Göttke
Leicht verschwitzt, ein wenig außer Atem, aber angenehm entspannt ließ sich Göttke behutsam von seiner Frau abrollen.
Er begann den Tag gerne mit einem Liebesakt. Göttke mochte den Nachtgeruch seiner Frau, diesen ganz eigenen, fast ein wenig tierischen Geruch, liebte es, ihre feuchte Haut zu streicheln und zu küssen, und sich, wenn er seinen Höhepunkt hatte, auf sie niedersinken zu lassen und die Berührung der schweißperlenbedeckten Körper zu spüren.
Langsam und leise ging die Tür auf. Julia, die jüngere seiner beiden Töchter, steckte vorsichtig den Kopf durch die Tür und lächelte ein süßes Kleinmädchenlächeln, als sie feststellte, dass ihre Eltern schon wach waren.
„Gerade rechtzeitig!“ murmelte Göttkes Frau und schmiegte sich eng an ihren nackten Mann.
„Darf ich zu euch?“ fragte Julia. Sie lag morgens gerne bei ihren Eltern im Bett. Genauer gesagt: Sie lag gerne bei ihrem Vater im Bett, liebte es, auf seinem breiten Brustkasten zu ruhen, die Arme um seinen Kopf zu winden und das Auf und Ab durch die Atembewegungen der väterlichen Brust zu spüren. Und Göttke spürte ihren kleinen, zarten Körper gerne auf sich liegen.
„Nein, Julia, heute nicht“ beendete ihre Mutter die Vorfreude von Tochter und Mann. „Du musst gleich in den Kindergarten, Sophie muss zur Schule, und Papa muss arbeiten. Übermorgen wieder, ja, Schatz? Übermorgen ist Samstag, da haben wir viel Zeit!“
Ein wenig später fand sich die ganze Familie am gedeckten Küchentisch. Die Küche war, wie alle Räume in Göttkes neugebautem Haus, geschmackvoll und mit viel Liebe zum Detail eingerichtet. Dafür hatte Göttkes Frau gesorgt. „Macht sich dein Studium ja bezahlt!“ hatte er sie damals gelobt, als sie ihm ihre innenarchitektonischen Gestaltungs- und Einrichtungspläne vorstellte. Ausgeübt hatte sie ihren Beruf nie. Göttke wollte nicht, dass seine Frau arbeitete. Das war nicht nötig. Seine kleine Versicherungsagentur brachte Göttke – er und seine Frau waren erst Mitte dreißig – genug Geld ein, um schon jetzt sorgenfrei leben zu können.
„Wunderhübsch seid ihr beiden Goldkinder wieder!“ lobte Göttke seine Töchter. Er strich Julia sanft über den blonden Lockenkopf und gab der sechs Jahre älteren Sophie einen Kuss auf die Wange. Beide strahlten ihn an und freuten sich. „Du siehst aber auch schick aus, Papi!“ gab Julia das Lob zurück. In der Tat fand Göttke, dass ihm der neue, anthrazitfarbene Anzug gut stand.
„Papi, wann kommst du heute nach Hause?“ fragte Sophie. „Wir schreiben morgen ein Diktat, kannst du noch mit mir üben?“ Göttke freute sich. Sophie hatte es nicht nötig, für Klassenarbeiten zu üben. Es flog ihr zu. Sie war die Klassenbeste, in allen Fächern. Er wusste, dass sie nur deshalb so gerne mit ihm übte, weil sie dabei auf seinem Schoß sitzen konnte. Und er spürte sie gerne auf seinem Schoß.
„Nein, Schatz, das wird nicht gehen. Ich muss heute sehr viel arbeiten und weit fahren. Ich komme wahrscheinlich erst nach Hause, wenn du schon schläfst. Üb‘ doch mit Mami!“ Göttke und seine Frau lachten, als sie sahen, mit welchem Gesichtsausdruck Sophie auf diesen Vorschlag reagierte.
„Kommst du wirklich so spät?“ fragte seine Frau. Ja, er habe heute in den entferntesten Orten des Bezirks zu tun, entgegnete Göttke. Und wenn er schon mal da sei, wolle er möglichst viele Kunden besuchen. Mit einigen habe er Termine, und wenn die Zeit es zulasse, werde er noch den einen oder anderen zusätzlich aufsuchen. Heute vormittag habe er aber erst dringende Vertragsarbeiten im Büro zu erledigen.
Den arbeitsreichen Vormittag beendete Göttke in dem gemütlichen, italienischen Restaurant, das seinem Agenturbüro gegenüberlag. Dort nahm er einen kleinen Salat zu sich. Anschließend machte er sich auf den Weg zu seinen Kunden.
Alle Kunden, bei denen er avisiert war, erwarteten ihn. Göttkes charmantes Wesen, seine ehrliche Ausstrahlung brachte ihm viele Vorteile im Umgang mit Menschen. So konnte er auch an diesem Nachmittag einige gewinnbringende Verträge abschließen. Alle Gespräche und Beratungen nahmen weniger Zeit in Anspruch, als von Göttke veranschlagt. Anschließend konnte er, wie erhofft, noch einige weitere Besuche machen.
Als er sich nach dem letzten Gespräch in seinen Wagen setzte, fiel sein Blick auf die Autouhr: Er würde doch noch rechtzeitig zuhause sein, um mit Sophie fürs Diktat üben zu können.
Göttke freute sich darauf, sie auf dem Schoß zu spüren. Beim letzten Mal hatte Sophie gefühlt, wie sehr er das liebte.
Das müsse ihr gemeinsames Geheimnis bleiben, hatte er ihr gesagt.
Sie hatte ihm ganz fest versprochen, der Mami nichts davon zu verraten.