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Götter des Krieges
Der kleine Planet hatte sich 307mal um die Sonne gedreht, seit dem letzten Krieg und 234mal, seit Gründung der großen Weltunion, deren oberster Vorsitzender er war. Man hatte das Sonnensystem kolonisiert, soweit es ging, zum Wohle aller. Und nun sollte all das gebührend entlohnt werden, in einem Ereignis, dass man schon oft erträumt hatte, aber nie wirklich erwartet hatte, dass es einmal war werden würde.
Und das alles in seiner Amtszeit!
Der Oberste Vorsitzende war nervös. Dauernd schaute er aus dem großen Panoramafenster, welches einen unvergleichlichen Blick über Sternenwelt bot. Er befand sich auf einem Schiff das eigens dazu diente, ihn und die vorangegangenen und folgenden Träger seines Amtes zu repräsentativen Besuchen zu den Raumkolonien zu bringen. Die jetzige Mission hingegen war eine Zweckentfremdung, eine die alle gerne hinnahmen.
Umso länger der Vorsitzende am Aussichtsfenster auf und ab lief, immer wieder einen Blick nach draußen werfend, desto aufgeregter wurde er. Seine Überlegungen, ob jemals eine solche Bürde auf einem einzelnen gelastet hatte, machten es auch nicht besser, doch tief im Innern war er voller Stolz und wollte mit niemanden tauschen.
Ein Crewmitglied betrat die Suite und verbeugte sich.
»Oberster Vorsitzender, ich soll sie darüber in Kenntnis setzen, dass in Kürze Sichtkontakt besteht.« Das Mannschaftsmitglied machte eine weitere Verbeugung und verließ die Suite rückwärts mit langsamen Schritten, die Tür schloss sich und der oberste Vorsitzende war wieder mit seinen Gedanken allein.
Für ihn war es Zeit sich zu fassen. Um sich nicht vom Anblick des bald auf Sichtweite näherrückenden Ziels irritieren zu lassen, ließ er die Scheibe undurchsichtig werden. Seine Gedanken sammelten sich, kreisten um die kommende Aufgabe, schließlich ging es um das Schicksal der Welt.
Dunkel glänzend lag der perfekt ovale Körper vor ihnen im All. In seiner Größe schätzte ihn der Vorsitzende als nicht viel größer, als das eigene Schiff, das mittlerweile hinter ihnen lag. Doch Größe hatte es nicht nötig um zu beeindrucken. Es war die Ästhetik der einfachen Form, gepaart mit der hypnotisierenden Unendlichkeit des, auf der Hülle widergespiegelten, Alls, welche tiefe Ehrfurcht im Betrachter hervorrief. Die Ruhe, mit dem das kleine Transfershuttle auf das fremde Schiff zuzugleiten schien, war ein krasser Kontrast zu der Unruhe, die jenes ausgelöst hatte, als es vor zwölf Tage unweit des geliebten Heimatplaneten ins Sonnensystem eingetreten war. Zuvor war Suche und Kontaktaufnahme mit fremden Intelligenzen, für eine friedliche Zivilisation wie die Weltunion, welche alle Konflikte militärischer und weitestgehend auch solche wirtschaftlicher Art längst hinter sich gelassen hatte und bereits das eigene Sonnensystem kolonisierte, ein hohes und erstrebenswertes Ziel gewesen. Bis zu jenem Zeitpunkt allerdings ebenso erfolglos, wie erstrebenswert.
Entsprechende Aufregung hatte es gegeben, als das Objekt von den Orbitalsensoren erfasst worden war.
Nach entschlossenem Auftreten der Regierung hatte man die Bevölkerung jedoch beruhigen können.
Um den Besuchern den Willen zum Frieden zu demonstrieren, hatte man begonnen, Daten über Kultur, Regierungsform und die jüngere Geschichte zu senden, zusätzlich generelle Sprachmuster, damit die Möglichkeiten zu Entschlüsslung der Sprache besser wurden. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass die verkümmerten Überreste dessen, was einst Militär war, gegen einen technologisch höchst überlegenen Gegner sowieso nichts effektives hätten ausrichten können.
