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- 24.02.2004
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Göttliche Speisen
Es war, wie heute, ein herrlicher Wintertag. Die Schneeflocken fielen wie Bettfedern vom Himmel und ich stapfte mit meiner Mutter den schmalen Pfad zum Haus meiner Großeltern in den Abruzzen. Sie hatte mich an der Hand genommen, an der sie von Zeit zu Zeit ein wenig zerrte, denn ich blieb immer wieder unvermittelt stehen, um die Flocken mit der warmen Zunge aufzufangen.
„Carissima, wir müssen uns beeilen, wenn wir vor Anbruch der Dunkelheit da sein wollen.“ „ Aber Mama, wir sind doch gleich da“, mutmaßte ich in meiner kindlichen Unwissenheit von Entfernungen. Der Weg stieg steil an und ich verlor langsam die Lust weiterzugehen, als ich das Dach des Hauses meiner Großeltern erkennen konnte. Schwaden von weißem Rauch stiegen aus dem Schornstein empor. Jetzt freute ich mich – flugs lief ich das letzte steile Stück alleine hoch und wurde am Hauseingang auch schon von den ausgebreiteten Armen meiner Nonna empfangen.
Ich flog in ihre weichen Arme und atmete den wohligen Duft, den sie verströmte tief ein. Es war eine Mischung aus Holz, Rauch , etwas frischem Schweiß und gutem Essen. Oh wie ich diesen Duft liebte. Meine Nonna hatte schon alles für uns vorbereitet. Die Betten waren frisch bezogen und ein herrliches Essen dampfte auf dem großen Eichentisch, der mitten in der riesigen Küche von Nonno und Nonna stand.
Schnell hatten wir die paar Dinge ausgepackt, die wir mitgebracht hatten und saßen auch schon um den Tisch herum. Es war eine wahre Freude, zu sehen, dass es mein Lieblingsessen geben sollte: frisch gemachte Gnocchi mit Tomaten und Pecorino . „Nonna, Nonna, danke, danke....“ich war völlig aus dem Häuschen- „Wenn ich groß bin, Nonna, zeigst du mir dann, wie ich diese Gnocchi selber machen kann?“ Sie lachte laut und ihr kleiner, runder Bauch begann dabei zu wackeln, auch Nonno setzte mit einem lauten Lachen ein.
„Aber warum lacht ihr mich denn jetzt alle aus?“ schmollte ich. „Dies ist ein altes Familienrezept und selbstverständlich wirst du lernen, wie man dieses wunderbare Gericht zubereitet, aber bevor ich dir das zeige“, flüsterte sie plötzlich, „ erzähle ich dir eine Geschichte zu diesen Gnocchi.....“. Vor Freude klatschte ich in die Hände, denn ich liebte die Geschichten meiner Nonna.
„Doch zuerst wird der Tisch abgeräumt und ich werde uns noch schnell einen Nachtisch zaubern.“ Nonna Regina ging wortlos in die Küche und kam wenige Minuten später mit einem Panettone und einem Kännchen mit zerlassener Butter zurück. Bedächtig schnitt sie jedem von uns ein Stück ab und goss die warme Butter darüber. Wir hatten uns alle vor dem Kamin versammelt und ich war gespannt, was meine Nonna zu erzählen hatte.
„Als Dein Nonno Pasquale und ich vor vielen Jahren noch in Rom lebten, und dein Großvater noch Schuhe reparierte und anfertigte, kam wie jeden Monat einmal, Bruder Angelo mit seinen Schuhen vorbei.Er arbeitete im Vatikan, und jeder, der schon einmal dort war, weiß, wie weitläufig sich das Gelände erstreckt, und kann sich denken, dass Angelos Schuhe immer große Löcher hatten.
„Ciao Pasquale“ rief er deinem Nonno zu, „come stai?“ „sto bene“ antwortete dein Nonno. „Was gibt es?” „Das Übliche, meine Beine schmerzen, mein Rücken tut weh und meine Schuhe haben wie immer tellergroße Löcher“ jammerte der untersetzte Geistliche. „Mein Vater lachte und nahm die Schuhe Angelos an sich, um sie zu „untersuchen“.
„Oh je, das wird mindestens einen Tag dauern, bis ich sie fertig habe. Kannst du so lange auf sie verzichten?“
„Aber nein Pasquale, das kann ich nicht, ich habe doch nur dieses eine Paar“ quengelte Angelo.
