Was ist neu

Gedanken an Louise

Mitglied
Beitritt
20.02.2017
Beiträge
5
Zuletzt bearbeitet:

Gedanken an Louise

Ich war wirklich schon verdammt oft wütend auf dich. In unserer Kindheit brachte es mich zur Weißglut, wenn du mir mein Spielzeug wegnahmst. Später dann hätte ich dich auf den Mond schießen können, weil du den letzten Schluck Sekt getrunken hattest und erst letzte Woche brüllte ich dich an, weil meine Lieblingskette deiner Unordentlichkeit zum Opfer gefallen und nunmehr unauffindbar gewesen war.
Heute bin ich wieder wütend auf dich. Ich bin wütend, weil ich deinetwegen eine schwarze Hose kaufen musste. Du weißt genau, wie sehr ich schwarze Kleidung hasse. Aber bilde dir nur nicht ein, dass ich dazu auch noch eine pechschwarze Bluse trage!
Nein, diesen Gefallen werde ich dir nicht tun. Ich werde die Hose mit einer knallroten Tunika kombinieren: Du weißt doch, welche ich meine. Nach deiner Aussage könnte man den Polyester bei schlechtem Licht sogar für echte Seide halten.
Wahrscheinlich passen deine Perlohrringe ganz gut dazu. Ich werde mich schon herausputzen, keine Angst.
Trotzdem könnte ich dir den Hals umdrehen. Schwarz ist nicht mal eine richtige Farbe und ich hasse es. Das bin nicht ich.
Aber auf Trauerfeiern trägt man nun mal schwarz.
Schwarz. Schwarz. Schwarz.
Tot. Tot. Tot.
Du bist tot.
Scheiße noch mal, warum hast du mir das angetan?
Einfach so abhauen, mich zurücklassen, inmitten all dieser Erinnerungen, inmitten unserer Erinnerungen. Was hast du dir dabei nur gedacht?

Dein Hund vermisst dich. Manchmal rennt er wie angestochen durch die Wohnung und schnüffelt überall, aber meistens sitzt er ganz ruhig auf dem Sofa und glotzt Bauklötze. Vorhin lag er auf deiner Kuscheldecke. Ich habe ihn gelassen. Dabei willst du das doch gar nicht, weil das Vieh so haart.
Ich wollte nie ein Haustier, aber du hast ihn ja einfach aus dem Tierheim geholt. Von allen Hunderassen der Welt musste es unbedingt ein Dackel sein und den hast du dann auch noch Waldi genannt. Das Klischee lässt lieb grüßen.
Auch damals war ich wütend auf dich. Du standest einfach in der Tür, in den Armen einen knappen halben Meter Hund und hast gefragt, wo man Fressnäpfe kaufen könne.
Du wusstest genau, dass ich Waldi insgeheim in mein Herz geschlossen habe, obwohl ich das nicht zugeben wollte.
Auf ihn bin ich übrigens auch wütend. Er hat in unser Badezimmer gepisst.

Gott, das Badezimmer. Drei Schmuckkästchen hast du. Kästchen sind es auch eigentlich gar nicht, Koffer trifft es eher. Ich habe nie verstanden, wozu man so viele Ohrringe, Armbänder und Ringe braucht. Aber du erklärst dich ja nicht gerne. Eine Frau voller Geheimnisse.
Dieses bescheuerte Kopftuch mit den Schmetterlingen hängt noch auf unserem Ohrensessel. Es steht dir überhaupt nicht, aber trotzdem liebst du es.

Ich schaffe es einfach nicht, die Vergangenheitsform zu verwenden, wenn ich an dich denke. Du kannst gar nicht Vergangenheit sein, du bist doch ein Teil von mir.
Ohne dich bin ich nicht komplett.

Wir kennen uns seit frühester Kindheit, haben uns schon in der Krippe mit der Schippe gehauen. Diese Freundschaft mit uns war so innig, so ehrlich, so eng. Und aus Freundschaft wurde Liebe. Und diese Liebe sollte bis in die Ewigkeit halten. Für immer.
Du machst so oft Witze darüber, dass du uns als zwei alte Großmütter schon vor dir siehst, wie wir mit Kittelschürze und Stricknadeln in unserer Wohnstube sitzen und Blasmusik hören …
Das wird nichts.

Du bist nicht mehr da.

