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Geburtstagsüberraschung

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15.09.2008
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Geburtstagsüberraschung

Sie brühte Kaffee auf, geläufige Handgriffe, automatisiert, mit immer noch der gleichen Menge an Kaffeemehl und Wasser, ausreichend für sechs bis acht Tassen, obwohl sie bereits seit zwei Jahren Kaffee für sich alleine kochte und wusste, dass sie nach Stunden die Hälfte der Menge wieder dem Ausguss zuführen würde.
Auch heute horchte sie auf den Klang des fließenden Wassers, der ihr den Wasserstand in der Kanne verriet, zuerst dumpf plätschernd, dann immer heller gurgelnd. Auch heute zählte sie - wie gewohnt - bis fünf und gab dann noch ein halbes Maß dazu, als sie den Filter mit Kaffeemehl füllte.

Die offene Küche ließ den Blick auf die Terrasse zum Garten hin frei, der - mangels Pflege – ein eher trübes Bild abgab.
Nun war sie vierundfünfzig.
Sie mochte nicht darüber nachdenken.

Etwas bewegte sich heftig, kurz über dem Boden der Terrasse. Ein fast vertrocknetes Blatt, unsichtbar befestigt. Es schaukelte, drehte sich, wand sich wirr zwischen Terrassenüberdachung und Boden, vom Wind angetrieben.
Gleich wird es herabfallen, dachte sie.
Es fiel nicht.
Bis sie das Phänomen entschlüsseln konnte, verstrich in ihr diese Art von Zeit, die sie sich lange nicht mehr gegönnt und die sie früher als Muße bezeichnet hatte - Zeit, das scheinbar Belanglose zu betrachten, regungslos präsent zu sein, mit einem gleichmäßig ruhigen Atem Bilder in sich aufzunehmen, sich durchströmen zu lassen, während Gedanken miteinander spielen.
Es war der seidig klebrige Faden einer Spinne, der dieses Blatt festhielt und nur in Verbindung mit diesem längst einem Baum entrissenen Gebilde sichtbar wurde.
Ein Flugfaden, scheinbar von einer Spinne aufgegeben, ungenutzt dem Herbstwind überlassen, lang schwingend, mit dieser unfreiwilligen Beutelast am Fadenende.
Unbeweglich stand sie in der Küche und rätselte, wer wen wohl eingefangen habe; etwa das fallende Blatt den Faden? Oder war es der Faden, der - orientierungslos geworden – sich in hoffnungsfroher Absicht, einen Halt zu finden, an das Blatt geklammert hatte?
Das Blatt hing - wie ohnmächtig baumelnd - an diesem Spinnenfaden, der es drehte, es entfesselt in der Taktvorgabe des Windes tanzen ließ; und beide gehorchten dem Wind.
In immer neuen Variationen schwang das halb morsche Ding an der kaum wahrnehmbaren, aber dennoch dem Wind trotzenden Fessel.
Gebannt verfolgte sie dieses stumme Spiel um Befreiung oder Bindung.
Sie versuchte zu ergründen, ob das Gewicht des Blattes den Faden zerreißen könne, ob der Faden es freigäbe oder ob das Blatt den Spinnfaden mit sich zu Boden risse, und sie stellte sich vor, wie es aussähe, wenn er sich kräuselnd darauf niedersenkte.
Aber nichts dergleichen geschah.
Wie lange noch hielten sie die Zerreißprobe aus?
Gefiel beiden dieser fragile Zusammenhalt, stets an der Grenze einer Entscheidung, ständig lauernd, wer sich wohl zuerst löse?

