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Furchen und andere Wehwehchen

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14.04.2002
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Furchen und andere Wehwehchen

‚Scheiße!’, dachte ich an jenem Morgen, an dem ich bereits zum dritten Mal in den Spiegel guckte und feststellen musste: Diese Falte werde ich wohl nie mehr los! Die Furche, die mein Polster auf meiner Wange hinterlassen hatte, zog sich dunkelrot von meinem Augenlid bis hinunter zu meinem Mundwinkel und verästelte sich quer über meine blasse Backe. Ich versuchte, meine Lippen zu einem Lächeln zu verziehen, um zu sehen ob sich die Furche dadurch glätten ließe. Es gelang nicht. Alle Grimassen, die ich auch schnitt, halfen nicht, diesen abscheulich tiefen Graben aus meinem Gesicht zu entfernen. Im Gegenteil! Ich sah eher aus, als hätte ich abwechselnd in eine Zitrone, dann in eine Grapefruit, dann wieder in eine Zitrone gebissen. Kläglich blickte mir mein Spiegelbild entgegen und erinnerte mich daran, dass ich über dreißig war.
Dick spachtelte ich mir mit Make-up die Furche zu und staubte Puder darüber. Besser! Wohl noch nicht ganz so überwältigend, aber besser. Doch das galt nur für die Furche, denn jetzt sah ich erst, dass mein sogenannter „Familienschmuck“ dunkelblau bis schwarz um meine Augen leuchtete und meine angeschwollenen Tränensäcke nur noch mehr betonte. Also gut! Wenn das so ist, dann wird wohl die Make-up - Tube heute noch leer werden. Wieder nahm ich eine Hand voll davon und verschmierte klebrig braunes Zeug um meine Augen, staubte noch mal Puder drüber und blickte in den Spiegel. Nee! Wie das aussah! So konnte ich nicht auf die Straße. Aus dem Spiegel blickte mir eine über dreißigjährige Pocahontas entgegen und erinnerte mich unten am Halsansatz daran, dass ich eine über dreißigjährige Weiße war.
Rasch drehte ich den Wasserhahn auf, klatschte mein Gesicht voll und spachtelte die ganze Maske wieder ab. Die letzten Reste der braunen Paste verschmierte ich im Handtuch, warf es auf den Rand der Waschmuschel, würdigte den Spiegel keines Blickes mehr und erinnerte mich daran, dass ich wohl heute zu spät zur Arbeit kommen würde. So schnell es ging, streifte ich mir die Hose über die Beine, schlüpfte in mein hellblaues Lieblings-T-shirt, das wunderbar zu meinem dunkelblauen Familienschmuck passen würde und kämmte mir die Haare durch. Nichts mit Schönheit! Einmal noch wagte ich einen Blick in den Spiegel. Es graute mir vor dem Anblick, der sich mir bot: Eine über dreißigjährige Weiße, mit vom Schlaf zerfurchtem Gesicht, die wohl zu spät zur Arbeit kommen würde, sah mich herausfordernd an. Ok! Vielleicht hatte ich ja Glück und die Furche glättet sich von alleine auf dem Weg zur Arbeit. Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich nach hinten in meinen Rollstuhl fallen, hob meine bewegungsfaulen Beine auf die Trittbretter und düste los.

[ 11.07.2002, 14:24: Beitrag editiert von: Barbara ]

 

Deine Geschichte beschreibt den morgendlichen "Blick in den Spiegel" und die Versuche, mit MakeUp alles zu "vertuschen". Der Hauptdarstellerin ist es scheinbar wichtig, was andere über sie und ihr Äußeres denken.
Toll finde ich deshalb das Ende, wo (bisher Unvorstellbares) klar wird. Nämlich, dass die Frau im Rollstuhl sitzt. Gerade das Ende der Geschichte, das irgendwie eine Überraschung auf den Leser in sich birgt und sicher auch zum Nachdenken anregt, macht die Geschichte lesenswert.
Lieben Gruß!

 

Hi.

Also ich fand die Sache mit dem Rollstuhl nicht so berauschend. Ich meine, was hat das damit zutun, daß die Frau scheinbar nicht recht mit dem Älterwerden klarkommt? Das hab ich nicht so recht verstanden.

Der Anfang und der Mittelteil gefiel mir recht gut. Du hast das Problem mit dem Altern toll umgesetzt. Nur finde ich es ein bißchen unwahscheinlich, daß sie sich diese ganze Schminke einfach so wieder abspachtelt... Vor allem, wenn sie mit dem Altern wirklich nicht richtig klarkommt, wird sie das wohl kaum tun...

Aber dennoch; bis auf den Schluß mit dem Rollstuhl (paßt meiner Meinung nach nicht in die Story rein) hat mir Deine Story gut gefallen!

Gruß,
stephy

 

@ Stephy!

Tja, was soll ich groß da drauf sagen? Ich dachte einfach, dass es uns oft zu sehr auf unser Äußeres ankommt - du wirst das als Mann vielleicht nicht so gut nachvollziehen können, oder doch? ;) - und dabei vergessen wir, dass es auch andere "Wehwehchen" gibt, die man nicht so leicht wieder wegmachen kann, also mit make-up und dergleichen.
Wahrscheinlich kommt es einfach drauf an, welche Einstellung man selbst zu diesem Thema hat, da molinilla die Sache ganz offensichtlich genau umgekehrt betrachtet. Trotzdem, danke für deine Kritik.

Habe heute gelesen: Kritik ist das Feuer unter unserem Hintern, das uns in die Höhe bringt! Na, dann, auf geht's!

