Hi Danglo,
Gefangen im Geist.*
Einsortiert in Philosophisches.
Bin gespannt, was mich erwartet.
* Es existiert ein Buch mit ähnlichem Titel, in dem das Schicksal eines Demenz-Patienten geschildert wird.
"Wer denkt, dass er denkt kann nicht denken!"
"Und wenn er doch denkt?"
"Dann denkt er nur zu denken!"
"Sieh mal, ein fliegendes Fischstäbchen!"
Du startest mit einer Art Abzählreim: Ene mene, ming mang …
Kann man tun. Ist aber halt so eine Sache. Dem einen Leser gefällt das (vermutlich die Minderheit), die anderen hingegen fragen sich, „was soll das?“ und stoppen sofort (wahrscheinlich die Mehrheit).
Jede Zeile in separate Anführungszeichen gesetzt. Könnte sich also alternativ um einen philosophische, sinnfreie oder gar betrunkene Konversation handeln.
Das fliegende Fischstäbchen gefällt mir. Vor meinem geistigen Auge schmeißt ein kleines Kind das fettige, überpanierte Kabeljau-Rechteck, an dem noch Reste von Ketchup kleben, quer durchs Esszimmer. Vor allem, um seine schnell erzürnbare Mama zu ärgern.
In der ersten Zeile fehlt ein Komma (nach dem 2-ten denkt)
Ich glaube, ich weiß ganz genau was Sie jetzt denken. Sie sind inspiriert von diesen Sprüchen. Sie fühlen die Muse, die Sie soeben geküsst hat. Ja, so ging es mir auch mal. Mittlerweile gehen mir diese Verse ganz schön auf die Nerven. Immer mehr Leute auf den Straßen rufen sie mir zu, ohne dass ich in ihnen irgendeinen Sinn sehen kann. Manche sind logisch, andere für den 08/15 Homo sapiens unverständlich. Dennoch ist das meine Situation - Ich bin gefangen in einer Welt, in der ich nicht sein sollte.
Du formulierst im Präsens. Das ist eine heikle Erzählzeit. Sie unterstellt zum einen, dass sich die Geschichte im Hier und Jetzt abspielt. Zum anderen tust du so, als ob du mir direkt gegenübersitzt und frontal ins Gesicht sprichst. Das kann gutgehen. Oft führt es jedoch dazu, dass für das Empfinden des Lesers eine zu große Intimität aufgebaut wird, die er schnell verlassen möchte. Deshalb hat sich das literarische Präteritum durchgesetzt, weil es mehr Distanz schafft.
- ging und gehen direkt hintereinander. Würde ich 1x auswechseln.
- 08/15-Homo Sapiens oder 08/15-Homo-Sapiens
Es gab schon bessere Zeiten! Damals, als ich noch zur Schule gehen konnte, hatte ich noch keine Probleme wie diese. Das Universum aus dem ich stamme, baut auf Logik und Wissenschaft. Dieses hier nicht. Es kennt keine Physik. Keine Chemie. Keine Mathematik. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch. Es ist eine Welt, mit einer zusätzlichen vierten Dimension. Doch ich kann diese nicht wahrnehmen. Ich sehe nur ein nicht funktionierendes System, was auf unlogischen Fakten aufbaut.
Hier solltest du den Stakkato der simplen Verben (gab, konnte, hatte) durch intelligentere Zeitworte ersetzen.
- …
baut auf …
auf bzw. gründet auf
-
gab und
gibt
- …
Welt (kein Komma)
mit …
-
was = welches
- zum 2-ten Mal
aufbaut.
Verständnisfrage: welches Universum verfügt nicht über die vierte Dimension: das, aus welchem der Erzähler stammt oder das, in dem er sich jetzt befindet? Das wird aus der von dir gewählten Satzkonstruktion mMn nicht ersichtlich.
