zur Umleitung auf einen anderen Flughafen geführt hatte.

Monika kämpfte sich durch die Menge verwirrter reisender zum Zoll. Jedes Reisedokument wurde von finster blickenden Beamten genauestens überprüft. Nach der Passkontrolle suchte sie verzweifelt eine Wechselstube, um Geld für das Telefonat zu einzutauschen. Mit ihrer schweren Tasche um die Schultern gehängt, quälte sie sich zu einem Schalter, der nach Geldinstitut aussah. Missmutig streckte sie dem blonden Jüngling eine Zwanzig-Euro-Note hin, erhielt ein paar Scheine und auf ihr Verlangen eine Hand voll Münzen. Monika warf sie alle, eine nach der anderen in den Schlitz des Telefons. Als ihr Vater sein Mobiltelefon abhob, stieß sie nur „Scheißfluglinie, ich bin jetzt nämlich in Bratislava!" hervor.
„Na Gott sei Dank!", hörte sie ihn noch am anderen Ende erleichtert seufzen, bevor die Leitung unterbrochen wurde. Monika begriff nichts mehr. Sie konnte nicht verstehen, weshalb ihr Vater dermaßen erleichtert klang, als sie ihm mitteilte, der Flug sei umgeleitet worden.

Der Bus war unbequem, quälte sich durch den Stau an der Grenze. Österreichische Zollbeamte kontrollierten jedes Fahrzeug.
„Guten Tag, Reisepass bitte, und Gepäck öffnen!"
Monika war ungehalten, als sie der Zollbeamte in grauer Uniform dermaßen forsch aufforderte.
„Muss das sein?"
„Mochns kane Faxn junge Frau, Toschn auf!"
Widerwillig öffnete Monika ihre Reisetasche. Der Beamte betastete mit lederbehandschuhten Fingern ihre Wäsche, ihre Bücher, die Flasche Whisky, durchwühlte den gesamten Inhalt. Auch ihren kleinen Rucksack musste Monika durchschnüffeln lassen.
„Ach des is wegn Italien, des woa jo fuachtboa!", meinte eine ältere Dame.
„In Wien woa ah a Aunschlog sogn’s grod. Mit Giftgas!", rief der Buschauffeur. Monika fühlte sich unbehaglich. Hinter der Grenze wehten die Fahnen auf Halbmast. In manchen Fenstern konnte man Kerzen leuchten sehen.


******

Palermo, sechster Mai zweitausenddrei, ein sonniger, heißer Spätnachmittag


Achmed Diab schlenderte die Gasse entlang. Seine Schirmkappe keck schief am Kopf tragend, ging er einer jungen Frau hinterher, betrachtete ihre lange, schwarze Mähne, die über ihre Schultern fiel, atmete den Hauch ihres Parfums, schielte auf ihr Gesäß, das sich im lockeren braunen Stoff ihrer Hose schaukelte, lauschte dem Rhythmus, in dem ihre Absätze gegen das Gehsteigpflaster klopften. Sie drehte ihren Kopf zur Seite, sodass er den schwarzen Bügel ihrer Sonnenbrille sehen konnte, auch ein kleines Eckchen ihres dunkelrot bemalten Mundes, ein Stückchen ihrer geradlinig zarten Nase. Achmed pfiff ihr hinterher, „Schöne", rief er. Sie drehte sich um, runzelte die Stirne, betrachtete ihn für einen kaum merkbaren Augenblick. Sie ging kopfschüttelnd weiter. „He", er ließ nicht locker, rief ihr weiter hinterher. „Verpiss dich!", fluchte sie und beschleunigte ihre Schritte.

Achmed bog achselzuckend in eine schattige, enge Seitengasse. Vier Jahre war er nun schon hier. Er lebte anfangs von wenigen Gelegenheitsarbeiten, musste sich bei der Bezahlung übers Ohr hauen lassen, teilte sich eine miefige, feuchte, winzige Wohnung mit vier Zimmergenossen, die ebenfalls aus Nordafrika hierher gekommen waren. So manche Nacht hatte er in einer Zelle der Questur verbracht, nachdem seine Daten aufgenommen worden waren. Am Morgen danach wurde er ermahnt, das Land zu verlassen, schließlich auf freien Fuß gesetzt.

