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Gedankenherbstlaub

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26.10.2001
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Gedankenherbstlaub

Gedankenherbstlaub


Sie klammern sich an, sie sträuben sich, sie werden losgerissen und fallen taumelnd zu Boden. Sie leuchten noch einmal auf in der späten Sonne und reihen sich ein in den großen, bunten Teppich aus braungelbrötlichen Herbstfarben. In mir steigen Gedankenbilder auf. Bin ich wie der Baum, der immer kahler wird und sich der rotgelben Herbstsonne entgegenreckt, oder wie eines seiner Blätter, welches sich sinnlos gegen das Fallengelassen werden sträubt?

Bin ich, wenn ich wie so ein Blatt bin, im Moment des Loslassens nicht auch durchdrungen vom herzzerreißenden Gefühl des verloren – seins, des gewaltsam getrennt werdens?
Losgelöst von der vorher beschützenden Gemeinschaft und hinab gerissen in die neue Gemeinschaft der Entwurzelten?
Wie vielen mag es gerade gleich ergehen? Entwurzelt zu sein? Haltlos zu taumeln, unfreiwillig?
Auch denen, die sich selber losgerissen haben um zu fliegen, dem Traum von selbst bestimmter Freiheit zu folgen, nur um erkennen zu müssen, dass der kurze Flug am Boden endet ergeht es nicht besser. Die scheinbare Besonderheit jener Freiheitssucher erlischt, wie sie mit dem bunten Herbstleuchten begann, über Nacht. Der Schmerz der nun einsam in der Masse herumliegenden Freiheitshelden ist bestimmt tief und eisig. Zur Sonne fliegen wollten sie, um Weite und Freiheit zu spüren. Nun finden sie sich betäubt von raschem Fall und Aufprall, vor dem Sie keiner gewarnt hatte, am Boden wieder. Sie werden nur ab und zu noch durch böige Winde herumgewirbelt, vielleicht von Würmern in die schwarze Erde hinab gezogen, oder zu Laubhaufen zusammengekehrt, um im herbstlichen Feuer eines sorgsamen Gärtners zu enden.
Alle gleichermaßen gehen sie dann in Rauch auf. Ohne Unterschiede, ob selber gewählt, oder nicht. Gefallen sind sie alle. Ein letzter Gruß ihrer bisherigen Existenz im kühlen, strahlenden Himmel, blassblau, sich verwirbelnd und sich in Unsichtbarkeit auflösend.

Alle wandeln wir uns zu neuem. Phönixe. Herbstlaub im Garten des Lebens.

Oder der Baum? Bin ich wie der Baum? Kahler werdend, einen Sommer älter geworden? Ich habe einen Jahresring mehr um mich geschlossen. Ich habe Vögeln unter meiner Krone Obdach gewährt. Nun sind sie, flügge geworden, davongeflogen. Nach Süden in die Wärme die ich jetzt auch so dringend brauchte. Meine Gedanken folgen ihnen nach.
Ihre Nistspuren weht der kälter werdende Wind aus meinen schützenden Astgabelungen, die sie, liebevollen Fingern gleich, zärtlich gehalten hatten. Aus Raupen sind Schmettrelinge geworden. Sie kamen zurückgeflogen um in meinem Schatten auszuruhen. Nun sind auch sie fort.

Eine grau getigerte Katze mit weißem Bauchfell hält mir noch die Treue, denn ich gebe ihr Obdach zwischen meinen Wurzeln. Nur eine Zweckgemeinschaft? Wohl nicht. Sie schnurrt mir ihre Ergebenheit entgegen, und reibt ihr Köpfchen an meiner Rinde.

