Gefangen
Wir stehen stramm in einer Reihe.
„Durchzählen!“ Ertönt die laute Stimme des Aufsehers.
„Na los! Habt ihr nicht gehört? Los Du fang an!“
„1“ Sage ich und ich merke wie mein Körper zittert. Aus Angst vor dem Aufseher . Angst davor, ihn bloß nicht zu verärgern.
„2“ Sagt der neben mir.
„3....4....5....“ und so geht es die Reihe weiter bis an das Ende welches ich schon gar nicht mehr hören kann.
„Alle vollzählig“ Tönt es von dem anderen Ende her.
„Links um und abmarsch in die Zellen“ Kommandiert der Aufseher und wirft mir einen äußerst strengen Blick zu. Ein Blick, den ich lieber nicht erwidere. Ich senke meinen Kopf , schaue auf den Boden und laufe los.
1,2,3,4,5 dann sind wir bei unseren Zelle angelangt. Die Türen gehen auf .
1,2,3,4,5 wir sind in unseren Zellen.
Jeder in seiner eigenen für sich. Die Tür schließt sich hinter mir mit einem lauten Knall.
Jetzt bin ich in Sicherheit. Wenigstens für die nächsten paar Stunden. Bis sie uns wieder abholen , zum Frühstück.
1 Aufstehen - Durchzählen
2 Frühstücken - Durchzählen
3 Mittagessen - Durchzählen
4 Abendbrot – Durchzählen
5 Nachtruhe
Das ist der Tagesablauf der sich eingeprägt hat. Reine Routine. Programmiert wie Maschinen. Ein Abweichen wird verhindert und egal welche Katastrophe über uns hineinbricht, der Plan ist einzuhalten.
1,2,3,4,5 zähle ich die Breite meines zu Hauses.
1,2,3,4,5 auch in der Länge.
5*5 = 25 Das ist mein zu Hause.
Diese stumpfe Routine. Sie kann einen zermürben. Bis jeder bereit ist das zu tun, was von ihm verlangt wird. Bis die Mächtigen einen dazu gebracht haben, alles zu befolgen was sie wollen. Ohne Angst davor zu haben, es könnte jemand widersprechen.
Ich bin hierher gekommen, weil ich mich nicht fügen wollte. Weil ich anders war. Weil das jemandem Angst machte. Ich war nicht der einzige. So sind wir alle hierher gekommen. Jeder ist anders, aber für die Mächtigen sind wir nur eines: Lästig. Ein Hindernis in ihren Plänen, das beseitigt werden muss. Wer nicht beseitigt werden will, der muss sich fügen. Jeden Tag , jede Nacht, ohne Widerspruch. Auch daran könnte ich mich gewöhnen, aber ich will nicht.
Ich habe gehört , dass ein Ausbruch geplant ist . Nicht dass es etwas besonderes ist. Es ist schon oft probiert worden, aber wurde immer wieder aufgedeckt. Einigen wenigen ist es geglückt, so erzählt man sich. Vielleicht erzählt man es sich , damit der Glaube daran, dass es möglich ist nicht aufgegeben wird.
„Machst du mit?“ flüstert eine Stimme aus der Nachbarzelle.
„Weiß nicht“ antworte ich.
„Diesmal wird es etwas ganz anderes!“ flüstert die Stimme weiter.
„Etwas großes, wir haben doch alle nichts mehr zu verlieren“.
Da hat er allerdings Recht. Nichts mehr zu verlieren. Das einzige was einen am Leben hält, ist dieser Wille einfach am Leben zu bleiben, egal wie die Umstände dazu sind.
„Wie kann ich schon helfen?“ Kommt es aus mir resignierend hervor.
„Mach einfach mit , wenn es losgeht! Dann haben sie keine Chance uns mehr aufzuhalten“ Antwortet die Nachbarzelle.
„Wohin wird es gehen mit uns ,wenn wir hier raus sind?“ frage ich, denn auch wenn es möglich war hier auszubrechen, wohin sollten wir schon fliehen? Ohne entdeckt oder wiedergefunden zu werden.
„Dahin wo wir bestimmt sind hinzukommen. Unser aller eigentliches Ziel!“
Das ist natürlich ein Argument. Allein bei der Vorstellung daran beginnt in mir ein Feuer aufzuflackern.
„Stillgestanden, heraustreten“ertönt es wieder.
„1,2,3,4,5“
Die Zellen öffnen sich. Doch es kommt keiner heraus.
„Los! Habt ihr nicht gehört?“ Aggressiv ist der Unterton der durch die Flure donnert.
„Es geht los!“
Und alle Gefangenen sprengen ihre Ketten , stürmen aus ihren Zellen, werfen sich auf die Aufseher. Alles rennt, alles ist auf den Beinen. Alle sind auf den Weg um hier auszubrechen.
Und wir brechen aus. Brechen die Waffen, brechen die Ketten, brechen das Zählen, brechen die Routine, überrumpeln alle. Wir sind frei.
Gedanken sollten frei sein. Sie dürfen nicht gefangen werden. Nicht eingeschränkt.
Wir laufen vorbei an allem , lassen alles hinter uns, gelangen in die Hand des Schreibers und wir sind frei. Wir waren Gedanken, geformt aus Wörtern, in dem Geiste, befreit auf einem Blatt Papier . Das Blatt wurde weitergereicht in die Druckerpresse, tausendfach vervielfältigt, verteilt.
„Gedanken sind frei“