Das typisch röchelnde Geräusch der Kaffeemaschine riss sie aus den Gedanken.
Der Kaffee war fertig.
Dreißig Minuten noch, dann würde er an der Haustür klingeln.
Sie goss sich Kaffee in eine große Tasse, zündete sich eine Zigarette an, überprüfte den Sitz ihres Kleides und wartete.
Sie würde ihm gefallen, er würde sie begehren.
Das war, was sie heute wollte!
War es nur das? Sollte sie ihn nicht endlich fragen?
Besser nicht!, dachte sie. Heute ist mein Geburtstag, da verdirbt man niemandem die gute Laune!
Sie würde mit ihm ihren vierundfünfzigsten Geburtstag feiern, Stunden seelischen Gleichklangs genießen, eine Zeit losgelösten Wohlgefühls erleben, kindliche Geborgenheit in seinen Armen und nicht endenwollende, zärtliche Nähe erfahren.
Heute wollte sie nur ihn und keine Probleme, heute, an ihrem Geburtstag!
Auch wenn er nur jede Woche samstags für einige Stunden blieb, welche Frau in ihrem Alter hatte schon Gelegenheit, in solcher Intensität dieses aufwühlende, köstliche Gefühl intensiven Zusammenseins zu erleben?
War das nicht ein großer Glücksfall?
Sie stellte sich ans Fenster zur Straße, beobachtete die Kreuzung und lauschte auf jedes Motorengeräusch. Gleich würde sein Wagen in die Straße einbiegen.
Herzklopfen!
Ihr Handy klingelte. Auf dem Display erkannte sie seine Nummer.
Zögerlich aktivierte sie die Rufannahme.
„Jetzt bitte keine Absage!“, schoss es ihr durch den Kopf, während sie das Handy verunsichert zum Ohr führte.
Sie hörte eine trockene weibliche Stimme: „Ich habe Ihre Telefonnummer im Adressbuch meines Mannes gefunden.
Mein Mann ist gestern Nachmittag verstorben.“

 

Guten Tag, kathso60, und willkommen auf KG.de,

Deine Geschichte gefällt mir.
Sie ist schön geschrieben, bild- und detailreich, aber gerade so nicht überfrachtet, flüssig zu lesen und angenehm gegliedert.
Die Sprache ist schön klar, und bis auf ein paar Sächelchen hab ich nix zu maulen.
Die Handlung hat mich auch überzeugt. Obwohl es nicht viel davon gibt, hat sie mich eingefangen, denn die Stimmung ist so hübsch aufgebaut, daß man sowohl die Vergangenheit fühlt (wie in: Last der Jahre *seufz* und leeres Haus, da kauft man die zukünftige Allvergänglichkeit gleich mit, in den Warenkorb damit!) als auch die bedächtige Leichtigkeit des Moments. Wie die Heldin bewußt nicht über schwere Dinge nachdenken will und stattdessen das Blatt am Klebfaden betrachtet und dazu eine Hirnreise macht, mochte ich sehr. Sowas kenn' ich.
Dann der Schluß: Einerseits profan (da mußte ja jetzt ein Hammer kommen), andererseits auch rätselhaft, denn die Ehefrau des Geliebten hat ja einen Grund, am Tag nach dem Tod ihres Gatten irgendeine Frau anzurufen, deren Nummer sie fand, und ihr den Tod des Mannes mitzuteilen. Über den Grund und darüber, was sich für die beiden Frauen aus diesem Gespräch ergeben wird, kann man sich Gedanken machen, wenn man will.
(Mein erster Gedanke: Warum mußte der Harald heißen, Haaaaarald ...! Aber das wollte ich gar nicht denken, ehrlich.)
Extrapunkt für den soundtrack. Das stille Haus mit der röchelnden Kaffeemaschine, perfekt für die Bilder.

Hier sind die Sächelchen:

sechs bis acht Tassen, obwohl sie bereits seit zwei Jahren Kaffee für sich alleine kochte kein Komma und wusste
die sie sich lange nicht mehr gegönnt kein Komma und die sie früher als Muße
Faden einer Spinne, der dieses Blatt festhielt kein Komma und der nur in Verbindung
das zweite der könntest Du streichen, für den Rhythmus.
scheinbar willenlos
bißchen rosa Watte. Scheinbar könnte weg. Klar sind die willenlos.
ob der Faden es freigäbe
niedersenkte.
Bei der Getrennt- und Zusammenschreibung gibt es nur eine wirklich wichtige Regel, und die besagt:
Im Zweifelsfall immer zusammenschreiben!
„Besser nicht!“, dachte sie, „Heute ist mein Geburtstag, da verdirbt man niemandem die gute Laune!“
Gänsefüßchen machen Lärm. Bei Gedanken sind sie nicht nötig
Keine Angst vor Komma-nach-Satzendzeichen, wie: Besser nicht!, dachte sie. Ist hübsch und statthaft.
nicht enden wollende
das sieht schlimm aus, so aus einander geschrieben, oder?

Freundliche Grüße und ein schönes Wochenende!
Makita.

P.S. Zahlennicks sind böse.

 

Hallo kathso60,

die Geschichte hat mir sehr gut gefallen.

