Fylgja und Bär
Fylgja und Bär
"Hast du es auch gespürt?"
"Ja."
Die Fylgja wusste, wenn die Antwort des Bären so knapp ausfiel, dann dachte er nach.
"Woran denkst du?"
"Dass es ihm besser zu gehen scheint. Aber vielleicht täuscht er uns auch. Wie so oft in den letzten Jahren."
"Du wirkst schon wieder resigniert."
"Wundert es dich?"
Die Fylgja nahm ihre Aufgabe als Folgegeist sehr ernst und es wäre nicht das erste mal, dass
sie den Bären an seine Funktion als Krafttier erinnern musste.
"Du musst ihn öfter spüren lassen, dass du da bist, hinter ihm stehst und ihn beschützt. Vielleicht solltest du versuchen das Vergangene zu vergessen."
"Aber er hat uns verleugnet, unsere Zeichen ignoriert. Wäre ich ein Mensch, dann..."
"Dann, was?"
"Man könnte sagen er hätte mich enttäuscht. Uns, er hätte uns enttäuscht."
Der Bär weiß dass Krafttiere und Fylgjur nicht enttäuscht werden können, aber er ist stur, so stur wie der Mensch, welchen sie sich ausgesucht haben.
"Er gibt sich immer so stark und unnahbar, will alles alleine aushalten und bemerkt dabei nicht die Isolation in die er sich selbst treibt und versucht damit uns los zu werden.
Immer wenn wir dachten, er hätte unsere Hinweise verstanden machte er etwas vollkommen
destruktives."
"Du weißt, es steht uns nicht zu über ihn zu urteilen. Auch wenn es oft nicht leicht ist."
"Und dann die Sache mit dem Schlafen, oder besser - nicht Schlafen. Was soll das?
Wenn er nicht schläft, träumt er nicht. Wenn er nicht träumt, wie soll ich ihm dann helfen?"
Die Fylgja versucht die Wut über den Bären zu unterdrücken. Er hat zumindest die Möglichkeit ihm im Schlaf zu erscheinen. Aber sie? Wenn er sie sehen würde, wäre es zu spät, sie darf sich ihm nur zum Zeitpunkt seines Todes zeigen.
"Diese neu gewonnene Lebensfreude. Hast du etwas damit zu tun?"
Beide hatten sie dieses Gefühl bei ihm lang nicht wahr genommen.
"Ich weiß es nicht. Möglicherweise. Als ich neulich über ihn wachte war da eine Präsenz,
etwas Gutes, mir nicht unbekannt, aber fast vergessen."
"Beschreibe es mir."
"Wozu? Er wird es unterdrücken und so lange verleugnen bis es erloschen ist."
Der Bär erhebt sich, wendet seinen Blick ab und dreht der Fylgja den Rücken zu.
Doch sie lässt sich nicht beirren, steht ebenfalls auf, legt ihren Arm um ihn und flüstert ihm ins Ohr.
"Erinnerst du dich an hamingja und wurt, Schicksal und Glück? Über seines zu wachen ist unsere Bestimmung. Also sag mir, was hast du gesehen?"
"Ich muss mir erst sicher sein. Lass mir Zeit."
"Dir Zeit zu lassen, bedeutet ihm Zeit zu lassen. Ihm Zeit nachzudenken zu geben.
Du weißt was das bedeutet? Er wird wieder die Richtung ändern und Fehler begehen, welche zu verhindern unsere Aufgabe wäre."
Der Bär als Krafttier des Einzelgängers hat Schwierigkeiten seinen aufbrausenden Zorn zurück zu halten. Zorn auf die Fylgja, weil er weiß das sie Recht hat.
"Erinnerst du dich an die wenigen Male, als er geliebt hat? Jedes Mal bis zur Aufopferung,
zur Selbstaufgabe. Dann hat er es zerstört, Stück für Stück, bis nichts mehr übrig war das es Wert gewesen wäre geliebt zu werden. Hat er da auf uns gehört? Nein."
"Also ist Liebe die Präsenz welche du gespürt hast?"
Wie so oft ignoriert der Bär die Frage des Folgegeistes.
"Stattdessen hat er sich zurückgezogen und aufgehört zu träumen. Er hat uns verleugnet und uns somit unserer Daseinsberechtigung beraubt."
Die Fylgja lässt den Bären los, tritt vor ihn, sieht ihm fest in die Augen und wie immer hat sie das Gefühl in zwei Obsidiane zu blicken.
"Noch mal: Ist es Liebe?"
"Nein. Nicht nur."
"Nicht nur? Was noch?"
"Etwas stärkeres, noch größeres. Hoffnung."
"Hoffnung? Was hast du getan, dass er Hoffnung zulässt?"
"Ich habe mich zurückgezogen."
"Was meinst du damit? Das hättest du nicht gedurft!"
"Aber es hat ihm gut getan und dadurch konnte er es zulassen."
"Was zulassen?"
"Er hat einem anderen Krafttier erlaubt in seine Träume zu kommen. Aber frage mich nicht welches, als ich spürte wie gut es ihm tut habe ich mich zurückgezogen."
"Also braucht er uns nicht mehr?"
"Doch, er wird uns immer brauchen, aber eben nicht nur uns. Und irgendwann, wenn er wieder glaubt alles alleine bewältigen zu müssen, wissen wir wen wir um Hilfe bitten können."
Die Fylgja streicht über das Fell des Bären. Plötzlich ist alles so klar, zu sehr waren sie darauf bedacht ihn zu führen, ihm den Weg zu weisen. Dabei waren sie es die Hilfe benötigten, aber woher sollten sie wissen dass es einen Menschen gibt der bereit ist sein Krafttier und seinen Folgegeist zu teilen.
"Spürst du es? Er schläft!"
"Lass ihn, vielleicht kann er träumen."