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Geblieben ist die Gleichgültigkeit; die schlimmste aller Naturkatastrophen..
Geblieben ist die Gleichgültigkeit, die schlimmste aller Naturkatastrophen.
Ich habe doch nur geträumt - geträumt von der Hoffnung - der Liebe - dem Glück in seiner Einfachheit.
Lass mich die Zeit noch einmal zurückdrehen...bin nicht geboren...
Die wenigen Erinnerungen die ich an diesen Tag noch habe, stoße ich mit jedem Ausatmen weit fort von mir.
Gerade noch rechzeitig habe ich erkannt, dass ihr nicht mehr wert seit wie diese letzte Zigarette auf meinem Weg in ein neues Leben - mein neues Leben.
Viel zu lange schon habe ich euch mit all meinem Verlangen nach Nähe, Geborgenheit und Anerkennung in mir aufgesogen.
Für diesen kurzen Augenblick in dem ihr mir eure Aufmerksamkeit geschenkt
habt, Erlösung all meiner körperlichen und seelischen Qualen gespürt.
Eure Gewalttätigkeit.
Eure Gleichgültigkeit.
Dieser schleichende Tod der ganz langsam aber mit klarem Ziel vor Augen, in meiner Kindheit schon Besitz von meinem Körper ergriffen hatte.
Anzeichen das der Kontakt mit den Inhaltsstoffen dessen was ihr "Familie" nanntet Gift für mein unreifes Ich waren gab es genug.
Mindestens so viele wie gelebte Kindertage - gestorbene Kinderträume.
Laufe orientierungslos durch mein Leben, bin auf der Suche nach der nicht vorhandenen Zukunft - meiner Zukunft.
Berge von schmutziger Wäsche und der strenge Geruch von seit Tagen nicht mehr gespültem Geschirr vermischen sich mit dem kalten Rauch. der auch keinen Ausweg mehr findet.
Zeitzeugen meiner inneren Kapitulation. Meiner Kapitulation vor mir selbst.
Vater, was ist nur aus dem kleinen hageren Jungen geworden der egal wie schlecht das Wetter auch war tief im Wald die unzugänglichen Tümpel aufsuchte.
Schon Tage vorher hatte ich diese Expedition in mein kleines Tierreich heimlich und mit größter Sorgfalt vorbereitet.
Einen günstigen Moment abgewartet, bis du wieder volltrunken eingeschlafen warst und Mutter zur nächsten Putzstelle eilte, schnell in den Kartoffelkellergerannt und die gutversteckte Plastiktüte mit den heimlich entwendeten Einweckgläsern die beim Transport in meine kleine friedliche Tierforscher - Welt
so manchen Sprung erhielten hervorgeholt und dann nichts wie weg.
Mit großen Augen habe ich das Leben das in diesen kleinen stillen Wasserlöchern niemals stillzustehen stand studiert.
Der Laich der Frösche, diese klibbrig durchsichtige Masse und ihre unzähligen kleinen schwarze Punkte inmitten schien oft den ganzen Tümpel zu bedecken.
Kaum vorstellbar, auch ich war einmal ein solch kleiner Punkt im Schutz von Mutters Bauch - wollte dein Glück, der Sinn deines Lebens sein Mutter.
Wage kaum zu atmen in dieser meiner Kindheit sonst so unbekannten und grenzenlosen Stille, die nur vom Quacken eines wachsamen Frosches oder dem blitzschnellen Auf- und Abtauchen der Bergmolche das zum Luftholen dient unterbrochen wird.
Mit wachen Augen konnte ich sie auch sehen die kleinen Luftblasen die langsam zur Wasseroberfläche steigen, ein sicheres Anzeichen für meine Molche.
Mit bloßen Händen habe ich euch gefangen - ihr hattet eine faire Chance.
Bergmolch, Kammmolch ich habe euch alle mit geschickter und schneller Hand aus dem trüben Wasser gefischt.
Die heimlich entwendeten Einweckgläser griffbereit am Ufer neben mir - richtig liebevoll habe ich dieses kurzfristige Zuhause für euch vorbereitet.
Jetzt musste ich mich allerdings beeilen, wollte ich euch heute noch an die Zoohandlungen in der Umgebung verkaufen - Geld für meine erste Forschungsreise.
