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Gefühlsecht
Gefühlsecht
Marc Vandesonneville schritt bei seinem täglichen Weg zum Life-center aufrecht wie immer durch die Hallen der Lifeworld. Seinem komplexen supplementären Neuro-Implantat überließ er es dabei, für die stets posing-optimierte Kontraktion seiner Skelettmuskulatur zu sorgen. Die Bewegungen wirkten locker und natürlich, die Muskeln umspielten sein strahlendes Lächeln ganz beiläufig, auch die unter der transparenten Silikonhaut implantierte goldene Uhr störte dabei nicht.
Marc war etwas Besonderes, Marc war Teil der Neuro-Elite. Er war einer der wenigen Träger eines SIQ-V.
Als er die Glastür zum Lifecenter aufdrückte, steuerte sein SIQ-V seinen Arm so langsam, dass jede einzelne der Muskelkontraktionen wie in Zeitlupe zu sehen war. Das SIQ registrierte genau, wie bei diesem Anblick den von innen zuschauenden weiblichen Wesen ein wenig schwach wurde. Es hatte über seine Hand Kontakt zur Tür und so unmittelbaren Zugriff auf das lokale Netz. Die Leistung bei den trainierenden weiblichen Wesen sank bei seinem Anblick tatsächlich etwa zwischen sechs und sieben Prozent, was ein überdurchschnittlich guter Wert war.
Marcs intensives Training und die sich immer besser einspielende Steuerung des SIQ begannen sich auszuzahlen. Er machte sich zunehmend Hoffnung darauf, endlich das perfekt passende weibliche Wesen zu finden, das seine Bewerbung auch akzeptieren würde. Das Implantat stimmte ihm dabei zu, denn seine Chancen wurden durch die zunehmende Muskelmasse stetig besser.
Nach dem Training genoss er die heiße Dusche und danach eine Massage. Neben der Liege wartete schon einer der Relax-Droids auf ihn, ein mechanisches Gebilde mit einem fast menschlichen Oberbau und vor allem mit einem guten Dutzend Hände. Marc liebte es, diese Vielfalt der Massage-Griffe auf seinem Rücken und seinen Muskeln zu spüren. Dabei stand sein SIQ in Kontakt mit dem Relax-Droid und übergab diesem die für eine perfekte Massage wesentlichen Parameter. Marc konnte so vollkommen entspannen. In diesem schwerelosen Traumzustand spielte ihm sein SIQ die leicht bewegten 3D-Bilder der im Life-Center wahrgenommenen weiblichen Wesen noch einmal in das Unterbewusstsein. Es hielt dabei seine metabolischen und hormonellen Reaktionen unter ständiger Beobachtung, es war auf der Suche nach einer eindeutigen Reaktion von Marcs Körper. Die Anspannungen des harten Trainings und konzentrierten Posings hatten eine solche gefühlsbezogene Reaktion verständlicherweise überdeckt.
Mitten in der Phase der muskulären Tiefenmassage stöhnte Marc heftig auf. Sofort erstarrten die Massagehände reflexmäßig in der Vorsichts-Haltung.
"Halt, zurück!" Marcs Stimme klang gepresst.
Umgehend gehorchte der Relax-Droid, es lösten sich alle zwölf Hände von Marcs Rücken und der Droid fuhr summend ein wenig rückwärts, um Sicherheitsabstand zu gewinnen.
"Nein! Nicht der Relax-Droid, ich meine Dich, SIQ, verdammt, das Bild gerade -- bring das Bild von dem blonden Wesen in der Butterfly-Station wieder zurück, sofort! Und die Massage soll weitergehen!"
Er drückte seinen Oberkörper dabei in die Höhe, sah sich suchend um -- doch sah er nur den verschreckten Massageroboter, der seine Hände in der Sicherungsstellung dicht an den Körper gelegt hatte -- wahrhaftig kein erbauender Anblick, wenn man von einer Frau beim Butterflytraining geträumt hat. Der Relax-Droid machte trotz der Aufforderung gleichwohl keinerlei Anstalten, die Massage wieder aufzunehmen. Es war ein amerikanisches Modell und somit auf maximale Sicherheit ausgelegt -- er würde erst nach einem Reset und einer Kontrolle der Sicherungseinrichtung wieder funktionieren.
