Mitglied
- Beitritt
- 15.09.2008
- Beiträge
- 148
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 29
Geburtstagsüberraschung
Sie brühte Kaffee auf, geläufige Handgriffe, automatisiert, mit immer noch der gleichen Menge an Kaffeemehl und Wasser, ausreichend für sechs bis acht Tassen, obwohl sie bereits seit zwei Jahren Kaffee für sich alleine kochte und wusste, dass sie nach Stunden die Hälfte der Menge wieder dem Ausguss zuführen würde.
Auch heute horchte sie auf den Klang des fließenden Wassers, der ihr den Wasserstand in der Kanne verriet, zuerst dumpf plätschernd, dann immer heller gurgelnd. Auch heute zählte sie - wie gewohnt - bis fünf und gab dann noch ein halbes Maß dazu, als sie den Filter mit Kaffeemehl füllte.
Die offene Küche ließ den Blick auf die Terrasse zum Garten hin frei, der - mangels Pflege – ein eher trübes Bild abgab.
Nun war sie vierundfünfzig.
Sie mochte nicht darüber nachdenken.
Etwas bewegte sich heftig, kurz über dem Boden der Terrasse. Ein fast vertrocknetes Blatt, unsichtbar befestigt. Es schaukelte, drehte sich, wand sich wirr zwischen Terrassenüberdachung und Boden, vom Wind angetrieben.
Gleich wird es herabfallen, dachte sie.
Es fiel nicht.
Bis sie das Phänomen entschlüsseln konnte, verstrich in ihr diese Art von Zeit, die sie sich lange nicht mehr gegönnt und die sie früher als Muße bezeichnet hatte - Zeit, das scheinbar Belanglose zu betrachten, regungslos präsent zu sein, mit einem gleichmäßig ruhigen Atem Bilder in sich aufzunehmen, sich durchströmen zu lassen, während Gedanken miteinander spielen.
Es war der seidig klebrige Faden einer Spinne, der dieses Blatt festhielt und nur in Verbindung mit diesem längst einem Baum entrissenen Gebilde sichtbar wurde.
Ein Flugfaden, scheinbar von einer Spinne aufgegeben, ungenutzt dem Herbstwind überlassen, lang schwingend, mit dieser unfreiwilligen Beutelast am Fadenende.
Unbeweglich stand sie in der Küche und rätselte, wer wen wohl eingefangen habe; etwa das fallende Blatt den Faden? Oder war es der Faden, der - orientierungslos geworden – sich in hoffnungsfroher Absicht, einen Halt zu finden, an das Blatt geklammert hatte?
Das Blatt hing - wie ohnmächtig baumelnd - an diesem Spinnenfaden, der es drehte, es entfesselt in der Taktvorgabe des Windes tanzen ließ; und beide gehorchten dem Wind.
In immer neuen Variationen schwang das halb morsche Ding an der kaum wahrnehmbaren, aber dennoch dem Wind trotzenden Fessel.
Gebannt verfolgte sie dieses stumme Spiel um Befreiung oder Bindung.
Sie versuchte zu ergründen, ob das Gewicht des Blattes den Faden zerreißen könne, ob der Faden es freigäbe oder ob das Blatt den Spinnfaden mit sich zu Boden risse, und sie stellte sich vor, wie es aussähe, wenn er sich kräuselnd darauf niedersenkte.
Aber nichts dergleichen geschah.
Wie lange noch hielten sie die Zerreißprobe aus?
Gefiel beiden dieser fragile Zusammenhalt, stets an der Grenze einer Entscheidung, ständig lauernd, wer sich wohl zuerst löse?
Das typisch röchelnde Geräusch der Kaffeemaschine riss sie aus den Gedanken.
Der Kaffee war fertig.
Dreißig Minuten noch, dann würde er an der Haustür klingeln.
Sie goss sich Kaffee in eine große Tasse, zündete sich eine Zigarette an, überprüfte den Sitz ihres Kleides und wartete.
Sie würde ihm gefallen, er würde sie begehren.
Das war, was sie heute wollte!
War es nur das? Sollte sie ihn nicht endlich fragen?
Besser nicht!, dachte sie. Heute ist mein Geburtstag, da verdirbt man niemandem die gute Laune!
Sie würde mit ihm ihren vierundfünfzigsten Geburtstag feiern, Stunden seelischen Gleichklangs genießen, eine Zeit losgelösten Wohlgefühls erleben, kindliche Geborgenheit in seinen Armen und nicht endenwollende, zärtliche Nähe erfahren.
Heute wollte sie nur ihn und keine Probleme, heute, an ihrem Geburtstag!
Auch wenn er nur jede Woche samstags für einige Stunden blieb, welche Frau in ihrem Alter hatte schon Gelegenheit, in solcher Intensität dieses aufwühlende, köstliche Gefühl intensiven Zusammenseins zu erleben?
War das nicht ein großer Glücksfall?
Sie stellte sich ans Fenster zur Straße, beobachtete die Kreuzung und lauschte auf jedes Motorengeräusch. Gleich würde sein Wagen in die Straße einbiegen.
Herzklopfen!
Ihr Handy klingelte. Auf dem Display erkannte sie seine Nummer.
Zögerlich aktivierte sie die Rufannahme.
„Jetzt bitte keine Absage!“, schoss es ihr durch den Kopf, während sie das Handy verunsichert zum Ohr führte.
Sie hörte eine trockene weibliche Stimme: „Ich habe Ihre Telefonnummer im Adressbuch meines Mannes gefunden.
Mein Mann ist gestern Nachmittag verstorben.“