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Gefräßigkeit

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15.08.2006
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Gefräßigkeit

Es ist kein Hunger, den ich verspüre, auch kein Appetit. Es ist eine Art kalte, gierige Gefräßigkeit, die mir keine Ruhe lässt. Ich beiße in den trockenen Toast und schlucke ihn ohne zu kauen. Es bringt mir nichts, es fühlt sich an, als würde das Brot ohne Umwege durch mein Gedärm rauschen. Ohne Nährstoffe abzugeben, ohne mir auch nur im Geringsten Befriedigung zu geben. Ich würge ein paar weitere Bissen herunter und starre vor mich hin, während ich überlege, was ich als nächstes essen könnte.
Der Kühlschrank ist ebenso leer, wie sich mein Magen anfühlt. Lediglich im Speiseschrank befinden sich ein paar kümmerliche Reste. Hätte der Volksmund wirklich recht mit dem Ausspruch `Du bist, was du isst´, was wäre ich nun, nachdem ich mir ein halbes Pfund Weizenmehl und eine fast leere Packung gerösteter Zwiebeln in die Kehle geschüttet habe? Ich spare mir das Kauen und schlucke so schnell es geht. Ein kulinarischer Genuss hätte ohnehin nicht auf mich gewartet. Es ist der letzte verzweifelte Versuch das Loch in meinen Bauch zu füllen und wieder bleibe ich unbefriedigt zurück.
Mein Blick schweift über den Küchenboden, der mit leeren Verpackungen besät ist. Pizzakartons, Konserven, aufgerissene Tütensuppen und dergleichen liegen in einem wüsten Wirrwarr herum und ich kann nicht begreifen, dass ich all das gefressen haben soll und dennoch ein leeres Gefühl in meinem Bauch spüre.
Mit einer Handbewegung wische ich den Küchentisch vor mir ab und der ganze Müll, die Teller und meine ehemals heiß geliebte „Ich bin der Boss“-Kaffeetasse fallen polternd auf die Küchenfliesen. Wie ein getriebenes Tier springe ich auf, um die Pizzapackungen zu inspizieren. Vielleicht finde ich noch ein Stück Kruste, oder etwas am Deckel festklebenden Käse. Ich bin mir zwar fast sicher, dass ich da schon vor dem Weizenmehl und den Röstzwiebeln nachgeschaut habe, aber sicher ist sicher. Ich finde natürlich nichts und bin so gefrustet, dass ich ein Stück aus dem Pizzakarton reiße und es mir in den Mund stecke. Schmeckt nicht schlechter als das Mehl, oder die fürchterliche Suppe von heute Mittag. Ich beschließe noch einmal den Pizzadienst kommen zu lassen. Diesmal bestelle ich gleich ein Dutzend. Mit extra Käse, einem ganzen Laib am Besten.

Ich nehme die leeren Kartons mit ins Wohnzimmer, damit ich beim Fernsehen etwas zu Knabbern habe, während ich auf den Pizzamann warte. Hier draußen dauert es eine halbe Ewigkeit, bis sie liefern. Meine Adresse kennen die Jungs aber zum Glück bereits bestens.
Natürlich schalte ich genau zur falschen Zeit ein. Auf dem ersten Sender werkelt ein Fernsehkoch mit einem unsagbar dämlichen Gesicht herum, aber was er da vor sich hinköchelt weckt die Biester in meinen Eingeweiden von Neuem. Im krassen Gegensatz dazu erzählt mir eine Werbung auf dem nächsten Kanal vom Hunger in der Welt, den es zu bekämpfen gilt. Was kümmert mich der Hunger in der Welt, wenn ich selbst ein Loch im Bauch habe? Wie kann mich irgendetwas interessieren, wenn mich diese rastlose, quälende Leere in meinem Inneren quält? Genervt schalte ich den Fernseher aus und beiße in die Fernbedienung. Zu meiner Überraschung schaffe ich es tatsächlich ein beachtliches Stück aus ihr herauszureißen. Ich beiße noch ein Stück ab, dann noch eins. Schließlich ist die Fernbedienung vollständig in mir verschwunden. Jetzt werde ich wenigstens nicht mehr auf die Idee kommen dieses Ding einzuschalten.
Um diese Gefahr ganz zu bannen packe ich das Gerät und schleudere es gegen die Wand, wo es mit einem lauten Knall zerschellt. Ich beginne die abgesplitterten Teile aufzulesen und mir in den Mund zu stecken. Sie schmecken besser als die Fernbedienung. Wo bleibt eigentlich der Pizzajunge??
Endlich klingelt es und ich stürme zur Tür, wie ein kleiner Junge an seinem Geburtstag. Ich öffne, aber da steht keiner der Pizzalieferanten, die ich mittlerweile alle mit Namen kenne, sondern meine Freundin. Etwas in ihrem Blick wirkt verstört, ob das an mir liegen könnte? Ich hatte ganz vergessen, dass sie kommen wollte. Mir ist es recht, denn heute sieht sie geradezu köstlich aus…

ENDE

 

Hallo moehrle,

puh, wo ist die Grenze der Satire zum Surrealen hin? Über Pappe, die auch nicht schlechter schmeckt als unser geschmacksneutraler Einheitsfraß, habe ich bereits öfter hier gelesen. Das Verspeisen der Fernbedienung erinnert mich bestenfalls an das Sams von Paul Maar. Während die Schilderung des Hungers bei leerer Küche und die verzweifelte Suche nach irgendetwas Essbarem ziemlich an die Beschreibung von Henry Miller in "Wendekreis des Krebses" erinnert. Eine sonderbare Mischung, die mich beim Lesen ratlos zurück lässt.

