- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Gedanken zum 1. Mai 2003
Gedanken zum 1. Mai 2003.
Der Traum von einem besseren Leben für Alle.
Heute ist der 1. Mai 2003. In Österreich feiern wir heute den Tag der Arbeit. Vielen ist dieser Tag heute nur noch ein weiterer Feiertag. Selbst die Arbeiter haben heute den Sinn dieses Tags "vergessen". Nein, nicht ganz. Denn die Zeichen der Zeit stehen heute ja nicht mehr so gut. Die Träume von einer baldigen Pension sind mit der neuen Pensionsreform ade. Und viel weniger, als die bekommen, die heute schon gehen dürfen, wird es ebenfalls sein. Die Arbeiterschaft beginnt sich wieder ihrer Muskeln zu besinnen. Streiken ist angesagt. Und dieses Mal wollen Alle streiken. Auseinander dividieren ist dieses Mal nicht drinnen. Denn was die Pensionen betrifft, da sind sich alle Arbeiter, Angestellten und Beamten einig: diese Pensionen haben auch weiterhin sicher zu sein und halbwegs ein Leben führen soll man davon auch noch können.
Alle Tageszeitungen widmen heute diesem Tag eine Geschichte aus unserer nun schon so alten Arbeiterkampfgeschichte. Manche drucken sogar ein scharfes Kampflied von Damals dazu oder ein alle Arbeiter der Welt solidarisierendes Gedicht. Und die Bilder von den Zuständen von Damals rufen in uns eine ferne, unvorstellbare, weil ja meist nicht mehr selbst erlebte "Erinnerung" wach, und bei manchen wohl auch ein leicht ungutes Gefühl im Herzen. "So Zeiten wie damals, die werden doch nicht wieder kommen?"
Ich saß gestern, den 30. April 2003, ab 23.00 Uhr in meinem "Arbeitsbeisl", im Smaragd, wo ich fast alle meine Geschichten schreibe. Ich war auf der Suche nach so einer Geschichte, oder gar nach einem Gedicht. Verdammt, wie lange ist es wohl schon her, dass ich ein Gedicht geschrieben habe? Zwei Monate? Na mindestens. Es wird also wieder Zeit für ein schönes Gedicht.
So viele Gesichter, doch keine Geschichte dabei. Aber ich war heute verdammt gut drauf. Ich wusste, entweder würde ich mich heute gut unterhalten, in der Kellerdisco ein wenig tanzen, oder es würde mir eine irre Geschichte über den Weg laufen. Wie auch immer, Alles soll mir recht sein. Ich hatte ein irre gutes Gefühl. Und darauf musste ich mit den verdammt hübschen Kellnerinnen Toutou und Bettina einen Tequila trinken.
Wir hatten kaum dieses scheußliche Getränk mit einem grässlichen "Wwweuh" hinunter gespült, "pfui Teufel, ist das grauslich, haha!", da ging die Türe auf, und siehe da: Wer schneit da herein zur rechten Zeit? Es ist der Zeitungsmann aus dem Iran. Ich kaufe ihm gleich eine Abendausgabe der Kronen Zeitung ab. Ich spreche ein paar Worte mit ihm, dann eilt er eiligst weiter.
Ich werfe einen Blick aufs Titelblatt. Hey Mann, was schaut mir da entgegen. Es wird wohl Nichts mit der guten Unterhaltung werden, zumindest nicht in den nächsten zwei, drei Stunden, und wohl wieder nichts mit einem Gedicht. Da schaut mir doch glatt meine schöne Geschichte entgegen.
Die Schlagzeile: ÖGB-Chef Verzetnitsch im "Krone"-Interview: Pensionsreform noch zu stoppen. Darunter ein Bild wie ein Hammer zum 1. Mai. Ein kleines, hilfloses Kind steht zwischen zwei riesigen Spinnmaschinen. Das Foto wurde 1909 aufgenommen in den USA. Und dann der Text: Damals sang man in der Arbeiterbewegung:
"Was wir verlangen von der Zukunft Fernen:
dass Brot und Arbeit uns gerüstet stehn,
dass unsere Kinder in der Schule lernen
und unsere Alten nicht mehr betteln gehn."