Morgen werde ich dann wieder hierher zurückkommen, mich wie sooft zuvor auf den umgestürzten Baum setzen der wie eine Brücke über das Wasserloch führt und euch von meinen Träumen erzählen.
Ja Vater, Tierforscher wollte ich einmal werden.
Die Welt bereisen und alles schon Entdeckte und auch noch Unentdeckte, neu entdecken.
Den Menschen diese faszinierende Welt in all seiner Einfachheit und doch so komplex und durchdacht nahe bringen.
Wusstest du eigentlich um meinen Kindertraum Vater?
Du hast meinen geliebten Stallhasen schlachten lassen und uns zum Essen auf den Tisch gestellt - wusstest also doch um meinen Traum.
Vorsichtig nehme ich etwas von dem Froschlaich aus dem Tümpel und fülle ihn in eines der Einweckgläser - muss lächeln, wenn Mutter das jetzt sehen würde. Ja Mutter.. . Mein Lächeln wandelt sich mit der Geschwindigkeit mit der ich sonst mit schneller und sicherer Hand die Molche aus dem Wasser fische zum enttäuschten Blick.
Mutter, du würdest dieses für dich so unbedeutende Leben sofort in der Toilette entsorgen.
Links und rechts, dann mitten in mein Gesicht. Gerechte Strafe für drei nicht mehr zugebrauchende Einweckgläser.
Werde mich also sputen müssen, um vor dir zuhause zu sein.
Schaut mich heute an!
Was ist aus dem kleinen Tierforscher geworden dem in den Sommerferien alle Schul - Tiere, von Herrn Barth dem Biologielehrer anvertraut wurden.
Der kleine Garten der zur Schule gehörte, mit Herrn Barth habe ich dort einen kleinen Tümpel angelegt. Ein richtiges kleines Biotop haben wir in oftmals
mühsamer und schweißtreibender Handarbeit dort erschaffen. Tagelang habe ich an den verschiedensten Tümpeln verweilt und nur die schönsten Exemplare von Molchen und Fröschen gefangen und in unser Biotop übersiedelt.
Ja Vater, den Schlüssel für dieses friedliche Einod bekam am letzten Schultag nicht der Hausmeister der Schule, nein Herr Barth überreichte mir den Schlüsselhöchstpersönlich und streichelte mir dabei mit einem zufriedenen Lächeln über meinen Kopf - was war ich stolz auf mich.
Habt ihr eigentlich jemals wahrgenommen, wie fasziniert ich vor dem selbstgebauten Terrarium die mir anvertrauten Tiere beobachtet habe?
Ihr Leben und das bewundernswerte Miteinander erforscht habe - ihr hättet viel von diesen unscheinbaren Kreaturen lernen können. Mutter, Vater.
Vater, deine trüben und starren Augen bewegten sich nur, wenn sie das flüssige Gift suchten das deine körperlichen Qualen, die du schon nach kurzer Zeit und dann auch immer öfters mit gewalttätigen Ausgang gegen deine Familie, für einige Stunden zu stillen vermochte.
Mutter hatte es sofort bemerkt, wenn ich aus allen Zeitungen die ich bekommen konnte die Tierbilder ausgeschnitten und dann in die Schulhefte geklebt habe.
Links und rechts, dann mitten ins Gesicht. "Du verkommener Krüppel, werde dich lehren unser Geld sinnlos zum Fenster hinauszuschmeißen.
"Rosa - Schwarz" habe ich euch in meinen Träumen genannt.
"Rosa - Schwarz" begleitet mich schon viel zu lange durch mein Leben.
Zartrosa war meine Babyhaut, bis ihr sie mit dunklen blauen Flecken verziert habt.
In einer rosafarbenen Badewanne wollte ich gerne am Tag meiner Geburt in diese mir unbekannte Welt schwimmen.
Das rosafarbene Glücksschwein aus Marzipan habt ihr mir nie geschenkt.
Schwarze Möbel und ein dicker Staubbelag darauf wecken für wenige Augenblicke neuen Lebensmut in mir - zitternde Hände die einen Traum malen.