Seit einiger Zeit bekamen er und seine Freunde Geld überwiesen. Achmed brauchte keinen miesen, schmutzigen Gelegenheitsarbeiten mehr nachzugehen, lebte in den Tag hinein. Irgendwann, hieß es, müsse jeder von ihnen Tätigkeiten für das überwiesene Geld ausführen. Sein Zimmergenosse Amr kümmerte sich um jene Angelegenheiten, hielt den Kontakt mit den Personen, die das Geld schickten. Amr war sehr ernst geworden in letzter Zeit, saß oftmals stundenlang mit steinerner Miene und verschränkten Beinen da. Nachdenklich, ruhig war er geworden. Die anderen waren auch ernster, lachten nicht mehr wie früher, sprachen viel über Religion, Ungerechtigkeit, Ungläubige, den nicht zu rechtfertigenden Krieg, welchen die Ungläubigen in die Heilige Erde gebracht hätten. Auch sprach er oft von Rache und vom Sieg über die Teufel.

Achmed kümmerte das nicht. Er zog es vor, jeden Tag die Straßen entlang zu spazieren, an den Strand zu fahren, des Abends sich in der Via Candelai herumzutreiben, die zahlreichen Bars zu begutachten, ein Bierchen oder mehrere dort zu trinken. Seine Zimmergenossen schalten ihn oft deshalb. Ob er denn keinen Respekt habe vor der Religion und ihren Geboten. Achmed war es egal, keifte zurück, legte sich schlafen.

Als er die stickig miefige Behausung betrat, empfing ihn Amr mit sehr ernster Miene. Der Ventilator surrte, quietschte kurz bevor er seine Umdrehung vollendete. Die Fensterläden waren nur einen Spalt offen gelassen, ließen nur ein dünnes Bündel Sonnenstrahlen durch die Klinse in das Zimmer. „Wir haben eine große Aufgabe", sprach er salbungsvoll. Achmed wurde stutzig, fragte aufgeregt, um was es denn ginge. Amr zeigte ihm einen dicken Umschlag, den ein Bote vorbeigebracht hatte. Er fingerte ein Foto heraus, hielt es gegen den dünnen Lichteinfall. Es zeigte ein rothaariges, feinknochiges Männergesicht. „Diesen Mann", fuhr Amr fort, „werden wir treffen! Dann werde ich dir sagen, was zu tun ist."
„Na und was dann? Was soll das?" Achmed verstand nicht recht, was sein Freund meinte.
„Frag nicht! In ein paar Monaten fahren du und ich zusammen nach Mailand", antwortete Amr. „Hassan", er zeigte auf den Mitbewohner, der traurig ins Leere starrte, „fährt nach Wien!"


 

Hallo Echnaton!

Eine interessante Geschichte, oder, besser gesagt, eigentlich ja drei. Dadurch, dass Du die Geschichte in Palermo zum Schluss aufhebst, also quasi von hinten erzählst, baust Du auch eine gewisse Spannung auf. Ich finde es toll, dass Du aus drei ganz unterschiedlichen Positionen erzählst: der Fotograf, der sich freut, weil ein paar Bilder gut sind, die Reisende, die sich über die "Schikanen" ärgert (gekonnt mit Dialekt. Wirkt sehr gut, lebendig.), die drei Freunde, die die Kohle brauchen und den Job auch machen, obwohl zumindest einer von ihnen ein "normaler", vollkommen unfantischer Mensch zu sein scheint...
Du erzählst sehr beobachtend und auch sehr lebendig. Hat mir wirklich gut gefallen – und ist ja auch leider ziemlich aktuell...

„Reisende lagen bewusstlost“ bewusstlos

„Männer, Frauen, Kinder lagen mit verrenkten Gliedmaßen, die toten Augen weit aufgesperrt, durcheinander, teils ineinander verflochten, teils übereinander liegend am Boden“ zweimal liegen, ich würde schreiben:... teils übereinander...

„ließ ihr Hinterhaupt gegen die Gepolsterte Kopfstütze“ gepolsterte

„mußte sich bei der Bezahlung übers Ohr hauen lassen“ musste

„die Zahlreichen Bars zu begutachten“ zahlreichen

so, bei den Fehlern hab ich dieses Mal sicher einige übersehen...

liebe Grüße nach Wien...
Anne

 

Hallo Maus,

herzlichen Dank wieder fürs Lesen. Auch für die Fehlerfindung (seufz, ich werd wohl nie ohne Tippfehler schreiben lernen). Den Göttern sei Dank wieder stressfrei momentan (hoffentlich bleibt's so für einige Zeit) und Zeit zu schreiben, endlich wieder.

freut mich, daß es Dir gefallen hat. Derzeit habe ich nur solche Geschichten im Kopf, die anderen Konzepte gehen irgendwie nicht auf (Pomponia etc.). Mich berührt die aktuelle Lage einfach zu sehr.

