Mitglied
- Beitritt
- 27.07.2008
- Beiträge
- 106
Gefangen
Gefangen
„Halt das Maul, Sklave“, ertönte hinter mir eine menschliche Stimme.
Noch bevor er die Worte ausgesprochen hatte, spürte ich, wie ein Elektroschock meinen Körper durchzuckte. Ich fiel auf den lehmigen Boden. Mit meinem Gesicht landete ich in einer Pfütze und drohte zu ertrinken. Ein Fußtritt des Sklaventreibers holte mich aus der Pfütze heraus.
„Du darfst noch nicht sterben“, giftete er mich an, als ich keuchend auf dem Boden lag. Er beute sich über mich und das Einzige, das in diesem Moment nicht nach einem Menschen aussah, waren seine Augen. Ich konnte sie nicht richtig erkennen, aber in ihnen fehlte etwas. Was an ihnen fehlte, wusste ich nicht, aber diese Augen waren tot. Sie hatten keinen Glanz, keine Aussagekraft und keine Gefühle.
Der Stromstoß hatte mich nicht umgebracht. Es hatte aber nicht viel gefehlt.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht stand ich nach einiger Zeit auf und schaute das Wesen an. Es stand in diesem Moment mit dem Rücken zu mir. Meine Lippen bebten noch. Mit wackeligen Beinen ging ich einen Schritt auf dieses Ding zu, dass in diesem Moment dem nächsten Sklaven einen Stromstoß versetzte.
Nach einiger Zeit hatte sich mein Körper wieder gefangen. Alle Körperorgane verrichteten ihre Aufgabe. Ich stand da und wollte etwas sagen. Langsam bewegte ich meinen Mund. Ich hoffte darauf, dass meine Worte laut genug seien, als ich noch vor dem ersten Wort ein leises „Psst“ hinter mir vernahm. Darauf gefasst, einen weiteren Stromstoß zu bekommen drehte ich mich herum und sah einen Mann in nicht einmal einen Meter Entfernung stehen. Er trug einen Vollbart, hatte langes, seit einer Ewigkeit nicht mehr gekämmtes dunkelbraunes Haar. Aus seinen leeren Augen starrte er mich an und schüttelte den Kopf.
„Nicht“, raunte er mir zu: „gegen diese kybernetischen Wesen hast du keine Chance.“
Ich wollte ihn noch fragen, was ich nicht tun sollte, aber er forderte mich auf, weiter zu arbeiten. Erst jetzt schaute ich mich um. Ungefähr dreißig Arbeiter befanden sich in einer Kuhle, die vielleicht zweihundert Meter breit und doppelt so lang war und am Rand steile Wände besaß. Die Wände ragten mindestens zwanzig Meter in die Höhe. Obwohl das Areal so groß war, arbeiteten alle Sklaven in einem Bereich von vierzig mal vierzig Metern zusammen.
Das kybernetische Wesen drehte sich zu mir herum. Es kam auf mich zu. Ich sah, wie mein Gesprächspartner nach der Spitzhacke griff und auf den Felsen vor uns eindrosch. Rechts neben mir lag eine weitere Spitzhacke. Ich nahm sie in die Hand und machte es ihm gleich.
Stundenlang droschen wir auf den Felsen vor uns ein, ohne wirklich vorwärts zu kommen. Den Stein, den wir mit Mühe abgeschlagen hatten wurde von anderen Arbeitern aufgesammelt und in Schubkarren fortgeschafft.
Entkräftet nahm ich nach Stunden wahr, dass eine Sirene aufheulte.
„Schluss für heute“, ertönte eine Stimme aus einem Megaphon, die rund um die Grube an hohen Masten hingen. Alle Arbeiter ließen ihre Werkzeuge stehen und liegen und fanden sich als Zweiergruppe vor einer Linie wieder. Sie stellten sich auf, als befänden wir uns in der ersten Klasse. Ohne sich zu bewegen warteten sie darauf, dass ein Oberaufseher kam und uns fortführte. Es kamen zwei kybernetische Wesen. Sie drehten sich herum und gingen voran. Willenlos folgten wir ihnen. Ich hielt die Hand der Person, mit der ich mich unterhalten hatte.
Zusammen wurden wir zu einer Höhle geführte. Es stank fürchterlich. Es stank dermaßen erbärmlich, dass sich meine Nase weigerte, alle Gerüche zu identifizieren. Meine Beine weigerten sich, die Höhle zu betreten, aber der Griff meines Partners wurde immer härter und er zog mich mit Gewalt hinter sich her.
„Geh einfach“, raunte er mir zu.