Die Beschreibung mit dem Blatt und dem Spinnennetz, die ich auch für eine Metapher für die Beziehung zwischen zwei Menschen halte. Äußerst gelungen.

Genauso hat mir das Ende überrascht. Der, den sie fragen wollte, war verheiratet, und damit eigentlich tabu.

Hat mir sehr gut gefallen. Eine kurze, sehr atmosphärische Geschichte, die ich gerne gelesen habe.

MfG Mantox

 

Liebe Makita,
herzlichen Dank zunächst einmal für deine Willkommensgrüße und deinen angenehm sachlichen und kompetenten Kommentar zu meiner Kurzgeschichte!

Die überflüssigen Kommata (Asche auf mein Haupt!) habe ich schnellstens entfernt und auch die Vorschläge zur Zusammenschreibung übertragen, da ich die beanstandeten Wörter – genau wie du - von meinem Sprachgefühl her zusammengeschrieben hätte, obgleich - im Falle von <niedersenkte> - doch die NR bei <nieder senkte> bleiben will.
Ich sehe an deinem Kommentartext, dass du eine „Verfechterin“ der alten Rechtschreibung bist. In vielen Punkten stimme ich dir da zu. Unser beider Gefühl sagt hier: <niedersenkte>!

Um niemandem mit einem erinnerungsbehafteten Namen zu nahe zu treten… (Bodo wäre ja noch schlimmer gewesen!)…. habe ich den Schluss nun so umgewandelt, dass keine Namensnennung mehr erscheint …

Was den Schluss angeht, den du <profan> nennst:
Durch den Telefonanruf wird die Protagonistin in eine ganz unerwartete Richtung gelenkt. Wer rechnet schon am Geburtstag mit einer Todesnachricht des Geburtstagsgastes?

Im Zusammenhang mit Namen und Nicks:
Über deine Bemerkung zu meinem <Zahlen-Nick> habe ich mich ein wenig amüsiert: Ich bin 60 und muss mir das zuweilen ins Gedächtnis rufen!

Lieben Gruß
und nochmals danke für das aufmerksame Lesen

kathso60

 

Hallo Mantox

Danke für deinen Kommentar.

Ja, das fragile Zusammenspiel des morschen Blattes mit dem Spinnenfaden war explizit als Metapher für die Beziehung zwischen der Protagonistin und dem <TABU> gedacht.

Liebe Grüße
kathso60

 

Nochmal hallo,

zum Thema "niedersenkte".
Das wird sogar in der Neuen Rechtschreibung zusammengechrieben. Da gibt es eine ganze Latte von Wörtern (daher-, dahin-, herab-, los-, mit-, nach-, nieder- usw, ganz viele), wenn man die mit einem Verb zusammen gebraucht, schreibt man die Kombi zusammen.
Zwingend ist die Getrenntschreibung nur in ganz wenigen Fällen, und die kann man auch heimlich übersehen.

Mantox, hast Du gedacht, sie wolle um seine Hand anhalten? Sicher wollte sie ihn fragen, ob oder wann er sich denn endlich scheiden läßt, das verdirbt doch einem Mann am ehesten die Laune.

Grüße,
Makita.

P.S. Wenn Du mehreren Kommentatoren antwortest, faß' es in einen Post zusammen, sonst gibt's Senge von den Moderatoren (Aufmerksamkeitsvortäuschung etc)

 

Mantox, hast Du gedacht, sie wolle um seine Hand anhalten? Sicher wollte sie ihn fragen, ob oder wann er sich denn endlich scheiden läßt, das verdirbt doch einem Mann am ehesten die Laune.

Ne. Ich dachte, dass die Prota nichts davon weiß, dass er vergeben ist. Sie wollte vll. fragen, ob zwei Personen, die etwas älter sind und ungebunden, eine Beziehung eingehen.

Aber wie das jetzt genau ist, das kann Kathso60 entscheiden, ob die Prota von ihr weiß, und damit erst auf sie als Problem stoßen würde, oder ob sie dachte, weil er sie bestimmt oft besucht hat, dass eigentlich keine zweite Frau dahinter sein kann.

MfG Mantox

 

Hallo kathso60,
deine Geschichte gefällt mir gut!

