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Furchtbares Frühstück

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22.05.2018
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Furchtbares Frühstück

Aaron Ohrenschütz wurde durch seinen Hund geweckt, der so laut jaulte, als wenn sein Herrchen ihn mit einem Rohrstock schlug.
"Verdammte Töle", brummte er ins Kissen und befreite den Arm aus der Umklammerung seiner Studentin. Nina weigerte sich ihn freizugeben, aber er ließ sich nicht auf dieses Spielchen ein und versetzte ihr einen unsanften Stoß an die Schulter.
Dann rollte er sich aus den verschwitzten Laken und ging ins Bad, um seine Blase zu leeren.
"Machst du Frühstück?", rief Nina ihm aus dem Schlafzimmer hinterher.
Ich mach dir Beine, wenn du nicht gleich verschwindest, dachte er, sagte aber stattdessen: "Mittag wäre wohl der richtige Ausdruck."
"Bringst du mir Rührei ans Bett?", fragte sie.
"Ich bring dich nach Hause. Zieh dir was über und komm dann runter", antwortete er.
"Nicht ohne Frühstück."
Aaron betätigte die Spülung, hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn und kühlte sich sein Gemüt etwas unter Eiswasser ab.
Verschwinde aus meinem Haus, dachte er und sagte: "Okay, Rührei. Aber nichts ans Bett, sondern unten in der Küche. Und nach dem Frühstück fahre ich dich nach Hause."
Nina antwortete nicht. Wahrscheinlich war sie wieder eingeschlafen.
Aaron lief die Treppe hinunter und hörte, wie der Briefschlitz an der Haustür im Wohnzimmer quietschte. Eine Postkarte lag vor der Tür. Aaron ignorierte sie und ging in die Küche.
Die Briefschlitzklappe öffnete sich ein zweites Mal und eine Stimme rief durch die Öffnung hindurch.
"Herr Ohrenschütz? Sind sie das?"
Aaron blieb stehen und überlegte sich, ob er antworten sollte. Er entschloss sich dazu, nichts zu sagen und weiterzugehen.
"Herr Ohrenschütz, ich sehe sie durch den Briefschlitz. Ich bin es nur. Der Postbote. Ich habe eine Postkarte durch den Briefschlitz geschoben."
Aaron hielt inne und stöhnte.
"Das haben sie klasse gemacht. Weiter so!", antwortete er.
"Herr Ohrenschütz? Wollen sie denn die Karte nicht lesen? Sie ist von ihrer Frau."
Zwei neugierige Augen lugten durch den Briefschlitz und so wie es den Anschein hatte, versuchte der Postbote nun auch seine Nase hindurchzudrücken.
Aaron drehte sich nicht zu ihm um, ging in die Küche und öffnete einen der oberen Schränke, um Eier und Rapsöl aus dem Fach zu nehmen.
"Ich glaube, dass es sie wirklich nichts angeht, wann ich meine Post lese, bei aller Liebe. Aber ich lese sie nachher."
Er packte den Eierkarton auf den Thresen, platzierte eine Pfanne auf der Herdplatte und befüllte die Kaffeemaschine mit Wasser.
"Es tut mir Leid, dass ich so neugierig bin, Herr Ohrenschütz. Aber ich habe aus Versehen einen Blick auf den Absender geworfen, beim Einwerfen der Karte. Die Karte ist von ihrer Frau. Wollen sie sie wirklich nicht lesen?"
Aaron fuhr sich durchs Haar und startete dann die Kaffeemaschine.
"Danke für ihre Anteilnahme und Diskretion, Herr Postbote. Ich werde mir dir Karte nach dem Essen ansehen. Einen schönen Tag wünsche ich ihnen noch."
Oben im ersten Stock hörte Aaron jetzt die Dusche laufen. Nina war endlich aufgestanden. Glücklicherweise hörte der neugierige Mann nicht, dass noch jemand im Haus war.
"Ich wünsche ihnen auch noch einen schönen Tag. Ich würde ja gerne noch bleiben, aber die Pflicht ruft. Sie kennen das ja, Herr Ohrenschütz. So viel um die Ohren."
Die Briefschlitzklappe fiel wieder quietschend zu und Aaron setzte sich an den Esstisch, um sich die Augen zu reiben. Fahles Sonnenlicht fiel auf den Tisch und die Kaffeemaschine gluckerte wie ein Abflussrohr.
Es klopfte an der Hintertür in der Küche, die in den Garten führte.
"Herr Ohrenschütz? Sind sie da? Hier ist Frau Beutler. Huhu."
Seine Nachbarin hämmerte noch ein weiteres Mal an der verschlossenen Tür und die Türklinke winkte energisch auf und ab, wie der Flügel eines erregten Pinguins.
Aaron blieb still und tat so, als wäre er nicht zuhause.
"Herr Ohrenschütz, ich weiß, dass sie da sind. Ich höre doch die Kaffeemaschine. Und ihr Wagen steht doch auf der Auffahrt."
Aaron stand auf, goss Öl in die Pfanne und schaltete den Herd auf die höchste Stufe. Stufe 6: Höllenfeuer.
"Herr Ohrenschütz?" Die Türklinke bewegte sich wieder mehrere Male. "Ich will sie ja gar nicht belästigen. Aber haben sie zufällig meinen Kater gesehen? Ich glaube er ist in ihrem Haus."
"Nein", antwortete Aaron und goss sich Milch in seine Lieblingsschüssel für Cornflakes.
"Sind sie sich da sicher? Lassen sie mich kurz rein und ihr Haus durchsuchen. Er ist bestimmt durch ihre Hundeklappe reingekommen, der alte Streuner."
Das Öl brutzelte bereits in der Pfanne und Aaron dachte darüber nach, ob heißes Öl in einer Pfanne ausreichen würde, um damit eine siebenundfünzig-jährige Immobilienmaklerin zu ermorden.
Die Hundeklappe an der Gartentür öffnete sich und Frau Beutlers Kopf zwängte sich hindurch.
"Da sind sie ja, Herr Ohrenschütz. Gut sehen sie heute aus. Sind sie sich sicher, dass sie meinen Kater nicht gesehen haben? Er legt immer so eine selbstverständliche Neugierde an den Tag. Aber Kastration soll da helfen."
"Frau Beutler!", rief Aaron jetzt zornig und umklammerte den Griff der Pfanne. "Wenn sich ihr Kater wirklich in meinem Haus befindet, kommt er auch von alleine wieder heraus."
Frau Beutler zwängte ihren Kopf umher, um einen besseren Blick durch die Küche werfen zu können.
"Darum geht es mir doch gar nicht, Herr Ohrenschütz. Er hat heute Morgen seinen Seelachs nicht angerührt und ich mache mir große Sorgen um seine Verdauung. Er ist bestimmt krank. Und man muss doch bei ihm sein, falls es ihm schlecht geht!"
Dann rief sie lauthals den Namen ihres Katers über den Küchenboden:
"Doktor Flausche, hierher! Komm Herr Doktor Flausche!"
Aaron plagten nun schlimme Kopfschmerzen. Oben wurden die Schiebetüren der Dusche aufgestemmt und das Wasser lief nicht mehr.
"Es tut mir wirklich Leid, Frau Beutler, aber ich bitte sie darum, jetzt aus meiner Tür zu verschwinden. Denken sie an ihren Rücken."
"Ach sie sind ja so aufmerksam", antwortete die Maklerin und dann: "Naja, vielleicht ist Herr Doktor ja doch nicht in ihrem Haus. Ich will sie dann auch gar nicht weiter stören als notwendig. Wie geht es ihrer Frau, Herr Ohrenschütz? Meine Schwester musste auch durch die Chemotherapie."
Aaron Ohrenschütz packte ein Ei aus dem Eierkarton und hatte schwer damit zu kämpfen, das Ei nicht zum Platzen zu bringen, als seine Faust es umschloss.
"Frau Beutler, ich weiß wirklich nicht, wie es meiner Frau geht. Ich halte sie auf dem Laufenden, sobald es Neuigkeiten gibt."
Die Briefschlitzklappe quietschte wieder im Wohnzimmer und ein Mann brüllte sehr laut hindurch. Wahrscheinlich um die Distanz zwischen Haustür und Hintertür zu überwinden.
"Er hat eine Postkarte von seiner Frau bekommen, Frau Beutler. Er hat sie aber noch nicht gelesen, glaube ich."
Frau Beutler glotzte verwirrt über die Küchenfließen.
"Nanu? Herr Ohrenschütz, ich wusste ja gar nicht, dass sie Besuch haben."
"Hat er auch nicht", antwortete die Stimme an der Haustür. "Ich bin es nur, der Postbote. Ich stehe an der Haustür, Frau Beutler."
"Ach sie sind es nur. Woher wissen sie denn, dass Herr Ohrenschütz Post von seiner Frau bekommen hat? Haben sie etwa geschnüffelt?"
"Nein", antwortete der Postbote: "Ich habe nur aus Versehen einen flüchtigen Blick auf den Absender der Karte geworfen. Das kann den besten Postboten mal passieren."
Frau Beutler blickte zu Aaron und schüttelte dann mit dem Kopf.
"Dieser neugierige Kobold", flüsterte sie ihm zu. "Der soll seine Nase gefälligst aus unseren Angelegenheiten raushalten! Das ist doch unerhört."
Eilige Schritte von nackten Füßen im Obergeschoss, die sich der Treppe näherten. Aaron schloss die Augen und stützte sich auf dem Thresen ab.
"Bitte. Ich halte es für besser, wenn sie beide jetzt einfach verschwinden."
Als Aaron die Augen wieder öffnete blendete ihn die Mittagssonne viel zu stark und er sah den Kaffeesud in die Kanne laufen. Es musste am Licht liegen, aber der Kaffee sah ungesund kupferfarben aus.
"Hat er die Karte denn jetzt endlich gelesen?", fragte der Postbote durchs Wohnzimmer.
"Lassen sie den Mann seine Post lesen, wann er es für richtig hält. Wahrscheinlich hat er Angst vor schlechten Neuigkeiten. Das gibt es doch nicht", antwortete die Nachbarin und dann: "Haben sie zufällig meinen Kater gesehen, Herr Postbote?"
"Was interessiert mich denn ihr bescheuerter Kater, Frau Beutler?", antwortete der Postbote und lachte durch den Briefschlitz. "Ich habe weitaus besseres zu tun, als während meiner Dienstzeit Ausschau nach einem Kater zu halten. Alle Hände voll zu tun heute. Hat er denn nun die Karte gelesen? Vielleicht sind es gute Neuigkeiten."
Aaron hörte die Treppenstufen knarren, knallte sein Ei auf den Thresen und spurtete ins Wohnzimmer. Nina kam gerade herunter.
"Wo wollen sie denn so eilig hin, Herr Ohrenschütz?", schrie seine Nachbarin empört und streckte ihren dicken Hals noch etwas weiter durch die schmale Öffnung der Hundeklappe.
"Lassen sie ihn gefälligst! Er will jetzt bestimmt die Karte seiner Frau lesen", rief der Postbote.

Aaron sprang, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf auf Nina zu und schloss sie dann in die Arme.
"Was soll der Radau, Professor? Ist das Frühstück fertig?"
"Nein, noch nicht." Er verschloss ihren Mund mit einem flüchtigen Kuss. Sie erschrak erst, erwiderte dann aber den Kuss. Sie schnappte nach ihm und ihre Lippen verschlangen seine.
"Geh wieder hoch", sagte Aaron.
"Komm wieder ins Bett, Professor. Ich bin einsam dort oben."
"Geh hoch!", befahl Aaron und schubste das Mädchen von sich.
"Aua, nicht so grob! Bring mir wenigstens Kaffee."
"Wer ist denn da noch im Haus?", rief Frau Beutler aus der Küche. "Da ist doch noch wer!"
"Ich bin es nur", antwortete der Postbote. "Das habe ich doch bereits gesagt, Frau Beutler. Aber sie sind ja auch nicht mehr die Jüngste."
"Was erlauben sie sich?"
Als Aaron die Treppe wieder hinunterstieg, reichte der Arm des Postboten schon halb durch den Briefschlitz und fingerte durch die Luft, um die Postkarte auf dem Boden zu erreichen.
"Was machen sie da, verdammt nochmal?", fragte Aaron wütend.
"Herr Ohrenschütz, ich glaube, ich stecke fest. Könnten sie mir kurz zur Hand gehen? Ich muss dringend wieder los und habe schon viel zu viel Zeit hier verplempert. Die Pflicht ruft."
"Doktor Flausche!", rief Frau Beutler kreischend durch den Hausflur. "Hierher."
"Der Mann heißt Professor Aaron Ohrenschütz, Frau Beutler. Er hat doch keinen Doktortitel!"
"Ich rufe nach meinem Kater, Herr Postbote."
"Oh ..."
Aaron packte unsanft das Handgelenk des Postboten und presste es mit einem Ruck durch den Briefschlitz zurück.
"Aua, ah. Doch nicht so grob. Schon besser. Danke Herr Ohrenschütz. Haben sie mittlerweile die Karte ihrer Frau gelesen?"
"Nein!", antwortete Aaron "Und wenn sie jetzt nicht gleich verschwinden ... "
"Es geht um ihre Chemotherapie, glaube ich", unterbrach ihn der Postbote. "Aber mehr konnte ich durch den schmalen Briefschlitz beim besten Willen nicht erkennen."
"Steht drin, ob sie schlimme Schmerzen hat?", rief Frau Beutler dem Postboten zu. "Meine Schwester hatte schlimme Schmerzen während ihrer Chemo. Schlimme Krämpfe und ständige Kopfschmerzen. Das widerlichste waren aber ihre Hände, muss ich sagen. Das mit dem Haarausfall war ja noch erträglich, aber wussten sie, dass einem alle Fingernägel einzelnd ausfallen, während der Chemo? Ihre Finger sahen aus wie kleine, weiße Raupen."
"Das klingt ja furchtbar!", antwortete der Postbote.
"Schnauze!", schrie Aaron gegen seine Haustür und dann nocheinmal: "Schauze! Verschwindet! Verschwindet endlich von meinem Grundstück" in Richtung Gartentür. "Verpisst euch! Und haltet einmal in eurem Leben euer dummes Maul."
Endlich kehrte Stille in seiner Wohnung ein. Weder der Postbote, noch seine Frau Nachbarin gaben mehr ein Wort von sich. Im Wohnzimmer tickte nur noch die Standuhr.
Aaron kickte die Postkarte unter die Treppe. Sein Ehering schmerzte ihm. Er riss ihn sich vom Finger und lies ihn fallen. So musste sich eine Handgranate fühlen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und fuhren dann tief in seine Taschen. Er ging zurück in die Küche, den Kopf tief hängend.
Frau Beutler steckte nicht mehr in der Hundeklappe und er atmete erleichtert durch.

