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Gegen die Dunkelheit

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19.07.2008
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Gegen die Dunkelheit

Es ist kalt. Wir frieren. Doch das nur vorübergehend. Seit Stunden bombardieren die Deutschen unsere Häuser und die Stadt ist eine einzige verfallene Ruine. Im Morgengrauen sieht sie aus wie ein Skelett. Man fühlt sich wie in einem toten Körper, gefangen und machtlos. Doch in der Nacht haben wir die Möglichkeit, diesem ganzen Terror ein Ende zu bereiten. Flugblätter haben uns erreicht. Mutige Scharfschützen haben Unzahlen an Deutschen erschossen, Spezialeinheiten aus Sibirien sind für hunderte zerstörte Panzer verantwortlich. Und wir werden die Infanterie sein, die Russland ein Stück nach Berlin bringt. Wir sind ein Volk. Wir sind Helden. Wir kämpfen für das Richtige. Die Nazis haben meine Freunde getötet, von meiner Familie habe ich seit Tagen nichts mehr gehört. Wir sind in den Untergrund gezogen, in die Keller, um der von den Flugzeugen kontrollierten Luft den Rücken zu weichen. Nachts sehen sie uns jedoch nicht. Es wird ihnen nicht gelingen, unseren Willen zu brechen. Wir sind unsterblich. Die Deutschen und ihr System haben keine Überlebenschancen. In all ihrer Arroganz sind sie in unser Land einmarschiert und hatten Erfolge, doch die Erfolge werden selten, die Niederlagen häufen sich. Sie haben keine Ahnung.

Wir schleichen los. Ein oder zwei Veteranen sind in unserer Gruppe. Sie haben Maschinenpistolen. Einige von uns tragen Munition, einige Gewehre. Es wird reichen. Sobald unsere ersten Gegner ihre Waffen fallen lassen, sind wir vollständig ausgerüstet.

Wir bleiben stehen und blicken umher. Es ist still. Der erste in unserer Einheit späht um die Ecke und nickt uns zu. Wir gehen weiter. Schutt und halbe Gebäude ragen in den Nachthimmel. Sie bieten Schutz. Wir robben, kriechen und hören. Doch es ist nichts. Kälte durchdringt meine Genossen und mich. Es ist bald vorbei. Mein Gewehr der Marke Mosin Nagant liegt schwer in meinen Händen. Ich habe noch nicht viel damit geschossen. Doch es ist kinderleicht. Entsichern, zielen, abdrücken und repetieren. Fünf mal. Dann nachladen und von vorne beginnen. Es ist kinderleicht. Die Straße auf die wir blicken, brennt. Tote liegen in der Gosse. Es sind Deutsche vom Morgen, am Mittag starben hier Russen. Insgesamt wurde diese Einbahnstraße zehn Mal von den Deutschen eingenommen. Das wird ihnen nicht mehr gelingen. Einer meiner Genossen packt heimlich ein Kreuz aus und küsst es. Dann steckt er es schnell wieder weg. Der Veteran in der Reihe blickt über den Schutthaufen vor sich. Da hinten ist es wieder dunkel.

Wir haben unsere Ausbildung im Keller erhalten. Ein guter Kommunist und ehrenvoller Veteran erklärte uns alles über Mut, Ehre und unseren großen Führer Stalin. Wir haben die Macht, sagte er. Die Deutschen sind reich an Waffen, doch an Mut und Stärke fehlt es ihnen. Sie werden unserem Hass und der gerechten Sache nicht standhalten. Wir werden den Sieg mit uns bringen.

Der Veteran ist dürr, zittert am ganzen Leibe. Doch er ist willensstark. Er kann kämpfen. Seine verstümmelte Hand geht langsam in die Luft und zuckt in Richtung Dunkelheit. Schnell. Zweimal. Wir holen tief Luft. Der Alkohol wirkt noch. Wodka soll uns mutig machen, doch die meisten meiner Genossen haben noch nie welchen getrunken und haben Probleme, richtig zu laufen. Ich hebe mein Gewehr. Drei Kugeln. Sie sollten genügen. Drei tote Deutsche. Dann nehme ich mir eine neue Waffe. Es geht los.