Einen Traum den ich mit all der Selbstverachtung die ich für dieses Häufchen Elend das mir ab und zu noch im Spiegel begegnet, mit einem meiner letzten Atemzüge als Vorhut in eine bessere Welt entsenden werde.
Sitze hier im Durcheinander meiner Gefühle.
Totales Chaos in meinem doch noch so jungen Leben.
Tausend Fragen - nicht eine Antwort.
Hunderte von Briefen an euch geschrieben - niemals abgeschickt.
Ausgebreitet auf dem verschmutzten Boden - mit eurer Wahrheit hätte ich noch weniger leben können, wie mit dieser quälenden Ungewissheit.
"Rosa - Schwarz", ihr liebt mich, ihr liebt mich nicht..?
Das Tagebuch.
Wo ist das verdammte Tagebuch?
Hier muss sie doch wenigstens zu finden sein, die Befreiung für meine gegeißelte Seele. Alle meine körperlichen Qualen.
Geschlagene Kindheit, aufgezeichnet auf reinem unschuldigen Weiß.
Der Aschenbecher.
Wo ist er nur der gottverdammte Aschenbecher?
"Schau nur wie sie mich ansieht, die rote tot bringende Glut.
Als wollte sie mir sagen: "Lehn dich zurück.
Komm wir lassen uns fallen.
Mit jedem deiner letzten Atemzüge verschlinge ich das Papier das mich umhüllt.
Mach dir also keine Sorgen, was ich in die Hand nehme kennt kein Morgen.
"Rosa - Schwarz".
Ich bin euer Sohn.
Euer Fleisch und Blut.
Aufgewachsen in einem Eisenbahner - Viertel, irgendwo in Stuttgart.
Wall aus rotem Backstein.
Unüberwindbar für meine kleinen Kinderhände.
Flehendes Schreien das von der gehörlosen Ignoranz hinter dem Wall fortgestoßen wird.
Aufgewachsen..?!
Was konnte jemals in mir wachsen.?
Erkenntnis?
Das Leben - mein Leben, ist kein Wunschkonzert.. .
Der Keimling im Schoss von Mutter Erde, hätte nicht viel zum Leben, zum Überleben gebraucht.
Wünsche.
Träume.
Hoffnung.
Kindheit.
Alles das, wurde schon im Ansatz von euch zerschlagen - geschlagen - getreten.
Was konnte also in mir wachsen.?
Meer von Tränen.
Neid.
Missgunst.
Hass.
Auf all die glücklichen Kinder, die ich lachend und spielend über grüne Wiesen rennen sah.
Ausgebreitete Arme die sie hingebungsvoll erwarteten und in die sie sich voller Glück und Vertrauen fallen lassen durften.
"Rosa - Schwarz".
Nichts konnte jemals in mir wachsen.
Da war kein Licht.
Keine Wärme.
Keine Geborgenheit in der dieses junge Leben geschützt heranwachsen konnte.
Keine Liebe die diese zarten Wurzeln nährt.
Gewachsen bin ich.. .
Cm um cm.
Das wenigstens konntet ihr nicht verhindern.
Bin in der Nacht erwacht, wieder einmal.
Kalter Schweiß bedeckt meinen Körper.
Friere.
Mir ist bitterkalt.
Kann meine Augenlider kaum öffnen.
Habe ich im Schlaf um dich geweint, wieder einmal.
Tränen die dem Tageslicht seit meiner Kindheit verschlossen.
Die Fenster beschlagen von meinem warmen Atem.
Habe ich nach dir gerufen?
Nach dir geschrieen, wieder einmal?
Vater, lass uns aufhören uns länger zu quälen.
Ich will wieder leben.
Nicht nur mehr existieren.
Leben, wie ich es viel zu lange nicht gekannt.
Mit allen Höhen und Tiefen, nur ohne dich.
Beginne zu zittern, wieder einmal.
Der kalte Schweiß auf meinem Körper scheint sich in Eiskristalle zu verwandeln.
So sehr gehofft es ist Feenstaub, wieder einmal vergebens.
Du bist nicht die gute Fee, die vielleicht bei mir im Garten im Holunderbusch ihr Zuhause gefunden hat?
Will nicht mehr nach dir rufen, Vater.
Meine Tränen sollen ab heute der Wahrheit ins Auge blicken.