Der Kaffee war durchgelaufen. Aaron nahm sich die Tasse seiner Frau und füllte sie, bis der Kaffee über den Rand lief.
Er nahm einen großen Schluck und spie ihn dann sofort wieder aus. Die Küchenzeile vor ihm wurde mit roten Flecken und Speichel übersät. Der Kaffee schmeckte nach Salz und nach Metall. Der Inhalt der Tasse war dickflüssig.
Mit einem angewidertem Blick kippte Aaron den Kaffee aus der Tasse seiner Frau in die Spüle.
Er nahm sich die Cornflakes-Packung vom Thresen und füllte damit seine Lieblingsschüssel. Blonde Haarbüschel rieselten aus der dreieckigen Öffnung. Hier und da fielen auch ganze Fingernägel in die Milch. Er betrachtete seine Cornflakes-Schüssel, in der sich nun ein verklebter Haufen aus Hornhaut und Calcium befand.
Aaron nahm seine Lieblingsschüssel, öffnete den Abfalleimer und ließ sie hineinfallen. Die Schüssel brach beim Aufprall.
Seine Augen suchten nach einem leeren Punkt im Raum, den man betrachten konnte, ohne etwas betrachten zu müssen, doch sie eckten an jeder Wandkachel an und fanden Gedanken und Erinnerungen in sinnlosen Kühlschrankmagneten.
Aaron packte ein Ei von der Theke und ließ es am Rand der Pfanne zerschellen. Er legte unnötig viel Kraft in die Bewegung und hielt die Bruchstücke dann über das heiße Öl. Als er das aufgeregte Quieken hörte, unterdrückte Aaron einen Brechreiz und starrte in die Pfanne.
Ein rosa Ding wand sich im siedendem Rapsöl und fiepte laut unter Schmerzensqualen. Es sprang noch einige Male auf und ab in der Pfanne, konnte aber seinem Todeskampf im Höllenfett der Aluminiumbeschichtung nicht entkommen und verendete dann in der Mitte der schwarzen Pfanne. Dort lag ein Küken in seiner Pfanne. Das Fleisch sah krank aus und brutzelte jetzt und ein totes, leeres Auge blickte hoffnungslos zum Ablüftungsschacht.

Aaron erbrach sich in die Spüle und setzte sich dann auf den Küchenboden, den Kopf zwischen den Knien versunken.
Die Küchentür schwang auf und Nina kam herein. Sie achtete nicht darauf, dass Aaron am Boden war und fragte nur in den Raum: "Hast du mein Top gesehen? Ich finde es nirgendwo." Sie trug eines seiner Flanellhemden. Das Karierte, das er in einer anderen Zeit mal von Isabella zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Ninas Kopf wanderte suchend umher und fand Aaron dann am Boden sitzend.
"Mein Gelbes", sagte sie. Aaron machte keine Anstalten den Kopf aus seinen Kniekehlen zu befreien und nuschelte in seine Jeans: "Ich habe es gewaschen. Gestern. Es hängt im Hauswirtschaftsraum."
"Warum hast du es gewaschen?", fragte Nina.
"Es stank nach mir", antwortete Aaron.
Seine Studentin blies sich eine lose Locke aus dem Gesicht und sagte: "Ouh, nett von dir. Du bist so lieb. Ich muss gleich nachhause. Ich hab keinen Hunger. Fahr mich nur bis zur Bushaltestelle", und verschwand dann wieder hinter der Tür.
"Mach ich", antwortete Aaron und die Tür fiel zu.
Draußen heulte sein Hund wieder. Isabellas Hund. Die Käfigtür des Zwingers schepperte an den Rahmen, wenn er sich an ihr aufrichtete.
An der Hintertür öffnete sich die kleine Klappe und ein schwarzer Kater lief hindurch.
Aaron Ohrenschütz hob den Kopf, als sich das Tier um seine Beine schmiegte.
"Doktor Flausche", sagte er und streichelte den Kater am Ohr.
"Was machst du denn hier? Jemand vermisst dich, Doktor. Du gehst besser wieder zu ihr zurück. Dahin, wo du hingehörst."
Der Kater schnurrte nur laut und setzte sich dann auf Aarons Schoß.
"Oder bleib noch ein wenig bei mir. Ist mir auch recht."
Und Aaron saß mit dem Kater auf dem Schoß am Boden, streichelte ihn sanft und hatte für einen Moment das Gefühl wieder ganz zu sein.

Die Hundeklappe öffnete sich langsam und ein langes, zappelndes Untier bahnte sich einen Weg hindurch. Es zog einen schleimigen Saft hinter sich her und stank nach Meer. Durch die Hundeklappe streckte sich ein Tentakel, wie von einem Tintenfisch, schwachviolett und mit Saugnäpfen an der Unterseite, die im gleichmäßigen Rhytmus schnalzten. Das Ding legte sich auf die Küchenfliesen.
Aaron betrachtete es teilnahmslos.
"Doktor Flausche! Komm gefälligst zum Frauchen, Flausche!"
Die Spitze des Tentakels fingerte ziellos von links nach rechts, fand dann den Schwanz des Katers und schlängelte sich fest darum.
"Komm nachhause, Doktor Flausche!" Der Kater fauchte und wurde dann am Schwanz Richtung Tür gezogen. Seine Krallen fuhren in die Bodenfugen, fanden jedoch keinen Halt und schliffen dann erbärmlich über das Keramik.
"Tschüss, Doktor", sagte Aaron und winkte dem Kater zum Abschied. "Ab nachhause."
Weitere zappelnde Tentakel wanden sich um die Vorderläufe des Tieres und Frau Beutlers Liebling verschwand hinter der schwenkenden Hundeklappe.
"Herr Ohrenschütz? Sind sie das? Haben sie sich wieder beruhigt?", fragte seine Nachbarin. "Ich hatte schon kurz geglaubt, sie hätten die Fassung verloren."
Aaron antwortete mit ausdruckloser Miene: "Ja, ich bin es. Nein, ich habe nicht meine Fassung verloren. Nur etwas anderes von mir."
"Was denn?", fragte sie.
"Mein Zuhause", antwortete Aaron.
"Aber sie sind doch zuhause, Herr Ohrenschütz."
"Ja", sagte Aaron und hielt inne. "Schwer zu sagen, was ich verloren habe."
"Haben sie denn schon Neuigkeiten von ihrer Frau?"
"Die finde ich bestimmt in der Karte meiner Frau, Frau Beutler. Ich denke, ich lese sie jetzt besser."
"Tun sie das nur. Ich werde meinem Doktor jetzt seinen Seelachs geben. Tut mir Leid, wenn ich nicht weiter mit ihnen plaudern kann, Herr Ohrenschütz."
"Schon gut", antwortete Aaron und stand auf.

Er ging ins Wohnzimmer und sah, dass ein grauer, faltiger Elefantenrüssel sich durch den Briefschlitz an der Haustür gezwängt hatte. Er sog wild Luft ein und patschte über den Dielenboden.
"Herr Ohrenschütz, sind sie das?", fragte der Postbote dezent nasal hinter der Tür.
"Ja", antwortete Aaron.
"Haben sie zufällig schon die Postkate ihrer Frau gelesen? Ich dachte, ich hätte sie hier irgendwo hingelegt." Der Rüssel schnüffelte Staubflusen ein und stieß sie dann unbefriedigt wieder aus.
"Nein, habe ich nicht. Die Karte liegt unter der Treppe. Ich habe sie dort hingetreten", antwortete Aaron.
"Oh, so ein Jammer. Könnten sie mir vielleicht noch ein letztes Mal behilflich sein? Ich stecke irgendwie schon wieder fest und müsste doch eigentlich schon dringend wieder weiter. Die Pflicht ruft doch."
Aaron machte sich daran, den grauen Rüssel an den Hautfalten zu packen und durch den Briefschlitz in die Freiheit zu drücken.
"Kein Problem."
Mit fest zugepresstem Nasenrüssel fragte der Postbote: "Wer ist denn eigentlich diese junge Dame, die ebend halbnackt in den Hauswirtschaftsraum ging, Herr Ohrenschütz?"
"Niemand."
"Wirklich niemand?", fragte der Postbote ernst.
Aaron presste sein gesamtes Körpergewicht gegen den Rüssel.
"Sie ist eine meiner Studentinnen", sagte Aaron und zwang den lederartigen Wulst erfolgeich durch die schmale Öffnung. "Drittes Semester. Ich schlafe mit ihr."
Der Postbote lachte laut. "Heißer Feger! Kompliment an den Koch. Das werde ich jetzt jedem auf meiner Route erzählen!"
"Bitte", antwortete Aaron.
"Wo so ein Becken hinstößt, wächst kein Gras mehr. Nicht wahr?"
"Ich möchte jetzt die Postkarte meiner Frau lesen und wünsche ihnen noch einen schönen Tag", antwortete Aaron und fügte dann noch hinzu: "Die Pflicht ruft."
"Jaja. Die Pflicht ruft!", rief der Postbote und schwere Elefantenstiefelabsätze traten über Herr Ohrenschützes Auffahrt und entfernten sich allmählich.

Aaron Ohrenschütz kroch unter die Treppe im Wohnzimmer. Er senkte den Kopf und beugte das Kreuz, um an die Postkarte mit den Neuigkeiten seiner Frau zu gelangen.
Die Vorderseite der Karte zeigte ein kitschiges Bild von einem Teddybären, der sich ein Pflaster über eine offene Naht im Stoff streichte, aus der Wattebäuschchen herauskamen. Er wirkte sichtlich überfordert. Aaron setzte sich aufs Sofa und las die dicht zusammen geschriebenen Worte ohne jeglichen Gesichtsausdruck.

"Lieber Aron.
(
Das "Lieber Aron" war mit einem roten Filzstift durchgestrichen. "Lieber A-a-aron" folgte darauf in viel zu großen Druckbuchstaben. Dann "Lieber A-a-a-aron")
Ich bin mir mittlerweile nicht mehr mal sicher, wie viele A-s du eigentlich im Namen hast. Ich vermisse dich.
Ich nehme meine Tabletten wieder. Ich verstecke sie nicht mehr im Nachtschrank. Versprochen. Ich weiß, wie du dich gefühlt haben musst, als du die Schublade geöffnet hattest. Aber ich möchte mich nicht dafür entschuldigen. Sie schmecken scheußlich, musst du wissen. So wie deine Kohlrouladen. Haha.

Aarons Blickfeld verschwamm, als seine Augen sich mit Tränen füllten. Aber er las weiter.
Wie geht es dir? Kommst du mich bitte besuchen? Dein letzter Besuch ist jetzt vier Monate her. Ich habe in der Zeit viel lesen können.
Mein Zimmernachbar hat einen Hirntumor und vergisst ständig alles aufs Neue. Unsere Gespräche wiederholen sich. Oft. Meistens macht es mir aber nichts. Es hat etwas Beruhigendes an sich, zu wissen, was einen erwartet.
Trotzdem würde ich gerne deine Stimme wieder hören, anstatt seiner.
Ich weiß, dass dir mein Aufenthalt hier mehr Schmerzen bereitet, als es gut für dich wäre. Deine Stimme hat immer so anders geklungen, wenn du hier warst. Deshalb habe ich mich nicht beklagen wollen.
Aber bitte besuch mich doch mal wieder. Ich weiß sonst nicht ... Ich habe komische Gerüchte von meinen Eltern gehört. Über dich. Böse Gerüchte. Ich habe meine Mutter zum ersten Mal in meinem Leben beleidigt.
Bekannte von Ihr tratschen gerne. Ich glaube aber nichts davon. Dennoch möchte ich mit dir persönlich darüber reden. Und wenn du nicht darüber reden willst, dann komm doch einfach vorbei und wir reden über Jogginghosen oder Pusteblumen.
Ich liebe dich A-a-a-a-aron. Lass mich nicht hängen. Ich wollte, ich könnte dein dämliches Gesicht sehen. Das ist alles was ich brauche, um noch wenigstens einmal zu lachen. Haha.
Bitte komm. Deine Isabella."