Die Antwort war erstaunlich schnell gekommen. Sie hatte gelautet: »Wir wollen Frieden. Wollen mit dem Obersten Vorsitzenden sprechen.«
Er erinnerte sich noch sehr deutlich, wie eine Welle der Erleichterung durch die Zentrale für interplanetare Kommunikation ging, welche eigentlich den Kontakt zu den Kolonien hielt, und sich kurz darauf in Freudenjubel wandelte. Man hatte Kontakt mit einer fremden Intelligenz, einer friedlichen, die noch dazu in der Lage war, Verständnis für ihr politisches System aufzubringen! Wer wusste, was die Zukunft nun grandioses bringen würde!
Das war vor fünf Tagen gewesen. Ein Rendezvouspunkt war ausgemacht worden. Hier befand er sich nun, in einem Shuttle, auf dem Weg in ein neues Zeitalter.
Mittlerweile hatte sich das Shuttle unter das Schiff der Besucher gelegt. Eine kreisrunde Fläche erschien auf der total ebenen Hülle, hell erleuchtet. Das Material schien sich nach innen zurückzuziehen.
»Willkommen, Oberster Vorsitzender! Wir freuen uns auf das Zusammentreffen mit ihnen.«
Das Shuttle glitt auf die Öffnung zu.
Tatsächlich schien es der normale Hangar zu sein. Silberne Stege hingen über der Außenhülle unter ihnen, gehalten nur von dünnen, ebenfalls silbernen Fäden. Zwischen zwei Stegen saßen auf Halterungen kleinere Schiffe, oval wie ihr Mutterschiff, nur wirkten sie etwas gestuckter.
Sieben an der Zahl, eine Bucht besetzt vom eigenen Shuttle.
Der Oberste Vorsitzende blickte sich immer noch um, bewunderte die technische Meisterleistung, die der Hangar für ihn darstellte. Auf diese Weise könnte sein Volk so etwas nie konstruieren. Zwischen Erregung und Unwohlsein lag seine Stimmung, bei dem Gedanken daran, was er hier wohl noch alles zu sehen bekommen würde.
»Oberster Vorsitzender, wir wären erfreut, wenn sie nun zum Treffen mit unserem Repräsentanten bereit wären. Bitte, wir weisen ihnen den Weg.«
Die Stimme schien direkt aus den Wänden zu kommen, noch viel beeindruckter war der Vorsitzende aber von der Gelenkigkeit der Sprache und der höflichen Ausdrucksweise, vor allem wenn er an die erste, doch recht primitiv wirkende, Kontaktaufnahme dachte. Sie hatten die Sprache schnell verbessert.
Leuchtende Streifen erschienen an den Rändern des Steges, auf dem er stand. Sie führten zu einer Plattform an der Hangarwand gegenüber der Außenhülle, dort wo alle Stege zusammenliefen. Wie schon beim Eintritt in das fremde Schiff, zog sich das Material an einer Stelle der Wand zurück und bildete einen Durchgang für ihn. Er ging hindurch, die Aufregung war verschwunden.
Durch einen langen Gang ohne weitere Türen, zumindest keine offenen wie er nach seinen bisherigen Erfahrungen vermutete, gelangte der Vorsitzende zum Eingang eines dunklen Raumes, was ihn zögern ließ.
»Ehrenwerter Vorsitzender«, erklang die Stimme wie zuvor im Hangar, »es mag sie verwundern, dass der Konferenzraum verdunkelt ist, doch wir haben unsere Gründe dafür. Wir haben im Laufe der Jahre mit vielen Völkern Verhandlungen geführt und manche sind trotz großer kultureller und geistiger Reife, ob unserer physischen Erscheinung, erschrocken. Solche Ereignisse waren stets bedauerlich und haben Verhandlungen oft unnötig verzögert. Treten sie daher bitte ein und wir werden den Raum erst nach und nach erleuchten. Fürchten sie sich nicht, es gibt nichts im Raum an dem sie sich stoßen oder über das sie stolpern könnten.«
Im Dunkeln zu stehen war ungewohnt und auch ein wenig unangenehm. Er glaubte die Anwesenheit des Repräsentanten spüren zu können.