Das Gute in mir, konntet ihr nicht besiegen.
Frage dich hier und jetzt Vater, warum habe ich kein einziges Gefühl empfunden, als ich an deinem Sterbebett von dir Abschied nahm?
Warum habe ich überhaupt Abschied von dir genommen?
Wir waren uns doch nie wirklich nahe, oder etwa doch?
Warum bin ich überhaupt an dein Sterbebett gekommen?
Waren es diese drei Worte, die ich nur einmal aus deinem Munde hören wollte - vielleicht heute.
Vater.
Da liegst du nun, ein Schatten deiner selbst.
Zu schwach zum Sprechen?
Zu schwach die Augen zu öffnen?
Nichts mehr da, von deiner Manneskraft.
Nichts sagen, nichts hören, nichts sehen - auch so kann man sterben, Vater.
Was wollte ich ausgerechnet heute von dir?
Was erhoffte ich mir ausgerechnet heute von einem Wiedersehen?
Gewissheit?
Gewissheit, dass dieser unglaublich brutale Mensch der mir so viel körperliche und seelische Wunden zugefügt hat auch wirklich in Kürze in der Hölle schmoren wird?!
Im Augenblick des Abschiednehmens, dein nahendes Ende vor meinen Augen, wusste ich es wird eine höhere Instanz geben vor der du dich für dein unmenschliches Tun wirst verantworten müssen.
Habe mir diesen Augenblick meines ganzes Leben herbeigesehnt, Vater?
Bin jetzt nicht mehr Sohn, nicht mehr fühlender Mensch.
Bin nicht die so oft herbeigesehnte Gleichgültigkeit.
Bin die zerstörte Kindheit, bin die Gewalt, die lange Zeit unberechenbar in mir lebte.
Bin die Aggression, die Wut und der Hass - bin euer Spiegelbild.
Vater.
Der Weg zu mir selbst war sehr weit.. .
Ein riesiger undurchdringbarer Wald, dahinter ein Berg von gigantischer Höhe und als ob das nicht alles schon Prüfung genug war, ein tobendes Meer dessen rettendes Ufer ich nur unter unvorstellbarer Kraft- und Willensanstrengung erreicht habe.
Ich bin Mensch geworden. Habe ein letztes Mal zugeschlagen - das Spiegelbild zerstört.
Mein Weg aus eurer Dunkelheit, ein Weg voller Demütigungen.
Fortlaufen. Nicht mehr zuschlagen.
Worte ersetzen mein Faustrecht.
Jetzt war ich in deinen Augen ein endgültiger Versager.
Vater, jetzt endlich war ich frei.
Dienstagabend.
Abendbrot.
Das Telefon klingelt.
...Mutter?
Jetzt wird sie mir mit weinender Stimme mitteilen, "dein Vater ist soeben nach einem letzten qualvollen Aufbäumen
verstorben.
Fühle nichts.
Keine einzige Träne bist du mir wert.
Gleichgültigkeit in mir.
Selbst als ich noch einmal ins Krankenhaus fahre - der Gewissheit wegen.
Zwei Stockwerke bis zu dir.
Ein langer nur schwach beleuchteter Flur und am Ende des Ganges wartest du auf mich.
Vater.
Warum haben sie dir ein Kissen auf dein Gesicht gelegt?
War Mutter vor mir da?
Wollte sie auch Gewissheit?
Konnte sie deine abgrundtiefe Boshaftigkeit doch nicht vergessen?
Deine menschenverachtende Brutalität gegen die eigene Familie?
Deine Hände zum friedlichen Gebet gefaltet.
Vater, nichts ist dir vergeben.
Berühre deine Hände, seit langer Zeit wieder einmal.
Lege das Kissen auf die Seite.
Drehe mich um, und gehe.
Vater, du warst mein Held, warum hast du mich nicht gerettet?
Mein Sohn.
Konntest du nicht ohne diese Gewissheit weiterleben?
Ist dies deine Art von Selbstjustiz?
Ich bin nicht Ankläger und nicht Richter, Vater.
Ich habe mein ganzes Leben lang nur gehofft, ich bin Sohn.
"Über Tote soll man nicht schlecht sprechen Vater.