Allein schon der Start: Kaffee kochen ist immer gut! :kaffee:

Dann der Wechsel von der direkten Handlung in die Weite der Küche und die stimmungsvolle Beschreibung von Blatt und Spinnenfaden!
Wenn du mich nicht schon mit dem Kaffee gefangen hättest, wäre es spätestens hier um mich geschehen gewesen.
Toll auch, wie sie durch das Röcheln der Kaffeemaschine wieder in die Realität zurückgeholt wird!

Aber dann mußte ich schlucken! Ich dachte jetzt kommt so 'ne kitschige Liebesszene!:rolleyes:
Und was passiert: Du hast mich geschickt an der Nase herumgeführt!


Mein Fazit:
Deine Geschichte hat mich von Anfang bist Ende gefesselt, abgesehen von einer kleinen Schrecksekunde (s.o.).
Vom Aufbau finde ich sie sehr gelungen und das Ende hat mich wirklich überrascht.
Sprachliche Schnitzer usw. sind mir jetzt nicht aufgefallen!


Schöne Grüße

Glückskäfer

 

Hallo Glückskäfer,
es freut mich, dass dir meine Geschichte sowohl inhaltlich als auch in ihrer sprachlichen Gestaltung zugesagt hat.
Danke fürs Lesen und deinen Kommentar.

@ Mantox:
Es ist gut, wenn Kurzgeschichten zum Nach- und Weiterdenken anregen….
Deshalb verrate ich auch keine weiteren möglichen Hintergründe zu den Protagonisten.

@ Makita:
Jau, Makita…du hast Recht!
s. „niedersenkte“: Da habe ich mich EINMAL auf die roten Strichelchen im Wordprogramm verlassen und haue voll daneben….
Im Zweifelsfalle sollte man doch seinem Bauchgefühl nachgeben oder Onkel Duden bemühen.

Einen schönen Sonntag wünsche ich euch
Kathso60

 

Hallo kath(arina),
eine gute kleine Geschichte hast du geschrieben, die ich gerne gelesen habe,
weil sie einen überraschenden Gedanken enthält und vom Aussterben bedrohten Worte
eine Heimat bietet. Kaffeemehl habe ich noch nie gehört. Es klingt wie Priol in Brandenburg. Wer weiß schon, dass es ihn gibt?
Nur eines stört mich, das sind die vielen Gedankenstriche. Sie sollten sorgsam eingesetzt werden und nicht mit den Kommas von Relativsätzen verwechselt werden.
Und das gute, überraschende Ende, würde ich als Autor länger auskosten. Der Anruf, ein Dialog, noch weiß der Leser nichts, dann ahnt er etwas und dann kommt dein Ende: er ist verstorben.

Ich freue mich auf deine nächste Geschichte
Jürgen

 

Hallo Kathso60,

diese Geschichte lässt sich in ihrer Entwicklung Zeit, mischt morgendliche, nachvollziehbare Alltagsatmosphäre mit tiefsinnigen Betrachtungen der Prota und lässt das ganze mit einem überraschenden "!" enden. Es gibt noch ein böses, fast zynisches Echo, wenn man sich dann erneut den Titel in Erinnerung ruft.

Geschrieben ist der Text sehr gut und in einem sicheren Stil, wobei ich zunächst das Gefühl hatte (beim ersten Lesen jedenfalls), dass du den Mittelteil, der ja zweifellos einen doppelbödigen Grund hat, schon sehr ausführlich behandelst, fast schon bis zur Überbetonung.

Nachdem ich den Gesamtverlauf der KG kannte und sie noch einmal in aller Ruhe ein weiteres Mal las, kam mir das alles dann aber doch in sich stimmig vor. Ich konnte nicht mehr ergründen, warum ich beim ersten Mal ein anderes Gefühl hatte. Egal, auch das Lesen von Geschichten ist von sehr vielen Faktoren abhängig.

Insofern das klare Fazit: Gute Geschichte, gern gelesen, nix zu meckern!

Rick

 

Salü kathso60,

ich kann mich dem Lob nur anschliessen. Verspätet zwar, aber dafür hab ich mich auch mehrmals damit befasst, was Deiner Geschichte nur gut tun kann. Mir gefällt der genaue Blick auf die Details, der mich immer tiefer in diese Samstagsbeziehung hineinführt, die dann so ein abruptes Ende findet. Vorher die Akribie der Beschreibung und dann das trockene Ende. Das passt in meinen Augen.

