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Gefangen
Er starrt mich an. Dunkle Augen die tief in den Höhlen liegen, eine scharfe Nase, drei Tage Bart. Er ist nackt und seine Nacktheit widert mich an. Widert mich so sehr an, dass mich das unbändige Verlangen überkommt, ihn zu verletzen, zu zerschneiden, zu zerreißen und diesen ekelerregenden Körper ein für alle mal zu zerstören. Wenn ich könnte würde ich ihm ein Messer in seine Kehle rammen und in herrlich warmem, klebrigen Blut baden.
Er geht. Zurück wo er hergekommen ist. Lässt mich hier in diesem kleinen engen Loch alleine sitzen und auf das Ende aller Tage warten. Seiner Tage. Oder meiner? Ungewiss. Er hat das Licht an gelassen. Wieder einmal. Ich starre auf die gekachelte Wand vor mir. In den Fugen hat sich wegen der Feuchtigkeit Schimmel fest gesetzt. Kaum sichtbar, aber wenn man gezwungen ist eine Fläche so lange an zu sehen erkennt man die Details. Eine kleine Spinne krabbelt schnell in Richtung Decke und umkreist dabei geschickt die eisernen Haken an der Wand.
Er kommt zurück und macht das Licht aus. Um mich herum wieder nur Schwärze. Das leise Summen eines überforderten Ventilators dringt gedämpft zu mir durch, wie überhaupt alles nur gedämpft hier ankommt. Unwirklich. Surreal.
Ich schließe die Augen und denke an Freiheit. Daran wie sie wohl sein muss. Ich kenne keine Freiheit. Habe sie noch nie erlebt. Der Duft der weiten Welt ist für mich nur die abgestandene Luft meines Kerkers, geschwängert von Zigarettenrauch aus dem Nebenraum. Aber ich habe davon gehört. Von der Freiheit. Er hat mir davon erzählt. In den Liedern die er gelegentlich mit seiner schiefen Stimme leise vor sich hin singt wenn er hier ist. Eines Tages werde ich meine eigenen Lieder singen. Vielleicht schon bald.
Er kommt noch einmal herein. Schaltet das Licht ein und wirft einen kurzen, prüfenden Blick auf mich. Er lächelt. Ich hasse es wenn er lächelt, aber um ihn nicht nervös zu machen lächle ich auch. Ein gequältes Lächeln. Er bemerkt es nicht. Schwärze.
Stunden später, von denen ich nicht sagen kann ob sie sich wie Sekunden oder Jahre angefühlt haben weil Zeit keine Bedeutung für mich hat, kommt er wieder. Ich kann es hören. Die Tür geht auf und mit schweren Schritten stolpert er herein. Seine Hand sucht den Schalter. Fährt mit unkoordinierten Bewegungen an der Wand auf und ab. Er findet ihn. Blinzelt, geblendet von der plötzlichen Helligkeit, wendet sich ab und erbricht sich vor meinen Augen. Besoffenes Schwein. Widerwärtiges, dreckiges, besoffenes Schwein.
Dann kommt er zu mir. Stützt sich mit den Händen am Eingang meines kleinen Gefängnises ab und schiebt sein Gesicht ganz nahe an meines. Ich kann seinen Atem riechen. Nach Bier, billigem Rotwein und Erbrochenen. Ich möchte schreien. Möchte ihn packen, ihn an seinen Haaren hier zu mir in meine Zelle zerren, aber ich kann nicht. Und er starrt mich nur mit glasigen, blutunterlaufenen Augen an. Starrt durch mich hindurch. Nimmt mich gar nicht wahr.
Mein Hass steigt ins unermessliche. Ein dunkelroter Schleier legt sich vor meine Augen. Blutlust. Mordlust! Ich werde ihn töten. Jetzt! Meine Hand schnellt vor und ich ignoriere die warnenden Stimmen in meinem Kopf, die mir raten es sein zu lassen. Dieses mal ist es soweit. Diesmal kommt er mir nicht davon. Diesmal nicht. Rechnung bitte, wir gehen! Abrechnung! Einen Moment lang glaube ich, ihn wirklich packen zu können, meinem Gefängnis endlich entrinnen zu können, endlich die lang ersehnt Freiheit genießen zu können. Dann Ernüchterung. Die Hand prallt von der durchsichtigen Barriere ab, die zwischen uns ist. Kein Durchkommen. Kein Entkommen. Keine Chance. Keine Freiheit.
Er blinzelt nur. Schaut verwirrt. Versteht nicht, wer ich bin. Versteht noch nicht einmal, dass es mich gibt und er mich gefangen hält. Versteht nicht, dass das gequälte Abbild seiner selbst, sein eigenes Spiegelbild im Spiegel seines verfluchten Badezimmers, den brennenden Wunsch hat ihn zu töten.
Aber er wird verstehen. Eines Tages. Ich warte.