Deinen Kindern hast du mit dem Tag ihrer Geburt jedes Recht auf schönes Leben abgesprochen.
Nie vergessene Qualen.. .
Wie oft wurde ich von dir, meinem liebenden Vater brutal zusammengeschlagen nur weil ich beim Fußballspiel im Verein kein Tor geschossen hatte?
Der Gürtel aus hartem Leder, war nicht Bestrafung genug.
Nein!
Die Metallschnalle des Gürtels hat mich gelehrt, das nächste Mal schneller über den Platz zu laufen.
Qualen.. .
Mehr blaue Flecken auf dem kindlichen Körper, wie Haare auf dem Kopf.
Zertrümmerte Knochen für die mir die Notlügen ausgingen.
Qualen.. .
Mutter, konntest du wirklich jemals vergessen wie wir dich im Bauernschrank versteckt und eingeschlossen haben - wieder einmal.
Wir soweit es ging unter die Betten - wieder einmal.
Er hat die Türe einfach eingetreten - wieder einmal.
Da stand er mit schwingendem Säbel und wollte uns alle köpfen - wieder einmal.
Haben geschrieen, gefleht, geweint um dein Leben, unser Leben - wieder einmal.
Qualen.. .
Kleiner Junge der sich nachts nicht zum Pinkeln traut, weil er Angst hat dem schlagenden Vater zu begegnen.
Zum Glück gibt es den alten Kohleofen in unserem Kinderzimmer.
Der kleine Junge, das war ich, "Rosa - Schwarz".
Mutter.
Du schwache unfähige Frau.
Was willst du heute von mir?
Mein Mitleid?
Mein Mitgefühl?
Mein Verständnis für deine Unfähigkeit deine Kinder vor deinem Ehemann zu schützen?
Meine Vergebung?
Gott kann dir vergeben - ich bin nur Mensch.
Mutter, beweinst einen Menschen der solange er seine Hände erheben konnte, seine Beine bewegen, dich geschlagen und getreten hat.
Du bist nicht minder Schuld an den Schmerzen die ich ertragen musste.
Hast zugesehen!
Nein!
Viel schlimmer!
Du hast weggesehen.
Um ihn nicht zu verlieren, hast du mich geopfert.
Damit er sieht das du ihn liebst, hast du mich ebenfalls geschlagen, getreten und meine Kindheit zerstört.
Du bist genauso Schuld an den Narben die meine Arme und meinen Kopf zieren.
Mit einer Rasierklinge habe ich mich dafür bestraft allen Mut zusammengenommen zu haben und zu deinem Schutz die Hand gegen den schlagenden Vater erhoben.
Sitze auf der Treppe zum Garten, in meiner Hand die silberfarbene Klinge um deren Schärfe ich nur zu gut weiß - habe mich oft genug heimlich mit Vaters Rasierapparat zum Mann erhoben.
"Rosa - Schwarz", der erste Schnitt in meine weiche Haut tat noch weh.
Habe auf die Zähne gebissen - umsonst. Meine Tränen sind nicht minder stark aus mir geschossen wie mein warmer roter Lebenssaft.
Aber dann ging alles ganz schnell - tat nicht mehr weh. Vielleicht war es diese ungewohnte Wärme, dieses Wohlfühl - Gefühl, dass dieses Rot auf meiner Haut, in meinem kindlichen Körper erzeugte.
"Rosa - Schwarz", beide Arme, ein paar Finger und zum Schluss der Kopf - bei 40 Narben habe ich später aufgehört zu zählen.
Ich habe ihn in dieser Nacht fast getötet.
Warum habe ich ihn nicht getötet?
Jeder hätte Verständnis dafür gehabt.
Unsere Erlösung lag in Kinderhand.
..Weil ich dann nicht besser bin, wie er? Ich uns nur schützen wollte Mutter.
Weil ich ein Feigling bin? Warum habe ich euch nicht schon viel früher vor diesem Monster beschützt!
..Nein, weil ich die Schuld für seine Gewalt bei mir suchte - was mache ich nur falsch?
Vater.
Ich fühlte mich frei und stark in diesem Augenblick und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Angst in deinen Augen erkannt.
Wusstest du um deinen bevorstehenden Tod?
