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Galactic Gothics oder Schwermetall im All
"Sieh mal, was ich hier gefunden habe. Du glaubst es nicht!"
Gwendolin hielt ein seltsam aussehendes Etwas in ihren Händen, das Edwold noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Sie hielt es ihm fast direkt unter die Nase und schien ganz außer sich zu sein vor Freude.
"Und was soll das sein, Lieutenant?"
"Sind wir jetzt bei der Navy, oder was? Scheiß auf den Lieutenant! Sieh doch mal! Das ist Wahnsinn!"
Edwold konnte sich beim besten Willen keinen Reim darauf machen. Das Ding war offensichtlich aus lackiertem Holz. Wer würde schon so etwas wertvolles wie einen Baum fällen und irgendein Gerät daraus herstellen? Das war seltsam.
Noch seltsamer war die Form dieses Dings. Auf der einen Seite war es rund und bauchig, als hätte man zwei Kreise zusammengefügt und in Carbonit gegossen, auf der anderen Seite ganz schmal und lang. Drei rostige Metalldrähte waren oben und unten auf seltsame Art befestigt.
Edwold hatte nicht die geringste Idee, welchem Zweck diese Drähte wohl dienen mochten, oder besser früher gedient hatten, denn das Gerät erweckte nicht den Anschein, als wäre es noch funktionstüchtig. Auch schien noch Platz zu sein für weitere dieser Drähte. Die seltsamen Vorrichtungen zur Befestigung ließen jedenfalls diesen Schluss zu.
"Ein Kunstwerk! Wie schön, Lieutenant."
"Jetzt lass' doch diesen Formalitätenmist, Edwold! Und das ist kein Kunstwerk, sondern eine Schitarre!"
Gwendolin war völlig aus dem Häuschen. Sie erinnerte Edwold in diesem Moment an eines der historischen Spielzeuge, das man mit einem primitiven Schlüssel aufziehen musste und das dann Trommel schlagend über den Tisch ratterte.
Eigentlich kannte sich Edwold mit Antiquitäten ganz gut aus, denn er hatte im Laufe seiner Karriere mit vielen Dingen einen schwunghaften Handel betrieben, aber von einer Schitarre hatte er noch nie gehört.
Er hatte noch immer nicht die geringste Idee, welchem Zweck eine Schitarre wohl gedient haben mochte. Vielleicht war sie ein Kultobjekt, mit dem man Naturgeister beschwor oder so etwas Ähnliches. Das würde auch gut zu Gwendolin passen. Sie hatte eine Ader für alles was physikalisch nicht erklärbar war, sammelte Kristallkugeln und andere Gegenstände, die sie für geheimnisvoll hielt, und starrte sie in ihrer seltsam verräucherten Kabine oft stundenlang an. Kurz gesagt, sie war ein wenig komisch. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, hatte Edwold sie unglaublich gern.
"Und für was ist so eine Schitarre gut?" Edwold klang dabei gelangweilter, als er es eigentlich wollte.
Gwendoline schien das nicht im geringsten zu stören. "Damit haben sie Musik gemacht! Damals im 20. Jahrhundert. The Cure, Alice in Chains und, und..."
The Cure? Alice in Chains? Das klang nach uralten Horrorfilmen. Edwold verstand nicht, was das mit Musik zu tun haben sollte. Musik ist doch ausschließlich eine Sache für Computer. Sie nehmen deine emotionalen Schwingungen auf, rechnen sie in die richtigen Töne um und du brauchst nur noch die Lautstärke zu regeln. So einfach ist das.
Wie sollte diese Schitarre aber emotionale Schwingungen aufnehmen? Und wie sollte sie Töne produzieren. Undenkbar!
"Na was, und?"
"Na ja, die anderen Bands eben."
Edwold stöhnte. Was war das nun wieder, eine Band? Jedenfalls musste es irgendetwas mit diesen seltsamen Schitarren zu tun haben.
"Pass auf, Gwendolin! Nimm dir einfach von dem Kram was dir gefällt, aber sag dem Quartiermeister Bescheid." Leicht genervt fügte er hinzu: "Das Übliche halt. Dir steht ja sowieso ein Anteil zu."
"Danke Schatz!"