„Ich kann nicht“, gab ich ihm zur Antwort.
„Ignoriere die Gerüche. Du wirst dich bald daran gewöhnt haben.“
Das war leichter gesagt, als getan. Wie sollte ich etwas ignorieren, dass mir sämtliche Nackenhaare zu Berge stehen ließ? Meine Beine weigerten sich immer noch und in mir wurde ein Reiz ausgelöst, der mir zu verstehen gab, dass ich mich jederzeit übergeben musste. Ich hatte Mühe, in die Höhle hinein zu kommen.
Die Höhle, die aus einem einzigen großen Raum bestand, war Schlafstätte, Esszimmer und Aufenthaltsraum zugleich. In einiger Entfernung hatte man eine kleine abgetrennte Ecke hergerichtet, an dem man seine Notdurft erledigen konnte. Mitten im Raum waren niedrige Tische aus festem Stein errichtet worden. Aus einigen kleinen Lücken an der Decke fiel zumindest etwas Licht in die Höhle hinein. Der Rest der Höhle wurde mit irgendwelchen Glühstäben ausgeleuchtet, so dass man niemals in einer dunklen Ecke verschwinden konnte.
„Wie heißt du eigentlich?“, fragte ich meinen Begleiter.
„Drei sieben fünf neun“, bekam ich zur Antwort. Ich dachte nach.
„Drei sieben fünf neun“, echote ich: „Ist das irgendein Code?“
„Mein Name“, sah mich drei sieben fünf neun an, als würde ich vom Mars kommen.
„Hast du keinen richtigen Namen?“, fragte ich.
„Richtiger Name?“, wiederholte er und sah mich dabei bemitleidenswert an: „Was bringt dir hier ein richtiger Name?“
Wir hatten unseren Tisch erreicht, der sich unweit dem Ausgang befand. Ich starrte auf das Essen, dass auf einem Steinteller auf dem Steintisch lag und konnte mir nicht vorstellen, dass ich auch nur einen Bissen davon hinunter bekam. Ein Teil der unzähligen Gerüche kam von diesem Essen. Im Gegensatz zu diesem Haufen Etwas wirkte ein Teller mit einigen gekochten Kartoffeln ohne weitere Beilage wie ein fünf Sterne Menü. Vor mir auf dem Teller lag etwas undefinierbares. Es sah aus wie ein Haufen Kotze. Vermischt wurde diese Scheiße mit unverdauten Fleischresten und einer rötlichen Soße, die an das Blut frisch geschlachteter Tiere erinnerte.
„Iss“, forderte mich drei sieben fünf neun auf. Er saß auf dem Boden und schob das Essen in sich hinein, als ob es sich wirklich um ein fünf Sterne Menü handelte.
Ich traute mich nicht einmal mich hinzusetzen. Von diesem Fraß würde ich nichts in mir behalten.
„Wenn du nicht willst, dass sie dich von hier fortschaffen, dann wirst du Essen müssen.“
Widerwillig griff ich zur Gabel. Eine kleine Portion schaufelte ich auf die Gabel. Gerade groß genug, um das Essen zu kosten, aber doch so klein, dass ich es unbemerkt sofort wieder ausspucken konnte.
Es roch ekelhaft, als ich die Gabel zum Mund führte. Mein Brechreiz wurde stärker und als meine Zunge feststellte, was ich in den Mund geschoben hatte, weigerte sich mein Gehirn, den Befehl zu geben, darauf herum zu kauen.
„Wehe, du spuckst es aus.“, kam die Warnung von drei sieben fünf neun.
Ich schloss die Augen, dachte an etwas Schönes. Mir wollte aber nichts Schönes einfallen, als sich das Essen auf den Weg zum Magen machte.
„Du wirst dich daran gewöhnen.“
Drei sieben fünf neun sah mich an, als stelle er einen Vergleich an. Mir war noch nicht klar, was das für ein Vergleich sein konnte. Er schien der Älteste in dieser Höhle zu sein und irgendwie keimte Hoffnung in seinen Augen auf.
„Wie ist dein Name?“, fragte er mich.
„Florian“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Drei sieben fünf neun hustete, hielt sich eine Hand vor den Mund und verlor ein wenig seines Essens, dass er kurz zuvor in den Mund geschoben hatte. Als er sich wieder beruhigt hatte, leckte er seine Hand sauber und putzte sie an seinem zerfetzten Shirt ab.
„Entschuldige“, sagte er: „Ich meinte deinen richtigen Namen. Der Name, den sie dir gegeben haben.“
„Sie haben mir keinen Namen gegeben“, erklärte ich.