Eine große kreisrunde Fläche an der Decke erhellte sich ein wenig, genug um einen Schemen erkennen lassen zu können. Einen großen Schemen, massig. Allzu groß war die Überraschung nicht. An die Vorstellung eines Wesens mit zwei Armen und Beinen, hatte er sich gar nicht erst gewöhnt. So hatten es ihm die wissenschaftlichen Berater eingebläut.
»Geehrter Repräsentant unserer...Besucher, ich bin froh, hier persönlich mit ihnen Sprechen zu können.«
»Seid auch ihr gegrüßt, Oberster Vorsitzender der Planetaren Regierung eures Volkes.« Die Stimme klang fremdartig, leicht blubbernd. »Auch mir bereitet es Freude, auf diese Weise, mit ihnen so kommunizieren zu können.«
Das Licht wurde ein wenig heller. Schemenhaft ließ sich ein gebogener, nach hinten langgezogener Körper erahnen.
»Dürfte ich als erstes wissen, welchen Grund ihr für den Besuch unseres Sonnensystems habt?«
»Sicher dürft ihr. Dies ist das System eures Volkes. Würden wir das nicht akzeptieren, gäbe es diese Verhandlung nicht.« Ein ovaler Hinterkörper, der Oberkörper senkte sich nach vorne leicht schräg ab. »Wir in diesem Schiff sind die Ji’fyc. Gesandt wurden wir vom Friedbund.« Der Kopf, vorne dreiecksartig, hinten ein kurzer, nach außen gewölbter Schild. »Der Beitritt in den Bund steht denen offen, die Krieg und Gewalt hinter sich gelassen haben. Ihr erfüllt dies.« Acht Beine am Hinterkörper, lang, dünn. Er hätte eines mit der Hand umschließen können. Arme, wo sich Ober- in Hinterkörper überging. Ebenso dünn, vielfingrig. »Wir unterstützen uns gegenseitig, damit jedes friedliche Volk so leben kann, wie es ihm gebührt.« Fünf runde, lila Augen. »In die Lebensweisen der Mitglieder mischt sich der Friedbund nicht ein. Er wahrt nur ihre Friedfertigkeit und ihre Gerechtigkeit, sollten diese in eine Krise geraten.« Das Licht enthüllte die ganze Gestalt, ihre milchig weiße Haut glänzte, schien fest zu sein, obwohl sie auf den ersten Blick wie Gallerte wirkte. »Euer Volk hat den Sprung in die Friedfertigkeit geschafft, eure Technologie ist weit genug, dass euch die unsrige nicht in Verwirrung stürzt würde. So ersuche ich euch, als den obersten Vertreter eures Volkes: Tretet unserem Bund bei, helft dem Frieden Stabilität zu geben! Es soll Aller Nutzen sein!«
Der Oberste Vorsitzende blickte seinem Gegenüber ins Gesicht, welches keine zwei Handbreit vor ihm schwebte, doch blieb er ruhig. Kein Grauen, Faszination. Keine Angst, Hoffnung.
»Geht es euch gut Oberster Vorsitzender. Ich hoffe, ich beunruhige euch nicht?«, blubberte es aus einer Gerätschaft um den »Hals« des Repräsentanten der Ji’fyc. Es riss den Vorsitzenden aus seinen Zukunftsträumen.
»Ganz und gar nicht, ehrenwerter Botschafter des Friedbunds. Es wäre mir eine Ehre und ich spreche, so hoffe ich für mein ganzes Volk, wenn ich ihnen meine Hoffnungen auf eine fruchtbare Zusammenarbeit mitteilen.«
Es sah aus wie ein Stab gewaltigen Ausmaßes, um den man schraubenförmig Draht, dessen Radius etwa doppelter Handlänge entsprach, gewickelt hatte. Ein Gleiter machte sich gerade daran, eine konvexe Schüssel auf dem Mast zu platzieren.