Edwold sackte innerlich in sich zusammen. Immer musste sie ihn vor der Mannschaft so nennen, damit auch jeder wusste, dass sie ein Verhältnis hatten. Hoffentlich führte das nicht irgendwann zu Scherereien mit der restlichen Crew, wenn es um die Verteilung der Beute ging. Schließlich war er der Captain und alle erwarteten von ihm, das er fair war. Solange Gwendolin sich nur wertlosen Plunder aussuchte, war das allerdings kein Problem. Kritisch würde es erst dann werden, wenn die Redbeard einen der Diamantenfrachter aufbrachte. Aber die wurden scharf bewacht. Das war viel zu gefährlich und deshalb ließen sie davon wohl besser die Finger.
Gwendolin tänzelte derweil hüpfend auf die Schleuse zu, die zum Frachtraum des gekaperten Frachterraumers führte. Mein Gott sie war 27, aber immer noch ein Kind. Ein Kind das verflucht sexy war. Ihr praller Hintern wippte leicht nach links und nach rechts, und schließlich war sie samt ihrer Musik-Schitarre hinter der Schleusentür verschwunden.
Edwold war sich sicher, dass sie genau wusste, wie sie mit ihrer kindlichen Art auf ihn wirkte und auf andere Männer, wie etwa Steuermann Irons und Waffenoffizier LeClerque, die gerade neben ihm standen. Als er die beiden schließlich ansah, grinsten sie nur, wurden aber schnell wieder ernst, als sie erkannten, das ihr Captain das nur wenig amüsant fand.
"Wie weit seit ihr mit dem Umladen, Irons?"
"Wir wollten gerade damit beginnen, Captain."
"Irgendwelche Gefangenen?"
Wieder war es Irons der antwortete: "Nein Captain. Es war außer dem Antiquitätenhändler niemand an Bord. Der Typ war wohl zu geizig sich einen Piloten anzuheuern. Wenn die Farergilde davon erfährt, kann er ganz schön Ärger kriegen, aber ich glaube das wird ihn jetzt nicht mehr stören."
Edwold wusste, was das zu bedeuten hatte.
Irons und LeClerque grinsten wieder. Dieses Mal sprach der Waffenoffizier. Seine Fistelstimme und sein französischer Akzent hätten in einer Komödie allein für einen Lacher ausgereicht, aber bei dem Gedanken an das, was mit Sicherheit geschehen war, war Edwold nicht nach Lachen zumute. Außerdem kannte Edwold den Waffenoffizier der Redbeard schon ein paar Jahre. Eine Zeitspanne in der jede witzige Situation durch die tägliche Routine ihren Esprit verlor.
"Als der Typ unsere Piratengesichter gesehen hat, hat er sich vor Angst aus der Luftschleuse hinaus in All gestützt. Leider hat er in der Aufregung vergessen seinen Raumanzug anzulegen!"
Edwold rieb sich das Kinn und versuchte sich vorzustellen, was auf dem gekaperten Schiff wirklich passiert war. "Wohl ist mir bei der Sache ja nicht, Männer, aber es ist sicher das beste so!"
Wieder quiekte LeClerques Stimme: "Selbst wenn ihn jemand findet, was nahezu ausgeschlossen ist, kann es immer noch ein Unfall gewesen sein."
"Na gut, dann lasst die Roboter mal schwitzen und räumt den alten Plunder in den Laderaum der Redbeard. Ich kenne auf Landis vier einen verschwiegenen Händler, der uns dafür einen guten Preis bezahlen wird. Er verklopft den Kram dann an irgendwelche Snobs. Das gekaperte Schiff zerstrahlen wir wie üblich in seine atomaren Bestandteile. Damit sollten alle Spuren beseitigt sein."
Die Roboter brauchten nur fünf Stunden, dann war der Laderaum der 'City of Joy', so hieß das unglückselige Schiff, das ihnen zum Opfer gefallen war, völlig leer geräumt.
LeClerque aktivierte schon fünf Minuten später das Disruptor-Geschütz. Nach noch einmal fünf Stunden war von der 'City of Joy' buchstäblich nichts mehr übrig und die Redbeard nahm schließlich Fahrt auf.
Der nächste Hyperraumsprungpunkt war noch ein gutes Stück entfernt, aber die Sensoren der Redbeard zeigten weit und breit kein Schiff an. Niemand hatte den dreisten Überfall bemerkt. Also hatten die Piraten alle Zeit der Welt. Bis eine Patrouille nach der überfälligen 'City of Joy' suchen würde, würden sicher Tage vergehen, falls der alte Antiquitätenhändler den Flug überhaupt angemeldet hatte. Die Verwaltungsgebühren heutzutage waren gesalzen!