„Deine Nummer“, sagte drei sieben fünf neun: „Deine Identifikationsnummer.“
„Ich weiß, was du meinst. Aber ich weiß nichts von einer Nummer.“
Drei sieben fünf neun schaute sich um.
„Wie heißt du wirklich?“, sprach ich in seine Gedanken hinein.
Drei sieben fünf neun schüttelte den Kopf.
„Spielt das eine Rolle?“, fragte er dann.
„Ich möchte dich nicht immer mit drei sieben fünf neun ansprechen.“, erklärte ich: „Ein Name wäre da einfacher.“
„Vier zwei Null sieben“, murmelte drei sieben fünf neun vor sich hin, als er ein Schild entdeckte, dass eine neue Schlafkammer sein konnte: „Alle neuen haben in den ersten vier Tagen eine Schlafkammer.“
„Roger“, beschloss ich: „Ich nenne dich Roger.“
Roger schaute mich an.
„Klingt nicht schlecht“, sagte er: „aber in einigen Tagen wirst auch du mit niemandem mehr sprechen.“
„Wie kommst du denn da drauf?“
„Du bist neu. In einigen Tagen wird dich die Arbeit erschöpfen. Schau dich um.“
Roger schaute in die Runde. Ich schaute mich auch um. Alle Arbeiter hatten aufgegessen, hatten ihr Glas leer getrunken und lagen nun auf dem Boden und schliefen. Nicht einer war mehr wach, der unsere leise Unterhaltung mitbekommen konnte.
„Dir wird es genauso ergehen. Niemand weiß wo er ist. Es weiß sogar niemand, welches Jahr wir schreiben.“
„Bevor ich herkam hatten wir das Jahr 2017. Das Jahr hat gerade erst angefangen.“
„Zweitausendsiebzehn?“, hob Roger die Stimme: „Das war vor mehr als fünfhundert Jahren.“
Diese Aussage konnte ich nicht glauben, ließ sie aber im Raum stehen.
„Was machen wir hier eigentlich?“, fragte ich ihn, nachdem ich den Teller leer gegessen hatte. Es war mehr eine Qual als eine Wohltat gewesen.
„Sie suchen etwas“, erklärte Roger.
„Und niemand weiß was?“, riet ich. Roger antwortete nicht. Er schaute sich ein weiteres Mal um und nickte schließlich.
„Du solltest schlafen“, schlug er nach einer Weile vor.
„Ich sollte von hier verschwinden.“, korrigierte ich ihn.
Rogers leere Augen öffneten sich ein wenig. Kaum merklich schüttelte er den Kopf und betrachtete Punkte, in denen ich anfangs nichts sehen konnte.
„Flüchten?“, fragte er: „Du willst flüchten?“
Ich nickte.
„Ja“, erwiderte ich.
„Du wirst nicht der Letzte sein und der Erste bist du erst recht nicht.“, sagte Roger. Ich konnte ihm aber ansehen, dass diese Erklärung nicht die Einzige war, die er zu dem Thema Flucht abgeben wollte.
„Auch deinen Kadaver wird man als Warnung für die anderen an zwei hohen Mästen aufhängen. Bisher ist niemandem die Flucht gelungen.“
Sicherlich war es nicht einfach, von hier zu verschwinden, aber es musste möglich sein. Es gab immer einen Fehler im System. Immer!
Die nächsten Tage füllten mich wirklich mit Arbeit aus. Am Morgen wurden wir geweckt, frühstückten das Gleiche wie am Abend und arbeiteten bis zu einer Mittagspause. In dieser Mittagspause gab es wirklich gutes Essen. Anschließend arbeiteten wir bis zum Erklingen des Feierabendsignals und wurden zurück in die Höhle gebracht. Nach einigen Tagen nahm man mir meine Schlafstätte weg. Ich gesellte mich zu Roger und in mancher Nacht unterhielten wir uns noch, während alle anderen sich von der Schinderei erholten.
„Bevor ich verrückt werde, muss ich von hier verschwinden.“, sagte ich ihm in der dritten Nacht nach der Wegnahme meiner Schlafstätte ganz im Vertrauen.
„Versuch es“, gab er mir zur Antwort.
„Ich kann es nicht alleine“, erwiderte ich.
„Ich soll dir dabei helfen?“
„Waren es nicht deine Worte, die behaupteten, schon viel zu lange hier zu sein?“
Roger nickte. Es war kein Nicken, dass einem Einverständnis gleichkam. Es war einfach nur eine Bestätigung, dass er diese Worte benutzt hatte.
