Gebt den Kindern das Kommando...
Das kleine Mädchen auf dem Gang kommt im Laufschritt auf mich zugerannt. Die Arme über den Kopf gereckt strauchelt sie kurz, droht über die eigenen Füße zu stolpern, fängt sich dann aber wieder. Plötzlich schlägt sie eine Harke nach links und verschwindet in einem Büro. Keinen Meter groß, aber voller Energie wirft sie mir noch ein Hallo entgegen, lächelt verschmitzt und ihre blauen Augen funkeln selbstvergessen. Dann kehrt sie mir den Rücken zu.
Das Bild des Blondschopfes bleibt mir im Gedächtnis. Ich strahle sie an - schließlich kann sie auch nichts dafür das ein fünf Minuten Gespräch mich vor wenigen Sekunden total aus der Bahn geworfen hat.
Wie alt mag sie sein? Vielleicht vier Jahre; und irgendwie erinnert sie mich an jemanden. Dunkel. Verschwommen. Als sei da jemand in der Vergangenheit gewesen, der dieselbe Lebensfreude aus sich selbst heraus entwickeln konnte.
Ihre Mutter habe ich nicht gesehen. Das Energiebündel scheint sich aber auch ganz gut alleine beschäftigen zu können. Vielleicht ist sie ausgebüchst. Vielleicht sucht die Mutter sie verzweifelt im ganzen Gebäude. Ich weiß es nicht. Und das Mädchen interessiert das nicht. Sie sieht die Welt mit den Augen eines Kindes. Alles Neue will entdeckt sein, ist interessant und bannt ihre Aufmerksamkeit; doch nur für einen Augenblick. Dann, ja dann, zieht es sie weiter, ist ihr Blick auf das Zukünftige, viel interessantere, gerichtet. Das weiß sie aber noch nicht. Der Faktor Zeit ist ihr fremd. Sie lebt in den Tag hinein. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – welche Rolle spielen die denn schon? Die Kleine trifft auf die Große, alt begegnet jung, unbeschwert kreuzt den Weg von schwermütig.
Die Tatsache, dass ich ihr eben begegnete, gehört für sie schon jetzt der Vergangenheit an und ist vergessen. Sie ist noch das Kind, das das Bild hinter dem Fernseher sucht und dem die Sendung mit der Maus erklärt, wie Kerzen gemacht werden.
Wer, wie, was, wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt bleibt dumm... Ich erwische mich beim Summen der Melodie. Ein schlauer Kopf hat gesagt: „Es gibt keine dummen Fragen, es gibt nur dumme Antworten.“ Schön gesagt, möchte ich meinen, aber warum es nicht auf alles eine Antwort gibt hat bis heute auch die Sesamstraße nicht erklärt. Manchmal macht es mich wütend, das mich darüber niemand früher aufgeklärt hat. Aufklärung. Der Himmel klärt sich auf. Die Wolken verschwinden und die Sonne ist wieder zu sehen. Manchmal hängt der Himmel aber auch voller Wolken und Sinas Standardspruch trifft des Pudels Kern: „Es gibt Tage an denen regnet’s!“
Draußen sind 25° Grad. Von Regen kann nicht die Rede sein. Das sieht die Kleine auf dem Flur wohl auch so und freut sich des Lebens. Und ich? Ich musste erst 23 Jahre alt werden, um von der Weisheit eines Kindes zu profitieren.
Plötzlich hängt der Himmel voller Geigen und eine Textzeile von Herbert Grönemeyer kommt mir in den Sinn: „Die Welt gehört in Kinderhände, dem Trübsinn ein Ende...“