Schlage zu - immer wieder. Dein Blut, überall.
Hände die vor kurzem noch heimlich Tierbilder in Schulhefte geklebt hatten, nehmen dir jetzt die Luft zum Atmen.
Alle meine zerstörten Kinderträume, die nicht mehr zählbaren Striemen, von nicht mehr zählbaren Gürteln die meinen unschuldigen Körper gezüchtigt hatten.
Für die Tage und Nächte unter Betten und in Schränken. Für die Schande der du uns ausgesetzt hast. Für meinen geliebten Stallhasen.
Meine unbändige Kraft vermischt sich mit den Tränen, den Beschimpfungen, der Wut und dem Hass - dem Mitleid für dich.
Vater, mein ist die Rache! Und doch, lasse ich von dir ab.
Ganz plötzlich.
Ich bin nur ein Mensch, ein Kind - will eine lebenswerte Zukunft.
..Ich war gerade einmal 13 Jahre alt.
Was seit ihr für Menschen, die ihr euer eigen Fleisch und Blut so misshandelt.
Mussten nicht alle Spiegel auf der Stelle zerspringen, in denen solche Ungeheuer ihre Unschuld zu finden hofften?
Vater.
Heute besuche ich zum ersten Mal die große Wiese unter der du irgendwo anonym begraben liegst.
Ja, Mutter hat mir bis heute nicht verziehen, dass ich nicht zu deiner Beisetzung gekommen war.
Was interessiert mich Mutter. Habe sie schon über zwei Jahre nicht mehr gesehen und gesprochen.
Zum letzten Mal an deinem Todestag, Vater.
Unsere liebende Mutter.. .
Hätte sie uns ihre Kinder wirklich geliebt, sie hätte es nie zugelassen, dass du dich so davonstehlen konntest.
Sie hat uns allen die Möglichkeit genommen einen Ort aufzusuchen an dem wir dich beschimpfen, verfluchen und ..ja sogar um dich weinen können.
Kein Grab an dem ich dich zur Rede stellen kann. Muss in die Weite sprechen und hoffen du hörst mich, irgendwo...irgendwie .
Selbst im Tod diese deine Feigheit, die nicht minder schwer wiegt wie deine Gewalttaten zu Lebzeiten gegen mich.
Du wolltest das wir dich für immer vergessen! Dein Todestag, der Geburtstag deines Sohnes.
Wie sollen wir dich da jemals vergessen?
Ich will dich nicht vergessen!
Ich will das Gespräch mit dir. Will dich anschreien.
Was soll ich anschreien?
Das Einzige das bleibt in unserer irdischen Vergänglichkeit - unsere unvergängliche Seele?
Du seelenloses Wesen hast deine Erlösung gefunden?
Egal wo.
Egal wie.
Und ich? Was ist mit meiner Erlösung, meinem Frieden?
Möchte auch meinen Frieden mit mir machen dürfen - endlich.
Warte Vater.
Will mich zu dir auf die Wiese setzen.
Es ist wunderschön hier.
Alles so sauber, gepflegt, so friedlich.
Aber wo bist du?
Bist du überhaupt hier, an diesem engelsgleichen Ort?
Was weißt du überhaupt von deinem Sohn?
Meiner ersten Liebe. Meinem ersten Liebeskummer.
War nicht fähig diese Liebe zuzulassen Vater.
Denke oft an Claudia.
Was sie heute wohl macht?
Weißt du eigentlich, dass sie die erste Frau war mit der ich geschlafen habe, ich für sie der erste Mann.
Nein Vater, wir waren beide noch Kinder.
Kinder, die Sehnsucht nach körperlicher Nähe hatten.
Sehnsucht nach Geborgenheit und Wärme.
"Leg deinen Kopf auf meinen Bauch, hat sie oft zu mir gesagt.
Mir durch mein Haar gestreichelt und mit ihrer sanften Stimme schöne Worte in mein Ohr geflüstert.
Ich wollte das dieses Gefühl kein Ende nimmt. Wollte sie nur atmen - habe das Leben gefühlt, das durch ihren zarten Körper fließt.
Sekunden von denen ich mir gewünscht, sie würden zu Minuten, zu Stunden, zur Ewigkeit.
Erste große Liebe.. .