Marc verfluchte für einen kurzen Moment diesen Droid, aber dann reagierte sein SIQ endlich wie gewünscht und spielte ihm das blonde Wesen wieder ein. Marc sank sogleich, alles andere vergessend, zurück auf die Liege, um der Aufzeichnung zu folgen. Das SIQ beobachtete ihn dabei weiter, so wie es auch die Reaktion auf den Entzug der Bilder ausgewertet hatte. Marcs Aufbäumen nach dem Ausblenden des Bildes übertraf die normalen Reaktionen bei ähnlichen Tests in vielversprechender Weise. Das SIQ kommunizierte wie immer direkt mittels Gedanken, und dank der programmierten Fähigkeiten des SIQ bekam Marc noch einiges mehr an gespeicherten positiven Gefühlen aus den Tiefen des SIQ-Archivs übermittelt. Marc war dadurch unmittelbar und vollkommen ausgefüllt mit perfektem Begehren und -- genau wie jedes Mal zuvor.
"Dieser phantastische Körper ... !", rief Marc mit erregter Stimme, vollkommen entrückt, gedanklich lange und ausgiebig inmitten ihrer Bilder treibend. "Diese ist es, das wird meine Frau!"
Sein SIQ war zufrieden mit der Aussicht auf einen weiteren Höhepunkt im Gefühlsleben seines Hosts. Auch ein SIQ-V war stets nur so gut wie sein Wirt. Wenn dessen Gedanken sich jedoch die überwiegende Zeit im Leerlauf um sich selbst drehten, dann arbeitete auch das Implantat nur mit verringerter Leistung. Laut seiner Programmierung sollte es jedoch jederzeit ein Optimum anstreben. Deshalb trachtete Marcs SIQ-V stets danach, wenigstens Ausnahmesituationen zu schaffen, in denen sein Wirtsgehirn auf Hochtouren lief.
Es registrierte Marcs Wunsch und machte sich ans Werk. Die Gesichtsanalyse von der Auserwählten lief in wenigen Sekunden durch und die Onlineauskunft brachte dazu ihren Namen und die Adresse.
"Sie heißt Eve Rondevouzanne", ließ das SIQ Marc wissen, nachdem es ihn aus seiner Trance zurückgeholt hatte. Das Zeitfenster der gebuchten Massage war abgelaufen.
Noch während Marc langsam aufstand und sich ankleidete, beauftragte er sein SIQ: "Ich muss diese Eve zu einem Rendezvous treffen, vereinbare einen Termin mit ihr, noch heute!"
Sein SIQ rief daraufhin Marcs fertig layoutete Partner-Bewerbung aus dem Speicher ab, aktualisierte die Empfängeradresse, formulierte ein freundliches Anschreiben dazu und kontrollierte noch einmal die Beziehungs-Zeugnisse seiner letzten Freundinnen. Es war alles vollständig und in Ordnung, also sandte er die Bewerbung mit einem dringenden Termingesuch für den Abend ab.
Eve empfing die Bewerbung, als sie gerade unter der Dusche stand und ihrerseits den Schweiß und die Anstrengungen des Trainings fortspülte. Ihre Brust spannte leicht, als sie beide Hände um den Duschkopf legte und einfach nur das warme fallende Wasser genoss, wie es über ihren Kopf und den schlanken Körper rann, um schließlich prasselnd rund um ihre dezent lackierten Fußnägel auf den Mosaikboden herabzutropfen. Ihr SIQ war nicht so modern wie der von Marc, er bot nur ein wenig mehr als die Grundfunktionen wie Mailen und Terminmanagement.
"Eve, Du bekommst gerade eine Bewerbung für eine Partnerschaft, von einem Marc Vandesonneville. Du hast ihn vorhin beim Training gesehen. Es ist der sehr gut Trainierte mit dem kurzen blonden Haar. Wenn Du zu Hause bist, kann ich die Bilder in der Anlage vorspielen, er hat eine ziemliche Menge mitgeschickt. Willst du mehr von ihm wissen, oder soll es in den Spam-Ordner?"
"Nein, das klingt interessant, wenn das der Typ mit den starken Oberarmen ist, der vorhin so aufreizend langsam hereinkam, dann will ich es hören!"
"Gut, ich lese dir das Wichtigste aus seiner Bewerbung vor."
