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Gefühle außer Kontrolle
An Einladungen zu diversen Festen mangelte es ihr nicht.
Alle mochten Conny, die Stimmungskanone - Garant für eine gelungene Party.
Sie war ein gern gesehener Gast, weil man sie für aufgeschlossen, unkompliziert und ausgesprochen fröhlich hielt. Ja, sie strahlte Lebensfreude pur aus!
Auch an diesem Abend trat sie strahlend, mit perfekt aufgetragenem Make-up, gestylt vom Scheitel bis zur Sohle in Erscheinung. Einigen Gästen stockte der Atem, als Conny in einem gewagten Fummel mit tiefem Dekolletè und auf Highheels in den Raum stöckelte. Mit blond gefärbten, langen Haaren, kunstvoll gelegten Locken - die bis über ihre Schultern fielen - gepflegten Händen mit sorgfältig lackierten Fingernägeln, war sie der Hingucker des Abends. Von meist männlichen Publikum umringt, hielt sie Smalltalk. Darin war Conny Meisterin; sie beherrschte die Kunst einer zwanglosen, amüsanten Konversation und trug zur allgemeinen Heiterkeit bei. Manchmal fühlte sie sich dabei wie ein routinierter Entertainer, der sein Repertoire abspult. Mit kokettem Augenaufschlag und einer zur Schau getragenen, aufgesetzten Fröhlichkeit stand sie wieder einmal im Mittelpunkt und zog die Gäste in ihren Bann. Dabei ließ sie nie wirklich jemanden an sich heran oder in ihr Herz sehen.
Conny spielte allen nur etwas vor: eine selbst erwählte, aber verlogene Rolle.
Niemand der Anwesenden würde auch nur im Entferntesten vermuten, dass sich hinter dem vermeintlichen “Partykracher“ eine ganz andere Person verbarg. Ihr wahres Gesicht kannten nicht einmal gute Freunde. Sie würden aus allen Wolken fallen, wenn sie hinter die Fassade blicken könnten.
Nie wieder würde sie zulassen, dass ihre Gefühle so außer Kontrolle gerieten.
Drei Jahre zuvor...
Kurz nach ihrem 35.Geburtstag starb zuerst ihr Vater an einem Herzinfarkt und wenig später erlag auch ihre geliebte Mutter einem langen Krebsleiden.
Conny hatte ein Gefühl, als zöge man ihr den Boden unter den Füßen weg.
Sie versank in einem Meer aus Trauer und Tränen; fühlte eine unendliche Leere, der Schmerz bohrte sich in ihr Herz. Conny war einem Nervenzusammenbruch nahe, lehnte aber kategorisch ab, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. In ihrer Not klammerte sie sich an Niko, ihren langjährigen Lebensgefährten und einziger Halt. Als sich auch nach mehreren Wochen nichts an ihrem Zustand änderte, wurde es auch Niko irgendwann einmal zuviel. Er fühlte sich von der ganzen Situation völlig überfordert und hielt es nicht mehr länger aus, mit einer Frau zu leben, die nur noch heulend, oder in Gedanken versunken, stumm in einer Ecke saß.
Zu allem Überfluss geriet auch noch ihre Beziehung in Gefahr; drohte allmählich daran zu zerbrechen. Niko begann, immer öfter eigene Wege zu gehen.
Ein Jahr später...
An einem Nachmittag, als sie gerade in einer Apotheke ein Beruhigungsmittel besorgte, sah sie Niko durch die Schaufensterscheibe: Händchen haltend und turtelnd mit Petra, einer gemeinsamen Bekannten. Offensichtlich schwer verliebt schlenderten die beiden unbemerkt an ihr vorbei.
Für Conny brach eine Welt zusammen; während sie so dringend seine Hilfe benötigt hätte, vergnügte
er sich mit einer anderen Frau.