Ich denke: Mein Gott, dieses Kind. Wie ist denn so was möglich? Wie konnte Jemand so skrupellos sein? Es sind doch unser Aller Kinder? Mir tut so was immer so furchtbar weh. Und da denke ich weiter: Ja, bei uns haben es die Kinder ein wenig besser. Es geht ja nicht Allen so gut, aber die Gesellschaft im Ganzen steht heute hinter unseren Kindern.
Und da fällt mir dann ein, dass es ja nicht überall so ist auf unserer Welt. Und irgendwie profitieren wir Alle davon. Damals hat das Bürgertum und die Unternehmerklasse von der Kinderarbeit bei uns profitiert, und das ohne jede Skrupel. Heute, wo die Welt so klein geworden ist, profitieren wir davon, und das wohl genauso ohne jede Skrupel.
Und bei diesen Gedanken fiel mir die folgende Geschichte ein:
Ein paar Tage später, weit weg von unserer Welt des Wohlstands, in den schmutzigen Slums von Kalkutta.
Alisha
Alisha ist krank. Alisha ist so hungrig. Alisha hat eine zerquetschte linke Hand, die Finger baumeln willenlos ins Leere. Alisha kann auch nicht mehr als Prostituierte arbeiten, ... es ist schon zu offensichtlich: eine böse Geschlechtskrankheit frisst sie von Innen her auf.
Alisha ist fünfzehn Jahre alt. Bloß das Leben hält sie noch am Leben. Sie hat kein bisschen Ahnung, warum das so ist. In ihrer Schüssel vor ihren Indersitz-Beinen liegen bloß vier 10-Paise-Münzen*, ihr ganzer Besitz, die sie am Morgen dort selbst hinein getan hat, damit die Passanten wissen, dass dort noch was rein gehört. Doch die Passanten scheinen heute wieder einmal Nichts zu wissen, kein Einziger hat sich bis jetzt, es ist schon später Abend, erbarmt.
Alisha sitzt auch an keinem guten Platz. An die guten Plätze lassen die Bullen sie nicht mehr heran. Irgendein ordnungsliebender Gummiknüppel wartet dort immer auf sie. Ihre Krankheit ist schon zu offensichtlich. Die Eiterkretzen bedecken schon teilweise den Hals, ein paar hat sie auch im Gesicht.
Im letzten Monat ging es noch, da trug sie bloß den schmutzigen Wegwerfsahri vom Hals bis zu den Zehen. Man sah noch Nichts und sie konnte vom Betteln gerade noch ein wenig leben. Doch nun ist schon den vierten Tag über Nichts in ihrem Teller drin.
Alisha wurde von ihrem Vater verkauft, als sie gerade mal fünf Jahre alt war. Ihre Mutter hat geschrieen und geheult. Sie hat sich vor ihrem Mann auf den Boden geworfen und gebettelt und gefleht. Aber es hat Alles Nichts geholfen.
Sie arbeitete dann vierzehn Stunden in einer Spinnerei-Färberei. Die Färbemittel fraßen ihre Hände, ihre Arme auf. Nach gut vier Jahren waren ihre Hände, ihre Arme eine einzige Wunde, es ging nicht mehr. Selbst der Herr der Spinnerei-Färberei hat das dann irgendwann eingesehen, und weil sie ein wenig schlecht sah, deshalb ziemlich umständlich und unbeholfen war, und somit für die Spinnerei nichts taugte, hat er sie an einen Herrn mit Steinbruch weiter verkauft.
Ihre Haut wurde dann langsam wieder besser, doch dafür tat ihr dann bald das Ding da zwischen ihren Beinen weh. Der neue Herr fuhr einfach eiskalt über sie drüber, kein bisschen Liebe war da dabei, ... immer und immer wieder. So oft er auch fuhr, es tat immer wieder furchtbar, furchtbar weh, so weh. Irgendwann ging dann endlich diese ihre Seele fort, dann wurde es mit den Schmerzen ein wenig besser.