„Ich möchte nicht als willenloser Sklave hier leben. Täglich die gleiche Arbeit, täglich das gleiche Essen und niemals zu wissen, warum wir das ganze tun.“
„Diese kybernetischen Wesen werden es nicht zulassen, dass wir von hier flüchten.“, begann Roger: „Und außerdem wissen wir nicht, was uns außerhalb dieser Arbeitsfläche erwartet.“
„Kann es schlimmer werden?“
„Wir haben keine Möglichkeit.“
„Du kontrollierst ständig die Kameras, die in die Ecken installiert sind, richtig?“, fragte ich.
Roger nickte und sah mich an: „Das ist der Grund, warum wir nicht verschwinden können.“
„Als ich herkam, schrieben wir das Jahr zweitausendsiebzehn. Welches Jahr schrieben wir, als du hergebracht wurdest?“
„Ich bin mehr als fünfhundert Jahre nach dir geboren.“, erklärte Roger.
„Ich habe absolut keine Ahnung, wie weit die Technik bei dir war, aber bei mir war es so, dass Kameras zur Überwachung dienten.“
„Wir hatten auch Kameras. Sie wurden aber mit in die Steine eingegraben. Man konnte sie nicht sehen. Ohne Lageplan war es völlig unmöglich ihnen aus dem Weg zu gehen.“
„Wir können die Kameras aber sehen. Sie sind klein, aber sichtbar.“
„Was willst du damit sagen?“, fragte mich Roger erschrocken.
„Wahrscheinlich sind wir alle aus verschiedenen Zeiten hier. Aber was viel wichtiger ist, auch ich habe die Kameras beobachtet. Sie bewegen sich nicht. Sie haben nicht einmal eine Funktion.“
„Die sollen einfach nur da sein?“, fragte Roger verdutzt.
„Ich glaube, dass sie abschrecken sollen.“
„Was soll das bedeuten?“
„Ständig wissen diese kybernetischen Wesen, wo wir sind. Sobald wir uns nur um einige Meter bewegen, sind sie hier. Trotzdem bewegen sich die Kameras nicht. Es muss eine andere Erklärung dafür geben, dass sie ganz genau wissen, wer sich wann bewegt und was wir machen.“
„Und welche soll das sein?“
„Das Essen.“
„Das Essen?“, echote Roger.
„Wir bekommen immer zur gleichen Zeit das Essen. Alle zwölf Stunden. Sollte meine Vermutung stimmen, dann gibt es nur einen Grund, warum das Frühstück und das Abendessen dermaßen ekelhaft ist. Diese Kybernetiker mischen ein Ortungsmittel ins Essen hinein. Ortungsmittel, die man schmecken, riechen oder sehen würde, wenn es sich um normales Essen handeln würde“
„Deine Phantasie geht mit dir durch, oder? Aber selbst wenn deine Vermutung stimmt“, begann Roger: „dann können wir nicht anders, als diesen Fraß in uns hinein zu zwängen. Die, die sich geweigert haben, befinden sich nicht mehr unter uns.“
„Das hatte ich vergessen“, entschuldigte ich mich: „es muss aber einen Weg geben.
Roger überlegte. Ich tat es ihm gleich. Über die Nacht, die wir uns nicht bewegten, über den nächsten Tag und auch noch die folgende Nacht.
„Weißt du“, begann Roger am Morgen des übernächsten Tages: „diese Ortung. Ich meine, wenn es diese Ortung gibt, wird aktiviert, wenn wir das Essen in uns hinein zwängen.“
„Alles was hinein gelangt, kann auf die gleiche Weise auch wieder hinaus. Es muss funktionieren“, argumentierte ich.
Ich glaube, dass musst du alleine bewältigen.“
„Roger“, beschwerte ich mich: „ich kann das nicht alleine.“
„Das wirst du aber müssen.“
„Muss ich dich wieder daran erinnern, dass du schon viel zu lange in dieser Gefangenschaft lebst? Was hast du zu verlieren? Dein Leben hier, deine Seele oder einfach nur diese Gefangenschaft.“
„Wie geht es weiter?“
Es gab nicht viel, das ich ihm zu diesem Thema sagen konnte. Ich wusste nicht einmal, in welchem Jahrhundert wir lebten. Ob man das, was wir in dieser Höhle Leben nannten überhaupt in Jahrhunderten gemessen werden konnte.
Ich schwieg.
Für Roger schwieg ich zu lange.
„Wie geht es weiter?“, fragte er erneut.