Ich weiß wohl um die Gezeiten des Lebens, dem stetigen Werden und Vergehen. Dennoch trägt mein Baumherz schwer daran es zu akzeptieren, immer wieder aufs neue entblättert, nackt, frierend und mich hässlich fühlend dastehen zu müssen, wenn es dem Leben gefällt mich unter seine Herrschaft zu zwingen. Aber wird nicht vielleicht auch bald schon wieder jemand an mir vorbeigehen, meine filigranen Astspitzen bewundern und mich in all meiner entblößung schön finden?
So schön, dass er, oder sie meine Gesellschaft sucht, sich an meinen rauen Stamm lehnt und zu träumen beginnt, von Sonne, Wärme, Duft und Glück?
Ja, es werden wohl auch wieder neue Blätter kommen, falls ich den Winter überstehe. Ja, es werden neue Frühlings – und Sommertage kommen, neue Vögel auf mir nisten, neue Käfer und Larven unter meiner Rinde wohnen. Auch das ist wohl der Lauf der Dinge. Das Leben wohnt in mir.
Als Baum weiß ich, dass jedes meiner Blätter durch die darunter hervorkeimende neue Knospe abgestoßen wird. Das gibt mir die Gewissheit des erneuten Werdens.
Ein Trost in der Nacht, ein Trost während des langen Wartens.
Aber all das ist noch einen langen, kalten Winter weit weg.
Mögen wir alle diesen Winter überstehen…
Ich versenke meine Wurzeln noch ein Stückchen tiefer in die Erde, um einen festen Stand zu haben wenn die Nordstürme an mir rütteln, um mich mit Stumpf und Stiel auszureißen und mir den Rest zu geben.
Ich werde tief in meinem Inneren, wo ich all meine Lebensenergie, meinen Lebenswillen, meine Liebe und meine Zärtlichkeit wie einen kostbaren Schatz verborgen habe, standhaft bleiben und an einen neuen Sommer glauben.
Wie schon all die Jahre zuvor.
Möge er kommen.
Ich bin bereit.

Und die Junge Frau stand mit dem Besen im Garten und fegte Laub zusammen.
"Scheißherbst" dachte sie, "Nix als Ärger und Arbeit damit, wie nach dem Ende einer Beziehung, die man nicht gleich verdrängen kann."
Und auch sie sehnte sich einen neuen Sommer herbei, während der Baum, unter dem sie stand, leise erschauerte.

© 10/08 Nick L.Arion /AP

 

Hi Lord,

cool, dass du wieder schreibst und hier veröffentlichst! :)

Eine schöne, melancholische Gedankendiskussion find ich ist das. Sowas geht jedem irgendwann durch den Kopf, aber nicht jeder kann sie gut rüberbringen. Dieser Versuch ist dir denke ich gelungen, wenn es auch vielleicht nicht deine Priorität war super originell zu sein. Der Text hat auf jeden Fall Melodie - auf allen Ebenen. Es gibt Leserkopfresonanz.

Muss allerdings auch anmerken, dass es sich um keine Geschichte handelt. Wahrscheinlich hätte ich ein Neumitglied darob gerüffelt, bei dir, den ich persönlich kenn, fällt mir das leider schwer ;). Dabei hätte es mir genügt, wenigstens eine kleine Nebenhandlung einzuflechten. Blätter fallen passiv vom Baum, das ist keine Handlung, der Baum wird kahl, er macht sich nicht kahl. Nur ein Beispiel: Jemand kommt des Wegs, hebt ein Herzblatt auf und sagt guter Laune einfach »Danke Baum« ...

Ein bisschen vermisse ich zudem den Aspekt, dass Bäume ja Samen streuen. Er hat also einen Zweck. Der Samen könnte als Metapher für so vieles gelten, nicht nur biologische Fortpflanzung. Eine Idee, ein Impuls, ein gutes Gespräch ist etwas, wofür der Same als Gleichnis herhalten könnte.

Nun finden Sie sich betäubt von raschem Fall und Aufprall, vor dem Sie keiner gewarnt hatte am Boden wieder.
  • Redest du tatsächlich den Leser an, oder meinst du nicht vielleicht doch >> sie?

gefallen sind wir alle.
  • Satzanfang >> Gefallen ...

liebevollen Fingern gleich zärtlich gehalten hatten.
  • Komma >> gleich, zärtlich

standhaft bleiben
Ja, einen starken Stamm hat der Baum, mit dem sich der Erzähler - und hiermit auch der Leser - identifiziert.

Hat mir gut gefallen.
-- floritiv.