Ich bin wie ein Papier, auf das man einen Punkt malt. Dieser Punkt ist an einer Stelle, die das Papier nicht sehen kann. Dennoch baut alles, was das Papier fühlt, auf diesem Punkt auf. Aber das Papier sieht keine Logik dahinter, denn das kann es nun mal nicht. Manchmal sehe ich Wasserfälle bergauf fließen, oder betätige einen Lichtschalter, der für einen Sandsturm sorgt. Einmal wollte ich ein Buch lesen, welches aber immer und immer wieder seinen Inhalt veränderte. Ich habe schon mehrmals versucht, aus dieser Welt zu entkommen. Es geht nicht.
- ..
ist an einer Stelle = befindet sich an …
- …
es geht nicht = es funktioniert nicht
Auch das Leben kann ich mir nicht nehmen. Den Tod scheint es hier nicht zu geben. Alles hält ewig, es sei denn, die vierte Dimension entscheidet das Gegenteil. Ich gehe jeden Tag auf den Markt und höre mir die Sprüche an, die die Wesen hier rufen, in der Hoffnung, jemanden zu treffen, der auch in dieser Welt gelandet ist. Doch bis jetzt scheine ich der Einzige hier zu sein. Ganz allein.
- …
entscheidet sich für das Gegenteil (wobei auch diese Alternative holprig klingt)
- ..,
der auch = …, der ebenfalls (
gelandet evtl in gestrandet auswechseln)
Sie können natürlich nicht nachvollziehen, was ich empfinde. Ich selber kann es ja auch nicht. Vielleicht interessiert es Sie ja, was genau geschah. Ich kann mich an einen sonnigen Tag erinnern. Wie immer verabschiedete ich mich von meiner Mutter, winkte meinem Nachbar freundlich zu und machte mich mit meinem ziemlich alten Fahrrad auf den Weg zur Schule. Doch ich kam nie dort an.
- 2x
ja (ist ein reines Füllwort)
-
Nachbarn (weshalb
meinem? Er ist doch auch der Nachbar der Mutter; deshalb: unserem)
-
ziemlich kann weg
Mit dem Imperfekt tue ich mich schwer. M.E. müsstest du hier im Perfekt schreiben
Irgendwas geschah, ich weiß nicht was. Ich schätze, dass mich dieses Ereignis in ein Paralleluniversum brachte. In eine andere Dimension. Doch da ich nicht weiß, wie ich hier her gekommen bin, kenne ich auch nicht den Rückweg.
- Irgendetwas geschah mit mir (Semikolon oder Punkt). Ich weiß bloß nicht mehr, worum genau es sich handelte.
(wenngleich
irgendwas ohnehin kein schönes Wort ist. Hört sich so an, als ob der Autor nicht weiß, worüber er schreibt)
-
brachte = verfrachtete
- hierher (zusammengeschrieben)
Nichts wünsche ich mir mehr, als zurückzukehren. In meine Welt. In die Gesellschaft, an die ich gewöhnt bin. In die Dimensionen, die ich kenne. Doch ich fürchte, ich bin hier gefangen.
Für immer.
- 3x
in als Satzbeginn
"Er hat keinen Puls mehr!", sagt ein Arzt mit einer nervösen Stimme.
"Helfen Sie ihm!", schreit eine Frau, mit Tränen in den Augen.
"Ich fürchte, es ist zu spät. Er ist tot."
mit nervöser Stimme
.., der die Tränen aus den Augen rinnen/ fließen/ strömen
Die Frau bricht zusammen. All die Hoffnungen, die sie sich nach dem Unfall ihres Sohnes gemacht hat. All die Gebete, die sie in den Monaten, in denen dieser im Koma lag, gesprochen hat. Alles hatte nichts gebracht.
- 3x
hat/ hatte
-
in denen dieser = in denen er
Aber würde sie wissen, dass der Tod ihren Sohn vor der Welt in seinem eigenen Kopf gerettet hat. Würde ihr jemand sagen, dass ihr Sohn nun frei ist...Wäre es eine Erleichterung?
