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Gedanken an Louise
Ich war wirklich schon verdammt oft wütend auf dich. In unserer Kindheit brachte es mich zur Weißglut, wenn du mir mein Spielzeug wegnahmst. Später dann hätte ich dich auf den Mond schießen können, weil du den letzten Schluck Sekt getrunken hattest und erst letzte Woche brüllte ich dich an, weil meine Lieblingskette deiner Unordentlichkeit zum Opfer gefallen und nunmehr unauffindbar gewesen war.
Heute bin ich wieder wütend auf dich. Ich bin wütend, weil ich deinetwegen eine schwarze Hose kaufen musste. Du weißt genau, wie sehr ich schwarze Kleidung hasse. Aber bilde dir nur nicht ein, dass ich dazu auch noch eine pechschwarze Bluse trage!
Nein, diesen Gefallen werde ich dir nicht tun. Ich werde die Hose mit einer knallroten Tunika kombinieren: Du weißt doch, welche ich meine. Nach deiner Aussage könnte man den Polyester bei schlechtem Licht sogar für echte Seide halten.
Wahrscheinlich passen deine Perlohrringe ganz gut dazu. Ich werde mich schon herausputzen, keine Angst.
Trotzdem könnte ich dir den Hals umdrehen. Schwarz ist nicht mal eine richtige Farbe und ich hasse es. Das bin nicht ich.
Aber auf Trauerfeiern trägt man nun mal schwarz.
Schwarz. Schwarz. Schwarz.
Tot. Tot. Tot.
Du bist tot.
Scheiße noch mal, warum hast du mir das angetan?
Einfach so abhauen, mich zurücklassen, inmitten all dieser Erinnerungen, inmitten unserer Erinnerungen. Was hast du dir dabei nur gedacht?
Dein Hund vermisst dich. Manchmal rennt er wie angestochen durch die Wohnung und schnüffelt überall, aber meistens sitzt er ganz ruhig auf dem Sofa und glotzt Bauklötze. Vorhin lag er auf deiner Kuscheldecke. Ich habe ihn gelassen. Dabei willst du das doch gar nicht, weil das Vieh so haart.
Ich wollte nie ein Haustier, aber du hast ihn ja einfach aus dem Tierheim geholt. Von allen Hunderassen der Welt musste es unbedingt ein Dackel sein und den hast du dann auch noch Waldi genannt. Das Klischee lässt lieb grüßen.
Auch damals war ich wütend auf dich. Du standest einfach in der Tür, in den Armen einen knappen halben Meter Hund und hast gefragt, wo man Fressnäpfe kaufen könne.
Du wusstest genau, dass ich Waldi insgeheim in mein Herz geschlossen habe, obwohl ich das nicht zugeben wollte.
Auf ihn bin ich übrigens auch wütend. Er hat in unser Badezimmer gepisst.
Gott, das Badezimmer. Drei Schmuckkästchen hast du. Kästchen sind es auch eigentlich gar nicht, Koffer trifft es eher. Ich habe nie verstanden, wozu man so viele Ohrringe, Armbänder und Ringe braucht. Aber du erklärst dich ja nicht gerne. Eine Frau voller Geheimnisse.
Dieses bescheuerte Kopftuch mit den Schmetterlingen hängt noch auf unserem Ohrensessel. Es steht dir überhaupt nicht, aber trotzdem liebst du es.
Ich schaffe es einfach nicht, die Vergangenheitsform zu verwenden, wenn ich an dich denke. Du kannst gar nicht Vergangenheit sein, du bist doch ein Teil von mir.
Ohne dich bin ich nicht komplett.
Wir kennen uns seit frühester Kindheit, haben uns schon in der Krippe mit der Schippe gehauen. Diese Freundschaft mit uns war so innig, so ehrlich, so eng. Und aus Freundschaft wurde Liebe. Und diese Liebe sollte bis in die Ewigkeit halten. Für immer.