Ich hab nicht wirklich was zu bemängeln, nur dies fiel mir auf:

Es war der seidig klebrige Faden einer Spinne, der dieses Blatt festhielt und nur in Verbindung mit diesem längst einem Baum entrissenen Gebilde sichtbar wurde.
Ein Flugfaden, scheinbar von einer Spinne aufgegeben,

Da doppelmoppelt sich was. Das ‚scheinbar’ verfängt sich mit der Feststellung ‚Es war’ und die Spinne so zweimal liest sich nicht schön. Ich würde ‚scheinbar von einer Spinne aufgegeben’ ganz weglassen und gleich weiterfahren mit: Ein Flugfaden, ungenutzt dem Herbstwind überlassen …

Gerne gelesen und gerne nachempfunden.

Lieben Gruss,
Gisanne

 

Hallo Kathso60!

Mir hat deine Geschichte ebenfalls gefallen, allerdings hat sie das Ende praktisch gerettet. Anfangs empfand ich die Handlung als träge und langatmig, als ich dann jedoch die Pointe am Ende gelesen hatte, wurde mir klar, dass da etwas aufgebaut und schließlich verwertet wurde.

Mir gefiel vor allem, dass ich die Pointe nicht schon im Verlauf der Geschichte erahnen konnte. :)

Gern gelesen.

Schöne Grüße,

yours

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Gisanne,
Yours truly,
Jürgen Be
und Rick,
sorry, dass die Beantwortung eurer Kommentare auf sich warten ließ, aber, was lange währt....

Erst einmal euch allen herzlichen Dank für das aufmerksame Lesen und die anerkennenden Kommentare.
Dabei freut es mich besonders, dass es mir offenbar gelungen ist, den tragischen Ausgang bis zum Schluss vor dem Leser zu verbergen.

@ Rick:
Du hast Recht, durch den harmlosen Titel erhält die letztendlich tragische Szenerie ein
Zitat: “... böses, fast zynisches Echo...“

Zitat: „...wobei ich zunächst das Gefühl hatte (beim ersten Lesen jedenfalls), dass du den Mittelteil, der ja zweifellos einen doppelbödigen Grund hat, schon sehr ausführlich behandelst,... “
Wie du erkannt hast, hat der lange Mittelteil (Spinnenfaden – Blatt) eine Doppelbödigkeit, er dient als Bild und beleuchtet die Beziehung <Protagonistin – Geliebter>
In meiner Vorstellung zu dieser KG steht ihre Beziehung ebenfalls vor einer Zerreißprobe, doch beide scheuen sich, klare Verhältnisse zu schaffen.

@ Gisanne
Und so komme ich auch zu deiner Frage, warum ich den Satz:
„Ein Flugfaden, scheinbar von einer Spinne aufgegeben,..“ geschrieben habe.

Auch dieser Satz ist symbolisch zu verstehen:
Man könnte ihn übersetzen und schreiben:
<Scheinbar ist es der Ehefrau egal, was ihr Mann macht, sie hat ihn als Ehepartner aufgegeben.>
Klarheit herrscht darüber aber nicht. Vielleicht ist der „Spinne“ (Ehefrau) der Faden (Ehemann) nur entglitten und nun versucht sie, sich wieder an den Flugfaden (ihn) zu hängen.

@ Jürgen:
Zitat: „Und das gute, überraschende Ende, würde ich als Autor länger auskosten. Der Anruf, ein Dialog, noch weiß der Leser nichts, dann ahnt er etwas und dann kommt dein Ende: er ist verstorben.“

Ich kann verstehen, dass der Leser sich den Höhepunkt, die telefonische Todesnachricht, textlich ausladender wünscht; der Leser will die Reaktion der Protagonistin erfahren, vielleicht auch noch mehr Hintergrund zu der „Dreierkonstellation“.

Natürlich hätte man dem Ende mehr „Fleisch“ geben können, ich entschloss mich aber, die Geschichte ebenso abrupt enden zu lassen, wie der Tod kam: plötzlich und kurz.
Erfahrungsgemäß reagieren auch viele Menschen, denen eine unerwartete Todesnachricht überbracht wird, völlig emotionslos; der Schock lähmt jegliche Gefühle und somit stellen sich die erwarteten, „normalen“ Reaktionen, wie Trauer, Tränen, Zusammenbruch, nicht sofort ein. Man realisiert nicht oder will die Realität nicht wahrhaben, man wird sprachlos. Daher habe ich keinen Telefondialog eingebaut.