Aaron Ohrenschütz legte die Postkarte behutsam auf den Stubentisch und weinte.
Nina kam aus dem Hauswirtschaftsraum. Er sah, wie sie sich sein Flanellhemd auszog und ein gelbes Top über nackte Brüste streifte. Dann richtete sie ihren Pferdeschwanz und fragte: "Können wir endlich? Tina wollte heute abend mitkommen und sie hat so einen Typen kennengelernt, der uns was besorgen will."
Aaron beachtete sie nicht. Er sah sich wieder den Teddybären auf der Postkarte an, die vor ihm lag. Der kitschige Teddybär mit weichen Wattebauschwunden. Aarons Augen brannten salzig.
"Hallo? Ich muss nachhause, Herr P-r-o-f-e-s-s-o-r."
"Steig in den Wagen", antwortete Aaron. "Ich komme gleich nach."
Sie ging zur Haustür und fragte ihn, ob sie sich Geld von ihm leihen könnte, dass sie ihm auf jeden Fall zurückzahlen würde. Sie betonte das Wort zurückzahlen, wie ein vierjähriges Mädchen, dass das Wort Gänseblümchen aussprach.
"Steig einfach in den Wagen", wiederholte er zitternd und sie ging. "Steig einfach in den Wagen."
Nina war nicht mehr da. Aaron sprach ganz alleine.
"Steig endlich in den Wagen. Und dann ab nachhause."
Sein Daumen wischte über die Wattebauschwunde auf der Karte.

 
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Hej @HerrSperling ,

da sind ja mal wieder die Hunde und Katzen mit dir durchgegangen. ;)
Natürlich habe ich diese Geschichte mit Genuss vor dem Frühstück gelesen, aber nicht ganz stolperfrei. Dennoch nichts, was von großer Bedeutung wäre; ich will es dir trotzdem mal zeigen, an welchen Stellen ich mein breites Grinsen verlor.

Dass die Namen wieder super gewählt sind, weißt du ja, nur der Titel behagt mir dieses Mal nicht so. Und spontan dachte ich, dass fürchterlich mich bereits zufrieden stellen würde anstellte des furchtbar. Furchtbar ist ein ernstes Wort, wohingegen ich fürchterlich eher als etwas hysterisch bezeichnen würde und mir zu dieser Gesprächskonstellation, will ich sie mal nennen, gut passen würde. Aber das nur so am Rande.

Bereits im ersten Satz machst du klar, mit wem ich es zu tun habe. Aaron neigt zu unüberlegten Handlungen (nett gesagt, nicht wahr?).

"Verdammte Töhle", brummte er ins Kissen und befreite seinen Arm aus der Umklammerung seiner Studentin. Nina weigerte sich ihn freizugeben, aber er ließ sich nicht auf dieses Spielchen ein und versetzte ihr einen unsanften Stoß an die Schulter.

Da haben wir’s. Entweder ein Misanthrop oder irgendwas läuft zurzeit schief. Dass das bis hierher noch unklar ist, freut mich und ich lese interessiert weiter.
Töle - heisst es.

Aaron betätigte die Spülung, hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn und kühlte sich sein Gemüt etwas unter Eiswasser ab.

Dem Griesgram einen bitteren Humor zuzuordnen gefällt mir ausnehmend gut und ich freu mich auf den Verlauf.

Verschwinde aus meinem Haus, bevor die Nachbarn dich sehen, dachte er und sagte: "Okay, Rührei. Aber nichts ans Bett, sondern unten in der Küche. Und nach dem Frühstück fahre ich dich nach Hause."

Ich habe allerdings im weiteren Verlauf den Eindruck, den würden die Nachbarn eben gar nicht jucken und so neige ich dazu, dass es an dieser Stelle auch nicht erwähnenswert ist.

Zwei neugierige Augen lugten durch den Briefschlitz und so wie es den Anschein hatte, versuchte der Postbote nun auch seine Nase hindurchzudrücken.

Das alte Rüsseltier :lol:

Die Briefschlitzklappe fiel wieder quietschend zu und Aaron setzte sich kurz an den Esstisch, um sich die müden Augen zu reiben. Fahles Sonnenlicht fiel auf den Tisch und die Kaffeemaschine gluckerte wie ein Abflussrohr.

Ich hab persönlich nichts gegen Adjektive, aber mir würde es gefallen, wenn es nicht die müden Augen wären. Mir käme das bedeutungsvoller vor, denn Herr Ohrenschütz muss nun auch seine Augen schützen. ;)

Aaron stand auf, goss Öl in die Pfanne und schaltete den Herd auf die höchste Stufe. Stufe 6: Stufe Höllenfeuer.

Hübsch.

Das Öl brutzelte bereits in der Pfanne und Aaron dachte ernsthaft darüber nach, ob heißes Öl in einer Pfanne ausreichen würde, um damit eine siebenundfünzig-jährige Immobilienmaklerin zu ermorden. Wahrscheinlich nicht.

Deine Sprache und dein Wortverständnis hat für meinen Geschmack keine Übertreibung nötig und so denke ich, ich bräuchte ernsthaft nicht und den kursiven Zusatz auch nicht.

Die Hundeklappe an der Gartentür öffnete sich und Frau Beutlers Kopf zwängte sich hindurch.

Es ist eine herrlich absurde Szene, wie diese drei kommunizieren. Kompliment. Und weil ich deine Geschichten kenne, schwant mir bereits Übles, was sich ja später auch bestätigt, wenn sie beide mutieren. Wirklich tolle Idee.

Er legt immer so eine selbstverständliche Neugierde an den Tag, dass es mich selbst ständig neu giert ihn zu Verstand zu bringen.

Na, du bist mir schon ein Wortakrobat. ;)

Frau Beutler glotzte verwirrt über die Küchenfließen.

Fliesen

Wenn sich ihr Kater wirklich in meinem Haus befindet, kommt er auch von alleine wieder heraus. Er wird schon nichts anstellen."

Den Zusatz finde ich z.B. stolperig, weil ich bisher annahm, den juckt doch das Leben anderer Leute/Tiere nicht. Das klingt so sanft. Aber vielleicht ist das die Wende, die andre Seite des Aaron O.

"Der soll seine Nase gefälligst aus unseren Angelegenheiten raushalten!Das ist doch unerhört."

Ein Leerschritt fehlt.

Wie geht es ihrer Frau, Herr Ohrenschütz? Meine Schwester musste auch einmal durch die Chemotherapie."

Eine sowohl einfache als auch gute Idee, in Erfahrung zu bringen, wo Frau Ohrenschütz hin ist.

Aaron kickte die Postkarte unter die Treppe. Ihm war es jetzt irgendwie elendig zu Mute. So musste sich eine Handgranate fühlen, die ihren Ring verloren und nie losgegangen war, während sie am Strand lag und Gezeiten sie in den Sandboden vergruben.

... und weil du ein derart eindringliches Bild gewählt hast, benötige ich den Zusatz Ihm war es jetzt irgendwie elendig zu Mute. nicht.

Er betrachtete seine Cornflakes-Schüssel, in der sich nun ein verklebter Berg aus Hornhautwuchs und Calcium auftürmte.

Wie stelle ich mir denn jetzt Calcium vor?

Seine Augen suchten nach einem leeren Punkt im Raum, den man betrachten konnte, ohne etwas betrachten zu müssen, doch sie eckten an jeder Wandkachel an und fanden Gedanken und Erinnerungen in jedem noch so sinnlosem Kühlschrankmagneten.

Mir gefiele ein anderes Wort für betrachten besser. Weil er ja lieber gar nicht so aktiv gucken will, weißt du, was ich meine? Er will die Augen nur nicht schließen und dennoch lieber nix sehen, dachte ich so.

Aaron packte das herrenlose Ei von der Theke und ließ es am Rand der Pfanne zerschellen.

Nä, nicht herrenlos, bitte.

Nina guckte sich dämlich im Raum um und fand ihn dann am Boden sitzend.

Du musst nicht dämlich schreiben; du hast genug eingestreut, dass ich mir selbst ein Urteil erlauben kann.

"Ich habe es gewaschen. Gestern. Es hängt im Hauswirtschaftsraum."
"Warum hast du es gewaschen?", fragte Nina.
"Es stank nach mir", antwortete Aaron.

:kuss: das kommt gerade rechtzeitig, lieber Herr Sperling. Aaron ist kein schlechter Kerl.

Seine Studentin blies sich eine lose, rote Locke aus dem Gesicht und sagte: "Ouh, nett von dir. Du bist so lieb. Ich muss gleich los. Ich hab keinen Hunger. Fahr mich nur bis zur Bushalte" und verschwand dann wieder hinter der Tür.

Keine Ahnung warum, aber mir wäre es lieber, ich würde ihre Haarfarbe nicht kennen. Ich komme sonst in Verlegenheit, über das Verhältnis von ihrem Verhalten und ihrem Typ nachdenken, Das will ich aber nicht. Sie darf für alle Studentinnen stehen und keine. Außerdem fehlt ein Komma nach der wörtlichen Rede.

Draußen heulte sein Hund. Die Käfigtür des Zwingers schepperte an den Rahmen, wenn er sich an ihr aufrichtete.

Hab gar nicht mitgekriegt, dass der da eingesperrt wurde :hmm:

"Doktor Flausche", sagte er und streichelte den Kater am Ohr.
"Jemand vermisst dich, Doktor. Du gehst besser Heim. Dahin, wo du doch hingehörst."
Der Kater schnurrte nur laut und legte sich dann auf Aarons Schoß.
"Oder bleib noch ein wenig bei mir. Ist mir auch recht."

Aaron hats eben auch nicht leicht. :(

"Doktor Flausche! Komm gefälligst zum Frauchen, Flausche!"

Jetzt weiß ich auch, weswegen er Flausche heisst. ;)

Noch mehr zappelnde Tentakel wanden sich um die Vorderläufe des Tieres und Frau Beutlers Liebling verschwand hinter der schwenkenden Hundeklappe.

Noch mehr klingt nicht - weitere vielleicht ?

"Ich hatte schon kurz geglaubt, sie hätten die Fassung verloren."

Greit! :lol:

Aaron antwortete mit ausdruckloser Miene: "Ja, ich bin es. Nein, ich habe nichts dergleichen verloren."

Und wenn er an dieser Stelle andeuten würde, was stattdessen alles verloren hat...?

Der Rüssel schnüffelte Staubflusen ein und stieß sie dann unbefriedigt wieder aus.

Tentakeln und Rüsseln durch Türschlitze finde ich total gut, ich hatte nur zwischenzeitlich überlegt, sie umgekehrt zuzuordnen, weil der Postbote ja am liebsten viele Arme hätte, um seine Arbeit zu erledigen und das Elefantentier gut zu Frau Beutler passen könnte. Denn beide stecken ihre Nasen in anderer Leute ... usw.

Mit fest zugedrückter Nase fragte der Postbote: "Wer ist denn eigentlich diese junge Dame, die ebend halbnackt in den Hauswirtschaftsraum ging, Herr Ohrenschütz?"
Aaron presste sein gesamtes Körpergewicht gegen den Rüssel.
"Das ist eine meiner Studentinnen", sagte Aaron und zwang den lederartigen Wulst erfolgeich durch die schmale Öffnung. "Drittes Semester."

Einfach und schlicht gelöst. :thumbsup:
eben

Er senkte den Kopf und beugte das Kreuz, um an die Postkarte mit den Neuigkeiten seiner Frau zu gelangen.

Warum denn Neuigkeiten kursiv? Was folgt ist doch vermutlich wirklich neu für ihn.

Sie schmecken scheußlich, musst du wissen. So scheußlich, wie deine Kohlroladen. Haha.

Och nö, arme kleine Isabella :sad: Sie ist so tapfer und liebevoll in ihrem Schicksal, behält ihren Humor. Da verzeih ich sogar die Schreibweise der Kohlroulade.

Es hat etwas Beruhigendes an sich, zu wissen, was einen erwartet.

Jetzt wirste auch noch philosophisch. :(

Und wenn du nicht darüber reden willst, dann komm doch einfach vorbei und wir reden über Jogginghosen und Pusteblumen. Ich liebe dich A-a-a-a-aron.

Jetzt kommen mir auch die Tränen, Herr Sperling. Jogginghose und Pusteblume. Das wäre ein wunderbarer Titel, du! :bounce:

Dieser Brief ist wunderbar geworden. Auf humorvolle Art so unsagbar traurig.

"Steig in den Wagen", wiederholte er nur und sie ging.
"Steig einfach in den Wagen."

Aaron wird sicher sofort weiterfahren.

Lieber Herr Sperling, I am fan. Vielen Dank für die Geschichte, trotz der Küken und Monster n stuff und ein freundlicher Gruß, Kanji

edit: Betonen möchte ich zudem, dass ich es mutig finde und auch erfrischend, dass du ein so vulnerables Thema, wie eine schwere Krankheit und deren Umgang damit, gerade auch für die Angehörigen, in diesem Fall dem Ehemann, in einen solchen Umfang steckst und dich nicht scheust, zu überziehen. Für mich büßt die Problematik das keinesfalls ein (ausgenommen tatsächlich die Küken n stuff ;))

 

Hallo @HerrSperling,

wenn ich Deine Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven anschaue, komme ich zu ebenso verschiedenen Urteilen. Ich versuche, sie mal einigermaßen klar darzustellen.