»Dies war der letzte, mein Freund und Verbündeter. Ihr könnt euer Volk nun vor einer weiteren Gefahr in Sicherheit wissen.« Der Repräsentant der Ji’fyc, er trug den Namen Hzü, den der Oberste Vorsitzende vertraulich verwenden durfte, stand neben ihm.
»Diese Schilde sind in der Tat beeindruckend. Wir danken euch, dass ihr uns diese Technologie anvertraut, obwohl wir dem Friedbund noch gar nicht offiziell beigetreten sind.«
»Tatsächlich hat die friedliche Entwicklung eures Volkes einer wirkungsvollen Abwehr gegen Asteroide und Meteoriten entgegengewirkt. Dabei ist diese Gefahr größer als ihr denkt«, blubberte der Übersetzungsmechanismus um Hzüs Hals.
Fast überkam den Vorsitzenden ein Gefühl der Scham, ob der geringen Voraussicht, welche sie in der Vergangenheit an den Tag gelegt hatten. »Es mag sein, dass wir Ansätze eines Verteidigungsmechanismus schon so früh aufgegeben haben, weil wir fürchteten, dass sein grundsätzlich auch zerstörerisches Potenzial neue Konflikte hätte entfesseln können.«
Fast klang es wie eine Entschuldigung.
Der Repräsentant drehte seinen Kopf zu ihm um. Fünf Augen blickten ihn in einer Weise an, aus der er Verständnis lesen zu können glaubte. Generell hatte es ihn in der ganzen kurzen Zeit, nach der ersten Verhandlung, immer wieder erstaunt, wie ähnlich die Ji’fyc ihnen im Gefühlsleben doch waren. Man hatte sein Volk wohl schon länger, von Seiten des Friedbundes, beobachtet und hatte die Ji’fyc als den, trotz ihres doch sehr andersartigen Aussehens, größten gemeinsamen Nenner entsandt hatte.
»Damals war es sicher eine weise Entscheidung, Oberster Vorsitzender, welche eure Vorfahren trafen. Aber nun, da sich der Wille zum Frieden tief in eurer Gesellschaft verankert ist, sollten auch solche Entwicklungen wieder vorangetrieben werden.«
Hzü wandte sein Gesicht gen Himmel, die glatte Haut schimmerte wundervoll im Licht der Sonne.
»Außerdem... sind nicht alle Völker in diesem Teil der Galaxis, den wir kennen, dem Frieden so zugetan wie es unsere Völker sind.«
Wort für Wort lieferte das Autodiktiergerät, Zeile um Zeile, den Text für die offizielle Beitrittsbekundung zum Friedbund. Langsam, die Worte sorgfältig gewählt, aber ebenso unaufhaltsam in seinem Lauf, wie der Wille Bevölkerung und ihres oberstersten Vorsitzenden diesem letzten Schritt, von einem silbernen in ein goldenes Zeitalter, zu tun. Seinem Arbeitszimmer war in das rote Licht der untergehenden Sonne getaucht. Es brachte ihm die nötige Inspiration, dieses unendlich bedeutsame Dokument fertig zu stellen. Bei der Zeit, die er sich dafür ließ, konnte er sogar hoffen, noch den Sonnenaufgang mitzuerleben.
Im Grundsatz musste eine Beitrittsbekundung immer den gleichen Inhalt haben, Formulierung und Form des Dokuments selbst wurden nach Tradition und Kultur des jeweiligen Volkes erstellt, so hatte Repräsentant Hzü ihm erklärt.
Trotz oder gerade wegen ihrer Gewichtigkeit ließ die Arbeit am Dokument ihn schnell ermüden. Wie schon viele Male zuvor trat er auf den Balkon des Ratssitzes, mit seiner überragenden Höhe in Bild der Hauptstadt. Nie zuvor hatte er mit solcher Klarheit gesehen. Das Ende der Betriebsamkeit, die Schatten, die sich durch Straßen zogen, am Ende dieses langen, wundervollen Tages.