Dein Eisbrecher konnte die Fahrrinne zu meinem Herzen nie ganz freihalten.
Bist irgendwann in warme Gefilde gezogen.
Vater.
Ich habe begonnen zu leben.
Schönes lebenswertes Leben.
Der Tag an dem ich diesen Ort der Gewalt für immer verlassen habe.
Die Jahre im Altenheim auf einer Pflegestation.
Alte einsame Menschen.
Allein und abgeschoben.
Diese erwachsenen Kinder, waren keine besseren Eltern, brutal auf ihre Weise.
Waschen. Essen eingeben. Wundversorgung.
Das durfte nicht alles sein, was ich für euch tun konnte und wollte.
Habe mir in meiner Freizeit oft einen Bewohner geschnappt und dann ab durch Böblingen.
Werde nie vergessen, wie mir der alte Mann beim Waschen auf den Kopf gepinkelt hat - mich gefragt, werde ich diese Zeit jemals überstehen.
Ich habe die Zeit überstanden.
Viel mehr noch. Es waren Jahre, voll von innerem Glück.
Was habt ihr euch gefreut auf den Badetag...eure dünnen Arme um einen Hals gelegt und laut gelacht, wenn ich euch mit meinen muskelbepackten Oberarmen aus den Betten über den Flur direkt in die Badewanne getragen habe - hatte eine ganze Weile gedauert bis ihr diesem Muskelpaket vertraut habt.
Mit großen Augen habt ihr mir beim Essen zugesehen...gelacht und eure Witze gemacht ob der riesigen Portionen auf meinem Teller.
Ihr liebenswerten alten Menschen.
Habe euer silbergraues langes Haar behutsam mit der Bürste gekämmt - zum Zopf geflochten oder hochgesteckt.
Beim Essen habt ihr mir Vergangenes erzählt - so manche kleine Sünde gebeichtet.
Schlimm waren die Tage des Abschiednehmens. Ich war jung und jetzt endlich voller Leben und doch war der Tod immer allgegenwärtig.
Ich habe euch beim Sterben begleitet, während sich die Verwandtschaft im Zimmer um das Wenige gestritten hatte das ihr noch euer Eigen nanntet.
Eure knöchrigen Hände gehalten. Die eingefallenen Wangen gestreichelt.
Jetzt ich habe ihn wieder gespürt diesen Hass, diese Verachtung - Gefühle die in meiner Kindheit geboren.
Ihr habgierigen Wesen, keinen Respekt vor den letzten Atemzügen die noch in diesem alten Mensch sind.
Ihr liebenswerten alten Menschen.
Ich danke euch für diese wunderbaren Jahre.
Viel zu schnell vorbei die Zeit voller Freude und Zuneigung.
Das erste Mal hatte ich das Gefühl, mein Leben wird sich zum Besseren wandeln
Vater.
Erinnerst du dich noch an den August 1994.
Keine Angst, mache dir keinen Vorwurf dass du meinen Geburtstag vergessen hast - wieder einmal.
Nein, es war der Tag von dem ich dachte die Welt stürzt über mir ein. Mit einer Gewalt wie ich es bisher noch nie erlebt hatte - kaum vorstellbar Vater, nicht wahr.
Bin damals voller Freude auf die Familie - eigentlich nur Leslie meine Tochter - und diesen schönen Tag vom Nachtdienst nach Hause gefahren.
Habe mir schon in der Straßenbahn in meinen müden Gedanken ausgemalt, was wir heute an meinem Geburtstag alles unternehmen werden.
Ein paar Meter noch zu Fuß und dann...vermisse das freudige Bellen unseres Hundes beim Öffnen des alten quietschenden Hoftores.
Weiß nicht warum, aber meine Schritte werden plötzlich immer schneller.
Nein, nur das nicht..!
Einige Stufen noch...bin plötzlich hellwach.. öffne die Wohnungstüre.
Nein! Kein Hund der mich freudig anspringt. Kein "beeil dich, sonst wacht die Kleine auf.
Renne wie von Sinnen in ihr Kinderzimmer. Das Bett, leer.
..Wahrscheinlich schlaft ihr alle im Schlafzimmerbett, wie so oft wenn ich zum Nachtdienst war.