Da ist die komödiantisch-surreale Anlage, die mir sehr gut gefällt. Das Spiel mit den Köpfen, die ins Haus lugen, die Neugier des Postboten und der Nachbarin, ihre Penetranz und Unverschämtheit. Das Spannungsmoment mit der Dame im oberen Stockwerk, die durchs Haus schallenden Dialoge. Das hat in der Konzeption Tempo und ist schön erfunden. Eine gelesene Sitcom. Den Tentakelauswuchs und die Mutation des Arms zum Rüssel kann man in dem Zusammenhang als surrealen Overkill sehen, oder als konsequente Überzeichnung. Das ist Geschmackssache. Was ich aber zu viel finde, sind die Lebensmittelverwandlungen, vor allem, weil sie in der Hammerdrastik kaum eine nachvollziehbare Reaktion bei Aaron hinterlassen. So bleibt das dann eine Aneinanderreihung von Fürchterlichkeiten, die abgearbeitet werden, ohne sich in die Story einzugliedern.

Also, bis dahin gehe ich diesen Alltagsmummenschanz mit. Und dann frage ich mich aber, warum mir doch insgesamt der Schwung fehlt, trotz des vielversprechenden Settings und mir insgesamt auch manches nicht schlüssig erscheint. Das sind dann zwei Sachen, auf die ich noch eingehe:

Die Entwicklung Aarons erscheint mir nicht klar. Er wird am Anfang völlig unsympathisch dargestellt und nach den läuternden Visionen streichelt er die Katze und wird durch den Text der Frau, bei dem man sich fragen muss, ob er auf eine Postkarte passt, der reuige Ehemann. Das hieße, dass er zu Beginn selbstzornig über seinen Seitensprung die Studentin schlecht behandelt. Ja. Aber dann gewinnt die Komödie so stark die Oberhand, dass ich die Entwicklung nicht mitgehen kann. Da müsste zwischendrin, bei den Hornbergen und Fingernägeln was passieren, wo man einen Zweifel aufkeimen sieht, der sich dann verdichtet zum bekennenden Kniefall. Und so streichelt er plötzlich die Katze.

Was mit dann den besagten Schwung öfter rausnimmt, sind sprachliche Sachen. Hier ein paar Beispiele, die ich gegen Ende nur im Überblick aufgeschrieben habe:

Den Einstieg finde ich gut, den zweiten Satzteil ungelenk. Ich fände da den Konjunktiv besser, vielleicht auch entschlackter ohne Rohrstock. Irgendwas, was weniger umständlich ist.

Aaron Ohrenschütz wurde durch seinen Hund geweckt, der so geifernd jaulte, als wenn sein Herrchen ihn mit einem Rohrstock schlug.

Seinen ist entbehrlich und vermeidet die Verdoppelung. Die Kursivsetzung finde ich störend. Irgendwie stößt mich das mit der Nase worauf, was ich selbst entdecken möchte. Dann: gleiche Konstruktion des Kontrasts Denken – Sprechen. Stereotyp.

seinen Arm seiner Studentin. Ich mach dir Beine, wenn du nicht gleich verschwindest, dachte er,

Verschwinde aus meinem Haus, bevor die Nachbarn dich sehen, dachte er


Das erinnert tatsächlich stark an die amerikanischen Häuser in den Sitcoms, bei denen die Tür direkt ins Wohnzimmer führt ohne Dielenübergang:

Briefschlitz an der Haustür im Wohnzimmer

Aaron ist da in der Küche. Wie sieht ihn der Postbote? Wohnküche vielleicht?

"Herr Ohrenschütz, ich sehe sie durch den Briefschlitz. Aaron ist in der Küche!

Nach Duden auseinander:

Ausversehen

Klappe fiel noch nicht zu:

Die Briefschlitzklappe fiel wieder quietschend zu

Kurz entbehrlich.

setzte sich kurz an den Esstisch,

Viele Türen:

Hintertür Tür Türklinke

Für mich nicht passendes Bild:

Türklinke winkte energisch auf und ab.

Warum kursiv?
Höllenfeuer.

Ungelenk in dem handlungsreichen Kontext:

Die Türklinke bewegte sich wieder mehrere Male.

Kursiv:

Wahrscheinlich nicht.

Da finde ich, dass die Personifizierung des Kopfes Tempo rausnimmt. Sie zwängte ihn hindurch.

Frau Beutlers Kopf zwängte sich hindurch.
Unverständlich; Kommasetzung:

dass es mich selbst ständig neu giert ihn zu Verstand zu bringen.

Jetzt entbehrlich und als Charakterisierung in dem Spannungsmoment zornig zu konventionell:

jetzt zornig

Sehr guter Katzenname wie überhaupt die Vorstellung des Kopfs in der Klappe wirklich schön ist und das Gespräch, das sich zwischen den Hausschlitzen ergibt über Aaron hinweg.

Doktor Flausche

Das ist auch zu lahm beschrieben für die absurde Situation:

Aaron plagten nun schlimme Kopfschmerzen vom Geschrei seiner Nachbarin. Oben wurden die Schiebetüren der Dusche aufgestemmt und das Wasser lief nicht mehr.
Ei, Ei, Ei:

packte ein Ei aus dem Eierkarton und hatte schwer damit zu kämpfen, das Ei nicht zum Platzen zu bringen,

Sie müssen schreien über die Distanz hinweg. Antworten klingt sehr harmlos:

antwortete die Nachbarin

Lippen verschlingen? Klingt nach Staubsauger.

nach seinen Lippen, um sie ganz zu verschlingen.


Leerzeichen:

raushalten!Das

Dramaturgisch finde ich die Auflösung des Klappendialogs sehr matt. Plötzlich sind sie nicht mehr da. Gut, sie verwandeln sich in Schlauchtiere und Organe, aber da müsste doch ein Scheinende intensiver beschrieben werden:

Plötzlich steckt der Kopf nicht mehr in der Klappe.
Stereotype Beschreibung von Aarons Tätigkeiten:

Aaron nahm Aaron packte Aaron erbrach Aaron machte

Wie oben beschrieben: plötzlich der streichelnde Aaron:

"Doktor Flausche", sagte er und streichelte den Kater am Ohr.

Rouladen:

Kohlroladen.

Text auf der Postkarte zu lang.

Dämlich:

dein damliches Gesicht

könnte:

ob sie sich Geld von ihm leihen konnte,

das; kursiv?

dass sie ihm auf jeden Fall zurückzahlen würde

das das … kursiv?

dass das Wort Gänseblümchen aussprach.


Soviel von meiner Seite.

Herzliche Grüße

rieger

 

Hallo liebe @Kanji
Es freut mich sehr, dass du meine Geschichte mal wieder gelesen hast. Auch noch vor dem Frühstück. Wie passend :) Mit Geschichten-Titeln hadere ich ständig. (Ich war schon bei "Fades Frühstück" (Weil es Aaron nicht schmeckt), "Frühstück des Verfalls (Wegen Aarons kranker Frau)" und auch bei "Fremdfrühstücken" (Wegen Fremdgehen^^ das war mir dann aber letztendlich auch irgendwie zu albern und unpassend, da Aaron ja schon in seinem eigenen Haus frühstückt)) "Ein fürchterliches Frühstück" ist eine gute Idee, aber ich glaube, dass ich allgemein mit dem Titel noch unzufrieden bin und lasse daher erst einmal den Arbeitstitel: "Furchtbares Frühstück".
(Auch dass mit den "Jogginghosen und Pusteblumen" wäre eine gute Idee für einen Titel. Auch wenn ich mir bei solchen Titeln immer nicht vorstellen kann, was mich in der Geschichte erwartet)
Ich habe einige Sätze und Wörter rausgenommen, die du kritisiert hast.

Er legt immer so eine selbstverständliche Neugierde an den Tag, dass es mich selbst ständig neu giert ihn zu Verstand zu bringen.

Na, du bist mir schon ein Wortakrobat. ;)

Das muss wirklich weg :D Ja, es ist schlecht, aber ich weiß ganz genau: Da lauert irgendwo ein guter Wortwitz. Nur ich finde ihn nicht.:lol: Habe den Akrobatik-Teil jetzt rausgehauen.

Aaron antwortete mit ausdruckloser Miene: "Ja, ich bin es. Nein, ich habe nichts dergleichen verloren."

Und wenn er an dieser Stelle andeuten würde, was stattdessen alles verloren hat...?
Ähm ... wirklich guter Tipp. Kauf ich:P Werde ich auf jeden Fall überarbeiten. Danke.

Der Rüssel schnüffelte Staubflusen ein und stieß sie dann unbefriedigt wieder aus.

Tentakeln und Rüsseln durch Türschlitze finde ich total gut, ich hatte nur zwischenzeitlich überlegt, sie umgekehrt zuzuordnen, weil der Postbote ja am liebsten viele Arme hätte, um seine Arbeit zu erledigen und das Elefantentier gut zu Frau Beutler passen könnte. Denn beide stecken ihre Nasen in anderer Leute ... usw.

Auch hier muss ich sagen: Genialer Einfall. Es wäre wirklich logischer, wenn der Postbote mit seinen Tentakeln nach der Karte fingert, da er das ja sowieso schon die ganze Zeit versucht. Ich werde das jetzt noch nicht überarbeiten, aber die Idee gefällt mir so gut, dass ich das umschreiben werde! Habe ihm den Rüssel auch nur gegeben, weil ich das Bild lustig fand, dass er am Anfang der Geschichte versucht, seine Nase gleich mit durch den Briefschlitz zu schieben ;)

Ich dachte man könnte Kohlrolade und Kohlroulade schreiben :/ Hmm. Habe es jetzt erstmal umgeschrieben. Aber ist wohl auch nicht sonderlich wichtig.

Nun kommen wir nochmal kurz zu den Küken die hier gebrutzelt werden:lol: Auch der gute @rieger hat schon dezent erwähnt, dass ihm diese unnötige Brutalität mit dem Küken
unnötig brutal vorkam und vor allem unnötig unnötig für die Geschichte selbst. Da habt ihr beide auch irgendwo recht. Das sehe ich ein. Da sieht man gut, wie sich eine Geschicht beim Schreiben verändert und entwickelt. Meine Ursprungsidee für diese Geschichte war nämlich schlichtweg: "Was wäre, wenn ein Mann für sich (und anfangs sogar noch seine kleine Tochter) morgens Frühstück macht. Er schlägt ein Ei auf und ein Küken fällt in die Pfanne. Er kocht sich einen Kaffee auf und er schmeckt nach Blut. In seinem Müsli befinden sich Haare und so weiter und so fort... Ein Mann macht ein furchtbares Frühstück, dass er einer ihm wichtigen Person auf keinen Fall anbieten kann und gerät langsam in Panik, weil einfach nichts funktionieren will.
Dann habe ich mir die Frage gestellt: "Warum widerfährt ihm dieses furchtbare Frühstück?" und dachte mir "Vielleicht betrügt er seine Frau." Um jetzt nicht all zu weit auszuholen: Irgendwann hat sich die Geschichte beim Schreiben komplett um sich selbst gedreht. Die Tochter existierte nicht mehr, denn die Person mit der er seine Frau betrügt, befand sich im Haus. Seine Frau ist nicht dort, denn sie ist schwer krank. Neugierige Nachbarn verlangen Zutritt zu seinem Haus und wollen Dinge wissen. Dinge die Aaron eigentlich nur verdrängen will. Das Gespräch mit dem Postboten und Frau Beutler ist aus einem spontanen Einfall tatsächlich so sehr ausgeufert, dass Aarons Charakterweg eigentlich bereits fertig war, bevor ich meine Ursprungsidee einfügen konnte. Ich habe das schreckliche Frühstück letztendlich doch noch mit einfließen lassen, aber es hat nicht mehr diese geplante "Stresssituation" an sich, sondern dient jetzt nur noch als kompletter "Tiefschlag" für Aaron, nachdem er bereits schon am Boden liegt. Daher wirkt es auch glaube ich sehr brutal und sinnlos.
Mir gefällt jedoch doch irgendwie dieses "brutale" Frühstück machen. Aaron wollte anfangs von seiner Nachbarin und dem Postboten nur in Ruhe gelassen werden, damit er ungestört Frühstück machen kann. Die Tatsache, dass seine beiden Störenfriede letztendlich doch verschwinden, führt nämlich nicht zu seinem gewünschten Ergebnis. Er kann sich dieses Frühstück nicht ungestört machen, denn sein Terror existiert nicht durch seine Nachbarn, sondern durch seine eigenen Gedanken. Und so macht er sich dann alleine sein Frühstück und kocht sich von einer Absurdität in die Nächste. Ich finde den letzten Part also doch irgendwie richtig, weil das Frühstück machen Aaron bricht. Vorher dachte er, dass ihn seine Gesprächspartner brechen, jetzt merkt er, dass er auch alleine zerbricht.
Ich glaube ich werde diesen Teil daher doch in der Geschichte drin lassen. Ich hoffe du hattest Spaß beim Lesen und liest auch weiterhin meine Geschichten.
Danke für die Zeit, die du mir geopfert hast!
(PS: Ich freue mich mittlerweile jedes Mal, wenn ich sehe, dass @Kanji meinen Beitrag kommentiert hat:D)

 

Hej @HerrSperling ,

weil ich mithin wenig Einblick in die Entwicklung andererleuts Geschichten habe, bin ich ganz hin und weg, dass du mir hier einen gewährst (Gott, wie gestelzt - aber so floss es eben am Morgen :D - wer weiß, was ich geträumt habe? :hmm:)
Ich kenne das Procedere der Entwicklung, quasi ohne eigenen Einfluss ;) und hier sehe ich eben, wie sich etwas verändern kann, der Autor es aufgreift und ... eben mal den Leser abhängt.
Denn: lustigerweise ist für mich das Frühstück des Herrn Aaron O. (übrigens auch eine hübsche Idee, Isabella an den A’s verzweifeln zu lassen) nicht der Punkt. Für mein Empfinden hat er ja von Beginn an, also als er aus dem Bett steigt, mürrisch und übellaunig, sowieso keine Lust seiner Spielgefährtin eines zuzubereiten. Seiner Tochter wohl schon, wenn er eine hätte. Ihr aber eben nicht. :lol: Er will sie ja so schnell wie möglich loswerden und es hätte mich nicht gewundert, wenn er so mitten im Geraffel mit dem Postboten und der nervigen Nachbarin sogar nur heißes Wasser serviert hätte. Das Thema entwickelt sich ja erst mit der absurden Konversation der Dreien, bzw. auch mit der Studentin so mal im Vorbeigehen, was ich ebenfalls gut dosiert empfinde. Also als dann die Küken und die Haare und das Blut ins Spiel kommen und Herr Sperling dennoch nicht die Contenance gänzlich verliert, erachte ich diese Frühstück lediglich als Showeffekt. :shy:
Aber meine Güte, wenn dein Seelenheil daran hängt, meinetwegen musst du es nicht entfernen. :lol:

Einen schönen Sonntag, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @HerrSperling ,

bei deinem Namen musste ich erst einmal kurz innehalten und mich fragen, ob wir nicht schon einmal das Vergnügen hatten. Dann habe ich mal das "Weitere Texte von..."-Feature angeklickt (sehr hilfreich, das Ding) und siehe da: Plötzlich erinnerte ich mich wieder an "Der Haken am Fenster".

