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Gedanken einer Sekretärin

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16.03.2003
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Gedanken einer Sekretärin

Sie saß einfach nur aufrecht auf ihrem Sitz in ihrem Zugabteil und starrte hinaus. Zu ihrem kurzen Rock trug sie eine rote Kostümjacke. Die Haare hatte sie streng nach oben gebunden. Sie sah müde aus. Plötzlich riss sie ein vorbeirasender Schatten aus ihren Gedanken. Jetzt bot sich ihr das altvertraute Bild des Entztals. Ihr Blick schweifte über die Aschenbahn und über die Enz. Der Zug würde bald im Bahnhof ankommen. Sie hatte die ganze Zeit nachgedacht, nachgedacht über jetziges Leben, wie es sein würde, wenn sie nach Hause kommt und ihre Mutter sie mit einem Lächeln begrüßen würde und ihr Vater wie immer seine Pfeife rauchte. An dem Tisch, an dem jeden Abend ihre Mutter und ihr Vater noch eine Stunde warteten. Ihretwegen. Meistens erwiderte sie das Lächeln ihrer Mutter und setzte sich an den Tisch, aber heute nicht. Heute würde sie mit ihren Eltern sprechen, denn sie ertrug es kaum, wenn ihre Eltern zu ihr aufsahen. Sie behandelten wie etwas Besseres. Dabei war sie doch auch nur ein Mensch, wie ihre Eltern. Gewiss, sie beherrschte die die Stenografie und sie konnte Französisch sprechen, aber deshalb war sie doch nichts Besseres als ihre Eltern. Wieder wurde sie kurz durch einen am Fenster vorbeihuschenden Schatten abgelenkt. Außerdem lastete dadurch, dass ihre Eltern sie als etwas Besonderes ansahen, ein unglaublicher Druck auf ihr. Ständig hatte sie das Gefühl, Leistung bringen zu müssen. Wie eine Aufziehpuppe, an der man zog und die dann ihren Satz sagte, wie man es eben erwartete. Sie vernahm von ganz weit weg das Quietschen der Zugbremsen und stand auf. Mit einem Zischen öffneten sich die Drucklufttüren. Ja, heute würde sie mit ihren Eltern reden. Nicht so wie gestern einfach wieder alle Gedanken und Entschlüsse verwerfen, als sie das warme Lächeln ihrer Mutter sah. Nein, diesmal würde sie mit ihren Eltern reden.

 

Hi Less!
Mir gefällt deine Geschichte. Was ich nicht ganz begreife ist der vorbeirasende Schatten. Was hast du damit gemeint?
Ansonsten ist es sehr gut. Ich kann der Sekretärin gut nachfühlen. Toll!

Liebe Grüsse,
Marana

 

Hallo Less,
deine Geschichte liest sich sehr gut, ich glaube jeder
hat irgendwann mal so eine Sache die er gerne vor sich hin schiebt um anderen nicht weh zu tun.
Die Schatten die du eingebracht hast, sollen sicher etwas bedeuten. Hier ist die Phantasie des Lesers gefragt. Vielleicht ja einfach nur Bäume an denen der Zug vorrüber fährt, oder vielleicht doch ein Symbole für die Zeit die vergeht bevor sie sich traut den Eltern etwas zu sagen?

Liebe Grüße
Ingrid

 

hallo ihr,

wow, danke, ich hätte nicht gedacht, dass es vorerst mal nur gute kritik für meine geschichte gibt. Danke.
dasbenno

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo less,

mir gefällt deine Gechichte, weil sie Gefühle beschreibt, die ich aus eigener Erfahrung kenne. Ich glaube, viele erwachsene Söhne und Töchter haben dieses Verhalten an ihren eigenen Eltern erlebt: Man ist erwachsen und arbeitet, die Eltern sind alt geworden und sehen den Sohn oder die Tochter als etwas Besonderes an.

Vielleicht passiert das der Sekretärin, weil sie es zu etwas gebracht hat. Das würde ich allerdings eher glauben, wenn sie studieren würde. Dann könnten die Eltern glauben, dass ihre Tochter es einmal weiter bringen würde als sie.

Die Eltern sehen ihre Tochter als die erfolgreiche junge Frau. Sie haben eine hohe Meinung von ihr. Sie erscheint ihnen besser, als sie es glaubt zu verdienen. Dadurch, so schreibst du, fühlt sie sich unter Druck gesetzt.

Fühlt man sich nicht mehr unter Druck gesetzt, wenn jemand einen für chronisch erfolglos hält? Dann muss man dauernd mehr leisten, um das Gegenteil zu beweisen. Wenn mich jemand für toller hält, als ich wirklich bin, dann brauch ich nichts mehr Tolles zu leisten. Wenn meine Eltern alles, was ich sage, für Weisheit halten (weil ich studiert habe z.B.), dann kann ich doch sagen, was ich will, oder?

Noch etwas zum Nachdenken: Du erzählst von außen, verwendest die auktoriale Perspektive. Man merkt das an dem Satz: Sie sah müde aus. Vielleicht wäre die Geschichte noch glaubwürdiger, wenn du in Ich-Perspektive erzählen würdest? (Also: Ich war müde. Ein Schatten riss mich aus meinen Gedanken usw.) Wenn mir jemand Gedanken oder Gefühle aus der Ich-Perspektive erzählt, klingt es glaubwürdiger, als wenn jemand von außen auf eine Person blickt und behauptet: Sie sah müde aus. Oder?

Noch ein kleiner sprachlicher Schnitzer: Sie hatte die ganze Zeit nachgedacht, ... wie es sein würde, wenn sie nach Hause kommt und ihre Mutter sie mit einem Lächeln begrüßen würde

wenn sie nach Hause käme

Insgesamt eine schöne kleine Geschichte. Gratulation und danke.

Grüße,
dein Stefan

 

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