Danke, daß Du Dich der Geschichte erbarmt hast

liebe Grüße

Echnaton

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Echnaton!

Dem Lob von Maus stimme ich zu. :) Aufbau, Erzählpositionen und Stil (incl. stilistischer Mittel wie Mundart in der direkten Rede) sind Dir sehr gut gelungen. :thumbsup:

Und auch Deine Idee, daß derartige "Gegenangriffe" ja praktisch überall auf der Welt stattfinden können, halte ich nicht für zu weit hergeholt. Daß es sogar Wien treffen könnte, halte ich auch für möglich, da ja oft irgendwelche Gespräche bei uns stattfinden, weil wir doch so schön neutral sind...
Den Irakern wird es bestimmt wichtig sein, sich an den hohen Tieren zu rächen, und die treffen sie nicht am Schlachtfeld, sondern überall dort, wo sie hinreisen.
Wenn ein amerikanischer Politiker irgendwo hinreist, ist der Zielort auf jeden Fall einem Risiko ausgesetzt, ebenso natürlich alle, die sich mit ihm im Flugzeug befinden. Die Rache kann überall hintreffen.

Allerdings ganz so einfach, wie Du es beschreibst, auch nicht. Du kannst heute, zumindest auf unserem Flughafen, überhaupt nicht mehr in einem Sackerl kramen und es dann irgendwo stehen lassen. Fahr mal hinaus auf den Flughafen und laß nur ein leeres Gepäckstück irgendwo stehen... :lol:
Zumindest behaupten sie das, daß sie jedes stehengelassene Gepäckstück usw. sofort entfernen und untersuchen. Aber wir könnten es ja ausprobieren. Fahren wir mit einem Plastiksackerl mit irgendwas drin nach Schwechat, kramen drin, tun dann so, als hätten wir es vergessen und gehen ein paar Meter weg, um zu beobachten...
Laß uns den Flughafentest machen. ;) - Wenn es mindestens eine Minute dauert, bis einer hingeht (und das ohne daß irgendein "Viech" ankommt), dann hast Du gewonnen und die Geschichte paßt. Leider. Wenn es schneller geht, mußt Du das ändern, gefinkelter schreiben... :D
Ich schreib übrigens auch grad eine Geschichte, in der Wien ein Ziel von Angriffen ist. Wenn Du meine genialen Ideen übertreffen willst, mußt Du Dir schon was anderes als ein Plastiksackerl einfallen lassen... :rotfl: - Allerdings wird meine Geschichte in den oben und von Maus erwähnten Punkten an Deine nicht heranreichen. ;)

Ein paar Fehler bzw. Wortwiederholungen hab ich noch gefunden, aber die poste ich Dir morgen. Nur den einen, gleich in der ersten Zeile, den sag ich Dir gleich: "Plötzlich war ein ohrenbetörender Knall ..."
Danach gehts eh erst auf Seite 2 meines Ausdrucks weiter (mit meinen Verbesserungsvorschlägen, Fehler ist der nächste erst auf Seite 3...) - wer bis dahin gelesen hat, der liest auch mit Fehlern weiter. :D

Alles liebe,
Susi

 

Hallo Häferl,

danke fürs Lesen, danke auch für die Kritik. Vielleicht stelle ich meine Geschichten zu schnell hinein, da finden sich immer wieder Tippfehler, ach ja!

Er schiebt das Palstiksackerl unter die Bank. Ich weiß nicht, wie schnell die Sicherheitsbeamten auf sowas reagieren, aber ich denkle, es wird immer etwas übersehen. So klein ist Schwechat auch wieder nicht. Ich laß es jetzt mal so stehen. Vielleicht fällt mir noch was ein. Auf den Test habe ich keine Lust, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Wie erklärt man dem Schckl dann "Wissen mia san aungehende Schriftstölla und probian aus, ob se wos übesegn", na ja, ich glaub da sind die nicht sehr mit Humor gesegnet, was das betrifft, umpf!

Aber, daß was übersehen wir, da bin ich mir sicher. Man kann keinen öffentlichen Ort der Welt lückenlos kontrollieren.

Auf Deine Geschichte bin ich auch gespannt.