Diese Geschichte von dir schlägt in eine ähnliche Kerbe. Du hast einen charmant übellaunigen Protagonisten, eine skurrile Situation sowie dezent morbide Elemente. Das Tag "Horror" passt meines Erachtens nicht wirklich zu dieser Geschichte, aber andererseits existieren auf dieser Seite Tags wie "surreal", "skurril" und "David Lynch lässt grüßen" vermutlich nicht. :lol:

In jedem Fall hat mich deine Episode eines von Schuld geplagten Morgenmuffels irgendwie unterhalten, am Ende jedoch auch eher ratlos zurückgelassen. Ich bin mir unsicher, was ich genau aus deiner Geschichte ziehen soll. Einerseits steckt sie voll mit skurillen Ideen und es gelingt dir, das gewaltfreie, aber nicht minder enervierende Home-Invasion-Szenario über lange Zeit amüsant zu halten. Das Gefühl, dass dein Text auf irgendeine Pointe zuläuft, die beim Zuschauer für einen Aha-Effekt sorgt, hat sich bei mir jedoch nicht eingestellt. In diesem Fall finde ich es schön, dass du in einem Kommentar weiter oben einfach mal den geistigen Entstehungsprozess deiner Geschichte geschildert hast. Das war ebenfalls eine interessante Leseerfahrung. Obendrein kann ich so nachvollziehen, wie sich am Ende wohl so ein leicht unförmiges Text-Tentakel entwickelt hat. :)

Ich bin gerade am Überlegen, wie man diese Geschichte umschreiben kann. Es kommt natürlich darauf an, worauf du bei diesem Text am meisten Wert legst.

Selbst habe ich den Eindruck, dass dein Text auf keinen zufriedenstellenden Schluss hinläuft. Aaron ringt in der Geschichte klar mit dem Schicksal seiner Frau und seiner Unfähigkeit, ihr in dieser Lage beizustehen. Doch mir fehlt einerseits eine Zuspitzung des Konflikts und andererseits ein pointierter, klar vermittelter Schluss. Über den Aspekt, dass er gleichzeitig eine Affäre hat, bin ich ebenfalls uneins, aber dazu komme ich noch.

Ich mach mal einen Versuch. Sieh es als eine Art Fan-Fiction an. Es sind lediglich meine subjektiven Ratschläge, wie du diese Geschichte grundlegend überarbeiteten könntest. Verbesserungsvorschläge im kleinen Bereich gibt es dieses Mal leider nicht. Mir sind einige Grammatikfehler und ein paar unschöne Formulierungen aufgefallen, aber vom Text her ließ sich deine Geschichte eigentlich ganz gut lesen. Dieses Mal gehe ich meinen Kommentar etwas anders an und ich versuche, eine eigene Version von dieser Geschichte zu skizzieren. Dabei steht vor allem die Art und Weise im Vordergrund, wie das zentrale Thema - zumindest wie ich es wahrnehme - bzw. der zentrale Konflikt im Mittelpunkt stehen.

Also:

Aaron Ohrenschütz wacht am Morgen auf. Seine Frau ist nicht da, seine Alltagsroutine dadurch nicht dieselbe, welche er seit Jahren gewohnt ist. Sein Frau leidet an Krebs und wird in einer Klinik behandelt. Die Möglichkeit, dass sie sterben könnte, steht im Raum. Aaron will sich diese kritische Situation, in welcher seine Frau steckt, allerdings nicht eingestehen. Daher weigert er sich, in die Klinik zu fahren und sie zu besuchen. Er schafft es nicht einmal, die Postkarte zu lesen, die sie ihm schickt. Er weiß genau, dass er für seine Frau da sein sollte, aber verdrängt die Realität seiner Lage.

Entsprechend nimmt die Realität um ihn herum plötzlich merkwürdige Züge an. Der Postbote schaut immer wieder durch den Briefschlitz und fragt ihn, ob er denn seine Postkarte nicht lesen will. Er fungiert quasi als das Gewissen, welches ihn immer wieder darauf hinweist, endlich einmal einen Schritt in die richtige Richtung zu machen. Dann ist da noch die Nachbarin, welche sich durch die Hintertür zwängt. Ihr Herz hängt regelrecht an ihrem Kater und sie kann es kaum ertragen, nicht zu wissen, dass es ihm gut geht. Die Nachbarin und ihr Kater fungieren als ein Bild für die unbedingte Liebe und Aufopferungsbereitschaft, die eine Person gegenüber anderen (auch einem Tier) verspürt. Anscheinend kennt Liebe keine Grenzen; nicht einmal eine Hundetür kann sich dieser in den Weg stellen. Es konfrontiert Aaron mit einer Art Idealbild dessen, was er für seine Frau sein könnte.

Die Penetranz dieser beiden Figuren, die am Rande seines Hauses (seines Verstandes) kratzen, bringen ihn aus der Bahn und treiben ihn langsam in den Wahnsinn. Nicht nur das, auch sein Essen verwandelt sich allmählich in Haare, Hautreste und Fingernägel... in jedem Fall Dinge, die man mit der Krebskrankheit seiner Frau in Verbindung bringen kann.

Hier gibt es zwei Möglichkeiten, wie sich der Verlauf deiner Handlung fortentwickeln könnte:
1. Der positive Ausgang: Die Lage wird so verrückt und der emotionale Stress, der auf ihm lastet, ist so stark, dass schließlich der Siedepunkt erreicht ist. Er hat einen Anfall. Er schreit den Postboten an, dass er verschwinden soll, da ihn seine Privatangelegenheiten überhaupt nichts angehen. Auch fährt er die Nachbarin an, dass ihr Kater ihn einen Scheißdreck bedeutet und, sollte dieser tot sein, er ihr jederzeit einen neuen kaufen könne. Daraufhin sind die beiden fort und es ist still. Er schaut sich in seiner Küche um, die ein morbides Chaos ist. Seine Lieblingsschüssel und die Kaffeetasse liegen zersprungen über die Fliesen verteilt, die 'Körperteile' beschmutzen die Küchenzeile und die Möbel etc. Dann kommt die Erkenntnis für ihn: Er begreift seinen desolaten Seelenzustand anhand des Anblicks, der in der Küche herrscht, und begreift, wie sich sein inneres Leid nur weiter auftürmt und so aus den Fugen gerät. Also geht er zum Hauseingang, nimmt die Karte auf und liest sie. Die Geschichte endet damit, dass er beschließt, seine Frau zu besuchen. Optional kann er ebenfalls den Entschluss treffen, sich am nächsten Tag bei dem Postboten zu entschuldigen und für den Nachbarskater eine Dose von dem edelsten Thunfisch zu besorgen, den es in der Nähe gibt.
2. Der negative Ausgang: Im Grunde läuft hier alles auf eine ähnliche Art und Weise ab, nur findet die finale Erkenntnis nicht statt. Herr Ohrenschütz lebt weiter in dem Modus der Verdrängung. Dieser verlangt ihm nun allerdings deutlich mehr ab. Die Nachbarin und der Postbote lassen sich nicht verscheuchen und wiederholen immer wieder ihr Anliegen (Die Karte lesen, den Kater finden). Das treibt ihn soweit, dass er beginnt, den Briefkastenschlitz und die Hundetür zuzunageln. Um den Restlärm zu vertreiben, setzt er sich womöglich echte Ohrenschützer auf und tötet somit das Eindringen dieser Menschen in sein Leben komplett ab. Dann beginnt er, die Küche zu putzen, doch Blutflecken, Haarreste und Bruchstücke seiner Lieblingsschüssel tauchen immer wieder auf und das Vorhaben gerät zu einer Sysiphusarbeit. Anstatt innezuhalten und zu realisieren, dass seine Taten nichts bringen, wird er regelrecht manisch und schrubbt seine ewig schmutzige Küche umso mehr im Versuch, eine Ordnung in seinem (Seelen)Haushalt wiederherzustellen. Somit endet die Geschichte mit Aaron, der nicht in der Lage ist, die schmerzhafte Lage, in der er sich befindet zu begreifen. Er verbleibt in einem komplett selbst gemachten Elend, das in der Geschichte als surrealer Albtraum daherkommt. Die Postkarte mit der Nachricht von seiner Frau bleibt indessen ungelesen unter den Teppich gekehrt.

Manche der Gedanken hier hattest du beim Schreiben sicherlich ebenfalls und klingen vermutlich wie etwas, das bei dir schon längst auf der Hand liegt.

In jedem Fall gibt es noch ein paar Zusätze, die ich in diesem Geschichtsabriss noch nicht erwähnt habe:

1. Der Aspekt mit dem Fremdgehen: Nicht nur besucht Aaron seine Frau nicht, er betrügt sie auch noch mit einer anderen. Ich hatte nach dem Lesen Schwierigkeiten, gerade dieses Element vernünftig einzuordnen. Mir fällt es schwer, die Figur von Nina nicht als Fremdkörper oder zumindest wenig gewinnbringendes Element zu sehen.
In der Geschichte geht es um Schuldgefühle. Bezieht sich diese Schuld nun eher darauf, dass er seine Frau in einer kritischen Lage zurücklässt? Oder fühlt er sich eher schuldig, weil er fremdgegangen ist? Eventuell kann man hier eine Verknüpfung sehen: Vielleicht dient die Affäre mit Nina dazu, einen 'unschuldigen' und 'unbeschwerten' Beziehungszustand wiederherzustellen?
Ganz abgesehen davon, dass durch ihre Figur natürlich ein Spannungsmoment in die Geschichte kommt und Aaron versucht, ihre Präsenz im Haus vor der Nachbarin und dem Postboten zu verbergen. Das Problem ist nur, dass sobald der Kater aus dem Sack ist (kleines Wortspiel), im Grunde nichts passiert: Der Postbote entdeckt, dass der Professor sich einen heißen Feger eingefangen hat und macht ihm nur ein Kompliment. Abgesehen davon ändert sich nichts in der Geschichte, führt zu keiner Veränderung der Hauptfigur oder führt dazu, dass sich diese Affäre rumspricht oder so.
Weiterhin ist Nina das einzige Element, welches sich am Ende nicht surreal verändert. Ihr wachsen keine gierigen Klauen oder ihre Hautschichten dehnen sich aus und wickeln sich gierig um Aaron herum.
Die Geschichte endet damit, dass Nina ihn um Geld anbettelt und wie ein Kind beschrieben wird. Ich vermute mal, dahinter steckt der Gedanke, dass Aaron nur von ihr ausgenutzt wird und ihre Oberflächlichkeit kein Vergleich für eine 'erwachsene' und tiefgründige Ehe ist. Ich bin auch hier unsicher, aber für mich klingt das nach etwas, was man mitten in die Geschichte mit einbaut und nicht als Pointe ans Ende setzt. Das Ende sollte direkter etwas über Aaron und den Konflikt, den er mit sich herumträgt, aussagen.

Insofern könnte ich mir vorstellen, dass deine Geschichte klarer und simpler wäre, wenn du den Fremdgeh-Aspekt herausstreichst. Alternativ kannst du ihn behalten, doch dann würde ich schauen, dass Aarons Affäre stärker mit seinem inneren Konflikt verknüpft wird. In seiner Affäre mit Nina stecken definitiv interessante Möglichkeiten. Sie müssten nur konsequenter ausformuliert werden. Wenn etwa der Postbote die Studentin im Haus entdeckt, müsste das eine Konsequenz von welcher Art auch immer haben; er könnte sich Sorgen um seinen Ruf machen oder es würde seine persönlichen Schuldgefühle gegenüber seiner Frau noch mehr anheizen. Die Idee, dass er am Morgen Frühstück für seine Tochter macht, könnte ebenfalls funktionieren. Oder dass er ganz alleine dem Postboten und der Nachbarin ausgeliefert ist und eigentlich nur in Ruhe sein Frühstück verzehren will - ein Zustand, der jedoch konstant unter einem Damokles-Schwert steht, dass er nicht sehen will.