Hinter ihm wurde die Tür geöffnet. Überrascht drehte er sich um. Es war der Leiter des Zentrums zur Kommunikation mit den Raumkolonien. Unruhe stieg in ihm auf. Dass ein derart hoher Regierungsmitarbeiter persönlich kam und die strikt einzuhaltende Ruhe brach, die der Oberste Vorsitzende angeordnet hatte, musste einen Grund haben... einen schwerwiegenden.
»Oberster Vorsitzender, ich musste sie stören. Sie müssen sich das ansehen!«
»Was ansehen?«
Grau und bedrohlich glitt es voran. Sein Austritt aus dem Hyperraum war genauso unerwartet gewesen, wie der des Ji’fyc-Schiffs vor vierzig Tagen, eher noch überraschender, da der Repräsentant mit keinem Wort das Kommen eines anderen Schiffs erwähnt hatte und zwei voneinander unabhängige Erstkontakte, in so kurzer Zeit, auszuschließen waren. Auf der Bildwand ließen sich Details deutlich erkennen, alles festgehalten von einem Orbitalteleskop. Gezogener Körper, aber dennoch wuchtig, seine Oberfläche erschien unregelmäßig. Alles in allem eine Erscheinung, welche weder mit dem schlichten Bau der eigenen Transport- und Transitschiffe, noch mit der formvollendeten Schönheit des Ji’fyc-Schiffs vergleichbar war. Vielleicht hatte es einst ein Wort gegeben, dass besser gewesen wäre, die Erscheinung zu Beschreiben, aber den Anwesenden in der Kommunikationszentrale blieb nur eines, dass hierauf passte: Bedrohlich.
»Bewegt es sich auf uns zu?«
»Ja, mit steigender Geschwindigkeit.«
»Nehmen sie Kontakt zum Repräsentanten der Ji’fyc auf.«
Der Oberste Vorsitzende brauchte nicht lange zu warten, bis die Verbindung stand. Er ließ das Bild auf einen kleineren Schirm übertragen, anstatt in seinen persönlichen Besprechungsraum. Ihm war das ungute Gefühl gekommen, dass dieses Gespräch alle Anwesenden hören mussten, einschließlich des hinzugerufenen Kommandeurs der Garde, dem letzten, eigentlich nur zeremoniellen, Überrest von Militär. Auf dem Schirm erschien das fünfäugige Gesicht von Hzü.
»Oberster Vorsitzender, ich bin froh, dass ihr mich kontaktiert. Wir haben etwas zu erklären...«
»Was ist das für ein Schiff, Repräsentant? Ihr habt kein weiteres Schiff erwähnt! Was will es hier?«
»Es keines der unseren, weder der Ji’fyc, noch eines anderen Volkes des Friedbundes.«
»Was ist es dann?«
Der Repräsentant zögerte mit seiner Antwort, dass beunruhigernste was er zu diesem Zeitpunkt hätte tun können. Nie zuvor hatte er auf eine direkte Frage gezögert zu antworten.
»Es gehört einem alten Volk, einem uralten, älter als euer Volk, als meines, als der Friedbund oder sonst ein Volk, dass wir kennen. Ein falsch durch den Hyperraum manövrierter Verband eines nomadenhaften und Piraterie betreibenden Volkes stieß vor langer Zeit auf es. Sie hatten sich in all den Zeitaltern, in denen sie sich unbehelligt entwickelt hatten und trotz ihres enormen technologischen Stands, nur auf zwei oder drei Systeme ausgebreitet. Eigentlich hätte das Piratenvolk erkennen müssen, was es mit den Fremden auf sich hat, aber sie taten es nicht. Dabei beobachteten sie sie einige Zeit, nahmen letztendlich sogar Kontakt auf, aber wie Piraten sind, wollten sie nur herausfinden, was sie erbeuten könnten. Dies sind allerdings die besten Informationen, die wir haben. Als sie letztlich versuchten, tatsächlich ein Schiff zu kapern, wurden ihre Schiffe vom fremden Volk zerstört. Nur eines entkam, um davon zu berichten.«
Hzü schwieg wieder, als bereitete es ihm Schmerz weiterzusprechen.