Nach etlichen schlaflosen Nächten sah sie nur noch eine Möglichkeit, wie sie dem ganzen Elend entfliehen konnte. Wenn sie nicht langsam daran zugrunde gehen wollte, musste sie sich aus der Lebenskrise befreien. Sie musste fort aus dieser Stadt, wo man ihr alles genommen hatte, was ihr lieb und wichtig war. Ihr Entschluss stand fest: sie würde alle Brücken hinter sich abbrechen.
Mit letzter Kraft regelte sie einige persönliche Dinge, um sich danach heimlich aus dem Staub zu machen. Sie verzichtete darauf, Abschied von Niko zu nehmen und ließ ihn ahnungslos zurück. Sie hatte ihn so geliebt, aber das zählte nicht mehr. Er hatte sie im Stich gelassen und betrogen - sie war ihm keine Erklärung schuldig.
Zunächst fand sie Unterschlupf bei einer Tante, die 500 km entfernt in einer Großstadt lebte. Schnell fand sie als gelernte Rechtsanwaltsgehilfin in einer Kanzlei einen neuen Job. In der Nähe mietete sie ein kleines Apartment, das sie mit viel Geschmack einrichtete. Viele neue Eindrücke lenkten sie endlich ein wenig von ihrem Leid ab.
Sie war bereit, sich mit Macht aus den Klauen der Depression zu befreien.
Sie würde kämpfen und allen beweisen, dass sie eine starke Frau war.
Nie wieder würde sie zulassen, dass ihre Gefühle so außer Kontrolle gerieten.
Drei Jahre später...
Conny war stolz darauf, dass es ihr gelungen war, sich ganz allein aus ihrem Tief zu ziehen. Zwar verspürte sie immer noch diesen dumpfen Schmerz über ihren großen Verlust, aber sie verdrängte - so gut es ging - die Gedanken daran. Nie mehr würde sie zulassen, dass ihr etwas so unter die Haut ging. Manchmal brachte die Sehnsucht nach Niko sie fast um, aber er hatte sie zu sehr enttäuscht. Sie musste ohne ihre Eltern leben, sie würde es auch schaffen, ohne Niko zu leben!
Sie hatte endlich das Tal der Tränen verlassen - es konnte nur noch aufwärts gehen.
Nie wieder würde sie zulassen, dass ihre Gefühle so außer Kontrolle gerieten.
Vier Jahre später...
Zum 40.Geburtstag einer Freundin aus vergangenen Tagen, kehrte Conny für einen Abend in ihre Heimatstadt zurück. Wieder trat sie in ihrer Rolle der mondänen, glamourösen Frau auf, aber das war ihr gar nicht bewusst.
Sie hielt an dieser Rolle fest, es machte sie stark und unverletzbar.
Plötzlich schien ihr Herz für einen Moment still zu stehen und sie erfasste ein leichtes Schwindelgefühl. Zwischen den Gästen entdeckte sie IHN: Niko!
Am liebsten hätte sie unauffällig die Party verlassen, aber da stand er bereits vor ihr. Er sah sie eine Weile befremdet an, bevor er ihr die Hand zum Gruß reichte. Niko schien seinen Augen nicht zu trauen, sie konnte die Skepsis und Verwunderung darin lesen. Er blickte sie so durchdringend an, als wolle er bis auf den Grund ihrer Seele schauen. Connys gespielte Rolle fiel zusammen wie ein Kartenhaus. Längst verloren geglaubte Gefühle stiegen in ihr hoch. Sie sah in das vertraute, geliebte Gesicht und ein warmes Lächeln, das von Herzen kam, umspielte sanft und weich ihre Lippen. Zum ersten Mal nach langer, langer Zeit musste sie sich nicht mehr verstellen. Sie kämpfte gegen aufsteigende Tränen an und hauchte ihm aus Dankbarkeit einen Kuss auf die Wange.
Einen Tag später...
In ihren eigenen vier Wänden konnte sie endlich ihre Maske abstreifen; ließ sich erschöpft fallen.
Sie fühlte sich schwach und hilflos, aber auch befreit.
Vor Erleichterung fing sie an zu weinen, aber diesmal waren es Tränen des Glücks.