Furchen und andere Wehwehchen
‚Scheiße!’, dachte ich an jenem Morgen, an dem ich bereits zum dritten Mal in den Spiegel guckte und feststellen musste: Diese Falte werde ich wohl nie mehr los! Die Furche, die mein Polster auf meiner Wange hinterlassen hatte, zog sich dunkelrot von meinem Augenlid bis hinunter zu meinem Mundwinkel und verästelte sich quer über meine blasse Backe. Ich versuchte, meine Lippen zu einem Lächeln zu verziehen, um zu sehen ob sich die Furche dadurch glätten ließe. Es gelang nicht. Alle Grimassen, die ich auch schnitt, halfen nicht, diesen abscheulich tiefen Graben aus meinem Gesicht zu entfernen. Im Gegenteil! Ich sah eher aus, als hätte ich abwechselnd in eine Zitrone, dann in eine Grapefruit, dann wieder in eine Zitrone gebissen. Kläglich blickte mir mein Spiegelbild entgegen und erinnerte mich daran, dass ich über dreißig war.
Dick spachtelte ich mir mit Make-up die Furche zu und staubte Puder darüber. Besser! Wohl noch nicht ganz so überwältigend, aber besser. Doch das galt nur für die Furche, denn jetzt sah ich erst, dass mein sogenannter „Familienschmuck“ dunkelblau bis schwarz um meine Augen leuchtete und meine angeschwollenen Tränensäcke nur noch mehr betonte. Also gut! Wenn das so ist, dann wird wohl die Make-up - Tube heute noch leer werden. Wieder nahm ich eine Hand voll davon und verschmierte klebrig braunes Zeug um meine Augen, staubte noch mal Puder drüber und blickte in den Spiegel. Nee! Wie das aussah! So konnte ich nicht auf die Straße. Aus dem Spiegel blickte mir eine über dreißigjährige Pocahontas entgegen und erinnerte mich unten am Halsansatz daran, dass ich eine über dreißigjährige Weiße war.
Rasch drehte ich den Wasserhahn auf, klatschte mein Gesicht voll und spachtelte die ganze Maske wieder ab. Die letzten Reste der braunen Paste verschmierte ich im Handtuch, warf es auf den Rand der Waschmuschel, würdigte den Spiegel keines Blickes mehr und erinnerte mich daran, dass ich wohl heute zu spät zur Arbeit kommen würde. So schnell es ging, streifte ich mir die Hose über die Beine, schlüpfte in mein hellblaues Lieblings-T-shirt, das wunderbar zu meinem dunkelblauen Familienschmuck passen würde und kämmte mir die Haare durch. Nichts mit Schönheit! Einmal noch wagte ich einen Blick in den Spiegel. Es graute mir vor dem Anblick, der sich mir bot: Eine über dreißigjährige Weiße, mit vom Schlaf zerfurchtem Gesicht, die wohl zu spät zur Arbeit kommen würde, sah mich herausfordernd an. Ok! Vielleicht hatte ich ja Glück und die Furche glättet sich von alleine auf dem Weg zur Arbeit. Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich nach hinten in meinen Rollstuhl fallen, hob meine bewegungsfaulen Beine auf die Trittbretter und düste los.
[ 11.07.2002, 14:24: Beitrag editiert von: Barbara ]