»Es ist ein Volk, dass den Krieg niemals hat überwinden können. Grausam und gewalttätig, seit Anbeginn seiner Existenz in blutigem Kampf mit sich selbst. Aus diesem Grund sind ihre Streitkräfte die zerstörerischsten, welche die Galaxis je gesehen hat und aus diesem Grund hatten sie es auch nie geschafft sich auszubreiten. Bis zu jenem Zwischenfall. Lange Zeit hörte man nichts mehr von ihnen, wie es zuvor gewesen war. Doch dann tauchten ihre Flotten in dem uns bekannten Teil der Galaxis auf, überfielen Planeten, in ihren Durst nach Rohstoffen, schmetterten auch das wehrhafteste Volk beiseite, geeint durch das Wissen, dass dort draußen noch andere Feinde auf sie warten. Keine wahrhaft bedeutende Schlacht konnten die Verteidiger des Friedbundes bisher für sich entscheiden. Wie kann man einem Volk widerstehen, dass sich körperlich, wie im Wesen, seit Zeitaltern nicht mehr gewandelt hat, weil es sich nur dem Krieg als Umstand anpasst und alle anderen Umstände sich anpasst?«
Um den Obersten Vorsitzenden schien die Welt zu verschwimmen. Wie konnte das sein? Was gerade noch wie die Erfüllung aller Hoffnungen erschienen hatte, war nun zu einem unsagbaren Schrecken geraten.
»Warum denn wir? Wie konnte es sein, dass sie uns überhaupt finden?«
»Es scheint, als würden sie gezielt nach Schiffen des Friedbundes suchen. Wir haben sie hier hin geführt. Es tut uns Leid.«
Das Bild auf dem Schirm erlosch. Hzü hatte den Kontakt abgerochen.
»Seht, es bewegt sich!«
Ein Kommunikationstechniker deutete aufgeregt auf den Teilbereich der Bildwand, welcher zur Beobachtung des Ji’fyc-Schiffs bestimmt war. Es hatte Fahrt aufgenommen, bewegte sich von seinem orbitnahen Platz weg. Genau dem Eindringling entgegen.
Lichtkegel waren zwischen den Schiffen hin und her gezuckt, dann spie das fremde Schiff eine Salve Raketen aus, die die glänzende Hülle des Ji’fyc-Schiffs zerrissen, das perfekte Oval in einen Haufen metallener Trümmer verwandelten, die nun ziellos durch das System trieben. Ein kurzer Kampf, ein chancenloser Kampf. Das Einzige, was die Ji’fyc noch hatten für sie tun können.
Jetzt kreuzte das Schiff nahe dem Orbit. Sämtliche Satelliten waren ausgefallen. Sie zapften alles an, was ihnen nutzen könnte, legten so gleichzeitig die gesamte Kommunikation des Planeten lahm. Im Kommunikationszentrum saßen sie daher vor leeren Schirmen. Die Katastrophe war perfekt und das letzte, was der Oberste Vorsitzende noch sagen konnte, waren jene Worte, welche nie wieder hätten gesagt werden sollen:
»Kommandeur, versuchen sie die Garde zu sammeln, verteidigen sie die Hauptstadt. Es ist Krieg.«
Sie hatten schnell herausgefunden, wo die Hauptstadt lag, brauchten keinen Tag, bis sie ein Landungsschiff schickten. Vom Balkon aus war das grausige Schauspiel zu sehen gewesen. Grandios war Plan des Kommandeurs gescheitert, den Meteoritenschild zum Abschuss des Landungsschiffs zu verwenden. Bevor er hochgefahren wurde, nahm ein gezielt Orbitalbeschuss, auf die zentrale Energieverteilungsanlage, ihnen auch noch die Elektrizität und erstickte diesen letzten Versuch eines wirksamen Widerstands im Keim. Weiterer Beschuss säuberte die Landungszone, unbehelligt setzte das Landungsschiff nahe der Stadt auf.