Danke nochmals

Echnaton

 

Hi Echnaton,

deine Story ist sehr lebensnah verfaßt und daher auch sehr bedrückend. All das Unglück, Elend, Chaos und der Schmerz, der durch diese Anschläge verursacht wird, erreichen den Leser deutlich. Die Protagonisten sind jeder auf seine Weise sehr menschlich dargestellt, die Angst des Vaters um die Tochter, die Sorgen und Nöte des Fotografen, der Alltag der Terroristen, und jeder ist mit dem anderen unwissentlich verbunden durch die Ereignisse. Gerade diese Verbundenheit gefällt mir sehr gut, es hat ein bißchen was von Chaos-Theorie. Auch daß die Terrosten nicht allzu übertrieben als "Heilige Krieger" und Mörder im Namen Allahs dargestellt werden, hat mich sehr angesprochen. Auch sie sind schließlich Menschen, mit Wünschen, Zielen und Träumen und so falsch geschult wie ein Kampfhund, der von seinem Herrchen zu höchster Aggression gedrillt wird.
Über technische Fehler haben sich meine Vorkommentatoren ja schon ausgelassen, und ich habe die meisten auch beim ersten Mal überlesen, weil die Story einfach gut ist. :)

LG

Die Trainspotterin

 

Liebe Trainspotterin,

herzlichen Dank fürs Lesen und Dein Kommentar. Ich laß die Szene mit dem Flughafen jetzt mal, da ich doch der Abnsicht bin, daß nicht alles hundertprozentig durchgecheckt wird, vor allem in den Eincheckhallen und Einkaufsmeilen, wo sich ja immer sehr viele Menschen tummeln. Vielleicht finde ich noch eine kniffligere Lösung. Freut mich, daß Dich die Geschichte angesprochen hat.

Danke nochmals

liebe Grüße

Echnaton

 

Hi nochmal, Echnaton!

Also daß Du Dich nicht traust, mit mir den Plastiksackerltest zu machen, tststs... - Aber gut, is akzeptiert. ;)

Was ich noch gut finde in Deiner Geschichte ist die Darstellung des Unwissens. Wie sich jeder drüber ärgert, etwa daß auf der Straße nix weitergeht oder daß das Flugzeug umgeleitet wird. Die Menschen ärgern sich, fluchen auf dies und das, ohne mitbekommen zu haben, daß gerade eben Menschen gestorben sind. Irgendwie ein komischer Gedanke, obwohl ja niemand das zuvor weiß und deshalb ja auch nicht an sowas denkt.

Außerdem zeigst Du auch auf, daß die ausführenden Personen nicht unbedingt hinter dem Plan stehen. Sie nehmen die Scheinchen in der Not und sind dann praktisch dem Geldgeber verpflichtet. Sicherlich eine Möglichkeit, wie jemand in sowas hineinschlittern kann.

Das mit meiner Geschichte wird allerdings noch dauern, da ich noch ein paar Dinge erkunden muß (z.B. in welchen Längen gibt es Angelschnüre? :D). Ich hab sie gestern noch umgeschrieben und lasse jetzt einen Irren einen Anschlag verüben, bring es mit dem Krieg gar nicht in Zusammenhang. Is besser so.

So, jetzt aber zu meinen Vorschlägen:

"Schreie, die bald erstickten, ertönten."
- wirkt seltsam auf mich, wenn die Schreie - wenn auch nur in der Satzstellung - erst ersticken und dann ertönen. Vorschlag: Schreie ertönten und erstickten bald darauf.

Ab dieser Stelle mit den Schreien oder spätestens ab "In Panik" bis zum Ende des Absatzes würde ich die Situation ein bisschen genauer beschreiben, mit der Kamera ein bisschen näher an die Menschen heran, sozusagen.

"bekamen Atemmasken von den Sanitätern über das Gesicht gestülpt, doch die meisten starben. Scheiben wurden von röchelnd nach Atem Ringenden eingeschlagen, um nach draußen fliehen zu können. Sie trampelten über jene, die liegen geblieben waren, stiegen auf noch atmende Körper."
- würde schreiben "röchelnd nach Sauerstoff Ringenden" (da ja Luft auch nachher schonmal kommt)
- evtl. "stiegen auf (gerade) noch lebende Körper"?

"Taumelnd standen manche am Gehsteig, fielen zu Boden, krampften Hände, Beine, Arme, das Gesicht zusammen, rangen nach Luft, erstickten."
- würde "... Luft und erstickten." schreiben

"Er war auf dem Wege zum für ihn abgesperrten Ausgang."
- Ich weiß, Du verwendest es gern, aber hier kommt mir das "Wege" sehr komisch vor, finde ein simples "Weg" würde hier ausnahmsweise besser passen. ;)

"Knapp bevor er die Türe erreichen konnte, brachen er, seine Leibwache, sowie die Sicherheitsbeamten zusammen."
- klingt so, als würde nur er die Türe erreichen - würde deshalb die Aufzählung in den ersten Satzteil vorziehen, z.B. so: Knapp bevor er, seine Leibwache, sowie die Sicherheitsbeamten die Türe erreichen konnten, brachen sie alle zusammen.