Die Artillerie und Maschinengewehre bilden die ganze Geräuschkulisse in der Stadt. Diese mittlerweile entspannende Monotomie wird jäh unterbrochen.
„ANGRIFF“, schreien wir alle auf einmal. Mit großem Gebrüll richten wir uns auf und rennen gen Dunkelheit. Schwach erkennt man zwei riesige Hakenkreuzflaggen an den Fassaden noch stehender Häuser wehen. Ich sehe eine kleine Bewegung im Dunkeln, hebe mein Gewehr und schieße. Dann renne ich weiter. Etwas Unverständliches kommt von der anderen Seite. Es ist ebenfalls ein Schrei, auf Deutsch. Wir brüllen auf einmal wie die Wilden los. Schreien gegen die Dunkelheit, rennen in sie hinein. Vereinzelte Schüsse meiner Genossen heben die Kampfmoral der Gruppe. Wir rennen ungefähr hundert Meter. Dieser Moment ist glorreich.

Auf einmal zischt es hunderte und aberhunderte Male neben meinem Ohr. Ein hämmerndes, primitives Geräusch ertönt und der Veteran vor mir wird mit einem Mal zerfetzt.
MG42. Einige bleiben verdutzt stehen, die meisten rennen weiter auf das Ziel zu. Fünf vor mir werden erschossen. Ihre Körper fallen, ihre Köpfe zerspringen. Einige werden in dem Feuer blitzschnell zu Krüppeln, fallen und halten den Rest der zerstörten Körperteile. Sie schreien nicht mehr den Namen von Stalin oder Wörter wie Freiheit. Sie schreien auf einmal nach ihren Familien. Die meisten schreien nach ihrer Mutter. Doch ihre Schreie halten nur so lange an, bis eine weitere Welle des Todes über sie hereinbricht. Ein aufsteigender Rauch aus dem Maschinengewehr. Wir schreien und schießen, rennen weiter ins Dunkle. Ich stelle mich aufrecht hin und ziele auf den Rauch. Betätige den Abzug. Doch es nutzt nichts. Der Deutsche schießt einfach weiter. Meine Genossen rennen auf das Ziel zu, der eine mit einer roten Flagge in der Hand. Ihre jungen Körper zerfetzen im Sturm des Maschinengewehrfeuers. Ich sprinte. Schreie ertönen. Jetzt oder nie. Ich kann die Deutschen und ihre angstverzerrten Gesichter schon sehen. Ich lasse mein Bajonett aufspringen und setze zum Sprung über die Sandsäcke an.

Zwei 7.92er Kugeln zerschmettern meine rechte Schulter und ich falle zu Boden. Ich sehe den Toten, auf dem ich liege. Ein Deutscher. Die Gosse wird gefüllt. Mein Blickfeld verschwimmt. Ich bin der Letzte. Meine Genossen winden sich in Schmerzen oder versuchen, wegzukriechen. Sie werden kaltblütig exekutiert. Zwei deutsche Landser gehen mit ihren Pistolen los und schießen jedem Überlebenden in den Kopf. Vierzig neue Leichen. Ich denke an das, was mir erzählt wurde. Wer hat uns belogen? Leise triumphieren die Deutschen auf der anderen Seite. Doch sie haben Angst. Ihnen wurde das gleiche gesagt wie uns. Und auch sie werden den Phantasien von Verrückten erliegen. Der eine der beiden Deutschen legt seinen kalten Lauf auf mein Genick. Es ist kalt. Ich friere. Nun für immer.

Stalingrad, Oktober 1942

 

Hallo Jackass!

Die historischen Fakten in deiner Geschichte sind mir etwas zu dünn gesät.
Du könntest z.B. das Kampfgebiet bezeichnen, etwa das Traktorenwerk Dserschinski oder das Stahlwerk Roter Oktober, ebenso ein oder zwei Namen Russischer Generäle erwähnen, die für die Verteidigung bzw. Rückeroberung dieser wichtigen Anlagen zuständig waren.
Auch kann ich mir nicht vorstellen, das die nächtlich Lufthoheit über Stalingrad (ab ca. Ende Oktober) nur damit zu begründen ist, dass die Deutschen Flieger nichts sehen konnten.

Nun noch ein paar Kleinigkeiten:

Flugblätter haben uns erreicht. Mutige Scharfschützen haben Unzahlen an Deutschen erschossen, Spezialeinheiten aus Sibirien sind für hunderte zerstörte Panzer verantwortlich. Und wir werden die Infanterie sein, die Russland ein Stück nach Berlin bringt.
Diese Flugblätter würd ich weiter oben im Text erwähnen. Etwa hier:
Doch in der Nacht haben wir die Möglichkeit, diesem ganzen Terror ein Ende zu bereiten. XXXXXX Wir sind ein Volk. Wir sind Helden.