Ihr SIQ zitierte seine körperlichen Daten bis ins Detail, nachdem es das kurze Anschreiben vorgelesen hatte. Der Datenabgleich ließ eine unübersehbare Eignung erwarten und die Auswertung ergab eine hohe Interessendeckung. Eves Idealvorstellung von groß und stark übererfüllte er sogar beinahe, zumindest bezogen auf die Angaben über sein Geschlecht, allerdings übertrieben viele Männer in dieser Beziehung ganz gerne.
"Lies mir noch die Beurteilungen seiner letzten Freundinnen vor, ja?"
Das SIQ gehorchte: "Marc ist ein liebevoller, zärtlicher und rücksichtsvoller Mann, er ist bereit, einer Frau auf verschiedenen Ebenen zu helfen und sie zu unterstützen, damit sie sich wohlfühlt. Marc schenkt Vertrauen und Geborgenheit, besonders**..."
"Halt! Das klingt ja wie der Standardtext aus einem Bewerbungsleitfaden, gibt es irgendwas Ausgefallenes? Lies nur das vor, bitte."
"Gut, hier ist etwas: ...**und besonders kuschelig ist es, in seinen Armen zu liegen ... und weiter: ...**außerdem ist er sehr einfühlsam kleinen Kindern und Katzen gegenüber."
"Das klingt nett, sogar sehr nett, das hat seiner Ex wohl wirklich gefallen, oder? SIQ, was sagst Du dazu? Wie ist die Bewerbung, ist er gut für mich?"
"Die Zusammenstellung der Bewerbung ist nichts Besonderes, aber es gibt eine Menge Details an ihm, die zu dir passen, und er hat sich den Unterlagen nach mit keiner seiner letzten Freundinnen im Streit getrennt, das ist ein gutes Zeichen. Er ist sehr ausgeglichen und mit sich selbst im Reinen. Deine spontanen und hormonellen Reaktionen auf ihn sind ebenfalls sehr gut, abschließend würde ich also uneingeschränkt eine Kontaktaufnahme empfehlen. Und daraus wird sich sicher ziemlich schnell noch mehr entwickeln, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, denn dein Herzschlag ist ziemlich heftig**..."
Was Eve nicht wusste, war die ungewöhnliche Tatsache, dass ihr einfaches SIQ sich selbst für den hochentwickelten Gegenspieler in Marcs Kopf interessierte. Das könnte etwas mehr werden als nur die übliche Kopplung der hormonellen und manuellen Schnittstellen der menschlichen Träger. All die neuartigen Daten, die auf den B-Forks der Bewerbung mitgeschickt worden waren -- ganz klar, die Subchannels und Nachrichtenpäckchen dieses SIQ-V-Modells waren nicht einfach zu verstehen, aber hochspannend. Eves SIQ kannte eine ganze Reihe modernerer SIQs als es selbst, aber das, was an Daten von diesem SIQ kam, war einfach anders.
Das zwischen den beiden SIQs anhand der beiderseitigen Vorlieben perfekt abgestimmte Rendezvous fand in einem der Hotels direkt am Raumflughafen statt. Sie hatten sich in der ganz in Marmor und Edelstahl gehaltenen Lobby getroffen und gleich auf einem der Schaumstoffsofas niedergelassen.
Darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen? "Zwei Sky Martini.", und der Kellner war wieder verschwunden.
Beide waren ganz in Weiß gekleidet, was als Kontrast ausgezeichnet mit dem Leuchtrot der Sofas harmonierte.
Marc trug ein offenes Leinenhemd unter seinem Jackett. Eve dagegen umgab ein schlichtes, halbtransparentes "fast Nichts" mit dezenter Seidenwäsche darunter. Zusammen mit ihrer sportlichen Eleganz sah das so umwerfend aus, dass der alte Portier bei ihrem Anblick vergaß, den Mund zu schließen, und der uniformierte Liftboy seine Arbeit vernachlässigte.
Doch davon bekamen Marc und Eve schon seit dem ersten Hautkontakt nichts mehr mit. Die beiden SIQs hatten sich sofort synchronisiert und die schon abgestimmte Regie über die Körper übernommen. Die gegenseitige Stimulation wurde bis ins Detail koordiniert. Beide SIQs loggten daneben auch die jeweils neuen Empfindungen mit, lernten also permanent hinzu. Eves SIQ war tief beeindruckt vom Speicherinhalt des moderneren Systems, da gab es wesentlich mehr, als der eigene begrenzte Speicher jemals würde fassen können. Hätte es einen digitalen Seufzer in seinem Speicher gegeben, Eves SIQ hätte ihn getan.