Der erste Satz haut mMn grammatikalisch nicht hin. Ich versuch’s:
Wie aber würde sich die Frau/ Mutter fühlen, wenn sie wüsste, dass der Tod ihren Sohn von den Albträumen seiner Zwischenwelt endlich erlöst hat?
oder: … den Albträumen, die er in seiner Zwischenwelt erleben musste, endlich erlöst hat?
Würde ihr jemand verraten/ erklären … wäre das eine Erleichterung für sie?
Zwischenfazit Stil: kurze, schnörkellose Sätze. Die Geschichte lässt sich flüssig in einem Rutsch durchgehen. Du verwendest m.E. zu viele simple Verben. Das raubt mir so ein bisschen den Lesespaß. Du sortierst die Geschichte in Philosophisch* ein. Da sollte der Wortschatz etwas (nach oben) angepasst werden.
* ob sie dort tatsächlich hingehört, sei hier mal dahingestellt. M.E. handelt es sich eher um ein religiöses oder medizinisches Thema.
Die Zeitwechsel zw. Präsens, Perfekt u. Präteritum sind gewöhnungsbedürftig. Mir ist klar, dass du damit die aktuellen Gedanken des Protas im Koma und die Vorgeschichte voneinander trennen möchtest. Trotzdem ist für mein Empfinden eine Zeitform zu viel in der Geschichte enthalten. Falls du hauptsächlich in der Jetztzeit erzählen möchtest, dann wäre das Perfekt die dazugehörige Vergangenheit. Also muss das Imperfekt raus. (z.B. in dieser Passage: Irgendwas geschah, ich weiß nicht was. Ich schätze, dass mich dieses Ereignis in ein Paralleluniversum brachte.)
Story als solche: Ich-Erzähler liegt seit Monaten im (Wach-?) Koma. Befindet sich gedanklich in einer Zwischenwelt, die er nicht richtig einsortieren kann. Die vierte Dimension, die er als endlich kennt, scheint hier unendlich zu sein. Er fühlt sich unwohl; will zurück in seine altbekannte Welt.
Schnitt. Kurzer Wortwechsel zw. Arzt und Mutter. Prota stirbt, Mutter weint.
Epilog: Prota ist nun frei. Religiös ausgedrückt: hat die Schwelle vom Fegefeuer ins Paradies überschritten. Whatever.
Nicht unbedingt neu; trotzdem immer wieder eine spannende Aufgabe für einen Autor, solch eine tragische Geschichte in die richtigen Worte zu kleiden. Das ist dir für mein Dafürhalten streckenweise geglückt. Meine – völlig unverbindlichen – Verbesserungsvorschläge:
( ) stärkere Verben benutzen
( ) dich auf zwei Zeitformen beschränken
( ) hin und wieder einen etwas längeren Satz konstruieren
( ) die Geschichte um 50% verlängern. Damit das Diffuse der Zwischenwelt plakativer herausgestellt werden kann.
Was hat der Abzählreim am Anfang mit dem Ganzen zu tun? Es existiert ein ähnlicher Song von Juliane Werding aus dem Jahre 1975: Wenn du denkst, du denkst … Hier der Link zu Youtube: youtube.com/watch?v=Oox4hy6aKss
Jedoch ohne Fischstäbchen.
Erinnert cum grano salis an Sokrates: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Allerdings ebenfalls ohne panierten Kabeljau.
So ganz schlau werde ich aus dem vorangestellten Vers nicht. Der vermutlich im Zusammenhang mit den Stimmen steht, die der Prota (noch) hört. Vllt von den Krankenschwestern, die versuchen, ihn zu füttern. Keine Ahnung.
Danglo, nette kleine Geschichte. mMn inhaltsseitig noch ausbaufähig. Trotzdem gerne gelesen!
Hoffe, du kannst mit einigen meiner Hinweise was anfangen.
Vg sinuhe