Danke für den Hinweis zu den Gedankenstrichelchen, ich werde sie in der nächsten Geschichte „zähmen“!

@ Yours truly:
Zitat: „ Anfangs empfand ich die Handlung als träge und langatmig, als ich dann jedoch die Pointe am Ende gelesen hatte, wurde mir klar, dass da etwas aufgebaut und schließlich verwertet wurde.“

Ja, die nicht sichtbare Spinne, der Flugfaden und das Blatt sind kein loses Beiwerk zur Geschichte, sondern Metaphern für die Situation, in der sich die Protagonistin befindet.
Durch die Betrachtung des Blattes am Spinnenfaden steigert sie sich in den Gedanken hinein, dass sie ein längst fälliges klärendes Gespräch führen müsste. Da sie aber Geburtstag hat, beschließt sie, vorerst darauf zu verzichten.
Sie erfährt zwar durch den Telefonanruf, dass die Ehefrau von dem Verhältnis gewusst hat; seine Antwort auf ihre Fragen aber erfährt sie nie.

Dank euch allen für die Auseinandersetzung mit meiner Geschichte.

Lieben Gruß
Kathso

 

Hi Kathso,

auch ich habe viel Gutes über deine Geschichte zu sagen - das Wichtigste ist wohl, dass ich jeden Satz gerne gelesen habe und mich völlig in der Geschichte treiben lassen konnte. Im Prinzip hatte ich beim Lesen ein ähnliches Gefühl der Muße wie deine Protagonisten beim Betrachen des Blattes. Herzlichen Glückwunsch, von den Stories, die ich bislang auf kg.de gelesen habe, gefällt mir deine am besten. Handwerklich serh stimmig, schöne Bilder und wie von anderen erwähnt auch ein guter Soundtrack. Könnte auch ein Jim Jarmusch Film sein.

Nur gerade bei der Beschreibung des Blattes ist mir die Metapher dann doch zu deutlich, und zu viel Reflexion im Spiel. Schon beim ersten Lesen weiß man, oh-o, Herbst, Tod, Verderben, alles hängt am seidenen Faden, und ist nur temporär, die Moral drängt sich auf: wie leicht kann einem Glück abhanden kommen (selbst wenn es gar kein großes Glück ist). Ich würde hier noch verdichten, die Reflexionen der Protagonisten etwas heraus nehmen, vielleicht auch gar nicht aus ihrer Sicht schreiben, sondern einen auktorialen Erzähler zu Wort kommen lassen (der mir auch für die ganze Geschichte als vorteilhaft erscheint).

Mir hätte es auch besser gefallen, wenn das Ende nicht ganz so abrupt käme. Besser (und realistischer) wäre es meiner Meinung nach doch gewesen, wenn die Protagonistin vergeblich auf ihren lover wartet, nicht weiß, was los ist, nervös wird, verzweifelt, sich selber noch was vormacht, vielleicht hat er sich nur verspätet, ein Stau, etwas Unvorhergesehenes (verschiedene Stadien der menschlichen Psychologie bei Verlust halt...).

Dass die Ehefrau genau in dem Moment anruft, wo die beiden sich verabredet haben, wo sie wahrscheinlich gerade selber im Schock versucht, mit der Situation fertig zu werden - hmmm, halte ich für nicht glaubwürdig - es sie denn, der Mann hat im Handy den Geburtstag gespeichert und mit einem Erinnerungsklingeln versehen. Das könnte man auch ganz gut einbauen, denke ich , und die Geschichte wird runder und durch mehr Handlung auch nicht so ganz rein metaphorisch-didaktisch.

Aber trotzdem - gute Literatur.

Gruß,
biltong

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo biltong,
über dein Lob, das positive feedback zu Schreibstil und Metapher-Wahl und über deine konstruktiv kritischen Hinweise zu meiner Geschichte habe ich mich sehr gefreut und danke dir ganz herzlich dafür, dass du dich so eingehend mit der Erzählstruktur auseinander gesetzt hast.

Es geht wohl vielen Schreibern so, dass sie eine vermeintlich <runde> Geschichte veröffentlichen, aber dann, wenn sie etwas Abstand vom Sujet bekommen, entdecken, dass man den Text da und dort doch noch optimieren könnte.
Insofern lieferst du mir mit deinen interessanten und überdenkenswerten Hinweisen und Anregungen einen Anstoß, mich erneut mit dem Inhalt und seiner Präsentation zu befassen.