 

Danke Flo. Die kleinigkeiten habe ich sofort geändert, und auch unten etwas mögliches angefügt...
Gruß auf den Berg
Lord

 

Hallo Arion,

Für mich liest sich der Text als hinkende, unfreiwillig komische Metapher von Freiheit, Selbstbestimmung und Weltenschmerz allgemein.
Besonders auffällig ist der starke Kontrast von eher trostlos deprimierendem Inhalt und der überwältigend blumigen Sprache.
...

Gruß,
HienTau

 

moin, HienTau.
Erklär mir doch bitte, was da hinkt, aber als Metapher war es durchaus gemeint, und auch den Weltschmerz, der sicherlich da reingespielt hat kann ich nicht leugnen.
Nun ja, ich schreibe eben einen etwas "altmodischen" Stil, und er erschien mir passend für die Thematik.
Für konkrete Vorschläge bin ich aber immer zu haben.
Thx fürs Lesen. Lord

 

Hallo Arion,

In diesem Text zwängst du überwältigende Motive auf engstem Darstellungsraum. Problematisch dabei ist, dass die Metaphern durch die übergroßen Motive hoffnungslos überladen sind; so sehr, dass der Text geradezu schwülstig (http://de.wikipedia.org/wiki/Schwulst) wirkt.

Nehmen wir einmal exemplarisch diesen Satz:

Bin ich, wenn ich ein Blatt bin, im Moment des Loslassens nicht auch durchdrungen vom herzzerreißenden Gefühl des verloren – seins, des gewaltsam getrennt werdens, der in mir verzweifelt tobenden, nach Halt und Hoffnung suchenden Hilflosigkeit?

Hier unterstellst du einem simplen, unbelebten Blatt praktisch eine komplexe Persönlichkeit in existenzieller Angst. Das ist so fern dessen, was man von einem Blatt erwarten kann, dass es fast schon absurd, ja komisch wirkt (siehe hierzu z. B. Kalkofes "Edelweiss", auf youtube und DVD zu finden, wo er ein überhöhtes Loblied auf Blumen parodiert).
Diese Überladung der Projektionsflächen (Herbstblatt, Baum) zieht sich durch den gesamten Text und stellt damit das aus meiner Sicht größte Problem dar.
...

Gruß,
HienTau

 

Nein. ich unterstelle dem armen Blatt nichts von dem. Ich versetze mich lediglich mit meiner Phantasie hinein, und frage mich dabei, was ich mit meinem Menschenbewusstsein für Erkenntnisse, bzw. Emotionen beim losgerissen/abgestoßenwerden hätte... Wie gesagt, das ganze ist ja nicht real... sondern ein Sinnbild. Mehr nicht. Außerdem würde der ganze Text keinen Sinn machen, wenn sich die Thematik Blatt/Baum/ Werden, und Vergehen nicht komplett hindurchzöge.

Gruß Lord

 

Hi Lord!

Dünne Handlung, nicht wahr? :D Ist mehr ein (herbstliches) Stimmungsbild, das da gezeichnet wurde. Teilweise fand ich schöne Metapher, wie die mit dem Baumring und ein paar mehr. Allerdings war mir auch meist die Sprache zu überladen. Z.B. sowas:

Bin ich, wenn ich ein Blatt bin, im Moment des Loslassens nicht auch durchdrungen vom herzzerreißenden Gefühl des verloren – seins, des gewaltsam getrennt werdens, der in mir verzweifelt tobenden, nach Halt und Hoffnung suchenden Hilflosigkeit?

Soviele Gefühle, die der Leser nachvollziehen muss, in einen Satz gepackt! Einfacher wäre das auch intensiver, finde ich.

Kleinkram: Kommata und so. Auch die Gedankenstriche statt Bindestriche bei den zusammengesetzten Wörtern haben mich gestört, wie auch ihre Rechtschreibung.

Fazit: Ein schönes melancholisches Bild, das leider überzogen wurde.