Gwendolin hatte derweil von alledem nichts bemerkt. Sie war beschäftigt. Mit ihrer neuen Eroberung! Sie wollte unbedingt mehr darüber erfahren, doch der Bordcomputer spuckte zu dem Thema Schitarre nichts aus. Nach einer Weile verlor Gwendolin die Geduld und überschüttete den Computer mit allen Schimpfworten, die ihr einfielen. Einige verstand die Maschine nicht, bei anderen erwiderte sie mit einer Kurzdefinition des betreffenden Schimpfwortes und einer Erklärung wie es wohl entstanden sein mochte. Das brachte Gwendolin noch mehr in Rage und schließlich trat sie mehrmals mit dem Fuß gegen den unteren Teil der Konsole, doch auch das half nichts, es tat ihr nur weh. Während sie ihren Fuß massierte, um die Schmerzen zu lindern, hatte sie aber eine Idee.
Als sie dem Computer befahl, alle Informationen über The Cure abzurufen, antwortete die Maschinenstimme emotionslos wie immer, dass in den Datenbanken unter dem Stichwort "The Cure" 3718 Text-, 235 Audio- und 814 Videodateien gespeichert seien, von denen 98,4 Prozent über eine am Ende des 20. Jahrhunderts populäre Musikgruppe wären.
Bingo! Das war es. Die nächste Stunde ließ sie sich ein Videofile nach dem anderen vorspielen, lauschte den Klängen, bewunderte den Typen mit der Schitarre, der auf den Videos mal älter und mal jünger zu sein schien. Er hatte wild zerzaustes Haar, das wie Flammen von seinem Kopf weg stand, aber tiefschwarz war, genau wie seine Kleidung, die Gwendolin nirgends richtig einordnen konnte. Meist waren er und die restliche Band in stimmungsvoll gedämpftes Licht getaucht und die Musik klang ein wenig düster und ein wenig traurig. Gwendolin war sich sicher, dass im 20. Jahrhundert bestimmt viele Mädchen diesen Typen allzu gerne getröstet hätten.
Am Beginn eines der Videos las sie schließlich im Lauftext, dass sein Name Robert James Smith war und er sang und Gitarre spielte! Das war es also, das Ding mit den sechs Drähten hieß Gitarre. Jetzt hatte sie das richtige Wort und der Computer spuckte eine unglaubliche Menge an Daten aus. Dass die Computerstimme dabei einen leicht ironischen Tonfall benutzte, bildete sie sich sicher nur ein.
Jedenfalls fand sie nach einer Weile Bilder, die ihrer Gitarre täuschend ähnlich sahen. Der Computer beschrieb das Instrument als elektronisch verstärkte Gitarre. Der Name der Firma, die dieses Ding hergestellt hatte, war Fender, was seltsamerweise ein Begriff aus der Schifffahrt und dem Automobilbau war. Zum Thema Automobilbau gäbe es außerdem weitere 534.714 Dateien, aber das interessierte Gwendolin in diesem Moment überhaupt nicht. Sie wollte wissen, ob und wie sie ihre Gitarre wieder funktionstüchtig machen konnte. Der Bordcomputer hatte dazu 14 "how-to-do"-Dateien gespeichert.
Kurz entschlossen zog Gwendolin eines ihrer kurzen Röckchen an, nahm den Datenkristall und ihre Gitarre und marschierte damit schnurstracks in den Maschinenraum zu Bordingenieur Charles Blundell. Der alte Sack würde ihr bestimmt helfen.
Zu ihrer Überraschung musste sie ihn kein bisschen bezirzen, sondern er war fast ebenso hingerissen von ihrer Gitarre wie sie selbst. Er redete ununterbrochen darüber, dass sein Vater noch so ein archaisches Instrument besessen hatte. Leider sei er damals zu faul gewesen zu lernen, wie man dieses Instrument spielt. Nach den Tod seines Vaters hatte Blundell das Instrument einem Sammler verkauft, der einen astronomischen Preis dafür geboten hatte. So sei das damals gewesen.
