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Gedankenbrief
Hallo Gott,
ja, ich weiß. Lang, lang ist’s her. Vielleicht weißt du gar nicht mehr wer ich bin, schließlich habe ich mich das letzte Mal bei dir vor ungefähr neun Jahren oder so gemeldet. Zeiten ändern sich. Ich bin übrigens sechzehn, falls du dich nicht erinnerst. Und der Grund, warum ich deine Zeit in Anspruch nehme ist...tja, es gibt keinen wirklich Grund. Ich will mich auch ganz kurz fassen.
Ich bin ein bisschen fertig, hilflos, ja ehrlich gesagt komplett überfordert und es gibt nur wenige Leute mit denen ich darüber sprechen möchte. Da musst du nun herhalten. Nicht, dass du meine letzte Wahl wärst oder so, natürlich nicht. Aber ich brauche im Moment niemanden, der auf meine Geschichte antwortet und da bist du doch der Richtige.
Du kannst mir gerne ein paar Geheimtipps geben, die mich aus dieser Situation retten. Kleine, geheime Zeichen. Falls du Zeit dafür hast. Ich bin ja nicht anspruchsvoll.
Es ist dieses wunderbare Mädchen. Nein, die war mehr als wunderbar. Sie wirkte beinahe göttlich und himmlisch (falsche Ausdrucksweise für dich, lieber Gott?) und ich war sofort in sie verknallt. So ging es nicht nur mir so. Ich glaube insgesamt waren wir vierundvierzig aus der elften Stufe, die hin und weg waren. Ich war aber mit Sicherheit am meisten hin und weg.
Weißt du, ich bin nicht so der Frauenheld. Meine letzte, einigermaßen ernstzunehmende Beziehung hatte ich mit dreizehn. Diese Beziehung hat zwei Wochen gedauert, aber war auf ihre eigene Art und Weise wunderschön. Wie auch immer, dieses neue Mädchen, ihr Name war Lillian (oh Gott, wie kann man nur Lillian heißen? Das war, wie du merkst, eine direkte Frage an dich) kam also in die Klasse. Das Wunderbare an ihr war, dass ihr anscheinend gar nicht bewusst war, wie toll sie war. Kein Lächeln das aussagte: „Ja, ich bin die tolle Neue hier. Mädels, macht euch auf was gefasst“ und auch kein arroganter und ignoranter Blick, der sagte: „Ja, ihr mich auch.“ (Das ist 'ne Redensform. Ich werde sie dir nicht erläutern).
Sie wirkte nervös und aufgeregt, guckte sich zaghaft und unsicher in der Klasse um und trottelig wie ich bin, grinste ich wie ein Honigkuchenpferd von einem Ohr zum anderen. Sie hat mich verwirrt angeguckt und unsere Blicke trafen sich. Neben mir saß so ein Spasti (kennst du den Ausdruck? Ziemlich neu, kannst ihn ja in dein Lexikon schreiben, falls es noch nicht darin vorhanden ist), der hat auch gegrinst. Mehr gelächelt. Vielleicht hat sie auch ihn verwirrt angeguckt. Er ist der Frauenheld unserer Stufe (grrrr! Argh! Hmpf!) und auch ein sehr erfolgreicher. Dabei weiß er nichts. Er hat von nichts eine Ahnung, außer von American Football und Techno Trance. Aber das kann es doch nicht sein, oder? Und alle Mädchen reißen sich um ihn. Aber sie sah anders aus. Nicht so wie eine, die sich an ihn schmeißen würde.
Lillian hatte keine einfache Zeit am Anfang. Die Mädchen waren eifersüchtig, trotz ihrer netten Art. Es geht eben doch nur um das Eine: Ich bin besser und schöner. Wenn du besser und schöner bist, hassen wir dich. Das typische, unverständliche Mädchengetue eben. Wir Jungen waren da schon ganz anders und haben sich an sie rangehängt, was viel logischer ist. (Bist du eigentlich eine Frau, Gott? Vielleicht ist das eine blöde Frage, aber wenn ich mich schon mit dir unterhalte sollte ich eigentlich wissen, was dein Geschlecht ist und bei welchen Bemerkungen ich eventuell vorsichtig sein sollte. Warum geht jeder davon aus, dass du ein Mann bist? Ha! Vielleicht hast du gar kein Geschlecht.)
Naja, ich wollte mich ja auch kurz fassen, da ich müde bin und endlich schlafen möchte. Sie hat sich in mich verliebt (Wunder über Wunder! Danke an dich, schließlich bist du doch für Wunder zuständig) und wir hatten eine schöne Zeit zusammen. Mehr als schön. Mehr als das. Tausendmal, billionenmal. Schöner als alles andere, was ich jemals erlebt habe.
Wenn ich zu lange darüber rede wird es wehtun. Aber du merkst vielleicht wie viel mir an ihr lag und dass ich sie immer noch liebe. Sie hat mich verlassen. Für den Typ, der neben mir saß. Den Spasti. Und das hat mich jetzt verwirrt. Ich meine, sie war nicht so. Oder sind alle Mädchen so? Was soll das? Seitdem sie mit ihm zusammen ist finden die anderen Mädchen sie auch alle toll. Geht es denn nur darum? Muss man immer den anderen gefallen? Bin ich denn alleine auf dieser Welt?
Naja, Gott. So nach all den Jahren wollte ich dir dann doch mal wieder eine kleine Geschichte von mir erzählen. Die schwierige Situation ist jetzt: soll ich versuchen sie zurückzuerobern? Oder lohnt sich das bei ihr nicht? Na? Geheime Zeichen? Ein Ratschlag?
Ich weiß, ich habe viele Fragen gestellt. Und ich weiß, sie werden von dir unbeantwortet bleiben, schließlich hast du viel zu tun. Aber manchmal hilft es einfach, wenn jemand zuhört. Also, Danke.