Schon die zwölf bestellten Pizzen stehen im Gegensatz zu der doch sehr realistischen Schilderung der leeren Küche. Bei zwei Pizzen hätte der Wiedererkennungswert eingesetzt, bei drei die gewollte Übertreibung. Bei zwölf bricht die Absurdität in die Geschichte ein, ohne dass hierfür ein dramaturgischer Grund vorliegt.

Satire definiert wikipedia als "eine Spottdichtung, die mangelhafte Tugend oder gesellschaftliche Missstände anklagt." Da liegst du mit dem Geschmack der Pappe noch ganz gut im Rennen. Schon mit der Fernbedienung driftet du in ein anderes Genre ab. (Die Kritik am Fernsehprogramm hier zur Gesellschaftskritik umzubiegen wäre sehr gewollt, da der Kern deiner Story ja auf dem Hunger liegt, der den Protagonisten dazu bringt, eben jene Fernbedienung und schließlich den Fernseher zu verspeisen.)

Gefallen hat mir hingegen der Schluss. Da du mittlerweile ohnehin im Surrealen gelandet bist, erscheint auch das Verspeisen der Freundin durchaus als im Rahmen des Möglichen liegend. Und damit transportierst du die Geschichte auf eine neue Ebene.

Herzliche Grüße,
Ennka

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo moehrle,

ob dies Satire ist, weiss ich auch nicht. Mich hast Du als Leser allerdings immer schon begeistert, wenns irgendwie ums Essen geht. Die Uebertreibung finde ich grundsaetzlich gut. Warum Surreales eines dramaturgischen Grundes bedarf, ist mir nicht ganz klar. Als Element in einer ansonsten realistischen Geschichte ok, aber wenn die ganze Geschichte surreal ist, dann ist sie es eben, weil der Autor es so will. Das Mittel der Steigerung ist da vollkommen ueblich, bedeutet also keinen Bruch.
Mir ist die Geschichte hoechstens etwas kurz. Es fehlt an sinnlichen Details. Mehl zum Beispiel wird zu einem schleimigen Klumpen mit pulverigem Kern, wenn man es so in den Mund nimmt (hab' ich gelesen!). Es waere auch huebsch, ueber die Knusprigkeit und den metallischen Geschmack bestimmter Fernbedienungsteile zu lesen. Oder ueber das saeuerlich-suessliche Prickeln, wenn die Zunge den Pol einer Batterie beruehrt (wieder angelesenes Wissen). Wie wird die Tuetensuppe gegessen? Bestimmt trocken mit dem Loeffel aus der Tuete und dann mit dem angefeuchteten Finger die letzten Kruemel aufpicken.

Was ich schoen fand, ist das Verspeisen des Pizzakartons, die Steigerung vom am Deckel klebenden Kaese zum Karton selbst. Das ist so wunderbar unwuerdig.

Auch schoen: "kalte, gierige Gefraessigkeit"

Mein Blick schweift über den Küchenboden, der mit leeren Verpackungen besät ist.
uebersaet.

Also, vom Ansatz her schon gut, aber da geht noch mehr! Mein Rat: Noch eine Schippe draufpacken.

lg
feirefiz

 

Hallo moehrle,

schon Ennka hat sich um die Frage gesorgt, ob das eine Satire ist oder nicht und versucht, dir die Wikipedia-Definition nahe zu bringen.
Ich machs mir einfacher und verweise auf die Definition, die am Anfang dieses Forums den Versuch unternimmt, dem künftigen Satiriker mitzuteilen, was hier auf kg unter einer Satire zu verstehen ist.

Deine Darstellung weicht erheblichst von diesem Definition ab. Ich lasse mich aber gern des Gegenteils überzeugen. Dazu stelle ich die Frage an dich, was genau du mit deiner Geschichte kritisieren wolltest, welches Thema hat deine Satire?
Ansonsten wäre ich fürs Verschieben in die Abteilung Seltsam.

Die Geschichte selbst hat mir nicht so arg gut gefallen, mir fehlt der rote Faden. Nein, nicht der Erzählfaden, sondern mir fehlt es an Aussagekraft. Eigentlich beschreibst du nur jemanden, der esssüchtig ist und verdrehst den Sachverhalt ein wenig ins Skurrile. Diese Blickrichtung, quasi aus dem Winkel des Betroffenen betrachtet, hat mir wiederum ganz gut gefallen. Aber ausser der Schilderung, was alles vertilgt wird, gewinnt der Protagonist bei mir nicht an Konturen. Ich weiß nicht, ob ich ihn mag oder nicht mag.

Vielleicht solltest du ihn noch etwas mehr essen lassen, aber dafür Gehaltvolleres? ;)

Lieben Gruß
lakita

 

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