Dann fing Blundell an, die Gitarre Stück für Stück zu zerlegen und ließ dabei ab und zu Bemerkungen fallen wie: "Mensch, das sieht noch gut aus", "da muss ich gar nichts dran machen" oder "so, jetzt passt das wieder!".
Schließlich hatte er die Gitarre wieder zusammengesetzt und hielt sie Gwendolin triumphierend entgegen. "Pass auf, die Musik kommt aus diesen sechs Drähten, die man damals auch Saiten nannte! Du musst sie hier am Hals herunterdrücken, dann verändert sich die Tonhöhe. Das ist ganz leicht." Anscheinend hatte er seinem Vater früher oft beim Spielen zugesehen.
Gwendolin setzte sich, nahm die elektronische Gitarre auf den Schoß und drückte die Drähte nach unten, wie es Blundell ihr erklärt hatte. Doch außer einem leicht blechern klingendem, sehr leisen Bling war nichts zu hören. Das klang kein bisschen nach The Cure!
"Du musst die gedrückte Saite anschlagen, dann hört man einen Ton!"
Gwendolin sah Blundell verwundert an, denn sie wusste nicht so recht, was er damit meinte. Einen Draht schlagen? Das war ja wohl ähnlich sinnvoll wie Computerkonsolen treten! Das tat sicher nur weh.
"Warte mal, früher benutzte man dazu kleine Blättchen aus Plastik, die man zwischen die Finger klemmte." Blundell wühlte kurz in einer seiner berühmt-berüchtigten Kramkisten, zog eine dünne rote Plastikplatte heraus und schnitt sie mit einem Laserskalpell vorsichtig zu. Schließlich hatte das Plättchen die Form eines Tropfen und er reichte es Gwendolin. "Nimm das so zwischen Daumen und Zeigefinger, das die Spitze herausragt."
Noch immer etwas verwirrt, tat Gwendolin, was Blundell ihr gesagt hatte. Und schließlich schlug sie mit der Spitze des Plättchens nacheinander auf die sechs Drähte. Manchmal traf sie die Saite nicht beim ersten Mal, aber auch wenn sie traf, klang es alles andere als schick und schon gar nicht nach The Cure.
"Verflucht, das habe ich ganz vergessen. Die Drähte schwangen alle in einer ganz bestimmten Frequenz." Blundell überlegte. "Diese Frequenz hängt von der Dicke der Saite und der Spannung ab." Er entriss Gwendolin das Instrument reichlich unsanft und machte sich wieder an die Arbeit.
Gwendolin musste sich derweil damit begnügen, ihm ein wenig über die Schulter zu schauen. Sie sah, wie er elektronische Schublehren benutzte und wie er die Drähte auf ziemlich umständliche Art und Weise von der Gitarre nahm. Dabei brabbelte er etwas, das nach "viel zu dick" und "meine Güte, wie primitiv" klang. Dann zog er das Computerterminal zu Rate, gab ein paar Zahlen in den nicht gerade neuen Materiekonverter ein und zog dann Drähte aus dieser 'alten Kiste'. Die spannte er auf die Gitarre und drehte solange an den Kurbeln am Ende des Halses, bis ein Schwingungsmessgerät ihm die richtige Frequenz anzeigte.
"So, jetzt haben wir es." Blundell lächelte zufrieden und drückte die Gitarre wieder Gwendolin in die Hand. Die schlug mit dem Plastikplättchen die Drähte einzeln von oben nach unten an. Dieses Mal traf sie jede der Saiten nicht nur auf Anhieb, sondern es klang auch schon wie eine kleine Melodie, zuerst tiefe, dann hohe Töne. Allerdings konnte sie sich an keine Stelle in der Musik von The Cure erinnern, die so ähnlich geklungen hätte. Außerdem war alles noch viel zu leise!
Als hätte Bundell ihre Gedanken gelesen, sprach er das Thema gleich an: "Das klingt natürlich jetzt noch viel zu leise! Es fehlt noch ein wichtiges Gerät, damit man mit einer elektischen Gitarre Musik manchen kann. Hast du irgendwo in dem Plunder von dem alten Antiquitätenhändler einen scheinbar völlig unnutzen Kasten mit Reglern daran gesehen? Das nannte man damals 'Verstärker'! Darin war ein großer Lautsprecher, oder auch mehrere."