Die Hoffnung und ein kleines Lächeln kehren für einen Augenblick zurück auf mein bleiches, zuckendes Gesicht.
Nein, wie konnte ich überhaupt an so etwas Unsinniges denken? Wenige Schritte noch, gleich bin ich bei euch.
..Diese ungewohnte Stille macht mir Angst.
Es wird doch nichts passiert sein...nein, nein niemand würde freiwillig in ein Haus einbrechen in dem ein riesiger Dobermann Wache hält..!
Trotzdem, da war sie auf einmal wieder diese unsinnige Gewissheit die mich seit dem Öffnen des alten quietschenden Hoftores nicht mehr verlassen
hatte.
Tausendmal bin ich den Weg vom Flur, ins Schlafzimmer blind im Dunkeln
gegangen. Habe sicher meinen Weg neben euch, in das Bett gefunden.
Und doch spürte ich instinktiv, heute war alles anders. Ihr seit nicht mehr da.
Keine Frau, kein bellender Hund und das Allerschlimmste meine über alles geliebte Tochter für immer fort.
Sinke weinend auf dem Bett nieder.
Sie hat ihre Worte also doch wahr gemacht. Mich zu verlassen, falls ich nicht weniger arbeite. Mehr Zeit für die Familie habe.
Familie!
Familie, das waren du meine über alles geliebte Tochter und ich. Sie wusste bestenfalls wie man dieses Wort schreibt.
Vater, ich wollte doch nur ihr Bestes - sie sollten niemals Hunger leiden.
Meine geliebte Tochter niemals die getragenen Kleider die andere Menschen
nicht mehr wollten auf ihrem Körper spüren müssen.
Es kann nichts sein, was nicht sein darf.
Bin wie von Sinnen. Kann nicht mehr klar denken.
Durchsuche die Schränke - alles leer.
Vater.
Du hättest alles das verdient, aber ich..?!
Warum ich?
Ein Leben voller Tiefen.
Nur wenige Lichtblicke.
Will mich bestrafen für mein Versagen, aber wie?
Habe euch zum Abschied eine Postkarte aus Strasbourg geschickt.
So sehr auf einen Anruf von euch gehofft. Nichts - wieder einmal.
Ihr seit meine Eltern, meine Familie, warum habt ihr mich nicht gerettet?
Nein, ihr seit, ward und bleibt "Rosa - Schwarz".
Frankreich.
Strasbourg.
Französische Fremdenlegion.
Eine schwere Eisentüre.
Zittern am ganzen Körper.
Wollte ich wirklich jemals hierher.
Wie verzweifelt war ich?
Endstation..!
..Endlos die Zeit.
All die kaputten und hoffnungslosen Leben neben mir im Aufenthaltsraum.
Nachdenken.
Rasende Gedanken.
Verlorene Seele.
Alleingelassener Mensch.
Selbstmitleid.
Ich habe einmal den Dienst an der Waffe verweigert.
Bin nicht ohne jede Hoffnung.
Spüre noch Leben in mir.
Nichts wie weg hier.
Die große Treppe hinunter.
Leere Augenpaare die mir lächelnd folgen.
Meine Papiere geholt.
Durch die schwere Eisentüre, zurück in meine Zukunft.
Laufe lachend durch Strasbourg.
Trinke Kaffee und erfreue mich an der Sprache der Menschen - endlich wieder.
Ohne dieses Leben Vater, würde es meinen über alles geliebten Sohn heute nicht geben.
Hätte ich seine Mutter, niemals kennen und auch lieben gelernt.
Vielleicht hatte all mein erlittener Schmerz nur diesen einen Sinn gehabt.
" In seinem Zuhause soll immer die Liebe wohnen.
Vater.
Darf dich nicht vergessen, um des Vergessen Willen.
Werde niemals verdrängen, was du mir angetan.
Verzeihen will ich dir, um meines Sohnes Zukunft Willen.. .
Möchte mit der Wahrheit in ein Beduinenzelt ziehen.
Loslassen lernen von euch Menschen, die ihr meine Gefühle missbraucht habt.
Das Lachen meines Kindes, für meinen Neubeginn mit mir nehmen..
Kinder bedeuten die Freude am eigenen Leben..