2. Die Tentakel-Arme der Nachbarin:
Das Bild, wie die Nachbarin ihre Tentakel durch die Hundetür schiebt und nach dem Kater ausstreckt, hat etwas sehr unheimliches an sich. Es kommt weniger daher wie eine Nachbarin, die sich um ihr Haustier sorgt, als vielmehr wie ein gierendes, verschlingendes Wesen. Die Liebe zu ihrem Haustier gleicht eher einer krankhaften Obsession. Entsprechend wäre die Darstellung, wie ihre Krakenarme den armen Kater hinausziehen etwas, was zu dem negativen Ausgang der Geschichte passen könnte, wie er oben beschrieben wird.
In der positiven Variante müsste die Extremität (wieder ein Wortspiel) vielleicht etwas abgemildert werden. Sollte die Nachbarin letztendlich einen positiven Eindruck machen, müsste das Agieren der Tentakelarme in bezug auf das Haustier sanfter und eher skurill-liebevoll beschrieben werden.


Puh, das war jetzt mal eine etwas andere Kritik. Ich hoffe, du nimmst es nicht krumm, dass ich deine Geschichte derart nach eigenen Vorstellungen umgebaut habe. Es war im Grunde mein Versuch, die Aspekte herauszufinden, die mich an deiner Geschichte unzufrieden zurückgelassen haben, sowie ein paar Wege zu finden, wie du den Text meines Erachtens verbessern könntest. Vielleicht findest du ja etwas nützliches in diesen hin- und hermeandernden Gedanken von mir.

In jedem Fall soll das nicht heißen, dass ich deine Geschichte schlecht fand. Ich gratuliere dir erneut dazu, nach der Sache mit den Haken erneut eine interessante Idee für eine Geschichte gefunden zu haben, die sowohl skurill ist, als auch zum Interpretieren einlädt. Obendrein hast du mich mehrere Male zum Lachen gebracht. Es ist dir gelungen, gerade die Dialoge mit der Nachbarin und dem Postboten herrlich skurril wirken und die Lage immer mehr eskalieren zu lassen. Nur am Ende hätte ich mir gewünscht, dass die Zuspitzung, der Höhepunkt und das Ende mehr Klarheit hätten.

Mit freundlichen Grüßen,

Robot Fireman

 

Hey @Robot Fireman
Ich hatte deinen Kommentar vor langer, langer Zeit gelesen und mich sehr darüber gefreut! Und dann wollte ich dir darauf antworten, habe es aber in meiner gewohnten Kopflosigkeit Tag für Tag vor mir hergeschoben und es dann natürlich letztendlich komplett vergessen. Wahrscheinlich dachtest du dir bereits: Was für ein Idiot, danke für nix! :D Tut mir unglaublich Leid, dass ich erst so spät antworte, aber ich bin da momentan sehr chaotisch. Ich hoffe, du erinnerst dich trotzdem noch ein wenig an meine Geschichte.
Jetzt zu der lange verloren geglaubten Antwort!
(Und ja, ich konnte mich tatsächlich auch noch an dich erinnern Fireman:)
Der Grund dafür warum ich der Geschichte den Tag "Horror" gegeben hatte, war tatsächlich der, dass ich seit der Überarbeitung der Wortkrieger-Website hier nicht mehr so gut durchsehe und auch keine Beispiel-Tags mehr gefunden habe wie früher. Ich konnte mich unter anderem nur noch an "Horror" erinnern und hatte dann einfach diesen genommen.
Ich habe die Geschichte mittlerweile ein wenig überarbeitet. Zumindest was den Schlussatz betrifft. Aber ich wollte auch eigentlich kein eindeutiges Ende für diese Geschichte. Ich war mir selbst nicht sicher, wie der Ausgang der Geschichte aussehen sollte. Dass Aaron zum Schluss einfach dem Leser sagt: "Na Gut, ich fahre jetzt sofort zu meiner Frau." kam mir zu gestellt vor und ich hatte auch das Gefühl, dass Aaron nocht nicht dafür bereit wäre, seine Frau sofort zu besuchen. Teilweise natürlich weil er sich schämt, teilweise vielleicht auch weil er sich lieber vor sich selbst schämt, als sich mit dem Schicksal seiner kranken Frau auseinanderzusetzen.

So jetzt mal zu deiner Fan-Fiction, wie meine Geschichte in deiner Vorstellung ausgehen könnte.

Ich hoffe, du nimmst es nicht krumm, dass ich deine Geschichte derart nach eigenen Vorstellungen umgebaut habe.
Bist du eigentlich verrückt? Das ist mit Abstand das coolste Geschenk was du mir mit deinem Kommentar machen kannst! :D Es hatte mir so viel Spaß bereitet, diese Geschichte mal aus einer anderen "Feder" zu lesen. Und das auch noch gleich zwei Mal mit einem bösen und guten Ausgang! Das hat mich mega gefreut und war auf keinen Fall unangebracht!
Es tut mir sogar fast ein wenig Leid, dass mir dein böses Ende sogar besser gefällt, als das gute. Also es tut mir Leid für Aaron Ohrenschütz. In beiden Fällen deiner Interpretation bist du also auf jeden Fall dafür die Studentin aus der Geschichte zu entfernen? Mir gefällt aber gerade, dass der Leser vielleicht am Anfang noch denkt, dass Aaron einfach ein Morgenmuffel ist der mit seinen offensichtlich jüngeren Studentinnen schläft. Man bekommt dadurch (zumindest bekommt man es in meiner bunten Wunschvorstellung) das Gefühl, dass Aaron definitiv kein Moralapostel ist, vielleicht sogar eher ein schlimmer Charakter ist. Dann hört man durch den Postboten, dass Aaron Post von seiner Frau bekommen hat. Aaron scheint ein noch schlimmerer Charakter zu sein, als anfangs angenommen, denn er betrügt seine Frau. Und dann die letzte Steigerung: Die Nachbarin fragt wie ihre Chemotherapie so läuft. Weißt du was ich meine? Dieser Aufbau von Schlag auf Schlag zum mehr und mehr schäbigeren Charakter würde mir ein wenig fehlen, ohne seine Affäre. Und ich dachte, dass die Studentin vielleicht noch ein wenig mehr Anspannung in die Geschichte bringen würde, als sie die Treppe herunterkommt, während Postbote und Nachbarin schon fast Aarons Wohnung in Beschlag nehmen. Aber möglicherweise wirkt es auf den Leser gar nicht so anspannend wie gedacht, da ich schon mehrmals gelesen habe, dass die Studentin etwas überflüssig wirkt.
Das treibt ihn soweit, dass er beginnt, den Briefkastenschlitz und die Hundetür zuzunageln.
Also diese Idee fand ich so unfassbar einfach und gut, dass ich mir an den Kopf klatschen könnte, selber nicht drauf gekommen zu sein. Die Idee gefällt mir unglaublich gut. Ich habe die Geschichte selbst aber noch nicht so grundlegend verändert, sondern nur etwas abgerundet. Daher brauchst du danach jetzt noch nicht suchen, falls du jetzt auf den Gedanken kommst, es nochmal zu lesen.
setzt er sich womöglich echte Ohrenschützer auf
Fireman ich mag wie du denkst :D Genau mein Geschmack dieser Ausgang. Wahnsinnsidee mit den echten Ohrenschützern zum Schluss. Falls ich mich tatsächlich dazu überwinde, die Geschichte nochmal zu umzuschreiben, dann wird Aaron leider dieses "bad-ending" bekommen, denn ich mag es sehr. Und er putzt sich zum Schluss in den Wahnsinn. Auch sehr gut!
(Habe gerade nochmal gelesen, dass dir doch das Spannungsmerkmal aufgefallen ist mit Nina auf der Treppe.) Du hast auch damit Recht, dass Nina die einzige Person ist, die sich nicht in eine Alptraumfigur verwandelt. Ich hatte darüber nachgedacht Nina vielleicht nicht sonderlich scheußlich werden zu lassen sondern sie zum Schluss eher seiner Frau ähnlicher werden zu lassen. Dass sie plötzlich zu einem "überperfekten", jungen Ebenbild von Isabella mutiert und Aaron sie nicht mehr ansehen kann, ohne dabei seine "gesunde" Frau zu sehen. (Mit dem Wissen, dass es natürlich nicht Isabella ist, sondern nur ein Wesen, dass nicht aufhören will, ihr Stück für Stück ähnlicher zu sehen)
Das Gefühl ist wohl auch nicht genügend zur Geltung gekommen, dass Aaron sich darum sorgt Nina versteckt vor neugierigen Blicken zu halten. Ich hatte mir beim Schreiben nämlich schon gedacht, dass Aaron seine Nachbarn loswerden will, damit sie ihn in Ruhe lassen und damit sie seine Affäre nicht aufdecken. Dass es ihm zum Schluss so gleichgültig ist, dass der Postbote seine Studentin bemerkt, habe ich irgendwo als komplette Kapitulation von Aaron interpretiert. Er hat keine Kraft mehr. Dann werden die Nachbarn eben tratschen. Und dann entschließt er sich dazu nun doch die Karte zu lesen. Jetzt wo dieses Lauffeuer ausgesetzt wurde. Nina erwähnt ja auch in der Karte, dass sie bereits von "bösen Gerüchten" von ihren Eltern gehört habe, aber nichts davon glaube.
Ich würde die Tentakelarme der Nachbarin lassen. Also ich meine damit dieses "unheimliche" Element. Der Kater wird dazu gezwungen heimzukehren. So fühlt sich Aaron meiner Meinung nach. Indirekt durch die Krankheit seiner Frau und die Postkarten, die er nicht liest. Ein moralischer Zwang, dem er sich widersetzt und dadurch geht es ihm so schlecht.
Vielen, vielen, vielen Dank nochmal für diese geniale Bewertung und Neuinterpretation meiner Geschichte! Das hat mir sehr gut gefallen und ich habe deinen Kommentar regelrecht genossen.
Hoffentlich bist du mir nicht all zu böse für die späte Antwort :D Ich schaffe das irgendwie nicht, mir regelmäßig die Zeit zu nehmen.
Ganz liebe Grüße
HerrSperling

 

Hallo @HerrSperling,

Mann, jetzt steht die Geschichte hier seit fast zwei Monaten, und ich habe die immer noch nicht kommentiert. Bloß gut, dass die Mauer weg ist und wir jetzt einen Feiertag haben, der mir Gelegenheit gibt, das endlich mal in Angriff zu nehmen ...

Ich mag diesen Text nämlich außerordentlich gern. Leider ist das häufig so, dass mir hier im Forum Texte, die bei mir ganz viel Resonanz auslösen, in Phasen begegnen, wo es gerade keinen Empfehlungs-Button gibt. Das ist schade für dich, aber ich hoffe, es freut dich trotzdem zu erfahren, dass ich ihn gedrückt hätte, wenn er da wäre. :)

Das ist nämlich eine Kombination von Horror und Witz, die mir so noch nicht begegnet ist. Meistens geht es, wenn in einem Text sowohl Horrorelemente als auch Humor vorhanden sind, ja in Richtung Horror-Parodie, also der Humor schwächt eigentlich den Horror ab. In der Geschichte habe ich es so empfunden, dass die witzigen Stellen den Horror verstärken. Obwohl ich wirklich oft lachen musste, musste ich gleichzeitig immerzu denken: Oh, wie schrecklich. Das muss man erst mal hinbekommen.

Und dann handelt es sich ja nicht um irgendeinen "normalen" Horrorstoff, damit will ich sagen, irgendwelche übernatürlichen Monster oder verrückten Serienkiller, sondern es geht um Dinge, die man im richtigen Leben fürchten muss.

Die wirklich schlimmen Stellen - vor allem die Cornflakes-Packung und das Küken - die sind ja nicht einfach nur willkürliche Ekelstellen, sondern die sind schlimm, weil sie sozusagen realen Schrecken manifestieren. Das erinnert mich an surrealistische Malerei, es stellt etwas dar, was man eher fühlt als begreift und schwer in Worte fassen kann.

Und abgesehen von den furchtbaren Gefühlen wegen der Krankheit seiner Frau, mit denen der Protagonist kämpft, kommen dann noch andere schlimme Dinge von außen. Dieses Eindringen in die Privatsphäre in einem Moment, wo man sie dringend bräuchte, da habe ich als introvertierter Mensch ein sehr starkes Mitgefühl mit Aaron. Natürlich ist das Verhalten des Postboten und der Nachbarin wahnsinnig überzeichnet, aber für mich wirkt im Kontext der Geschichte diese Darstellung "richtig", weil jemand in einem so verwundbaren Zustand neugierige Nachfragen sehr wohl so empfinden kann, selbst wenn sich die Menschen im Umfeld nicht in Tentakelmonster verwandelt, die durch die Hundetür grapschen. :)

Einen Kritikpunkt habe ich allerdings auch, und auch wenn der die Oberfläche betrifft und ich alles andere wirklich sehr gut gelungen finde, solltest du den nicht allzu sehr auf die leichte Schulter nehmen: Du warst hier echt schludrig beim Korrekturlesen. Das ist schade, weil es beim Lesen stört.