Blundell zeigte Gwendolin ein Video auf seinem Computerterminal, auf dem so ein scheinbar nutzloser Kasten zu sehen war. In weißen geschwungenen Lettern stand das Wort 'Marshall' darauf. Was eine Gitarre allerdings mit den Marshalls der Bundespolizei zu tun hatte, konnten sich beide nicht erklären. Vielleicht waren die Gitarren ja im 21. Jahrhundert schon verboten und deshalb heute fast vergessen. Jedenfalls kam der Klang der Gitarre ganz deutlich aus diesen schwarzen Kisten, die man dafür anscheinend zwingend brauchte. Ganz deutlich war ein Kabel zu erkennen, das von der Gitarre zu dem Verstärker führte.
Gwendolin überlegte kurz und machte sich auf den Weg in den Frachtraum. Das sie ihn jetzt erst einmal verlassen wollte, bemerkte Blundell erst, als sie schon fast aus der Schleusentür hinaus war. Jetzt sah er auch, dass sie ja einen verflucht kurzen Rock trug. Aber sie war die Freundin des Captains, da ließ man besser die Finger davon - vom Rock und dem Zuckermäuschen, das darin steckte.
Während sie auf dem Weg in den Frachtraum war, rief sie den Captain über die Bordcom: "Hallo Schnucki!" Zuerst hörte sie nur ein kurzes Stöhnen, dann die genervte Stimme Edwolds: "Was brauchst du denn jetzt schon wieder? Mach' schnell, ich bin gerade mit anderen Dingen beschäftigt." "Von der Schitarre fehlt noch ein Stück. Ich muss es unter dem ganzen Antiquitätenkram erst finden, Schatz!" "Nimm's dir einfach und sag dem Quartiermeister Bescheid! Over und aus!" Wenn sie Edwold weiter so reizte, würde er ihr heute Abend bestimmt den Hintern versohlen! Gwendolin grinste. Aber jetzt hatte sie erst einmal etwas anderes zu tun.
Im Frachtraum war der Quartiermeister gerade dabei, die erbeuteten Güter zu sortieren, zu katalogisieren und zu taxieren. Sie zeigte ihm auf ihren Handterminal ein Bild und fragte ihn ob er so etwas bei dem ganzen Plunder gesehen hätte. Zu ihrer Überraschung wusste er, das sie einen Gitarrenverstärker meinte, gab aber gleich ungefragt zu, dass er es nur deshalb wisse, weil die Archivierungssoftware vor einer halben Stunde so ein Gerät erkannt habe. Eine Viertelstunde später war Gwendolin mit einer kleinen Antigravplatte und dem Verstärker darauf wieder auf dem Weg in den Maschinenraum. Dort war Blundell offensichtlich überrascht, dass sie schon so schnell wieder zurück war und sah sie verdutzt an. In seinen Augen erkannte sie jedoch mehr als nur reine Überraschung.
"Kannst du mal nachsehen, ob das Ding noch funktioniert? Ich komme morgen noch mal vorbei, ja?" Sie schob die Antigravplatte mit dem Verstärker ein wenig weiter in den Maschinenraum, nahm sich die Gitarre und war im nächsten Moment schon wieder auf dem Korridor.
Auf dem Weg in ihre Kabine überlegte sie, was sie sinnvollerweise als nächstes tun konnte. Sie verwarf ihren ursprünglichen Plan, die Nacht mit Edwold zu verbringen. Die Gitarre reizte sie viel mehr. Vielleicht war es an der Zeit, das Sublimaltraining auszuprobieren. Der Gedanke, dass sie vielleicht bald schon so Gitarre spielen konnte, wie dieser Robert James Smith von The Cure gefiel ihr, je länger sie darüber nachdachte, umso mehr. Ob es dafür ein Sublimalprogramm gab?
Am Computerterminal ihrer Kabine erlebte sie zuerst eine Enttäuschung. Mit Hilfe von Sublimalprogrammen ließen sich zwar Sprachen im Schlaf lernen, aber keine neuen Bewegungsabläufe in das Gehirn programmieren, aber genau das war es, was sie brauchte. Durch einen kleinen Querverweis fand sie etwas, das sie zu einer Methode führte, die 'Transneurales Programmieren' hieß. Dazu musste ein Kopfchirurg aber eine Sonde in das Gehirn einführen. Damit konnte sich Gwendolin so gar nicht anfreunden. Statt dessen beschloss sie, eines der alten Lernvideos für Gitarren zu probieren. Die Vorstellung, dass das bestimmt auch Robert James Smith getan hatte, gefiel ihr daran ebenfalls.