Es ist demnach angesagt, die Blatt-Szene zu straffen, zu „verdichten“ – wie du anmerkst - bzw. die Reflexion dazu nicht der Protagonistin in den Gedanken-Mund zu legen.
Guter Hinweis: DANKE!

Eine Ausweitung der vergeblichen Wartezeit auf den Besucher lasse ich mir auch durch den Kopf gehen.
Falls es mir gelänge, die Warteszene elegant und realistisch rüber zu bringen, könnte das auch für den Leser die Spannung erhöhen.

Inhaltlich gebe ich dir ebenfalls Recht, dass es in realiter unwahrscheinlich erscheint, dass die Ehefrau just zum Zeitpunkt des vereinbarten Besuchstermins anruft.
Ich sehe ein, auch das sollte ich zumindest zeitlich eleganter schichten.
An die Handy-Szene muss ich also auch noch einmal ran.

Aber bitte nicht böse sein, wenn ich es nicht in den nächsten Tagen schaffe…
Für eine so grundlegende Arbeit, die am Ende auch wieder ein sprachlich qualitatives und inhaltlich abgerundetes Bild ergeben soll, brauche ich Muße, mich erneut ganz darauf einzulassen.
(Als Berufstätige sind nicht alle Tage sind dazu angetan, in stimmige Phantasie abzutauchen.)
Hab(t) Geduld mit mir…ich kümmere mich!

Es ist schön zu sehen, wie du und auch andere KG-Mitglieder sich in ihren Kommentaren engagieren.
So macht Schreiben Spaß!

Guten Start ins Wochenende!

Lieben Gruß

Kathso

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo !

Wie du da Atmosphäre aufbaust - eine sehr dichte Atmosphäre - ist schon sehr gut gelungen. Da werden Gefühle induziert, unnötig, sie zu erläutern. Ich persönlich mag das sehr: Wenn scheinbar unwichtige Details in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten:

Etwas bewegte sich heftig, kurz über dem Boden der Terrasse. Ein fast vertrocknetes Blatt, unsichtbar befestigt. Es schaukelte, drehte sich, wand sich wirr zwischen Terrassenüberdachung und Boden, vom Wind angetrieben.
„Gleich wird es herabfallen“, dachte sie.
Das Blatt fiel nicht.

[Besser hätte mir noch das ausreichende: "Es fiel nicht." gefallen]

Der Schrecken, den das Klingeln des Handys kurz vor dem Zeitpunkt der Begegnung auslöst - sehr einfühlsam beschrieben.

Rein gefühlsmäßig kam mir dann der Satz: "Mein Mann ist gestern Nachmittag verstorben." zu schnell. Ich weiß nicht, wie ich's machen würde. Vielleicht mehr Zögern der Gattin des Geliebten?

Eine trockene weibliche Stimme hörte sie sagen: „Guten Tag - Wir kennen uns nicht persönlich. Ich habe Ihre Telefonnummer im Adressbuch meines Mannes gefunden." Es entstand eine kurze Stille/Hürde.
Mein Mann, er ist gestern Nachmittag verstorben.“
??

Inhaltlich gebe ich dir ebenfalls Recht, dass es in realiter unwahrscheinlich erscheint, dass die Ehefrau just zum Zeitpunkt des vereinbarten Besuchstermins anruft.
Darin sehe ich kein Problem. Solche Koinzidenzen geschehen auch im realen Leben, und in diesem Fall ist es noch nicht mal sooo unwahrscheinlich - die Frau ruft eben am nächsten Tag die Bekannten an ...


Dass einiges offen bleibt - die Frage, was die Protagonistin fragen wollte; die Frage, wieviel die Ehefrau des Geliebten weiß oder ahnt - gehört zu den Stärken des Texts.


LG,
Flic

 

Hallo FlicFlac,

herzlichen Dank für deinen ausführlichen und positiven Kommentar.

Es freut mich, dass dir mein Text gefallen hat.

Deine Anmerkungen lasse ich mir durch den Kopf gehen.
Insbesondere die Stelle mit dem Telefonanruf, bei dem nicht nur dich, sondern auch andere Kommentatoren die nüchterne Information der Ehefrau, die Einsilbigkeit, gestört hat.
Ein Zögern, ja, das könnte ich einbauen… Zögern, bei beiden Gesprächsteilnehmern, das wäre möglich, viel mehr bei diesem ersten stimmlichen Kontakt in dieser Situation aber auch nicht.
Ein Gespräch, eine wirkliche Konversation zwischen Ehefrau und der Geliebten des Mannes würde sich in der Realität einige Stunden nach dem Tod des Mannes nämlich schwerlich entwickeln.