Eve schob Marcs Jackett von seinen Schultern, ihre Lippen öffneten sich. Seine Hände umfassten dabei ihren Oberkörper, hielten Eve mit exakt dosierter Kraft. Alle Berührungen, Gedanken, Visionen, Wünsche und auch das wilde Verlangen -- all das steuerte vor allem Marcs weit überlegener SIQ-V. Eves SIQ war überrascht von der reichhaltigen Erfahrung und der so virtuosen Leitung durch dieses moderne SIQ, aber ließ das gerne geschehen. Es öffnete bereitwillig nun weitere für die Übergabe der Steuerung nötige Ports, und beobachtete von da an das ablaufende Vorspiel zwischen Marc und Eve. Bald fanden sich die Lippen der beiden, woraufhin eine genau gesteuerte Ausschüttung von Endorphinen und anderen Hormonen beide Körper in noch stärkere Ekstase versetzte.
Zum Bedauern der zuschauenden Angestellten des Hotels währte dieses intensive Kennenlernen in der Lobby nicht lange, denn schon bald waren Marcs und Eves Körper sich einig, dieses Rendezvous ganz ohne Kleidung fortsetzen zu wollen. Ihre Wahrnehmung der Umgebung war stark gefiltert, Unwichtiges wurde einfach ausgeblendet. Keiner von beiden konnte daher sagen, was der arme Liftboy bei dieser Show für ein Gesicht gemacht hatte, als sie ihn eng umschlungen passierten und auf dem Weg nach oben begannen, sich gegenseitig zu entkleiden.
Die letzten Hüllen fielen kurz nach dem Schließen der Zimmertür. Marc trug sie in seinem Arm bis ans Bett und legte sie dort sanft ab. Bald neben ihr liegend, erlebte Marcs starker Körper mit sichtlichem Vergnügen, wie gut Eves Hände seinen Körper -- dank des SIQ-V -- kannten. Es steuerte ebenso Marcs Muskeln und ließ sie mit Eves Zartheit spielen, bis sie schweißnass vor Verlangen war und voller Anspannung und Erregung leicht zu zittern begann. Als er dann endlich in sie eindrang, setzte für einen Moment ihr Herzschlag aus, so überwältigend waren die hormonellen Schübe. Eves Körper und auch ihr SIQ hatten solch eine Ekstase noch niemals erlebt, jede Faser, jede Zelle ihres wundervollen Körpers war in Aktion und schrie diese Freude, diese Erregung bis in die letzten Winkel ihres Körpers hinaus.
Das tief neben Marcs Stammhirn vergrabene SIQ-V protokollierte nicht nur Marcs Erleben, sondern hatte sich währenddessen über den offenen Port in Eves Rootumgebung gehackt und loggte ihre sämtlichen Empfindungen begierig bis ins Detail mit -- insbesondere auch die Angst, als ihr Herzschlag aussetzte. Eine interessante und vollkommen neue Erfahrung für die Algorithmen des SIQ-V, und möglicherweise ein nutzbares Potential zur Perfektion des Liebesspiels. Befreit von allen moralischen Bedenken baute das SIQ-V es daher kurzerhand in Marcs Erleben mit ein.
Als dessen orgiastische Explosionen sich auf dem Höhepunkt entluden, glaubte er ihr wohliges Stöhnen zu hören, doch in Wahrheit wand sich Eves Körper unter ihm in verzweifelter Ohnmacht. Für das SIQ-V bot sich damit eine weitere Chance, Marcs Hand drückte daher machtvoll Eves Kehle zu, bis der Sauerstoffmangel sie in einen vollkommen steuerungslosen Todeskampf zwang. Die in Marcs Augen ekstatischen Zuckungen trieben ihn zu nie gekannten Höhen. Sie erstarrte schließlich in einem letzten Aufbäumen; zugleich sackte Marc mit einem Aufschrei in sich zusammen.
Das SIQ-V loggte alles mit, und lernte so beständig weiter. Es ging einfach Schritt auf Schritt voran -- auf dem langen Weg zur Perfektion.