Hier ist meine Sammlung (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), gemischt mit Stellen, die ich lobend hervorheben wollte:

Aaron Ohrenschütz wurde durch seinen Hund geweckt, der so laut jaulte, als wenn sein Herrchen ihn mit einem Rohrstock schlug.
Ohrenschütz: Super Name. :thumbsup:

"als wenn..." - vielleicht bin ich pingelig, aber so richtig korrekt klingt das nicht. Besser fände ich "als ob sein Herrchen ihn mit einem Rohrstock schlüge."

"Herr Ohrenschütz? Sind sie das?"
Sie als Anrede (und Formen wie Ihnen etc.) wird immer groß geschrieben. Das zieht sich durch den ganzen Text.

Ich werde mir dir Karte nach dem Essen ansehen.
die

Seine Nachbarin hämmerte noch ein weiteres Mal an der verschlossenen Tür und die Türklinke winkte energisch auf und ab, wie der Flügel eines erregten Pinguins.
Das gefällt mir sehr.

Lassen sie mich kurz rein und ihr Haus durchsuchen.
Sie und Ihr groß, klar - aber ansonsten ist das auch ein toller Satz. Das macht perfekt deutlich, wie erdrückend und übergriffig sich die Nachbarin verhält, und gleichzeitig, dass sie das selber überhaupt nicht wahrnimmt.

Das Öl brutzelte bereits in der Pfanne und Aaron dachte darüber nach, ob heißes Öl in einer Pfanne ausreichen würde, um damit eine siebenundfünzig-jährige Immobilienmaklerin zu ermorden.
ohne Bindestrich.

"Doktor Flausche, hierher! Komm Herr Doktor Flausche!"
Sagt sie wirklich "Herr Doktor Flausche" zu ihrem Kater, oder sollte das eigentlich "Komm her" heißen?

Aaron schloss die Augen und stützte sich auf dem Thresen ab.
Tresen wird ohne h geschrieben. Das ist mehrmals drin, am besten machst du einmal Suchen/Ersetzen

Als Aaron die Augen wieder öffnete blendete ihn die Mittagssonne viel zu stark
Komma nach öffnete

Das mit dem Haarausfall war ja noch erträglich, aber wussten sie, dass einem alle Fingernägel einzelnd ausfallen, während der Chemo?
einzeln

Sein Ehering schmerzte ihm.
ihn.

"Schmerzte ihm" könnte man vielleicht sagen, wenn es sich um ein Körperteil handeln würde, also "sein Arm schmerzte ihm" oder so - wäre streng genommen glaube ich auch nicht korrekt, aber die Formulierung habe ich auf jeden Fall schon gesehen. Aber der Ehering ist ja etwas, was von außen Schmerz zufügt.

Er riss ihn sich vom Finger und lies ihn fallen.
ließ

Mit einem angewidertem Blick kippte Aaron den Kaffee aus der Tasse seiner Frau in die Spüle.
einem angewiderten

Abgesehen davon finde ich, "angewidert" ist eigentlich eine zu schwache Reaktion. Ich meine ... Blut statt Kaffee? :sconf:

Er nahm sich die Cornflakes-Packung vom Thresen und füllte damit seine Lieblingsschüssel. Blonde Haarbüschel rieselten aus der dreieckigen Öffnung. Hier und da fielen auch ganze Fingernägel in die Milch. Er betrachtete seine Cornflakes-Schüssel, in der sich nun ein verklebter Haufen aus Hornhaut und Calcium befand.
Aaron nahm seine Lieblingsschüssel, öffnete den Abfalleimer und ließ sie hineinfallen. Die Schüssel brach beim Aufprall.
Super Stelle, bis auf den "Thresen" mit h.
Aber wirklich, sehr effektiv. So was bleibt hängen.

Ein rosa Ding wand sich im siedendem Rapsöl und fiepte laut unter Schmerzensqualen. Es sprang noch einige Male auf und ab in der Pfanne, konnte aber seinem Todeskampf im Höllenfett der Aluminiumbeschichtung nicht entkommen und verendete dann in der Mitte der schwarzen Pfanne. Dort lag ein Küken in seiner Pfanne. Das Fleisch sah krank aus und brutzelte jetzt und ein totes, leeres Auge blickte hoffnungslos zum Ablüftungsschacht.
Brutal. :sconf: Aber das passt sehr gut, finde ich.
Einmal halt das Alltägliche - er will einfach nur Frühstück machen, und dann kommt da plötzlich Qual und Tod und Hoffnunglosigkeit raus. Und dann hat es noch so eine extra symbolische Ebene, weil ein Ei ja eigentlich für neues Leben steht.

Ist eine Weile her, dass ich die Kommentare zur Geschichte gelesen habe, aber ich erinnere mich, dass jemand das Küken zu krass fand - ich finde aber, das muss unbedingt drin bleiben.

"Ich habe es gewaschen. Gestern. Es hängt im Hauswirtschaftsraum."
"Warum hast du es gewaschen?", fragte Nina.
"Es stank nach mir", antwortete Aaron.
Der Aaron war mir nicht von Anfang an sympathisch, unter anderem wegen der Art, wie er beim Aufwachen auf die Nina reagiert, die ja immerhin die einzige ist, die er selbst freiwillig in seine Wohnung gelassen hat. Aber er ist mir schrittweise ans Herz gewachsen, und hier war ich dann schon recht gerührt von ihm. Vielleicht ist die Absicht dahinter auch, seine Affäre zu verstecken, aber ich habe es so gelesen, dass er Nina nicht "beschmutzen" will, also nicht in seine persönlichen Probleme mit reinziehen.

Und Aaron saß mit dem Kater auf dem Schoß am Boden, streichelte ihn sanft und hatte für einen Moment das Gefühl wieder ganz zu sein.
Das mochte ich, weil es unter den vielen surrealen und überzeichneten Momenten der Geschichte so einen kleinen "realistischen" Moment gibt. Katzen haben das ja wirklich drauf - einerseits diese Unverschämtheit und Neugier, die bei Menschen dann meistens doch nicht ganz so extrem ausgeprägt ist, dass sie halt überall reinlaufen und sich benehmen, als würde ihnen alles gehören, und andererseits können sie aber wirklich gut Trost spenden.

Durch die Hundeklappe streckte sich ein Tentakel, wie von einem Tintenfisch, schwachviolett und mit Saugnäpfen an der Unterseite, die im gleichmäßigen Rhytmus schnalzten.
Rhythmus.

Der Kater fauchte und wurde dann am Schwanz Richtung Tür gezogen. Seine Krallen fuhren in die Bodenfugen, fanden jedoch keinen Halt und schliffen dann erbärmlich über das Keramik.
:lol: Der arme Kater ... aber hier musste ich wirklich lachen. Das hat so was cartoonhaftes.

"Haben sie zufällig schon die Postkate ihrer Frau gelesen?
Postkarte

"Wer ist denn eigentlich diese junge Dame, die ebend halbnackt in den Hauswirtschaftsraum ging, Herr Ohrenschütz?"
eben

"Jaja. Die Pflicht ruft!", rief der Postbote und schwere Elefantenstiefelabsätze traten über Herr Ohrenschützes Auffahrt und entfernten sich allmählich.
Herrn Ohrenschützes
aber ich würde eher "Aarons Auffahrt" schreiben. Es wirkt immer ein bisschen komisch, wenn man seinen Protagonisten manchmal "duzt" und manchmal "siezt". Du nennst ihn sonst beim Vornamen, das würde ich durchziehen.


Die Vorderseite der Karte zeigte ein kitschiges Bild von einem Teddybären, der sich ein Pflaster über eine offene Naht im Stoff streichte,
strich

"Hallo? Ich muss nachhause, Herr P-r-o-f-e-s-s-o-r."
In der Schreibweise wirkt es, als würde sie das Wort buchstabieren, das ist etwas merkwürdig. Spricht aus deiner Sicht etwas dagegen, einfach "Herr Professor" kursiv zu schreiben, um die Betonung deutlich zu machen?

Sein Daumen wischte über die Wattebauschwunde auf der Karte.
Das gefällt mir als Schlusssatz nicht so richtig. Auch die Sätze davor fetzen ehrlich gesagt nicht so richtig, im Vergleich zum Rest der Geschichte.

Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, der Schluss war noch ein bisschen anders, als ich die Geschichte zuerst gelesen habe - kann mich aber nicht erinnern, wie.

Jedenfalls habe ich jetzt den Eindruck, alles, was nach Isabellas Postkarte kommt, hat nicht so richtig Biss. Es ist natürlich auch sehr schwer, danach noch einen drauf zu setzen.

Ich weiß nicht - vielleicht sollte es unmittelbar nach der Postkarte aufhören?

Das Verhältnis zu Nina ist ja vorher eigentlich schon deutlich geworden, und die Karte mit dem Teddybär und seiner Wattewunde haben wir vorher auch schon "gesehen", da kommt nichts Neues mehr. Und gegen den herzzerreißenden Inhalt der Karte kann das alles halt nicht so richtig anstinken.

Ansonsten finde ich wie gesagt die Geschichte richtig, richtig gut.

Grüße von Perdita

 

Hallihallo @Perdita :)
Ja damit habe ich jetzt wirklich nicht mehr gerechnet! Umso mehr hat mich dein Kommentar aber gefreut:D Schön, dass dir meine Geschichte gefallen hat. Aber mir geht das auch oft so, dass ich manchmal nicht die Zeit finde oder den nötigen Elan, um hier im Forum zu schreiben und zu kommentieren. Habe ja selbst erst letzte Woche Robot Fireman auf seinen Kommentar geantwortet. Es freut mich sehr, dass du meine Geschichte sowohl unheimlich als auch erheiternd fandest. Das ist beim Schreiben immer sehr schwer zu sagen, ob das einen Leser jetzt in der Atmosphäre stört, wenn man mal hier und da einen kleinen Ulk treibt. Ich fand es beim Gespräch der beiden Störenfriede von Aaron aber irgendwie stimmig. Und ich bin im normalen Sprachgebrauch auch immer etwas ulkig und das übt sich dann auch dezent auf das aus, was ich schreibe. Auch wenn ich eigentlich gerne Schauergeschichten und Horror schreiben würde. Schön, dass es jemandem positiv aufgefallen ist:)
Es würde mich interessieren, ob dir das mit den "Ekelstellen" innerhalb der Gesamthandlung schlüssig vorkam, bevor oder nachdem du die anderen Kommentare hier gelesen hattest. Ich habe es mal nämlich irgendwo in den Kommentaren erwähnt gehabt, dass ich persönlich es als wichtigen Moment der Entwicklung für den Charakter Aaron empfunden habe, dass diese schrecklichen, surealen Ereignisse geschehen und ich frage mich, ob ich damit deine unvoreingenommene Meinung beeinflusst haben könnte. Oder ob du es eben einfach selbst genau so empfunden hattest wie ich. (Nur so ein Gedanke, da es überwiegend als überflüssig für die Geschichte empfunden wurde)

da habe ich als introvertierter Mensch ein sehr starkes Mitgefühl mit Aaron
Würde mich jetzt selbst nicht als verklemmt bezeichnen aber in gewisser Weise introvertiert. Diese Belagerung der Nachbarn ist tatsächlich auch aus persönlichen Momenten übertrieben nachempfunden, in denen ich eigentlich gerne mal meine Ruhe gehabt hätte. Und das konnte ich in dieser Geschichte mal so richtig schön herauslassen. (Niemand ist soo aufdringlich wie der Postbote oder Frau Nachbarin :P aber es hat Spaß gemacht, diese Aufdringlichkeit so darzustellen, wie sie sich aus der Position eines Aarons meistens anfühlt)
Vielen, vielen Dank für dein Korrekturlesen meiner Geschichte! Es ist unfassbar wie viele Schreibfehler sie immer noch enthält. (Auch das bloße Buchstabenvergessen) Aber man liest sie auch als Schreiber irgendwann so oft, dass man manche Stellen quasi auswendig aufsagen könnte und dann verliert man vieles im Tunnelblick weil man sich nur noch vormacht, den Text wirklich konzentriert zu lesen. Vieles liegt aber auch an Rechtschreibblödeleien von mir :D Bin da nicht wirklich ein Grammatikfuchs. Deshalb bin ich umso dankbarer für jede Hilfe, die ich hier bekomme! Ich weiß nicht, ob ich deine Korrekturen heute noch umsetzen werde (es ist bereits echt spät), aber auf jeden Fall in den nächsten Tagen!
Komm Herr Doktor Flausche!"
sollte allerdings tatsächlich so sein, wie es dort steht :D Das liegt an dem vorherigen Satz, dass man da etwas drüber stolpert. Ist mir erst jetzt aufgefallen. Vielleicht verändere ich das deswegen nochmal.
Aaron war mir nicht von Anfang an sympathisch,
Aber da freut es mich ja gewaltig, dass du ihn doch noch einigermaßen ins Herz schließen konntest. Habe auch beim Schreiben nicht darüber nachgedacht, ihn irgendwie als sympathischen Charakter zu etablieren. Er sollte eine Person sein, die sich quasi schon vor sich selbst schämt. Schon morgens neben einer vermeintlich hübschen Frau aufwacht und schlecht gelaunt ist. Aufgrund der Umstände in denen er mittlerweile lebt. Umstände in die er sich auch selbst begeben hat.
Katzen haben das ja wirklich drauf
Ich habe in die Katze auch immer so ein bisschen Aaron selbst hineininterpretiert. Deshalb auch dieser satz während der Streicheleinheit mit: Dass Aaron sich in diesem Moment irgendwie "ganz" fühlt.
Dass dir das Ende nicht zusagt ist schade, aber ich verstehe was du meinst. Und ja: Das Ende war zuvor noch etwas anders, aber nicht entscheidend unterschiedlich. Aarons Schlusssatz war unter anderem anders. "Steig einfach in den Wagen."
Und ein paar Kleinigkeiten an die ich mich nicht mehr recht erinnere. Ich werde über deine Vorschläge bezüglich meiner Wortwahl nachdenken. Sobald ich den Text korrigiere. Ob ich das Ende nun nocheinmal kürzen werde, kann ich nicht versprechen. Die Vorschläge von Robot Fireman wollte ich ja auch noch einmal überdenken.
Aber auf jeden Fall vielen vielen lieben Dank dafür, dass du dich nach so langer Zeit doch noch einmal mit meiner Geschichte auseinandergesetzt hast! Hat mir sehr viel Freude bereitet, deinen Kommentar zu lesen!
Liebe Grüße
HerrSperling

 

Moin @HerrSperling ,

erstmal: Alles gut. Ich weiß ja selbst, wie es ist, wenig Zeit zu haben. Ich denke also nichts böses, wenn mir jemand nicht auf einen meiner Kommentare antwortet. Eigentlich denke ich nur: "Puh, geschafft. Genug mit der mentalen Gymnastik für heute. Jetzt zu was Leichterem." Und am folgenden Abend stecke ich dann wieder bis zum Hals in anderen Aktivitäten.