Liebe Grüße
Babs

 

Liebe Barbara,

ich habe es gern gelesen, das Ende fand ich sehr übrerraschend, keineswegs unpassend. Die Frau hat eine Behinderung, die sie zwar aufstehen läßt, aber nicht fortbewegen, deshalb der Rollstuhl. So habe ich es verstanden. Kritik finde ich, sollte ien Denkanstoß sein, ABER DER AUTOR FÜHRT DIE FEDER! Jeder Text ist ein Original, etwas einzigartiges, ob das jemand jetzt gut oder schlecht findet sei dahingestellt. Es muß immer authentisch sein, also authentisch Barabara. Mir persönlich gefällt der Stil, in dem die Geschichte geschrieben wurde. Locker. Ich mag Details, ich selbst verliere mich auch immer in beschreibende Details. Vielleicht eine Österreichische Manie ein Deatil zu betrachten (vor allem in der Literautr in der Zwischenkriegszeit und um die Jahrhundertwende), darin zu verweilen und weniger Spannung zu erzeugen, dafür mehr "Psychogramm".

Ich fand's gut

Liebe Grüße

Echnaton

 

Lieber Echnaton!

Wie gut das tut! Ich danke dir von Herzen für deine Kritik und vor allem für die Darstellung deiner Anschauung. Manchmal verliert man richtiggehend das Gefühl für Wichtigkeiten - oder zumindest für das, was man für wichtig hält. Und deine Kritik ist mir sehr wichtig. Nicht unbedingt deshalb, weil dir die Geschichte gut gefallen hat, das ist natürlich fein für mich, sondern deshalb, weil sie MEINE Anschauung (Der Autor führt die Feder)wieder in Ordnung bringt. Danke, Danke, Danke!

Und ja, du hast die Art der Behinderung richtig ausgelegt.

Liebe Grüße
Babs

 

Hi Barbara,
wie gut hast du den morgentlichen Blick in den Spiegel beschrieben. Den Versuch noch etwas zu retten und dann das Aufgeben. Jetzt weiss ich dass es auch andern so geht...*g*
Ein kleiner Rechtschreibefehler: Grimmase anstatt Grimasse.
Äs liäbs Grüässli
momoo

 

Hi momoo!

Danke für den Hinweis auf den Rechtschreibfehler! Ist mir gar nicht aufgefallen, habs gleichausgebessert.
Freut mich, dass dir das kleine G'schichterl gefallen hat.

Sag: Wo schickt man: Äs liäbs Grüässli?
Klingt süß!

Liebe Grüße
Babs

 

du wirst das als Mann vielleicht nicht so gut nachvollziehen können, oder doch?
Skandal! Als ob wir uns nicht schminken würden! Tss, tss, tss... ;)

Ähem, ich denke, der Part vor dem Spiegel ist gut zu lesen, nachzuvollziehen und auch zum Schmunzeln gut geeignet ("Dick spachtelte ich mir mit Make-up die Furche zu..." - brrrr!).
Aber durch den letzten Satz wird dem Leser mit einem Mal die Blickrichtung verdreht und die Geschichte bekommt eine völlig neue Wertung. Insofern ist das echt klasse gemacht. Ich habe danach die Geschichte noch mal gelesen - war ja irgendwie auch neu dann.
Auf ganz sanfte, natürliche Art wird hier die Verbindung zw. Schönheitsidealen und Behinderten geknüpft - eine, die in der grellen, pulsierenden Welt um uns herum kaum offen existiert.
Gefällt mir gut. :thumbsup:

Gruß, baddax

Ach ja:
In der letzten Zeile: Ein 'e' hinter Bein - sind ja beide.

Und überhaupt: 'Waschmuschel' ist ein echt abgefahrenes Wort für 'Waschbecken'...aus Österreich...? ;)

[ 11.07.2002, 13:42: Beitrag editiert von: baddax ]

 

@baddax

Erstmal Danke für deine positive Kritik! Das freut echt! (Vor allem von dir als Mann *g*)
Ja, Waschmuschel ist wohl ein österreichischer Ausdruck. Gefällt mir, dass dus "abgefahren" findest! Aber auch das Wort "Waschbecken" ist ein gängiges Wort bei uns. Ich wollt aber ein bisserl daheim bleiben.

Ach ja, und Danke auch für die Bein-e, klar, sie hat zwei, ups! Gleich mal editieren!

Und zu Männer und schminken..... Naja, ist wohl nichts einzuwenden, wenn's einem ein Bedürfnis ist. Ich kenn halt wenige... oder kenn ich überhaupt einen? :D

Liebe Grüße
Babs

[ 11.07.2002, 14:26: Beitrag editiert von: Barbara ]

 

Hallo,
eine schöne, teilweise recht witzig geschriebene Geschichte.
Das Ende ist tatsächlich ziemlich unvorhersehbar.
Hat sich die Frau mit der Problematik in einem Rollstuhl zu sitzten abgefunden, macht ihr nun das Älterwerden zu schaffen.

Da sieht man mal wieder, das das Wesentliche im Auge des Betrachters liegt.

Liebe Grüße
Rub.

 

Danke, Rub.! Ich freue mich, dass auch dir die Geschichte gefällt. Ehrlich gesagt, hab ich sie vor einem Jahr begonnen und nicht wirklich gewusst, in welche Richtung ich mich damit wenden soll. Naja, der Rollstuhl war offensichtlich gar keine so schlechte Idee!

Liebe Grüße
Babs

 

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