Die Artillerie und Maschinengewehre bilden die ganze Geräuschkulisse in der Stadt. Diese gleichmäßige aber trügerische Ruhe wird jäh unterbrochen.
Wenn MGs rattern, ist es nicht ruhig, sondern laut.

Zehn 7.92er Kugeln fressen sich durch meine Eingeweide und ich falle zu Boden. Ich sehe den Toten, auf dem ich liege. Ein Deutscher. Die Gosse wird gefüllt. Ich bin der Letzte. Meine Genosse winden sich in Schmerzen oder versuchen, wegzukriechen. Sie werden kaltblütig exekutiert. Vierzig neue Leichen. Ich denke an das, was mir erzählt wurde. Wer hat uns belogen? Leise triumphieren die Deutschen auf der anderen Seite. Doch sie haben Angst. Ihnen wurde das gleiche gesagt wie uns. Und auch sie werden den Phantasien von Verrückten erliegen. Es ist kalt. Ich friere. Nun für immer.
Ein wenig übertrieben. Bei ein oder zwei Körpertreffern, die nicht direkt auf eine der großen Adern treffen, kann ich mir noch ein paar letzte Gedanken des Opfers vorstellen.
Bevor Blut aus einer Schusswunde strömt, wird es durch das Projektil zunächst (im Adersystem) komprimiert. Diese Schockwelle erreicht auch das Gehirn, wo augenblicklich kleine Adern platzen. So jedenfalls hab ich das im Sinn. Falls ein Arzt anwesend ist, kann er mich gerne korrigieren.

Gruß

Asterix

 

Hey Asterix
Danke für das schnelle Kommentar und die Kritikpunkte. Ich werde das mit den Flublättern ändern. Ich wollte insgesamt nich allzu präzise historische Details in die KG packen. Es geht nur um den Stalinismus in seiner vollen Pracht und wie er die Leute tw. manipuliert hat. Das Stahlewrk und die Traktorenfabrik waren zu große Ort in Stalingrad, als dass man sie glaubwürdig für eine derart kleine Auseinandersetzung nehmen könnte, dachte ich jedenfalls.
Mit dem Denken des angeschossenen Protaagonisten bin ich mir ebenfalls nicht so sicher. Ich werde auch das ändern.

Viele Grüße,
Jackass

 
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Moikka Jackass,

erstmal ein dickes Lob, daß eine Geschichte aus dieser Perspektive erzählt wird, das ist ja nicht ganz gewöhnlich.

Du hast gewissermaßen das Pech, daß ich gerade nochmal Schukows Memoiren zur Schlacht um Stalingrad gelesen hatte, und meine Kritik jetzt etwas harscher ausfällt: dieser Text liest sich wie eine sehr reduzierte Nacherzählung in eigenen Worten, wobei sich keine eigenständige Perspektive oder Besonderheit ausmachen läßt. Er ist seelenlos, wie ein Schulaufsatz aus Innenperspektive eines Soldaten. Mit ein bißchen mehr Recherche, ein paar Büchern mehr - nicht nur Sachbüchern - ließe sich bestimmt leicht etwas Feines aus der Geschichte machen.

Es fehlt hier an zeitgemäßer Sprache, an Alltagssituationen (ja, mitten auf dem Schlachtfeld), Absurdem, Chaos, Emotionen, die über plakatives Heldentum, Triumph, Angst hinausgehen. Etwas, das Deine Figuren nicht nur zu Nebendarstellern in geliehenen Kostümen macht, die brav ihren Text zu Volk und Vaterland aufsagen.

Wir sind ein Volk.
Ähem, meinst Du das hier irgendwie ironisch? Als Tabubruch in diesem Zusammenhang schon wieder mutig. Ich fürchte aber, das war nicht Intention.

Mein Gewehr der Marke Mosin Nagant liegt schwer in meinen Händen.
Könnte man anders unterbringen. Ich trage vielleicht eine Jeans der Marke Tiger of Sweden, aber bei Waffen spricht man a) von Hersteller, und b) nicht so als Selbstgespräch. Wäre ich im Schützenverein und wollte eine Runde Zielschießen gehen, würde ich sicher nicht denken: "Ich nehme jetzt mal meine Sig Pro 2009 und suche mir eine freie Range."