Es gibt so viele Dinge, die mich an dich denken lassen Vorhin lief tatsächlich dein Lied im Radio. Erst rollten mir Tränen die Wangen hinunter, dann schmiss ich ein Glas gegen die Wand und habe mir eine Zigarette angesteckt.
Ich weiß, solche dramatischen Ausbrüche passen eigentlich gar nicht zu mir. Du bist immer diejenige, die theatralischer ist, als viele Menschen auf Dauer ertragen können. Und doch wollte ich mein ganzes Leben an deiner Seite verbringen.

Ich liebe dich.

Deine Mutter ruft jeden Tag an. Sie war es auch, die die Überführung organisiert hat. Ich fahre morgen zu deiner Familie, in unsere Heimat. Du bist schon da und wartest auf mich. Sonst ist es immer umgekehrt. Ich warte doch eigentlich immer auf dich. Du bist eine chronisch unpünktliche Person und schrecklich unorganisiert.
Ich bin übrigens auch wütend auf dich, weil du deine Mama zum Heulen gebracht hast. Ihre Stimme ist vom vielen Weinen ganz heiser. Du weißt, wie sehr ich sie mag.
Deine Mutter … Weißt du noch, wie wir uns als Mädchen oft in deinem Baumhaus versteckt haben? Sie hat uns dann immer rote Brause und selbstgebackene Kekse gebracht. Oder dieses eine Mal, als wir beide sturzbesoffen 50 km weit weg aus irgendeinem Club geworfen wurden und sie uns abgeholt hat, mitten in der Nacht und ohne ein einziges böses Wort …
Ja, feiern tust du gern. Du bist ein Genussmensch, eine Lebemädchen, jemand, der möglichst viel erleben möchte. Du kannst Nächte durch tanzen und bist eine wunderbare Sängerin.
Kein Wunder, dass wir unser Dorf für Berlin verlassen haben. Deine Persönlichkeit war einfach viel zu groß für unser kleines Kaff.
Berlin war immer unser Traum und jetzt sind wir hier. Drei Jahre lang haben wir unseren Traum tatsächlich gelebt.

Und jetzt lässt du mich im Stich.

Scheiße. Verdammt, Louise! Warum? Du kannst es mir nicht antun. Bitte nicht. Ich brauche dich! Du bist doch noch viel zu jung. Was ist mit unseren großen Plänen? Was ist mit all den Ländern, die wir noch bereisen wollten? Oder mit dem kleinen Häuschen, das wir eines Tages bauen wollten?

Ohne dich will ich das alles nicht machen.

Ich sollte vielleicht endlich schlafen. Ich übernachte auf dem Sofa. Ohne dich an meiner Seite ertrage ich unser Doppelbett nicht. Eigentlich ertrage ich gerade gar nichts. Alles ist zu viel. Viel zu viel.

Louise, ich vermisse dich. Alles tut weh und ich spüre, wie ich von innen nach außen taub werde.

Und dann muss ich auch noch zu dieser verdammten Trauerfeier.

Dich interessiert es sicher brennend, wer alles kommen wird. Deine Mutter sagte, dass du sicher irgendwo dort oben auf einer Wolke sitzt und uns dabei zusiehst, wie wir heulend über den Friedhof rennen … und uns dabei auslachst.
Ich weiß nicht, ob du tatsächlich noch irgendwo bist. Ich weiß es nicht. Ich Weiß nur, dass du nicht mehr bei mir bist.

Und das macht mich kaputt.

Dein Hund bettelt gerade, er will wohl endlich etwas essen. Nachher kommt auch noch unsere Nachbarin. Sie will mir bei dem ganzen verfluchten Behördenkram helfen.

Ich sollte also aufhören, mich selbst zu bemitleiden und mich aufraffen. Ich sollte.
Doch es fällt mir unsagbar schwer.

 

Hallo MaggieSmart,

herzlich willkommen!


Als Brief oder Tagebucheintrag finde ich den Text stark. Habe den in einem Rutsch gelesen, ohne je das Gefühl von Desinteresse zu bekommen.
Worauf ich gewartet habe, ist die Geschichte. Die Briefschreiberin befindet sich durch den Tod ihrer Lebenspartnerin zwar in einem großen Umbruch, doch der ist nicht Thema des Textes. Ich hätte mir gewünscht, dass es eine Wende oder wenigstens den Ansatz einer Wandlung ihrer Einstellung zum Tod gibt oder ein Plan, wie sie ihr Leben nun gestalten will. Doch der Tenor ist immer gleich.
Ich meine, aus dem Text kann man nicht viel mehr mitnehmen als ein Bild von Verzweiflung und Ratlosigkeit.
Für eine Geschichte ist mir das nicht genug.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix,
vielen lieben Dank für deinen konstruktiven Review.
(Bezeichnet man das außerhalb der Fanfiction-Welt überhaupt so?)
Erstmal freut es mich natürlich, dass du den text als Brief oder Tagebucheintrag stark findest und du nicht nach vier Sätzen aufgehört hast, zu lesen ;)