Bald verkaufte der Herr sie auch an andere Männer. Der Herr machte ein gutes Geschäft dabei. Sie war auch nicht die einzige. Auch die hübscheren Jungs verkaufte er. Sie schuftete tags über im Steinbruch, ihre Arme waren schwerer noch als Blei. Keine Kraft mehr am Abend, ihr Ding zu schützen. Sie lag einfach nur da, die Hände in der schmutzigen Bettwäsche zu Fäusten verkrampft, die Augen geschlossen. Wenn Einer mehr verlangte, lief sie wie eine kalte Maschine ab. Keine Chance auf Liebe. Die Welt - eine unverständliche Hölle. Keine Chance auf Liebe - die Welt so grausig kalt.
Manchmal schlief sie dabei ein, wenn Einer mal so besoffen war, dass er nicht mehr richtig konnte oder von Haus aus nicht gerade die Offenbarung eines starken Mannes war. Aber Einschlafen war auch gefährlich, manchmal bekam sie dafür Prügel. Aber die gab es sowieso fast jeden Tag. Eine harte Nuss oder Ohrfeige war immer für sie drin. Also was soll´s? Es war eine Chance zu schlafen, während sich die Welt an ihr verging.
Sie war dann irgendwann dreizehn. Sie saß mitten im Steinbruch und klopfte in sich selbst verloren vor sich hin. Peng! Peng! Peng! Immer und immer wieder, so lange, bis der Stein zerfiel. Und dann kam schon der nächste. Diese Welt schien nur aus Steinen zu bestehen. Peng! Peng! Und wieder Peng! Immer und immer wieder, bis .... auf ein mal war da ein mords Bahöh. Schreie dröhnten wild von der Lagerhalle her. Ihr Herr, seine Stimme schrillte, und sonst Irgendwer, der noch lauter, aufgeregter schrillte.
Sie liefen auf sie zu. Sie kannte den anderen Herrn nicht. Na ja, irgendwie wohl schon. Die Stimmen kamen schnell näher. Doch Alisha klopfte einfach weiter, egal, um was es den Beiden ging. Ab da wusste sie dann Nichts mehr. Sie war sofort bewusstlos, fiel vom ersten Hieb gleich um. Als sie dann erwachte, tat Alles weh. So weh, ... von den Fäusten und den spitzen Stiefeln, der ganze Körper übersäht mit blutenden Wunden, blauen Flecken. Ihr Herr hat ihr dann gesagt, dass sie eine Sau wäre, sie hätte den guten Herren angesteckt.
Ab nun war sie für ihren Herrn nicht mehr viel wert. Ab nun war sie von der "leichten" Arbeit des Steineklopfens und des Hinlegens befreit. Ab nun musste sie mit den älteren Kindern die großen, schweren Steine heran schleppen und das nun echte vierzehn Stunden am Tag, an sieben Tagen in der Woche, und geprügelt wurde sie auch viel mehr. Sie hatte ja nun keinen anderen Wert. Das Leben wurde immer mehr zur einzigen, so irren Plag. Sie war oft morgens schon so müde, dass sie kaum aus ihrem Erdloch kam.
Irgendwann erfuhr sie dann, dass ihre Geschlechtskrankheit heilbar wäre, doch woher das viele Geld nehmen für den Arzt und die teuren Medikamente? So wurde es von Monat zu Monat schlimmer. Der Ausfluss juckte. Ihr Ding da unten war immer wund und rot. Am Liebsten hätte sie das Ding einfach weg gekratzt. Sie hat es ja versucht, aber das Ding ging nicht weg, nicht und nicht, so viel Blut konnte wohl gar nicht fließen.
Als sie dann vierzehn Jahre alt war, riss eines Tages eines der altersschwachen Seile, die Felsbrocken rutschten vom Karren, den sie von Hinten mit angeschoben hat. Sie stürzte - der Schmerz war gar nicht mal so groß, im ersten Moment, doch der Felsen lag auf ihrer linken Hand ...
... und da hat sie dann ihr Herr nach zwei Tagen einfach zum Teufel gejagt.
Alisha hat dann eine Zeit lang von ihrem Ding da zwischen ihren Beinen "gelebt". Dabei musste sie alle paar Wochen die Plätze wechseln. Sie war ja nicht gesund, und diese Männer kamen sie dann suchen. Aber sie war immer auf der Hut, erwischt und bewusstlos getreten hat sie dann Keiner mehr.