So fing sie also an, Saiten zu drücken, Drähte anzuschlagen und lernte auf diese Art ihren ersten Gitarrenakkord, indem sie mühselig Finger für Finger auf das Griffbrett setzte. Nachdem sie das etwa fünf Stunden geübt hatte, war sie völlig erschöpft und schlief, so wie sie war, auf ihrer Koje ein.
Als sie nach einer Weile wieder aufwachte, wusste sie zuerst nicht, was sie geweckt hatte, aber dann hörte sie das schrille Piepsen des Bordcom. Sie ließ das Ding noch eine Zeit lang quiecken, gab sich dann aber doch einen Ruck und ging ran. "Schwing deinen Hintern hier rauf, Mausi, du hast Dienst!" Obwohl Edwold das sehr ruhig ins Bordcom gesprochen hatte, spürte Gwendolin ganz klar die Aggression im Unterton. Sie verkniff sich deshalb eine sarkastische Antwort und sagte nur: "Tut mir leid, hab verschlafen. Bin schon auf dem Weg!" Dann trennte Edwold die Verbindung ohne ein weiteres Wort.
Na der Tag fing ja schon wieder gut an. Aber nach dem Dienst würde sie wieder Zeit haben, Gitarre zu spielen, The-Cure-Videos anzusehen und diesen Verstärker auszuprobieren. So wie sie Blundell kannte, war das Ding bis dahin bestimmt so funktionstüchtig, als wäre es gerade eben vom Fließband gerollt. Noch immer müde, aber gut gelaunt, machte sie sich auf den Weg zur Brücke der Redbeard.
Dort angekommen sah Gwendolin gerade noch, wie Edwold in den Lift stieg. Dann war sie mit Irons auf der Brücke alleine. Wie immer hatte der seine Füße auf der Sensorkonsole liegen, steckte sich eine Zigarette nach der anderen an und sah mal hier und mal dort auf die Displays. Und wie immer würde er ganz sicher die nächsten fünf Stunden nur ein, vielleicht zwei Worte sagen. Das eine war wahrscheinlich 'ja' und das andere 'hm'. Gwendolin beschloss einfach ebenfalls zu schweigen und hoffte, das sie das durchhalten würde.
Überraschenderweise war es aber dann doch Irons, der zuerst sprach: "Wir haben ein Schiff in der Ortung. Es kommt langsam auf. Edwold glaubt, dass es wie wir nur den Sprungpunkt ansteuert. Wir sollen uns deswegen unauffällig verhalten und einfach weiterfliegen." Dann zog er deutlich heftiger als sonst an seiner Zigarette. "Ich hab' kein gutes Gefühl dabei. Seit unserem letzten Fischzug haben wir erst einen Sprung hinter uns. Wenn nun doch jemand etwas bemerkt hat."
Gwendolin war mehr als überrascht. Irons hatte in ein paar Sekunden sein ganzes Redekontingent für ein halbes Jahr aufgebraucht. Er schien wirklich beunruhigt zu sein!
"Mein Gott, das ist eine Handelsroute, Irie. Hier kommen ab und zu Schiffe vorbei, deshalb treiben sich auch so verkommene Subjekte wie wir hier rum."
Irons dreht sich zu Gwendolin um. Beide sahen sich an und mussten dabei grinsen. "Du hast wahrscheinlich recht, Gwen. Willste 'ne Zigarette?"
"Gerne! Haben wir in den letzten Wochen einen Tabakfrachter gekapert?"
"Leider nicht! Das ist meine letzte Schachtel. Dann gibt es nur noch Tabak aus dem Biorekonverter. Das Zeug schmeckt wie die alten Socken meiner Großmutter."
"Dann rauchst du wenigstens nicht eine nach der anderen!"
"Na ja, ist auch was drann!" Irons reichte Gwendolin die versprochene Zigarette, zündete sie an und wandte sich dann wieder seinen Displays zu. Damit war die außergewöhnliche Unterhaltung wohl beendet. Früher, da hatten sie sich sehr viel zu sagen gehabt, und nicht nur das. Aber die Zeiten änderen sich nun mal und auch die Menschen blieben nicht die selben.