Dass die Ehefrau am Tag nach dem Tod ihres Mannes, von dessen Handy aus die gespeicherten Telefonnummern anruft, hältst du – wie ursprünglich auch ich - für realistisch.
Das beruhigt mich.
Deine Vorkommentatorin hatte mich da etwas verunsichert.
Bisschen ungewöhnlich erscheint dann nur noch, dass sie den Telefonanruf zufällig zu der vereinbarten Besuchszeit tätigt. Aber auch das ist dann denkbar.

Gruß
Kathso

 

Hallo Kathso,

ich finde Die Geschichte vorne und hinten intensiv und stimmig, bisweilen etwas üppig mit Adjektiven bebildert-
Der Mittelteil mit der - für mich - überdeutlichen Symbolik von Halt, Loslasen, Macht/Ohnmacht, Nähe und Distanz ist mir zu dick aufgebracht, zu ausgearbeitet, _zu_ ausführlich symbolisch.

Die Innenwelt der Protagonistin mit ihren Gedanken, das Bild des Kaffees, den sie für sich kocht und in Gewohnheit in zu großen Mengen, die Bescheidenheit, wenigstens Samstags diese Momente von Nähe und Geborgenheit zu erfahren und daher auch ihren Geburtstag zum Anlass zu nehmen, wieder nicht das anzusprechen, was in ihr liegt und raus will, das gefällt mir gut, die Pointe und der böse Titel gefallen mir ebenfalls.
Insgesamt also lauwarm für mich, ich hätte es für etwas ganz heisses oder ganz kaltes mit weniger Mehr gefunden, doch Geschmäcker sind halt verschieden :)

Textliches :

obwohl sie bereits seit zwei Jahren Kaffe für sich alleine kochte
Kaffee
Es schaukelte, drehte sich, wand sich wirr zwischen Terrassenüberdachung und Boden
wandt
Zeit, das scheinbar Belanglose zu sichten, regungslos präsent zu sein, mit einem gleichmäßig ruhigen Atem Bilder in sich aufzunehmen
die Kombination erscheint mir quer, Regungslosigkeit ist passiv, sichten aktiv, und sichten als Verb finde ich auch unstimmig, man sichtet Akten, das Belanglose beobachtet man vielleicht teilnahmslos, lässt es geschehen, reflektiert es nicht, sowas in der Richtung
Oder war es der Faden, der - orientierungslos geworden – sich in hoffnungsfroher Absicht, einen Halt zu finden, an das Blatt geklammert hatte?
das Bild finde ich überzeichnet, der Faden _hat_ doch Halt, sonst würde das Blatt nicht an ihm kleben und hängen bleiben, und auch die Orientierungslosigkeit als interpretierte Selbstreflektion finde ich dem Spinnenfaden ein wenig viel an Bedeutung in die schlichte Existenz definiert
Eine trockene weibliche Stimme hörte sie sagen:
der Bezug ist verdreht, so könnte auch die Stimme am anderen Ende die Geburtstagsprotagonistin sagen hören. Klarer wird es, wenn Du es drehst : "Sie hörte eine trockene weibliche Stimme sagen"

Grüße
C. Seltsem

 

Hallo Seltsem,
herzlichen Dank für deine kritischen Anregungen.
Die lasse ich mir durch den Kopf gehen.

Es freut mich, dass dir die Geschichte zumindest passagenweise gefallen hat.

Jau, Kaffe…Kaffee! Kein normaler Mensch schreibt das falsch, bloß mir muss es passieren, dass ich den Tippfehler hartnäckig übersehe…lach! Habe den Kaffee schon komplettiert.
Aber: Ich möchte gerne bei „sich winden => Präteritum „wand“ sich, anstatt er „wandt sich bleiben, kommt ja nicht von abwenden/ umwenden, sondern sich winden.

Mit dem Ausdruck „sichten“ hast du Recht, das ändere ich, wenn ich mich endlich an die Bearbeitung setze und die überfrachteten Passagen „abspecke“.

Danke fürs Lesen und Sich-Gedanken-Machen!

Gruß
Kathso

 

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