Gefühlig gefügig
„Alles gut? Was ist?“
Er fragt mich das. Ich sage: „Ja, klar.“
Er muss schon noch ein bisschen bohren. Ich kann sonst nicht so tun, als würde ich ihm ernsthaftes Interesse an meiner Antwort abnehmen. Wirklich daran glauben tue ich aber sowieso schon lange nicht mehr. Trotzdem fordere ich dieses Minimum an geheuchelter Anteilnahme ein. Es ist ein Kompromiss. So können wir uns doch gut beide belügen. Er kann sich sagen: „Ich tue alles. Ich kümmere mich.“ Ich kann mir sagen: „Wir sind noch nicht ganz fertig miteinander.“ Außerdem und nebenbei keimt jedes Mal ein Salzkorn Hoffnung auf, Hoffnung darauf, dass sich nach diesem Gespräch vielleicht etwas ändern wird.
Also geht es weiter.
„Ne, jetzt sag mal ehrlich. Du guckst doch traurig.“
Ich fange jetzt an, Augenkontakt zu vermeiden. Dafür halte ich ihm auch, falls es sein muss, mit der Hand die Augen zu. Mir kommt nämlich an diesem Punkt, des so oft geführten Gesprächs, die Rührung dazwischen. Die Verdammte. Dass er es weiter versucht und sich diesem, meinem Spiel unterwirft. Dass er gemacht hat, was ich will und ihm nur indirekt vermittelt habe, nämlich Nachbohren, damit ich mich ihm ausschütten kann. Die Rührung verdrängt meine Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Frage. Langsam beginne ich.
„Also. Ich weiß du willst es bestimmt nicht hören...“ - ein weiterer Absicherungsversuch, den er aber jetzt nicht mehr begütigt. Als Reaktion wieder das Gefühl, abgewiesen worden zu sein. Aber jetzt kann ich auch nicht mehr zurück. Ich habe es provoziert und das Gestammel angefangen, auch das Gestammel kann man nicht rückgängig machen. Die eingebröckelte Coolness-Fassade räumt der Angst und Unsicherheit ihren Platz ein. Wieder habe ich mich kleingemacht. Meine schwankenden Emotionen während dieser Gespräche, haben sich beinahe in einer festen Abfolge verselbstständigt. Alles, was jetzt folgt, ist vorprogrammiert, wie abgesprochen und schon zu Ende getanzt, ich weiß, wie es ausgeht.
„Ich muss es aber trotzdem mal sagen...“ Selbst-Legitimation, um die ausgebliebene Absicherung auszugleichen.
„Li, ich fühle mich nicht wohl. Ich weiß nicht wohin ich will und wo ich stehe. Ich weiß nicht wo wir stehen.“
Ein unwilliger Ausdruck in seinem Gesicht. Ich frage mich, was schwirrt da, hinter diesem Gesicht.
Ich warte jetzt auf eine Antwort. Dringend, warte ich. Mein seelischer Frieden ist jetzt abhängig von dieser Antwort. Eine Antwort auf eine Frage, die weniger Frage als Vorwurf ist. Ein Frieden, den ich schon lange nicht mehr fühlen konnte.
Jetzt können wir nur noch beide verlieren, das weiß ich. Es gibt keine Antwort. Alles was er sagen kann, würde nicht reichen. Ich kann ihm nicht glauben, nehme ihm seine Liebe nicht ab, gestehe ihm das ernsthafte Fühlen überhaupt nicht zu. Würde er mir einen Heiratsantrag machen, hätte das Heiraten keine Bedeutung mehr für mich. So wie ich seine Gefühle nicht aus dem Bereich des Bemängelbaren hervorheben kann, kann er die meinigen nur noch als übertrieben betrachten und somit können wir beide die Gefühle des jeweils anderen für nicht anders als verblendet und unvereinbar mit den unsrigen betrachten.
Er sagt dann irgendetwas. „Du musst herausfinden, was du willst. Du darfst dich nicht von mir abhängig machen. Guck auf dich und deine Ziele.“
Ich habe keine - das denke ich nur. Ich traue mich nicht mehr.
Er guckt geknickt und abweisend. „Es tut mir so leid, ich will nicht so sein“ sage ich, „Du hast so recht, ich muss mich ändern!“ und ich drücke mich an ihn. Er guckt mich zweifelnd an und sein Ausdruck ist traurig. Ernsthaft getroffen liegt er neben mir. Er sagt nichts mehr.
So dreht sich die Situation, es ist wie ein Spiel. Wir werfen uns gegenseitig einen Ball zu, wer ihn hat, hält ihn kurz und wirft ihn dann wieder weg. Ich denke, vielleicht sind unsere Emotionen und Gefühle füreinander so ähnlich, wie sie von außen unterschiedlich aussehen. Gegensätzliche Extreme können viel gemein haben und vielleicht kann es meine Kunst werden, auf die Gemeinsamkeiten zu achten und die Unterschiede nur durch den Rückspiegel zu sehen.
Ich nehme die Hand von seinen Augen. Gucke ihn direkt an. Ich werfe. Und dann frage ich: „Alles gut?“