Gwendolin hoffte, das ihre Schicht bald zu Ende wäre, damit sie endlich wieder mit ihrer Gitarre spielen konnte. Sie zog an der Zigarette und achtete kaum auf die Kursdaten. Der Autopilot hatte sowieso alle Funktionen unter Kontrolle und manuelle Ausweichmanöver waren im Moment nicht nötig. Deshalb war sie eigentlich auch völlig überflüssig auf der Brücke. Irons hätte spielend alles allein überwachen und sich dazu noch alle halbe Stunde ein kleines Nickerchen erlauben können. Aber die Redbeard war ein Piratenschiff und die Crew musste auf alles gefasst sein. Wenigstens theoretisch!
Dann rief der Bordingenieur per Bordcom die Brücke: "Kannst du deine Steuermieze mal für eine Stunde hier runter schicken, Irons? Ich brauche hier mal dringend zwei geschickte Hände und Frauen haben eine viel bessere Feinmotorik."
"Wenn ich nicht wüsste, dass sie das persönliche Eigentum des Captains ist, hätte ich so eine Ahnung was du vor hast. Aber wahrscheinlich brauchst du wirklich nur Hilfe. Im Moment ist hier alles ruhig. Wenn sie will, kann sie dir von mir aus zur Hand gehen."
"Dann sag ihr bitte noch, sie soll dieses neue Gerät mitbringen! Mir ist jetzt gerade der Name entfallen. Sie weiß schon welches. Blundell, Ende."
Irons drehte sich zu Gwendolin um. Sie sah ein wenig überrascht aus und auf seine Frage, ob sie alles mitbekommen habe, nickte sie nur. Dann jedoch handelte sie plötzlich sehr schnell. "Danke Irie!", und war im nächsten Moment schon im Lift. Irons beschlich das dumpfe Gefühl, das ihn die beiden gerade übers Ohr gehauen hatten.
Gwendolin brauchte nur fünf Minuten, dann war sie samt ihrer Gitarre im Maschinenraum. Blundell hatte den Verstärker auf ein kleines Podest gestellt.
"Ah, da bist du ja, ich bin schon ganz gespannt, ob der alte Kasten jetzt wieder funktioniert. Die Analysesonde findet keine Fehler mehr, aber die Technik des Dings entspricht etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts. Das Produktionsjahr ist aber 2004. Das steht jedenfalls hier auf dieser Plakette. Ich schätze, das war schon damals ein Nachbau einer Antiquität, wahrscheinlich ein Sammlerstück."
"Die Verstärker in den The-Cure-Videos sehen aber genauso aus. Vielleicht war es damals modern, mit Antiquitäten Musik zu machen. Ich kann es kaum erwarten, die Gitarre mit diesem Verstärker auszuprobieren. Was muss ich tun, Charles? Ich bin schon ganz aufgeregt." Blundell hatte ein Band so zugeschnitten, dass sich Gwendolin damit die Gitarre über die Schulter hängen konnte. Jetzt sah sie ganz bestimmt so aus wie Robert James Smith! Naja, bis auf die Frisur, aber das war kein unüberwindliches Problem.
"Ich glaube, du musst dieses Kabel hier in die Buchse der Gitarre stecken. Eine andere Idee habe ich im Moment nicht. In den alten Musikvideos haben die Gitarrenspieler diese Kabel manchmal in den Buchsen stecken, manchmal auch nicht. Lass uns das einfach versuchen!"
Gwendolin tat, was Blundell ihr geraten hatte und sah ihn dann fragend an. "Und jetzt?"
"Der Verstärker hat zwei Schalter, einen um die primitive Technik vorzuheizen und einen der alles an und aus schaltet. Bis du bereit?"
"Yeah!" Das hatte Gwendolin die Musiker oft auf den antiken Musikvideos sagen hören. Es hieß wohl soviel wie 'ich bin bereit'!
Als Blundell den Schalter drückte, brannte erst einmal nur ein kleines Lichtchen mehr an dem Verstärker, aber sonst passierte gar nichts, außer dass das Teil leise rauschte. Gwendolin war nun doch ein wenig enttäuscht.
"Du musst die Saiten anschlagen, Gwendolin!"
Ja natürlich, sie war ein Dummerchen, wie konnte sie das nur vergessen. Aber sie hatte diese Gitarre ja erst ein paar Stunden, da konnte sie schließlich nicht so perfekt sein wie Robert James Smith.