Du machst so oft Witze darüber, dass du uns als zwei alte Großmütter schon vor dir siehst, wie wir mit Kittelschürze und Stricknadeln in unserer Wohnstube sitzen und Blasmusik hören …
Das wird nichts.
Du bist nicht mehr da.
Es gibt so viele Dinge, die mich an dich denken lassen Vorhin lief tatsächlich dein Lied im Radio. Erst rollten mir Tränen die Wangen hinunter, dann schmiss ich ein Glas gegen die Wand und habe mir eine Zigarette angesteckt.
Ich weiß, solche dramatischen Ausbrüche passen eigentlich gar nicht zu mir. Du bist immer diejenige, die theatralischer ist, als viele Menschen auf Dauer ertragen können. Und doch wollte ich mein ganzes Leben an deiner Seite verbringen.
Ich liebe dich.
Deine Mutter ruft jeden Tag an. Sie war es auch, die die Überführung organisiert hat. Ich fahre morgen zu deiner Familie, in unsere Heimat. Du bist schon da und wartest auf mich. Sonst ist es immer umgekehrt. Ich warte doch eigentlich immer auf dich. Du bist eine chronisch unpünktliche Person und schrecklich unorganisiert.
Ich bin übrigens auch wütend auf dich, weil du deine Mama zum Heulen gebracht hast. Ihre Stimme ist vom vielen Weinen ganz heiser. Du weißt, wie sehr ich sie mag.
Deine Mutter … Weißt du noch, wie wir uns als Mädchen oft in deinem Baumhaus versteckt haben? Sie hat uns dann immer rote Brause und selbstgebackene Kekse gebracht. Oder dieses eine Mal, als wir beide sturzbesoffen 50 km weit weg aus irgendeinem Club geworfen wurden und sie uns abgeholt hat, mitten in der Nacht und ohne ein einziges böses Wort …
Ja, feiern tust du gern. Du bist ein Genussmensch, eine Lebemädchen, jemand, der möglichst viel erleben möchte. Du kannst Nächte durch tanzen und bist eine wunderbare Sängerin.
Kein Wunder, dass wir unser Dorf für Berlin verlassen haben. Deine Persönlichkeit war einfach viel zu groß für unser kleines Kaff.
Berlin war immer unser Traum und jetzt sind wir hier. Drei Jahre lang haben wir unseren Traum tatsächlich gelebt.
Und jetzt lässt du mich im Stich.
Scheiße. Verdammt, Louise! Warum? Du kannst es mir nicht antun. Bitte nicht. Ich brauche dich! Du bist doch noch viel zu jung. Was ist mit unseren großen Plänen? Was ist mit all den Ländern, die wir noch bereisen wollten? Oder mit dem kleinen Häuschen, das wir eines Tages bauen wollten?
Ohne dich will ich das alles nicht machen.
Ich sollte vielleicht endlich schlafen. Ich übernachte auf dem Sofa. Ohne dich an meiner Seite ertrage ich unser Doppelbett nicht. Eigentlich ertrage ich gerade gar nichts. Alles ist zu viel. Viel zu viel.
Louise, ich vermisse dich. Alles tut weh und ich spüre, wie ich von innen nach außen taub werde.
Und dann muss ich auch noch zu dieser verdammten Trauerfeier.
Dich interessiert es sicher brennend, wer alles kommen wird. Deine Mutter sagte, dass du sicher irgendwo dort oben auf einer Wolke sitzt und uns dabei zusiehst, wie wir heulend über den Friedhof rennen … und uns dabei auslachst.
Ich weiß nicht, ob du tatsächlich noch irgendwo bist. Ich weiß es nicht. Ich Weiß nur, dass du nicht mehr bei mir bist.
Und das macht mich kaputt.
Dein Hund bettelt gerade, er will wohl endlich etwas essen. Nachher kommt auch noch unsere Nachbarin. Sie will mir bei dem ganzen verfluchten Behördenkram helfen.
Ich sollte also aufhören, mich selbst zu bemitleiden und mich aufraffen. Ich sollte.
Doch es fällt mir unsagbar schwer.