Irgendwann war dann da nicht mehr nur der stinkende Ausfluss, es fing mit ein paar kleinen Eiterkretzen auf Hintern und Rücken an. Die wurden bald immer mehr und immer mehr. Alisha musste dann um ihr Leben betteln. Aber auch das geht jetzt nicht mehr. Alisha ist so müde. Alisha hat Hunger. Der Hunger brennt in ihrem Bauch, wie die Eiterpusteln auf ihrer Haut.
Auf ein mal muss sie weinen. Alisha weint seit gut zehn Jahren zum ersten Mal. Alisha hat eine Zeitung aus Österreich in ihrer gesunden rechten Hand, die auf ihren Beinen liegt. Sie muss immer dieses Titelbild ansehen. Sie kann ja gar nicht lesen. Aber eine Freundin, eine alte Frau, die auch auf der Straße lebt, die aber ein mal bessere Zeiten gesehen hat, wie sie immer wieder sagt, ... damals, als ihr Mann noch lebte, ... die konnte Deutsch, die hat ihr den Text des dort abgedruckten Liedes übersetzt. Und sie hat ihr die Geschichte erzählt vom Kampf der Arbeiter im Europa vor über hundert Jahr.
Alisha hält in ihren Händen die Kronen Zeitung vom 1. Mai 2003. Diese Kronen Zeitung hat wohl irgendein reicher Tourist aus Österreich weggeworfen. Vorne war ein Bild von einem armen, kleinen Mädchen, das ganz hilflos zwischen so großen Spinnmaschinen stand. Die hat auch so ein Gesicht, wie sie es wohl ein mal hatte. Kein bisschen Kinderleben stand da drin. Dieses kleine, hilflose Mädchen hat wohl auch so schwer arbeiten müssen, wie sie. Dieses kleine, hilflose Mädchen hatte wohl auch kein bisschen Kinderleben. Da war plötzlich eine Liebe da, eine Liebe und eine Sehnsucht, die sie immer fühlte, wenn sie an ihre Mutter dachte, und dieses kleine, hilflose Mädchen da auf dem Bild war auf ein mal ihre Schwester.
Ihre Freundin hat ihr erzählt, die Menschen in Österreich, die hatten ein mal einen zu diesen Zeiten scheinbar völlig irren Traum. Dieser Traum hat dann bald in ganz Europa wie ein einziges Feuer lichterloh gebrannt. Die Menschen wollten, dass ihre Kinder ein mal ein besseres Leben haben würden, dass sie in der Schule etwas lernen konnten, anstatt so bald schon so schwer arbeiten zu müssen. Und sie hatten auch einen Traum, dass so alte Frauen, wie ihre Freundin, nicht mehr ums Leben betteln mussten.
Diese Menschen haben dann dafür gekämpft, für dieses bessere Leben. Sie haben sich den Bullenknüppeln mutig entgegen geworfen. Man hat ihnen die Köpfe dafür eingeschlagen, sie in Erdlöcher gesperrt, sie gefoltert, damit sie ihre Führer verraten. Man hat manche von ihnen an die Wand gestellt, sie mit kaiserlichen Kugeln erschossen oder an den Adelsgalgen aufgehängt.
Aber sie hatten einen Traum und dieser Traum war stärker als ihre Angst zu sterben. Und sie hatten ihre jungen, so neuen Musiker, die für diesen Kampf der Arbeiter ihre Lieder komponiert haben. Und sie hatten ihre jungen, neuen Dichter, die haben ihre kämpferischen Texte dazu geschrieben. Und sie hatten ihre jungen, neuen Maler, die haben ihre Bilder dazu gemalt. Und sie hatten ihre neuen, jungen Fotografen, die haben die Wahrheit auf ihren Fotos festgehalten, damit diese Wahrheit niemals wieder vergessen wird.
In Österreich, in Europa und auch in Amerika müssen die kleinen Kinder heute nicht mehr arbeiten. Sie dürfen zur Schule gehen, sie dürfen dort all diese wichtigen Dinge für das Leben lernen. Und dort müssen auch die Alten nicht unbedingt betteln gehen. Aber ihre Freundin hat ihr auch erzählt, dass dort in Österreich und auch sonst wo in Europa, dieser Erfolg der Arbeiterbewegung heute wieder gefährdet ist. Auch das steht da in dieser Zeitung. Den meisten Menschen dort ging es in den letzten drei Jahrzehnten so gut, dass sie vergessen haben, woher sie kommen. Und wenn sie dort nicht gut aufpassen, dann gibt es dort bald wieder viele Kinder, wie sie, die nicht zur Schule gehen dürfen und Geld anschaffen müssen, so und so, und wohl auch bald wieder viele Alte, wie ihre Freundin, die wieder betteln gehen oder arbeiten müssen, bis sie vor Müdigkeit nicht mehr stehen können und dann einfach umfallen.