Sie setzte die Finger so auf das Griffbrett, wie sie es stundenlang geübt hatte und bemüht sich alle sechs Saiten mit einem Streich anzuschlagen. Das gelang ihr sogar ganz gut, doch außer dem leisen Rauschen gab der Verstärker keinen Ton von sich.
"Er ist doch noch kaputt!" Gwendolin sah in diesem Moment so aus wie ein Baby, dem man seinen Lieblingsschnuller weggenommen hatte. Blundell hingegen schien noch nicht so einfach aufgeben zu wollen.
"Warte mal, die Regler sind alle nach links gedreht..." Weil Blundell nicht wusste, was die Begriffe bedeuteten, die über den Reglern standen, drehte er einfach alle nach rechts bis zum Anschlag. Das Rauschen wurde deutlich lauter.
Gwendolin schlug wieder in die Saiten. Was dann passierte, brachte sie endgültig wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es kamen keine Töne aus dem Verstärker sondern eine Wand von Lärm, die etwa so klang, als hätte jemand mit voller Wucht einen Hammer auf eine schwere Metallplatte geschlagen. Erst nach einer Weile schwoll der ohrenbetäubende Krach langsam ab.
Nachdem es wieder ruhiger geworden war, hatten die beiden immer noch einen seltsamen Ton im Ohr, der aber offensichtlich nur auf eine Überreizung der Nerven zurückzuführen war.
Gwendolin war als erstes wieder in der Lage, etwas zu sagen. "Vielleicht ist das nur nicht der richtige Verstärker? Das klingt überhaupt nicht nach The Cure!"
"Schon möglich, aber für mich sehen alle diese Kisten in den Videos gleich aus. Vielleicht war aber die Technik in den Verstärkern unterschiedlich, oder vielleicht auch in den Gitarren. Ich bin Bordingenieur und kein Archäologe. Wie soll ich das wissen? Das Ding ist 300 Jahre alt!"
Sie waren beide ratlos.
Gwendolin rührte die Gitarre die nächsten Tage nicht mehr an. Als Blundell sie schließlich fragte, was er mit der Gitarre und dem Verstärker machen sollte, erwiderte sie nur, er könne es zu dem anderen Plunder im Frachtraum werfen, was er schließlich auch tat, denn es stand ihm einfach zu oft im Wege.
Drei Tage später hielt einer der schweren Polizeikreuzer die Redbeard an und der kommandierende Leutnantinspektor behauptete, sie hätten gestohlene Ware an Bord. Sie sollten sich sofort ergeben.
Edwold versuchte in einem Akt der Verzweiflung die Redbeard mit voller Beschleunigung aus der Waffenreichweite des Polizeikreuzers herauszubringen, doch dessen Starfire-Raketen waren fünfmal so schnell wie das Piratenschiff. Fünf von ihnen zerrissen das Schiff in ein paar große und unzählige kleine Teile. Die Besatzung starb innerhalb von fünf Sekunden durch Dekompression.
Die Gitarre, noch immer durch das Kabel mit dem Verstärker verbunden, schwebte zusammen mit dem anderen alten Plunder in der Trümmerwolke um das Wrack der Redbeard.
300 Jahre später fand sie ein Tiefraumarchäologe, der unter seinen Fachkollegen auf Taurus drei den Ruf genoss, höchst kompetent zu sein. Er klassifizierte diesen merkwürdigen Fund sofort und ohne zu zweifeln als Kultobjekt mit phallischer Bedeutung. Er kam zu dem Schluss, dass dieses Artefakt etwa 2000 Jahre alt sein musste und mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit ein Überbleibsel der Siriuskultur war.
Darüber hinaus würde das eigenartig geformte Kultobjekt seine Theorie über die Handelswege zu dieser Zeit untermauern. Die Beweiskette des angesehenen Archäologen war wie immer stichhaltig und kein Kollege wagte das anzuzweifeln. Schließlich hatten alle einen guten Ruf zu verlieren.
Das phallische Kultobjekt verbrachte den Rest seiner Lebenszeit als Ausstellungsstück im Zentralen Religionsarchiv auf Taurus drei und regte viele Schulklassen, und da besonders die Mädchen, zu allerhand seltsamen Fantasien an. Manche Dinge ändern sich eben nie. Nicht jetzt und nicht in 5000 Jahren.
Oliver Schmitt, 2007