Ich habe während des Schreibens tatsächlich darüber nachgedacht, eine gewisse Entwicklung im Umgang mit Louises Tod darzustellen. Teile dieser Idee hatte ich sogar schon geschrieben, aber da Louises Sachen ja noch überall herumliegen, sie noch nicht beerdigt wurde und sie ja erst vor einigen Tagen, maximal einer Woche, gestorben ist, habe ich mich doch dagegen entschieden.
Ich dachte, es wäre einfach zu zeitig, um sich damit abzufinden. Und jeder von uns hat wahrscheinlich schon jemanden verloren, den er liebte (Großeltern, Mutter, Vater, Meerschwein ... irgendwas).

So eine tiefe Wunde klafft erstmal einige Zeit, bevor sie trocknet und langsam beginnt, zu heilen.

Ich könnte das Ende jetzt natürlich umschreiben, aber würdest du als Leser die Geschichte dann noch als authentisch empfinden?
Wenn ja, dann finde ich sicher noch einen Weg. Aber ich habe da eben ein paar Bedenken.

Ich hoffe, du kannst das irgendwie nachvollziehen.


Danke nochmal =)

MaggieSmart

 

Hi!

Ich könnte das Ende jetzt natürlich umschreiben, aber würdest du als Leser die Geschichte dann noch als authentisch empfinden?
Genau den Gedanken hatte ich auch, das wäre nicht authentisch.
Ist halt immer die Frage, was will man erzählen oder zeigen. Die zweite Überlegung gilt dann dem Gesamtbild der Geschnisse und aus diesem Bild nimmt den am besten passenden Zeitrahmen für die Geschichte. So mache ich es oft.
Es könnte also gut sein, dass der Zeitpunkt, an dem deine Geschichte ansetzt, nicht optimal gewählt ist.

Lieben Gruß

 

Hej MaggieSmart,

der Brief an eine tote Freundin liest sich flott durch. Und anfangs dachte ich, der könnte wirklich sehr privat sein und eine Spannung kam auf, die mit der zu vergleichen wär, würde man tatsächlich heimlich einen Brief lesen, der nicht an einen andressiert wäre und würde Gefahr laufen, dabei erwischt zu werden.

Doch leider tauchten dann Redewendungen auf, die mir eben eher vorkamen, als würde sich die Schreiberin darüber bewusst sein, dass der Brief öffentlich werden könnte und verdarb mir dieses gemeine Freude. Um inmitten dieser Katastrophe und starken Emotionen tatsächlich authentisch zu sein, fehlte eben doch so etwas Geheimnisvolles, Persönliches.

Deine Persönlichkeit war einfach viel zu groß für unser kleines Kaff.
Berlin war immer unser Traum und jetzt sind wir hier. Drei Jahre lang haben wir unseren Traum tatsächlich gelebt.

Das hört sich zum Beispiel für mich eher so an, als würdest du es extra für den Leser schreiben, denn Louise und "du" wisst es doch.

Also kurz gesagt, der Ton ist gut, aber um wirkliche Emotionen aufkommen zu lassen, müsstest du für meine abgebrühte Seele tiefer aufgreifen. ;)

Freundlicher Gruß, Kanji

 

Bevor ich jetzt gleich auf die zwei letzten Reviews eingehe, will ich mich erstmal für meine kurze Abwesenheit entschuldigen. Das reale Leben war diese Woche etwas stürmisch ;)

 

Hallo Asterix,
wahrscheinlich hast du Recht und der Zeitpunkt wurde von mir einfach nicht optimal gewählt. "Gedanken an Louise" verstehe ich als Momentaufnahme und in diesem Moment ist einfach keine Entwicklung möglich.
Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich in der Fanfiction-Welt recht aktiv bin und wenn diese Kurzgeschichte eine Fanfiction auf meiner üblichen Plattform wäre, hätte ich sie wohl noch nicht als "completed" markiert und mir die Möglichkeit offen gelassen, meine Protagonistin einige Monate später nochmals über Louise nachdenken zu lassen.
Vielleicht passiert das ja sogar. Man könnte diese "Fortsetzung" durchaus so schreiben, dass es nicht notwendig ist, auch den ersten Teil zu lesen.