"Reporter kreischten aufgeregt Berichte vom Ort Geschehens. „Monika.. um Gottes Willen"
- vom Ort des Geschehens
- Monika ... um

"Der Amerikanische Sonderbotschafter"
- Der amerikanische Sonderbotschafter

"Mürrisch setzte sie sich die Kopfhörer ihres CD-Spielers auf. Nach der Passkontrolle suchte sie verzweifelt eine Wechselstube, ..."
- Hier geht es zu schnell, sie ist dazwischen gar nicht gelandet. Jedenfalls saß sie für mich noch im Flugzeug und plötzlich ist sie schon nach der Paßkontrolle...

"eine Zwanzig-Euronote"
- eine Zwanzig-Euro-Note

"atmete den Hauch ihres Parfums, schielte auf ihr Gesäß, das sich im lockeren braunen Stoff ihrer Hose schaukelte, lauschte dem Rhythmus, ..."
- würde ein "ein" hinter Parfums setzen
- und ein "und" zwischen schaukelte und lauschte

"Irgendwann hieß es, müsse jeder von ihnen Tätigkeiten für das überwiesene Geld ausführen."
- Irgendwann, hieß es, ...

"ließen nur ein dünnes Bündel Sonnenstrahlen durch die Klinse in das Zimmer."
- Was ist denn eine "Klinse"?

Alles liebe,
Susi

 

Hi Echnaton,

eine sehr schöne und flüssig zu lesende Geschichte. Ich kann mich dem Lob der anderen nur anschließen.
Hab mich nur gewundert, warum den einen Attentäter Hussein ganannt hast.

Habe selber eine Geschichte über den Krieg geschrieben, weil ich mich bei jedem Bericht den sie darüber bringen immer tierisch darüber aufrege und einfach irgendwas dazu schreiben musste.

Gruß, Drumsmasher

 

Servus Häferl,

danke für die Vorschläge, ich hab jetzt mal Lösungen eingebaut, denke aber noch nach. Auch wieder mal für die Fehlerfindung Dank, manches übersieht man.

Hallo Drumsmahser,

Danke fürs Lesen und Dein Kommentar. Das mit Hussein war reiner Zufall, mir fallen halt nicht so viele arabische Namen ein, könnte Mahmad oder wie auch immer sein. Ich werd ihn vielleicht sogar ändern, damit da keine Assozitionen entstehen, die ich nicht beabsichtigt habe. Hat nichts mit dem Diktator zu tun. Mir geht das ganze auch sehr nahe, deshalb sind meine Geschichten momentan alle über dieses Thema. Ich rege mich bei den Berichten auch auf, wie Du eben geschrieben hast, hocke auch vor den Nachrichten, verwirrt und verängstigt.

liebe Grüße

Echnaton

 

Hallo Echnaton.


Ich hab mir deine Geschichte erstmal ohne Kommentare ausgedruckt.
Das meiste was an Fehlern drin war, hat die Ortho-gräfin ja schon gefunden.
Gut fand ich die Rückblende am Schluss, welche aber fast zu kurz erscheint, da hätte ich mir noch mehr Charakterisierung gewünscht.
Das Datum der Rückblende liest sich unvermuteterweise erstmal wie ein Schribfehler, vielleicht schiebst du noch das Wort "Rückblende" ein, dann wird es noch stimmiger...
Was mir sonst noch auffiel, sind die Wiederholungen der steinernen Gesichter.
Ich finde das erste "steinern" bei den Polizisten ist Ok, danach solltest du den Botschafter "undurchdringlich" und die Sicherheitsbeamten vielleicht "stählern" schauen lassen, dann klingt es nicht so Ideenlos( da hat er einmal ein Wort gefunden, und verwendet es nun immer) könnte man( der Leser) sonst annehmen.
Ansonsten fand ich die Geschichte ganz gelungen.
Gruß
Lord;)

 

Servus Lord,

danke fürs Lesen, das mit den steinern hab ich geändert, war wirklich zu viel des Steines, hast recht. Irgendwie ist mir das nicht aufgefallen. Die Rückblende, weiß nicht, muß noch drüber nachdenken.

Daß Ihr Euch sogar Geschichten ausdruckt, und Euch soviel Zeit nehmt, dafür gebührt jedem ein Extra-Dankeschön. Das muß man einmal erwähnen. Das ist nicht selbstverständlich und hilft angehenden Autoren, für die ja diese Seite ist.

liebe Grüße aus Wien (Kaiserwetter!!!)

Echnaton

 

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