Gruß
Kasimir

 

Hi Lord,

Nein. ich unterstelle dem armen Blatt nichts von dem. Ich versetze mich lediglich mit meiner Phantasie hinein, und frage mich dabei, was ich mit meinem Menschenbewusstsein für Erkenntnisse, bzw. Emotionen beim losgerissen/abgestoßenwerden hätte...
Für den Leser macht es praktisch kaum einen Unterschied, aus welcher Perspektive das Blatt überladen wird. Um mal ein etwas klareres Beispiel zu wählen: Stell dir vor, jemand schreibt aus der Sicht eines Kugelschreibers seine Angst vor dem/beim Fall vom Schreibtisch.
Das ist durchaus eine gültige, mögliche Perspektive, wirkt aber in Verbindung mit dramatischem Weltenschmerz an den Haaren herbei gezogen, der Situation nicht gerecht. So ähnlich (wenn auch nicht so trivial) verhält es sich meiner Ansicht nach größtenteils bei diesem Text.
Beim Baum sehe ich das Ganze schon etwas gelassener und nachvollziehbarer. Dem kann man schon deutlich mehr Erfahrungsraum zutrauen.

Außerdem würde der ganze Text keinen Sinn machen, wenn sich die Thematik Blatt/Baum/ Werden, und Vergehen nicht komplett hindurchzöge.
Das bezweifle ich nicht, sondern die angesprochene Überladung.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass du durchaus den Leidensdruck und die Motivation hast, etwas in Worte zu gießen (formal ist an der Geschichte kaum etwas auszusetzen), dabei aber hier nicht die richtige "Gießform" gefunden hast.

Ansonsten schließe ich mich Kasimir an: Einfacher wäre intensiver.

Gruß,
HienTau

 

Moin, ihr beiden. Werde nochmal refletieren, und ggf. ändern. Ihr köntet rechthaben.Kann n. bischen dauern, da ich wenig Zeit am Rechner hab. Aber ich will natürlich, dass sie irgendwann nur noch Lob kriegt, diese kleine Story...
Danke für eure Mühe.
Gruß, Lord

 

Hej Lord Arion,

Ich verstehe folgendes nicht: da ist ein Mensch, den das Herbstlaub melancholisch stimmt, er vergleicht sein Dasein mit dem eines Blattes, dem eines Baumes und findet dadurch zu einer positiv(er)en Grundstimmung. Diese Idee finde ich gut und schön.
Aber wie steht das jetzt im Zusammenhang mit dem letzten Absatz?

Die Unterscheidung zwischen Mensch und Baum als Projektionsfläche finde ich zu ungenau. Dadurch gerät das Bild vom Baum oft schief.
Der Mensch/Baum tröstet sich mit dem nächsten Sommer. Auf einer emotionalen, menschlichen Ebene ganz vernünftig, aber wenn man weiterdenkt, folgt auf den nächsten Sommer ein Winter und so weiter. Würde ein Baum trauern?
Eher nicht. Noch wahrscheinlicher: Er trauert nie, weil die Trauer einen Widerspruch zu seinem Dasein, dem Wechsel der Jahreszeiten, darstellt.

Wir Menschen besitzen andere Fähigkeiten, ob sie nun sinnvoll sind oder nicht. Im letzten Absatz deutest Du es an, mit dieser "Beziehung, die man nicht gleich verdrängen kann."
Mann stelle sich einen Baum vor, der den Winter verdrängen wollte.

Noch:

dass der kurze Flug am Boden endet ergeht es nicht besser.
endet, ergeht

Aus Raupen sind Schmettrelinge
Schmetterlinge

und mich in all meiner entblößung schön finden?
Entblößung

Viele Grüße
Ane

 

Hallo Lord,

Besser ist's. An dem sich für mich auftuendem grundsätzlichen Widerspruch (zuviel gewaltige Themen in die Blätter/den Baum hineingezwängt) ändert das wenig, aber das zu Ändern würde bedeuten, einen neuen Text zu schreiben, denke ich.

Erstaunlich positiv ist mir der Absatz mit der Katze aufgefallen (Habe ich den beim ersten Lesen übersehen oder ist der neu?), der auf den ersten Blick scheinbar von der abstrakten Abhandlung ablenkt (so real), aber dem Text tatsächlich etwas mehr Gefühl und Tiefe gibt.
...
Wenn ich so recht überlege, könnte dieser Text in gekürzter Form eine melancholische Einstimmung auf eine komplette Geschichte sein ...

Gruß,
HienTau

 

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