Neben ihm stand der Leiter des Kommunikationszentrums. Gemeinsam überblickten sie die dunkle Stadt. Es war bereits wieder Nacht und die Bewohner hatten sich verängstigt in ihren Häusern eingeschlossen oder waren geflohen. Zwar hatte das Regierungsgebäude einen eigenen Generator, doch versorgte der nur das Gebäude selbst, nicht die Kameras auf den Straßen.
Lichtblitze in der Stadt, wo der Feind vorrückte, den Widerstand der Garde hinwegfegte.
»Es wird nicht mehr lange dauern, nicht?«
Der Kommunikationsleiter war vollkommen aufgelöst, in seinen Augen stand bloße Furcht.
»Nein, wahrscheinlich nicht.«
Es fühlte sich an, als sei alles seine Schuld. Er war der Oberster Vorsitzende der Weltunion, das Volk hatte unter seiner Obhut gestanden und nun war es dem Untergang geweiht.
Die Lichter kamen näher, bisher unbekannter Kampfeslärm war zu hören.
Er würde seine persönlichen Konsequenzen daraus ziehen.
»Mögen Sie länger Leben als ich.«
Er wandte sich von der Szenerie ab und machte sich auf den Weg nach unten.
Das Warten hatte ein Ende. Trampelnde Schritte, draußen, vor dem Portal zur Eingangshalle. Unter den Anwesenden, zu denen, neben dem Obersten Vorsitzenden, nur noch eine handvoll Regierungsmitarbeiter und zwei Wachen, auch ein eher symbolischer Posten, gehörten, herrschte schweigen. Jemand machte sich am Schloss zu schaffen. Nur Augenblicke später zerriss eine kleine Explosion es und die Flügeltüren flogen nach innen auf, Rauchwolken verdeckten die Sicht nach draußen. Eine der Wachen trat todesmutig in die Wolke. Krachen, Lichtblitz, sofort wurde sein Körper herumgerissen, von der Wucht leblos auf den Boden geschleudert. Projektilwaffen. Die Gewalt der Attacke ließ sich in der Wolke nur erahnen, davon abgesehen, dass den Anwesenden Krieg nur als das bekannt war, was es immer zu verhindern gegolten hat.
Drei Gestalten schritten, jegliche Furcht vor der Gegenwehr verloren, in die Halle, als der Rauch sich verzog.
Hatte man dem Obersten Vorsitzenden vor einundvierzig Tagen die Vorstellung ausgetrieben, sich fremde Wesen als zweiarmig und -beinig vorzustellen, zunächst vollkommen bestätigt durch das Zusammentreffen mit den Ji’fyc, belehrten ihn die Neuankömmlinge eines besseren. Ihr Körperbau war nahezu identisch mit seinem eigenen, wenn auch sie aufrechter standen und ihn um gut zweieinhalb Kopf überragten. Da endeten die Gemeinsamkeiten bereits. Die beiden äußeren Eindringlinge, welche den mittleren flankierten, waren in Exoskelettpanzer gehüllt, ähnlich denen, die er von Minenarbeiter kannte, aber perfekt an den Körper angepasst, um größtmögliche Bewegungsfreiheit zu gewährleisten. Beide trugen schwere Sturmgewehre. Den Kolben des linken Fremden hatte bereits die zweite Wache zu spüren bekommen, im sinnlosen, aber pflichtgetreuen Versuch den Eindringlingen entgegenzustehen. Zusammengesackt lag er auf dem Boden.
Die wirklichen Unterschiede konnte der Oberste Vorsitzende am mittleren Angreifer festmachen. Im Gegensatz zu den anderen beiden, voll gepanzert und behelmt, trug dieser textile Kleidung in dunklem Grün, auf der Brust und den Schultern diverse Abzeichen. Die Haut des freigelassen Kopfes und der Hände war nicht blau, wie die eigene, sondern in einem Ton zwischen weiß und rosa, wirkte matt in künstlichen Licht der Halle. Gezielt kam der Fremde auf den Obersten Vorsitzenden zu, der sich erstens in seiner Amtskleidung besonders hervortat und zweitens der einzige war, der sich nicht angstvoll gegen eine Wand presste, sondern mitten in der Halle stand. Der Fremde stellte sich vor ihn und blickte ihn direkt an, mit fremdartigen Augen, auch wenn es nur zwei und nicht fünf waren. Weiß mit einem schwarzen Mittelpunkt, der von einem grünem Kranz eingeschlossen wurde.
