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Frohe Weihnachten
"Frohe Weihnachten", sagte er und öffnete den Karton. Ich war fassungslos. Wir hatten jetzt knapp 10 Monate zusammen im Streifenwagen verbracht und ehrlich gesagt, da lernt man jemanden schon ganz gut kennen. Das ist auch notwendig. Wenn man sich bei einem Einsatz auf seinen Partner verlassen muss, ist es gut zu wissen, wie er tickt. Aber das hatte ich jetzt nicht erwartet. Das Strahlen auf seinem Gesicht wurde langsam von einem enttäuschten Ausdruck abgelöst, als er bei mir keinerlei Freude entdeckte.
"Was ist los ?", fragte er mich.
"Was soll das sein ?", gab ich zurück, nachdem ich die erste Überraschung überwunden hatte.
"Pizza Santa Claus!", erwiderte er. "Die Ente darauf ist echt gut", und zur Bestätigung naschte er etwas geschnetzelte Ente.
Ich hatte mich schon daran gewöhnt, dass meine Essgewohnheiten weitaus weniger experimentell waren, als Seine. Auf Streife sind die Möglichkeiten natürlich eingeschränkt. Fast-Food war einfach praktisch und bei so manchem Essen war es auch nicht traurig, wenn es direkt nach einem Einsatzbefehl fast unangetastet in einer Mülltonne landete.
Wir beide hatten aber auch Gemeinsamkeiten. Wir waren beide solo. Als er vor einem Monat vorschlug die Heiligabend-Schicht zu übernehmen, habe ich zugestimmt. Die Alternativen waren auch nicht gerade verlockend. Letztes Jahr hatte ich alleine mit einer Tüte Chips vor dem Fernseher gehockt. Mein Partner hatte den logisch klingenden Hintergedanken, dass Heiligabend eh nichts passiert, weil alle feiern. Außerdem waren die Väter (und Mütter) im Revier glücklich, dass es sie nicht getroffen hat.
"Ich hatte einfach was anderes erwartet, als Du aus dem Wagen gehüpft bist, zum Pizza holen", gab ich zu und guckte neugierig zu, wie mein Gegenüber genüsslich ein Stück Pizza verspeiste. Da er es nicht sofort wieder ausspuckte, griff ich zu. Schließlich gibt es traditionsgemäß zu Weihnachten etwas besonderes zu Essen.
"Haben die das jedes Jahr im Programm?", fragte ich.
Gerade als er antworten wollte, bog jemand um die Straßenecke und steuerte auf den Pizzaladen zu. Das ist nun für sich genommen nichts ungewöhnliches. Auch die gründliche Verkleidung als Weihnachtsmann konnte dadurch erklärt werden, dass einer der unzähligen Aushilfs-Weihnachtsmänner zwischen zwei Einsätzen schnell eine Pizza einschieben wollte. Während ich mir gerade die Frage stellte, ob es auf die Pizza Santa Claus vielleicht Rabatt gibt, wenn man sie als Weihnachtsmann verkleidet abholte, stieß mein Partner leise einen Fluch aus. Im Gegensatz zu mir hatte er bereits die Pistole in der Hand des Weihnachtsmanns erspäht.
"Vielleicht ist die Pizza doch nicht so gut", witzelte ich noch, während ich mich überzeugte, das dieser Weihnachtsmann nicht noch von an die Zähne bewaffneten Elfen begleitet wurde.
"Das gibt's doch nicht", murmelte mein Partner. "Wir stehen hier mit einem normalen Streifenwagen knapp 200m entfernt von dem Pizzaladen."
"Du vergisst, das es schneit".
"Trotzdem muss der uns gesehen haben. Unsere Karre ist genauso auffällig, wie sein Kostüm".
"Vielleicht hat er eine Wette abgeschlossen, ob wir über Funk sagen: Der Weihnachtsmann überfällt gerade einen Pizzaladen".
"Entweder hat der uns tatsächlich nicht gesehen oder der hat noch was in der Hinterhand", flüsterte mein Partner, legte den Pizzakarton auf die Rückbank und machte sich bereit zum Aussteigen. Protokollgemäß meldete ich unsere Entdeckung per Funk, überzeugte mich davon, dass meine Waffe einsatzbereit war und begleitete meinen Partner nach draußen. Zügig und auf Deckung bedacht näherten wir uns dem verglasten Eingangsbereich, bis wir beide so verdeckt an der Wand standen, dass wir von drinnen nicht gesehen werden konnten. Es fiel wirklich schwer zu glauben, dass der Weihnachtsmann uns nicht gesehen hatte. Aber manchmal hat man auch einfach Glück.
Vorsichtig spähte ich um die Ecke in den Laden. Viel war leider nicht zu erkennen. Überall blinkte Weihnachtsdeko und lenkte den Blick auf sich. Der Besitzer schien auch noch ein Fan der lebensgroßen Pappweihnachtsmänner zu sein. Auf die schnelle ließ sich jedenfalls nicht ausmachen, welcher von denen echt war.
Mein Partner sah mich stirnrunzelnd an, als ich nicht wie sonst Zeichen gab, wer von wo los ziehen sollte. Daraufhin schob er den Kopf um die Ecke und was er sah sorgte dafür, dass er ihn beeindruckend schnell wieder zurück zog. Zeitgleich zersprang die Scheibe mit einem Knall und eine Kugel zischte dort vorbei, wo gerade noch sein Kopf war. Das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. Während er zurückschoß nutzte ich die Ablenkung, um ein Seitenfenster des Pizzaladens lautstark einzuschlagen. Die Taktik ging auf. In der Erwartung, dass jemand von der Seite eindringt, drehte sich der Weihnachtsmann zur Seite und schoß in die Richtung aus der er Besuch erwartete. Offenbar war er ein Einzeltäter.
Geduckt preschte mein Partner nach vorne und in den Sichtschatten unterhalb der zerborstenen Scheibe. Von dort aus schnellte er hoch, und stand in direkter Sichtlinie mit dem Weinhachtsmann. Dieser hatte sich inzwischen den Pizzabäcker als Geisel gegriffen und hielt ihn als Schutzschild vor sich. Genau diese Szene stellt sich mir dar, als ich von dem Ausflug zum Seitenfenster zurückkehrte. Beide bedrohten sich gegenseitig mit ihren Waffen.
Ich erkannte sofort, dass ich trotz der Geisel eine freie Schußbahn auf den Kopf des Weihnachtsmanns hatte und mir war klar, dass das nur noch Sekunden so bleiben würde, solange der Weihnachtsmann mich noch nicht bemerkt hatte. Dann ging alles furchtbar schnell. Ich zielte auf den Weihnachtsmann. Aber in der einen Sekunde, die ich zum Zielen benötigte, wirbelte der Weihnachtsmann herum und schoß meinem Partner genau in die Brust. Praktisch gleichzeitig drückte ich ab, der Weihnachtsmann sackte zu Boden. Der Pizzabäcker riß sich los taumelte zur gegenüberliegenden Wand uns sackte bewusstlos zusammen.
Weder mein Partner noch der Weihnachtsmann überlebten den Einsatz. Ich selbst bin gerade suspendiert worden, bis die Umstände geklärt sind.