Seit Stunden bombardieren die Deutschen unsere Häuser und die Stadt ist eine einzige verfallene Ruine.
Überleg das mit den "Stunden" doch nochmal. Anders als die sowjetische, war die deutsche Luftwaffe in der Lage, auch nachts Angriffe zu fliegen, und das geschah beinahe pausenlos. Würde ich so benennen, alles ein bissl konkreter.
"Unsere Häuser" = ist das konkret oder im übertragenen Sinne gemeint? Die wenigsten Kämpfer waren in der Stadt ansässig gewesen.

von meiner Familie habe ich seit Tagen nichts mehr gehört.
Ebenso hier: Wochen, oder Monate, würde es besser treffen, auch die Verzweiflung, Sehnsucht deutlicher machen.
Klingt außerdem, als sei er der einzige, der kämpft, und alle - Mutter, Vater, Oma, Opa, Kleinkinder - würden irgendwo zusammen sitzen und warten.

Wenn ich in historischen Dokumenten lese, bzw. von russischen Freunden höre, wie über die Heimat gesprochen wird, ist mir das hier viel zu schlaff, emotionslos. Was symbolisiert denn die Heimat? Was für Bilder haben diese jungen Soldaten (und Soldatinnen!) im Kopf? Aus welcher Region kommen sie, wie sieht es dort aus? In Russland ist das Verhältnis zum Land, Heimatregion, nicht ansatzweise so distanziert und spröde wie in Deutschland.

Die Nazis haben meine Freunde getötet
Das klingt nach einem Autonomen, den die Neonazis platt gemacht haben, sori. Keinesfalls würde von "Nazis" gesprochen werden, passender würde man von "Faschisten" reden, "Freunde" wären "Kameraden".

Unwahrscheinlich, daß jemand bei der Munitionsknappheit einfach auf's Geradewohl "in den Rauch zielt", auch, daß öh die Jungs nie vorher Votka getrunken hatten, und da durch die Gegend schwanken.

Vielleicht wäre es sinnvoller, hier einen winzigen Ausschnitt zu präsentieren, als ein generelles Schlachtenbild zu entwerfen, und - wie ja Asterix auch bemerkte - einige Bezeichnungen, Namen einzuflechten. Die 62. Armee wäre sicher gebräuchlicher als "sibirische Einheiten", selbst wenn dies nicht falsch ist. Krasny Oktybar, der Mamayev Kurgan als Orte, oder Paulus und Schukow sollten mal Erwähnung finden, weniger Stalin, der hier nicht direkt eine Rolle im Alltag spielte. Es wurde nicht 'für Stalin' gekämpft, sondern um die Stadt, das Land selbst. Soldaten eines überfallenen Landes kämpfen für anderes, als die Angreifer, auch wenn man auf anderen Ebenen sicher Stalin mit Hitler vergleichen kann.
Stalingrad brach dem Faschismus faktisch wie ideologisch das Rückgrat, mir fehlt hier der Eindruck eines Wendepunktes (die Sache mit 'Berlin' reicht mir nicht; und so kurz ist das Stück Weg auch nicht).

Bei Straßenschlachten, in denen Häuser über 20 Mal am Tag den "Besetzer" wechseln, gilt es, Orte konkret zu bennenen, nicht

Insgesamt wurde diese Einbahnstraße zehn Mal von den Deutschen eingenommen.

Wenn ich bei Schukow nur ein paar Seiten um den Kampf im Bahnhofsgebäude lese, bekomme ich Gänsehaut: Sowas würde für diesen Text besser funktionieren: Ein abgegrenzter Raum mit enorm dramatischen Konfliktpotential. Da könntest Du alles erzählen, viel intensiver als auf so breiter Ebene für einen Außenstehenden aus der heutigen Zeit möglich.

Hoffe, Du kannst damit was anfangen, an sich bin ich - trotz des Gemeckers - ganz angetan vom Grundton Deiner Geschichte. Eine gründliche Ausarbeitung, Intensivierung, würde sich lohnen!
;)

Poka-poka, Katla

P.S. Ein ausgesprochen schöner Titel, übrigens! :-)

 

Hey Katla,
danke für die Kritik. Ich muss ehrlich sein; Ein Sachbuch, Unterhaltungsmedien und das Internet sind meine Informationsquellen für diesen Text. Ich weiß auch nicht allzu viel über Russland. Den 2. Weltkrieg habe ich mit großem Interesse untersucht und ich weiß nur, dass auf russischer Seite 20 Millionen Menschen gestorben sind. Das wird größenteils an den Unzahlen der zivilen Opfer liegen, jedoch auch an der Taktik der Roten Armee. Das hat mich beschäftigt, aber weiter mit Fakten habe ich mich in der Tat nicht auseinandergesetzt.

LG, Jackass

 

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