„ Non fa niente, das macht nichts, lauf rüber zu meiner Frau, sie macht gerade Gnocchi, du kannst ihr Gesellschaft leisten und später mit uns essen. Ich werde mich beeilen.“
„Pasquale, du bist ein Genie, ich danke dir, und Hunger habe ich auch.“
„Das habe ich mir gedacht, du hast immer Hunger“ schelmisch zwinkerte Nonno dem Bruder zu.
„Ja, ja, mach dich nur lustig über mich, ich genieße nun einmal mein Leben, auch wenn es mir nur wenige irdische Freuden bietet.“
Angelo lief durch den Hof und klopfte an meine Küchentür. „Ciao Angelo, schön, dich einmal wieder zu sehen. Was machen die Geschäfte?“ „Dein Mann schickt mich, er wird wohl etwas länger für meine Schuhe brauchen, und er sagte mir, ich könne dir beim kochen zuschauen.“ „Nicht nur das, Angelo, nicht nur das, du kannst selbstverständlich auch zum Essen bleiben.“ Ich stand also in meiner Küche und hatte die Arme bis zu den Ellbogen in Mehl getaucht. Angelo beobachtete jeden meiner Handgriffe und prägte sich alles ein.
Langsam goss ich Wasser zum Mehl und den durchgedrückten Kartoffeln und begann aus dem Ganzen einen Teig zu kneten. „Regina, du bist eine wunderbare Frau, ich könnte dir stundenlang beim kochen und kneten zuschauen“ „Na na, Angelo, du wirst doch nicht mit der Frau deines Schusters anbändeln wollen“ sagte ich verschmitzt. „ Aber nein, wo denkst du hin, du weißt doch, dass ich nicht einmal ans anbändeln denken darf.....aber essen, das darf ich- und ich tu es mit Wonne.“
Ich gab noch eine Prise Salz zum Ganzen und KLATSCH- schmiss den Teig einmal kräftig auf den Tisch. In einem großen Topf kochten schon die Tomaten und ich bat Angelo, den Pecorino zu reiben. Er machte es mit Hingabe und ließ ab und zu ein Stück des guten Käses in seinem Mund verschwinden. In einem anderen Topf kochte bereits das Wasser und ich begann Stücke vom Teig abzuschneiden, sie zu kleinen Würstchen zu rollen und Stücke abzuschneiden. Mit der Gabel drückte ich in jedes Stückchen ein Muster ein, und warf die Gnocchi dann ins kochende Wasser. „Lauf schnell hinüber zu Pasquale und hole ihn, das Essen ist gleich fertig“ bat ich Angelo.
Wenige Minuten kamen die beiden Männer lachend über den Hof. Sie wuschen sich am Brunnen die Hände und versammelten sich um den Tisch. Das Essen dampfte schon in verschiedenen Schüsseln und gierig begannen sie zu essen. Lange hörte ich keinen Ton von beiden, bis Angelo das Schweigen brach und sagte: „ Ich habe noch nie in meinem Leben so ein einfaches und wundervolles Gericht gegessen. Regina, du bist ein Goldstück, du solltest professionelle Köchin werden.“ Ich lachte, „ nein, nein, ich bin hier mit meinem einfachen Leben sehr zufrieden.“
„Nonna, was ist dann passiert? Hast du noch mal für Angelo gekocht?“ Jetzt lachten alle schallend und ich wusste nicht, wie mir geschah. „Das ist gemein, ich werde den ganzen Abend nur von euch ausgelacht, was ist denn?“ „Kind“, sagte meine Nonna,“ freilich habe ich noch sehr oft für Angelo gekocht, denn ich wurde, wie er es sich gewünscht hat, professionelle Köchin.
„Ehrlich, Nonna, aber wieso, du warst doch so zufrieden mit deinem Leben,“ „Ja, mein Kind, aber wie es dem Herrgott gefiel, rief er unseren Freund, Bruder Angelo, in eine ganz besondere Mission. Bruder Angelo wurde vor vielen Jahren der damalige Papst, und weil er so gerne lebte und aß und meine Gnocchi nie vergessen konnte, lud er mich ein, im Vatikan seine Leib- und Magenköchin zu werden. Und das wurde ich dann.“ „Nonna, du flunkerst....“ staunte ich ungläubig. „Nein carissima, ich flunkere nicht und sie ging zu einer Kommode und holte ein Bild, das darauf stand. Auf dem Bild waren sie und der Papst zusammen in der vatikanischen Küche zu sehen. „Aber jetzt ist es Zeit ins Bett zu gehen und morgen zeige ich dir dann, wie man Gnocchi macht.