Alisha hält eine Zeitung aus dem fernen Europa mit einem von diesen Bildern, die das Vergessen der Wahrheit eines anderen Lebens verhindern sollen, in ihrer rechten Hand, der einen, die sie noch gebrauchen kann, und sie fragt sich: die Menschen in Österreich haben wohl doch vergessen, trotz ihrer Lieder und den Gedichten, den Geschichten, den Bildern und den Fotos von der Wahrheit dazu.
Alisha war doch ein mal so ein kleines, hilfloses Kind und hat in dieser Spinnerei-Färberei gearbeitet. Sie hat dort gehört, dass all diese Stoffe, die sie gefärbt hat mit den ihre Hände und Arme verbrennenden schönen Farben, nach Österreich, nach Europa, nach Amerika gegangen sind. Die Menschen dort im Westen werden das doch wissen, dass sie, das kleine fünfjährige, so hilflose Mädchen für diese so schönen, bunten Stoffe geschuftet hat, und das vierzehn Stunden am Tag, an sieben Tagen in der Woche.
Ja, Alisha denkt, das werden sie dort wohl wissen. Es kann gar nicht anders sein, denn ihre alte, bettelnde Freundin hat ihr auch erzählt, dass die Menschen dort im Westen Alles, wirklich Alles wissen können, wissen dürfen, was sie wissen wollen. Dort im Westen ist das Wissen nicht verboten. Denn auch dafür haben diese Musiker, diese Dichter, diese Maler, diese Fotografen von Damals und all die anderen, die für die Freiheiten der Menschen gekämpft haben, gesorgt.
Und doch musste Alisha schon als kleines Kind so unheimlich schwer arbeiten. Sie hat nie eines von diesen bunten Kleidern besessen, ja nicht ein mal probeweise angehabt. Sie hat nie in einem von diesen Häusern gelebt, für die sie die Steine geklopft hat. Diese Menschen im Westen haben wohl nur für sich selber gekämpft. Wir werden hier wohl auch anfangen müssen, selber für uns zu kämpfen.
Alisha ist so müde. Alisha schläft fast im Sitzen ein. Und da hat Alisha auf ein mal einen Traum. Sie wird ihrem Freund, einem jungen Straßenmusiker, der immer die traurigen Lieder singt, morgen von ihrem Traum erzählen. Er muss Lieder schreiben für einen Kampf der indischen Arbeiter gegen die Ausbeuter hier und jene aus diesem reichen Westen. Aus ihrem Traum muss ein wahrer Feuerbrand entstehen. Es wird Zeit, dass auch die indischen Arbeiter und Arbeiterinnen endlich auf indisch singen:
"Was wir verlangen von der Zukunft Fernen:
dass Brot und Arbeit uns gerüstet stehn,
dass unsere Kinder in der Schule lernen
und unsere Alten nicht mehr betteln gehn."
Und dort im reichen Westen kommt ja jetzt auch eine Neue Zeit. Es geht ihnen dort auch nicht mehr so gut. Die Schere von Arm zu Reich wird dort in letzter Zeit auch immer größer. Vielleicht erwachen dort in nächster Zeit ja auch wieder die jungen, neuen Musiker, diese jungen, neuen Dichter von Heute, diese jungen, neuen Maler und diese neuen, jungen Fotografen? Vielleicht fangen diese Künstler von Heute ja dort auch wieder an, für ein lebenswertes Leben für Alle zu singen, zu schreiben, zu zeichnen und neue Fotos von der Wahrheit zu schießen? Und vielleicht denkt dann dabei der Eine oder die Andere, wenn sie das Solidaritätslied von Berthold Brecht und Hanns Eisler wieder ein mal lesen, hören oder gar singen, wie diese Künstler und Künstlerinnen von Damals auch an all diese kleinen, so hilflosen Alis und Alishas, die gestern und heute in der 3. Welt dieses saubere Weiß in die billigen Hemden gebleicht haben und noch immer bleichen? Vielleicht, ja vielleicht? Ja, vielleicht kommt jetzt tatsächlich so eine Neue Zeit, wie ihre Freundin in letzter Zeit immer öfter meint.