»Ihr seit der Herrscher dieses Planeten?«
Zentral im Gesicht prangte ein Auswuchs annährend dreieckiger Form, mit zwei kleinen Öffnungen an der Unterseite. Zwei unförmige, wenn auch zueinander symmetrische, flache Auswüchse, ebenfalls mit Öffnung, lagen an je einer Seite des Kopfes an. Beides schwer zu bestimmen. Riech- und Hörorgane?
»Ich bin der gewählte Oberste Vorsitzende des Rats der Weltunion, kein Herrscher!«
Die Worte wurden von einer metallenen Gerätschaft, welche an der Brust des Fremden befestigt war, in dessen Sprache übersetzt, wie seine Sprache zuvor in die des Obersten Vorsitzenden.
Der Fremde zeigte sich wenig beeindruckt.
»Wie dem auch sei, Ich bin Oberst Dschugaschwili, Kommandeur der Landungstruppen der Ares.« Beim sprechen zeigten sie sich deutlich.
»Ich komme um eine mögliche Kapitulation von ihnen entgegenzunehmen.« Zähne! Er selbst besaß nur Kauleisten aus Horn. Auf seinem Planeten war das biologische Konzept der Zähne nur von fleischfressenden Tieren bekannt, genutzt um Beute zu packen und zu zerteilen... und der Fremde besaß viele Zähne! Weiß, wahrscheinlich aus einem anderen Material, als die der heimischen Tiere, aber dennoch: Die Analogie war eindeutig. »Wenn sie kooperieren, wird es nur einfacher für sie! Unter unser Überwachung werden Rohstoffe abgebaut. Sie bringen uns Tribute, dann werden wir weiter nichts tun. Ein besseres Angebot werde ich ihnen nicht geben. Wir können Zusammenarbeit auch erzwingen! Nehmen sie es jetzt an oder nicht.«
Sein Volk dem Wohlwollen der Eindringlinge, Fleischfressern und Abkömmlingen von Raubtieren, aussetzen? Die friedlichen Nachfahren von Weidetieren von Natur aus aggressiven Jägern überlassen?
Alle ihre Konflikte in der Vergangenheit beruhten auf der Sicherung von seltenen Weidegründen und hatten nur wenige Tote gefordert, da es in Grunde gar nicht ihrer Natur entsprach und daher allen zu wider war. Mit Steigerung des Nahrungsangebots durch fortschrittliche Landwirtschaft waren die Konflikte verschwunden.
Bei den Fremden war Töten eine Notwendigkeit in der Entwicklung gewesen. Notwendig zum überleben. Später hatten sie einfach das Töten als Lösung anderer Probleme angewandt.
Konnte er wirklich auf das Angebot solcher Wesen eingehen? Aber was würden sie machen, wenn er es nicht tat?
Die Überlegungen des Obersten Vorsitzenden waren unendlich schwierig und dauerten... zu lange.
Der Oberst war das Warten allem Anschein nach leid. Er schritt nach vorne, sein rechter Arm griff nach dem Vorsitzenden, packte ihn am Hals und hob ihn ein Stück über den Boden.
»Ihr hattet eure Chance. Zögern kann ich nicht brauchen! Den Herrscher eines Planeten zu nutzen ist praktisch, aber die Menschheit bekommt auch so, was sie braucht!« Dschugaschwili stieß ihn von sich, der dünngliedrige, leichte Körper schlug hart auf.
Bevor die Sinne ihn verließen und Ohnmacht ihn umfing, waren die verschwommenen Umrisse des Oberst das letzte was er sah. Blechern dröhnte das Übersetzungsgerät:
»Lang lebe das Sanktuarium Terra, lang lebe das IMPERIUM HUMANUM!«
Draußen endete die Schlacht und das Schlachten begann.