„Ich weiß nicht, wie es weitergeht. Ich weiß nicht einmal, ob es überhaupt weitergeht. Ich weiß überhaupt nichts und kann dir nichts versprechen. Aber alles andere ist besser als das hier.“
Den Tag über arbeiteten wir in diesen verfluchten Steinbruch. Roger teilte mir erst spät mit, dass er die Chance wahrnehmen wollte. Mehr als eine Chance hatten wir nicht. Aber alles würde besser sein, als diese Gefangenschaft. Als wir in die Höhle zurückgeführt wurden, setzten wir uns mit dem Rücken zu den anderen. Wir hatten immer noch den ersten Tisch vom Höhleneingang aus gesehen. Von den anderen Gefangenen wurden wir auf diese Weise nicht beobachtet. Das Essen schoben wir schleunigst in uns hinein. Wir hofften, dass uns schlecht wurde, bevor es verdaut werden konnte, aber es geschah nicht. Weder fühlte sich Roger schlecht, noch hatte ich Magenbeschwerden. Ich drehte mich von ihm weg und steckte mir den Finger in den Rachen. Ich hatte das Gefühl, ersticken zu müssen. Ein ekelhaftes Gefühl machte sich in meinem Rachen breit und nach einiger Zeit spürte ich, wie das Essen meine Speiseröhre hinauf stieg. Es befand sich in der Nähe des Gaumens, schmeckte säuerlich und als ich die Hand aus meinem Mund nahm, folgte ihm das Essen. Auch Roger hatte sich übergeben. Ich sah es, denn riechen konnten man in dieser ekelhaften Umgebung nichts. Eine halbe Stunde lang verhielten wir uns still. Dann standen wir auf und bewegten uns langsam aus der Höhle hinaus. Es war kein Alarm zu hören, keine Aufseher oder Schussapparate. Wir hatten freien Weg.
Wir gingen an der Wand entlang, kamen aber letztlich an der Höhle wieder an.
Ich schaute mich um. Es waren kybernetische Aufseher gewesen, die uns des Tages über bewachten. Sie mussten doch irgendwie hier herunter gekommen sein. Ein kleiner Aufgang, eine Tür, die verschlossen war oder einfach irgendetwas. Irgendetwas, aber dort war nichts.
„Wir werden die Wand hoch klettern müssen.“
Mein Vorschlag war gut, wenn ich nicht gewusst hätte, dass die Wände nahezu unbezwingbar waren. Sie waren einfach zu hoch. Zwanzig Meter ohne Hilfsmittel zu bewältigen, war nach der erledigten Arbeit nicht zu schaffen.
„Wir haben weder Seile noch andere Hilfsmittel“, kam Roger auf das gleiche Resultat.
„Wir haben aber Spitzhacken“, sagte ich, ohne zu wissen, was ich überhaupt gesagt hatte.
„Spitzhacken“, wiederholte Roger.
Als ob es mir erst jetzt bewusst wurde, bestätigte ich, dass wir Spitzhacken hatten. Unser Werkzeug ließen wir immer fallen, nachdem die Schlusssirene ertönt war. Wir brauchten sie nur einzusammeln und konnten uns eine Treppe bauen.
„Und der Lärm?“, fragte Roger.
Ich schaute mir die Wand genauer an. An der Seite, an der wir arbeiteten, befand sich eine einzige massive Steinwand. Auf der gegenüberliegenden Seite aber, waren nur die ersten Meter aus massiven Fels. Hier hatten die Schubkarrenfahrer auch die losen Steine hingeschafft. Ein kleines Podest befand sich auf der Schwelle zwischen massivem Felsen und lehmigem Boden.
„Hier“, bestimmte ich: „Hier können wir es schaffen, ohne viel Lärm zu machen.“
Siebzehn Meter über Spitzhacken nach oben zu klettern hatte ich noch nie versucht. Wir waren beide schweißgebadet, als wir erschöpft aber glücklich oben ankamen. Immer noch hatten wir keinen Alarm ausgelöst. Wir fielen auf den Boden. Ein wenig wollten wir uns noch ausruhen. Wir betrachteten den Himmel, als ob wir ihn noch nie gesehen hätten.
Wir wollten aufstehen, aber aus der Ferne hörten wir einen Alarm. Roger legte sich flach auf den Boden. Ich versuchte zu ergründen, woher der Alarm kam, als sich Roger vor meinen Augen aufzulösen begann. Sekunden später war ich von den kybernetischen Wesen umzingelt, schlug die Augen auf und befand sich in meinem Zimmer.
Ich wischte mir noch die restlichen Schweißperlen von der Stirn und stand auf.