Alisha träumt ihren schönen Traum. Alisha weint. Ihr Herz schmerzt dabei. Doch dann zuletzt lässt ihr schöner Traum sie doch noch lächeln. Doch Alisha ist so unsagbar müde, so müde, dass sie nicht einmal noch das Brummen des Hungers im Bauch, das Brennen in ihren Eiterkretzen spürt, und das Jucken im Ding da zwischen ihren Beinen, von dem ihr nie Jemand gesagt oder gar gezeigt hätte, wozu dieses Ding noch gut sein sollte, außer zum Schiffen. Alisha schläft dann gegen Mitternacht lächelnd auf ihrem Bettelplatz ein, eingestrickt in ihren Traum von einem besseren Leben.
Am Morgen hat ihre alte Freundin sie dort gefunden. Man hat sie auf einem Leichenkarren auf einem Berg von anderen Kindern und Alten der Straße weggekarrt und irgendwo in einem Massengrab samt ihrem schönen, so wunderwunderschönen Traum verscharrt.
Doch eine Schwester der Straße hat die Kronen Zeitung mit dem Bild gefunden, und auch ihr hat dann die alte Frau diese Geschichte vom Kampf der Arbeiter und Arbeiterinnen aus dem Alten Europa erzählt. Und so hat dann der Traum von Alisha doch noch zu brennen angefangen, denn ihr Freund, der junge Straßenmusiker, hat dann ihre Geschichte in einem Neuen Solidaritätslied auf indisch besungen.
© Copyright by Lothar Krist (15.2.2003)
1 Indische Rupie (iR) = 100 Paise; Kurs (Mitte 2002): 1 iR = 0,02 €
Solidaritätslied
Text: Bertolt Brecht
Musik: Hanns Eisler
Ref.: Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht! Beim Hungern und beim Essen, vorwärts und nie vergessen: die Solidarität!
1. Auf ihr Völker dieser Erde, einigt euch in diesem Sinn, daß sie jetzt die eure werde, und die große Näherin.
Vorwärts ...
2. Schwarzer, Weißer, Brauner, Gelber! Endet ihre Schlächterei! Reden erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein.
Vorwärts ...
3. Wollen wir es schnell erreichen, brauchen wir noch dich und dich. Wer im Stich läßt seinesgleichen, läßt ja nur sich selbst im Stich.
Vorwärts ...
4. Unsre Herrn, wer sie auch seien, sehen unsre Zwietracht gern, denn solang sie uns entzweien, bleiben sie doch unsre Herrn.
Vorwärts ...
5. Proletarier aller Länder, einigt euch und ihr seid frei. Eure großen Regimenter brechen jede Tyrannei! Vorwärts und nicht vergessen und die Frage korrekt gestellt beim Hungern und beim Essen: Wessen Morgen ist der Morgen? Wessen Welt ist die Welt?
Haben wir Alle denn all diese Lieder samt ihrem Inhalt vergessen? Diese alten Meister der Kunst wollten die Solidarität in die Ganze Welt hinaus tragen. Sie wollten die Kinderarbeit in der Ganzen Welt abschaffen. Die Generationen danach haben jedoch diesen Urgedanken vergessen, sie haben nicht mehr weiter gekämpft. Und genau aus diesem Grund besteht heute wieder die Gefahr, dass man uns, den Arbeitern und Arbeiterinnen, nun wieder Alles wegnimmt, weil wir aufgehört haben für das Gute in der Ganzen Welt zu kämpfen.
Wer im Stich lässt seinesgleichen, lässt ja nur sich selbst im Stich!
Das Bild aus der Kronen Zeitung findest Du ab morgen, wenn der Upload wieder funktioniert, auf meiner Homepage. Navigationsleiste unten, Anhang, am Ende der Seite den Link zur Geschichte anklicken.