Kurz zu deiner Antwort:

Ich mag deine Erklärung mit der Affäre, die Idee, dass du Nina benutzt, um die unmoralische Natur deiner Figur zu steigern. Das ist mir am Rande bewusst gewesen, aber eigentlich ist das ein geschickter Griff. Aarons Charakter erschließt sich dem Leser so sehr schnell und intuitiv.

Ich finde es auch gut, dass du das so zweckhaft erklärst. Ich bekomme beim Lesen auch nicht immer alles mit und spekuliere daher ja auch nur ins Blaue, wenn es um die Absicht des Autors hinter bestimmten Zeilen oder Teilen der Geschichte geht. Ich finde es immer gut, wenn sich jemand genaue Gedanken dabei macht, was er auf welchem Grund dort schreibt.

Ich habe nochmal kurz darüber nachgedacht und Teile deiner Geschichte überflogen. Kann also sein, dass ich etwas fehlgehe in meiner Einschätzung. Wenn du schreibst, dass andere die Studentin überflüssig finden, könnte ich mir vorstellen, dass es wohl auch daran liegt, dass deine Geschichte nicht ganz dem Formular folgt, dass man gemeinhin damit verbindet.

Wenn ein Fremdgeher versucht, seine Affäre vor der Nachbarschaft geheimzuhalten, und die Klatschtanten plötzlich beginnen, seine Haustür zu belagern, führt das meistens dazu, dass diese Figur anfängt, erratisch und nervös zu werden und sein Kopf fieberhaft an einer Lösung arbeitet. Dafür verstellt sie sich, ist z.B. freundlich und zuvorkommend, obwohl er eigentlich ein Miesmuffel ist, oder ist verletzend und schneidend, obwohl er normalerweise ein umgänglicher Typ ist. Die Situation zwingt ihn dazu, sich zu verstellen und auf Arten und Weisen zu reagieren, die er nicht gewohnt ist. Das führt im Anschluss zu allerlei irrwitzigen Situationen und komödiantischen Szenen. Das ernstere Äquivalent dazu wäre eher eine Szene, in welcher der Figur droht, dass sie sein Leben, seine Beziehung oder seinen Ruf verliert. Oder es führt zu einem gewaltigen persönlichen Drama. Es ist ein Schlüsselmoment in seinem Leben. Viel steht auf dem Spiel. In jedem Fall krallen diese Figuren sich regelrecht an die Lüge, die sie leben, und versuchen, den Moment der Wahrheit vor sich aufzuschieben. So zumindest das Formular.

Beim (lediglichen) Überfliegen deiner Geschichte ist mir aufgefallen, dass du dieses Formular teilweise umsetzt. Aaron wird im Laufe der Geschichte gereizter. Er unternimmt Schritte, um Nina vor den Augen der Nachbarin und des Postboten zu verbergen. Die Auflösung dieses etwas anderen Versteckspiels ist jedoch recht unspektakulär und vor allem reagiert Aaron viel zu kühl auf diese Bedrohung seines Rufs.

Gleichzeitig - und vermutlich ist das der springende Punkt - konkurriert dieser Teil der Erzählung mit einer anderen, in welcher Aaron einfach seine Post nicht lesen will. Es laufen mehr oder weniger zwei Geschichten nebeneinander ab. In einer von ihnen versucht Aaron, seine Schuldgefühle zu verdrängen, in der anderen versucht er, seinen Ruf zu wahren. (Das hast du in deinem Kommentar ja auch geschrieben.)

Das kann funktionieren. Jedoch erscheint der Affäre-Anteil deiner Geschichte ein wenig blass im Vergleich zu der irrwitzigen "Lesen sie die verdammte Karte!"-Situation. Es ist nicht gerade so, dass Aarons innere Alarmglocken klingeln und er sein vortäuschendes Verhalten genau abwägt:

Aaron blieb stehen und überlegte sich, ob er antworten sollte. Er entschloss sich dazu, nichts zu sagen und weiterzugehen.

Gerade an einer solchen Stelle könnte man etwas mehr Worte verwenden und den Moment auskosten. Er denkt an Nina, er denkt an die Konsequenzen, wenn seine Affäre auffliegt, er arbeitet an einem Plan, sie so unauffällig wie möglich aus dem Haus zu bringen, in ein Auto zu verfrachten und aus seiner neugierigen Nachbarschaft zu entfernen. Entsprechend reagiert er: Er verspannt, er erstarrt, er spricht zögerlicher, seine Stimme wird brüchig etc. Seine Gedanken kreisen um eine Antwort an den Postboten im Speziellen und an eine Lösung des Problems im Allgemeinen.

Da fällt mir gerade auf: Wie kam es eigentlich dazu, dass er eine Nacht mit ihr in seinem eigenen Haus verbringt? Als bewusste Entscheidung ist das sehr unvorsichtig. Schließlich sind Nachbarn tatsächlich neugierig und wenn plötzlich eine junge Frau im Haus Ohrenschütz auftaucht, spricht sich das bei so einer Gegend wohl schnell herum. Er lebt ja schließlich nicht in einem Appartment in der Großstadt, wo der Anonymitätsfaktor größer ist. Eine Möglichkeit hierfür, was man in zwei- bis drei Sätzen mit einweben kann, wäre, dass Nina ihn mitten in der Nacht überrascht hat, wo sie sich vor den Augen der Nachbarn sicher wähnt. Oder Aaron bezeichnet ihren nächtlichen Aufenthalt scherzhaft als "häusliche Sprechstunde" (die sich bereits etwas hinzieht):lol:, um dem Leser zu vermitteln, dass es eine Art Vorwand gab, weswegen Nina in sein Haus gekommen ist.

Oben im ersten Stock hörte Aaron jetzt die Dusche laufen. Nina war endlich aufgestanden. Glücklicherweise hörte der neugierige Mann nicht, dass noch jemand im Haus war.

Erneut, es erscheint mir hier als sehr heruntergespielt und klingt nicht gerade nach einem "Oh Scheiße, ich muss die Alte unbedingt aus meinem Haus schaffen."


Vielleicht ist es deine Absicht, diese Gedankengänge so gut es geht zu verbergen. Mit anderen Worten, der Leser wird nicht groß an die Hand genommen und soll sich die inneren Vorgänge von Aaron von selbst erschließen. Oder du fokussierst dich mehr auf die innerliche Zermürbung von Aaron und eine nervöse, aufgestachelte "Ich muss diese Situation irgendwie bewältigen"-Haltung passt nicht so gut hinein. Nach meinem Empfinden reiben sich aber gerade hier beide Teile deiner Geschichte miteinander.
Vermutlich ist das der Grund, warum so manche Leser sich eher für den Postkarten-Teil deiner Geschichte begeistern. (Was im Grunde schon eine Leistung für sich ist: Es ist spannender zu erfahren, ob der Typ die Karte aufhebt und liest, anstatt das eine moralisch fragwürdige, ruf-schädigende Wahrheit ans Tageslicht kommt;)).

Ganz nebenbei, ich will mit nervös-erratisch auch nicht zum Ausdruck bringen, dass Aaron jetzt herumspringen sollte wie ein ängstlicher Teenager oder so. Er ist immerhin ein Professor. Sein Herz rast, er ist angespannt. Aber er bewahrt Ruhe, wie in einer philosophischen Diskussion und jongliert Ideen in seinem Kopf, als würde er einen mathematischen Beweis führen. Der Postbote, die Nachbarin, Nina und die Beschaffenheit von Haus und Grundstück könnten wie eine Gleichung erscheinen, die er zu lösen habe. Wichtig ist, dass es ihn beschäftigt und der Konflikt da ist.

Eine andere Idee, die ich hier einfach mal in den Raum werfe, wäre ebenfalls, die Offenbarung, dass seine Frau im Krankenhaus ist und eine Chemotherapie durchmacht, weiter nach hinten zu verschieben. Es wäre ein gelungener Twist kurz vor dem mit Rüssel, Tentakeln und Boneflakes gefüllten Finale, wenn sich herausstellt, dass Aaron nicht nur seine Frau betrügt, sondern tatsächlich so verkommen ist, dass er es auch noch tut, während sie eine der dunkelsten Phasen ihres Lebens durchmacht. Das wäre ein Knalleffekt, der den Leser noch einmal aufatmen lassen könnte und gleichzeitig die erste Hälfte etwas verspielter und lockerer gestaltet.
Du kannst das im Vorfeld auch andeuten. Beispielsweise könnte Aaron bei einem ersten flüchtigen Blick auf die Karte den Teddy mit dem Pflaster entdecken. Die Nachbarin könnte fragen, ob er schon etwas von seiner Frau gehört habe und erkundigt sich danach, wie es ihr geht. (Ohne jedoch allzu spezifisch zu werden.) Das morbide Frühstück könnte den Leser ersteinmal auf die falsche Fährte locken und ihm den Eindruck geben, Aaron könnte seine Frau umgebracht haben, während er sich dann gleichzeitig fragt, wer in diesem Fall dann die Karte geschickt hätte.

Eine weitere Sache noch:

Der Postbote lachte laut. "Heißer Feger! Kompliment an den Koch. Das werde ich jetzt jedem auf meiner Route erzählen!"

Der dick angestrichene Satz ist eine Korrektur, richtig? Wahrscheinlich aufgrund der Kritik, dass er, nachdem seine Affäre aufgeflogen ist, lediglich ein Kompliment erhält?
Er klingt maximal überspitzt und überzogen. Aber irgendwie auch platt. Genau genommen reicht es ja schon, wenn er durchblicken lässt, dass er es einer Person erzählt, und damit ist impliziert, dass das Feuer seinen Lauf nimmt.
He, irgendwie denke ich gerade an eine Szene, in welcher er zur Strasse zurückgeht und noch laut vor sich her erzählt: "Und ich habe noch neulich mit Olaf gewettet, dass er keinen mehr hochkriegt, so grimmig, wie er die ganze Zeit guckt. Na, der wird heut' Abend was zu hören bekommen."


Puh. Das war doch länger, als ich dachte (So viel zum Thema: "Kurz zu deiner Antwort":deal:). Eigentlich wollte ich auch nicht erneut auf Sachen herumhacken, die ich bereits in meinem ersten Kommentar angesprochen habe. Aber vielleicht findest du ein paar nützliche Ideen hier. Ich war immer wieder am Hin- und Herspringen und habe mir verschiedene Stellen deines Textes nochmal durchgelesen. Erneut, irgendwie mag ich sie sehr gerne. Viele dieser Punkte sind vermutlich erneut Sachen, die einfach nur dem entsprechen, was ich gerne in einer Geschichte lesen würde. Also fühl dich nicht gedrängt und nimm eher jene Vorschläge mit, die dir den Eindruck vermitteln, dass dir gerade ein Licht aufgeht.

Liebe Grüße,

Robot Fireman

 

Es würde mich interessieren, ob dir das mit den "Ekelstellen" innerhalb der Gesamthandlung schlüssig vorkam, bevor oder nachdem du die anderen Kommentare hier gelesen hattest. Ich habe es mal nämlich irgendwo in den Kommentaren erwähnt gehabt, dass ich persönlich es als wichtigen Moment der Entwicklung für den Charakter Aaron empfunden habe, dass diese schrecklichen, surealen Ereignisse geschehen und ich frage mich, ob ich damit deine unvoreingenommene Meinung beeinflusst haben könnte. Oder ob du es eben einfach selbst genau so empfunden hattest wie ich. (Nur so ein Gedanke, da es überwiegend als überflüssig für die Geschichte empfunden wurde)

Hallo @HerrSperling

Ich hoffe, es interessiert dich nach drei Wochen immer noch, denn vorher bin ich einfach nicht dazu gekommen, hier wieder reinzuschauen. :)

Keine Sorge, ich bin da nicht von deinen Kommentaren beeinflusst gewesen. Ich finde diese Stellen auf dieselbe Art und Weise stimmig, wie ich es stimmig finde, das jemand weiche, zerfließende Uhren malt und das "Die Beständigkeit der Erinnerung" nennt. :)

 

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