Ich kenne mich nun hier noch nicht aus und auch der Umgang mit den Texten hier ist ganz anders als bei uns. Reviews sind bei der Fanfiction meist nicht sonderlich lang, dafür meist immer kritikfrei. Ob eine Geschichte oder ein Kapitel gelungen ist, erkennt man einfach an der Anzahl der Reviews. In unserem Fandom und für genau das OTP, für das ich schreibe, sind beispielsweise 12-15 ganz gut, 20-25 sprechen für eine sehr beliebte Veröffentlichung und mehr gibt es so gut wie nie.

Daher musste ich meinen Einstieg hier erstmal etwas ... verdauen. Aber ich möchte besser werden, ich will mich entwickeln und dabei werde ich gern weiterhin bei den Wortkriegern aktiv sein.

Liebe Grüße
MaggieSmart
(Kenner des britischen Fernsehens könnten aus diesem Namen übrigens ableiten, aus welchem Fandom ich komme (obwohl Maggie Smart aus einer recht neuen Serie stammt, für die ich noch nicht geschrieben habe))

 

Hallo Kanji,
vielen Dank für deinen detaillierten Kommentar und bitte verzeihe die kurze Verzögerung meiner Antwort.
Über deinen ersten Ansatz habe ich mich sehr gefreut, wirklich. Meine Leser emotional anzusprechen ist eine meiner Hauptabsichten.

Dass Redewendungen auftauchen, welche die Vermutung nahelegen, die Protagonistin wäre sich durchaus bewusst gewesen, dass der Brief an die Öffentlichkeit gelangen würde, regte mich zum Nachdenken an.

Tatsächlich lässt der Text sämtliche Kriterien für einen Brief vermissen. Es gibt weder eine Anrede, noch eine Schlussformel und tatsächlich impliziere ich gar nicht, dass diese Gedanken niedergeschrieben wurde. Die Ur-Form war ein Brief, ja. Die Ur-Form habe ich aber nicht veröffentlicht und nach der Bearbeitung dachte ich eigentlich, man könne "Gedanken an Louise" auch für einen inneren Monolog halten.

Anscheinend ist das nicht der Fall.

Aber zurück zum "Problem". Du könntest Recht haben. So ist mir das während des Schreibens nicht aufgefallen. Meine Protagonistin reminisziert über die Vergangenheit, über ihre Zeit mit Louise. Also, wenn ich jetzt über enge Vertraute und Familienmitglieder nachdenke, die nicht mehr bei mir sind, kommen schon ähnliche, ganz grundlegende Gedanken. Sie könnte schon diese drei Jahre erwähnen, dann müsste aber eigentlich noch was nachkommen. Daher kann ich deinen Gedankengang jetzt im Nachhinein schon nachvollziehen.


Letzte Frage:
Bevor ich jetzt eine weitere meiner viiiiiiiielen bereits fertig gestellten Geschichten mit euch teile, soll ich noch was an der Louise machen oder verbuchen wir das einfach unter Ulk, da der Moment schlecht gewählt wurde?


MaggieSmart

 

Hej MaggieSmart,

natürlich nehme ich dir deine späte Antwort nicht übel. Diese Freiheit sollten wir uns hier nehmen. ;) Ich kann mich ja jetzt immernoch über deinen Kommentar freuen.

Die Ur-Form war ein Brief, ja. Die Ur-Form habe ich aber nicht veröffentlicht und nach der Bearbeitung dachte ich eigentlich, man könne "Gedanken an Louise" auch für einen inneren Monolog halten.

Schon seltsam, dass ich dennoch sofort an einen Brief dachte. Ein innerer Monolog ohne background macht für mich vielleicht weniger Sinn? :hmm:

Bevor ich jetzt eine weitere meiner viiiiiiiielen bereits fertig gestellten Geschichten mit euch teile, soll ich noch was an der Louise machen oder verbuchen wir das einfach unter Ulk, da der Moment schlecht gewählt wurde?

Da du das in meinen Kommentar geschrieben hast, fühle ich mich motiviert zu reagieren.
Also generell ist diese Seite ja eine Art Werkstatt und daher ist es schon von Vorteil an den Geschichten zu arbeiten, sie zu verbessern oder besser, zu entwickeln. Viele Geschichten in der Schublade haben viele hier und wir sind ja nicht dafür da, diese abzunicken.
Ich nutze dieses Forum für die Entwickung und das funzt ganz gut bisher. :lol:

Lieber Gruß und schön, dass du hier bist, Kanji

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom