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Frohe Weihnachten

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02.05.2003
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Frohe Weihnachten

Er stand am Fenster. So wie jeden Tag, sieben mal die Woche, dreissig mal im Monat, dreihundertfünfundsechzig mal im Jahr. Die Gardinen bewegten sich vorsichtig hin und her, als er versuchte, die Kinder unter seinem Fenster zu beobachten, die schon seit einer ganzen Weile da unten standen und eisern der Kälte trotzten. Sie hatten lustige kleine Wölkchen vor ihren Mündern und man konnte sehen, dass die Kälte ihnen zusetzte. Sie wippten immer wieder fröstelnd auf und ab, während sie sich unterhielten und hin und wieder rieb sich einer die kalten Hände.
Fünf Grad unter null, hatte ihm sein Thermometer vor zehn Minuten gesagt, da war es schon verständlich, dachte er, dass ihnen kalt war. Umso unverständlicher erschien es ihm allerdings, dass sie nun schon so lange dort unter seinem Fenster standen und auch gar nicht gewillt schienen, allzu bald wieder von dannen zu ziehen. Was es nur war, dass ihnen so wichtig erschien, dass sie es genau hier unter seinem Fenster in dieser Eiseskälte besprechen mussten?
Er schüttelte den Kopf und wandte sich vom Fenster ab. Sollten sie ruhig tun, was sie für richtig hielten, so lange sie ihn in Ruhe liessen.
Er durchschritt sein altes Wohnzimmer, das über und über mit knorrigen Sesseln und Kommoden voll gestellt war, die noch aus der Zeit stammten, bevor seine Frau gestorben war. Er hatte sie nie weggeben wollen, obwohl sie mittlerweile schon so veraltet waren, dass sie einem Antiquitätenhändler wahrscheinlich noch mehr gebracht hätten als ihm. Aber er hing an ihnen, so wie er an all dem hing, das mit dieser Wohnung und den Erinnerungen an seine Frau zusammenhing.
Seine Frau. Als er die geräumige Küche betrat, war das erste, das ihm entgegen sprang ihr Gesicht, das hoch oben an der hinteren Küchenwand auf einem Selbstportrait von ihr prangte. Sie hatte immer gern gemalt, hatte es als eine Art Ausgleich zu ihrem harten Alltagsleben empfunden. Für ihn war sie immer seine Lieblingsmalerin gewesen. Die ganze Wohnung war voll gestellt von Bildern, die sie ihr ganzes Leben über gemalt hatte. Sie hatte alles Mögliche gemalt, Menschen wie auch andere Motive, aber sich selbst nur ein einziges Mal. Wahrscheinlich hatte sie sich in ihrer gnadenlosen Bescheidenheit für als nicht wichtig genug erachtet um sich selbst noch mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Sie war noch sehr jung auf diesem Portrait und natürlich auch sehr hübsch. So wie sie es ihr ganzes Leben lang gewesen war.
Er lächelte sie kurz an und machte sich dann an die Kaffeemaschine. Während die Tropfen langsam in die Kanne fielen überlegte er sich, wie er den heutigen Tag verbringen würde.
In einer Stunde würde Frau Henn ihm seine Zeitung bringen, die würde er dann lesen, danach wollte er sich an sein Buch setzen, das…
Die Türklingel riss ihn aus seinen Gedanken. Lange und laut schrillte es durch den Hausflur. Wer mochte das sein? Kam Frau Henn heute früher als sonst? Warum sollte sie das tun? Er runzelte die Stirn und blieb erst einmal sitzen. Frau Henn konnte es nicht sein. Wer auch immer da vor seiner Tür stand würde schon wieder gehen, wenn er nur lange genug warten musste.
Etwas irritiert nahm er die halbvolle Kaffeekanne und goss sich langsam eine Tasse ein. Wer wohl sonst etwas von ihm wollen könnte? Eigentlich gab es ausser Frau Henn niemand, der an seiner Tür klingelte, wenn es nicht ein Vertreter, oder die Bibelforscher waren. Ja, fiel ihm ein, es war bestimmt ein Vertreter gewesen. Er wollte gerade die Tasse ansetzen, da schrillte es ein zweites Mal, dieses Mal länger und eindringlicher als beim ersten Mal.
Verärgert stellte er die Tasse auf den Tisch. Das konnte doch nicht sein, was für eine Art Vertreter war das denn? Er spürte, wie die Neugier in ihm hochstieg und zwang sich deswegen sofort, die Tasse wieder in die Hand zu nehmen. Er würde diese Tür nicht öffnen, das wäre ja noch schöner, wenn er sich mit irgendwelchen Vertretern herumschlagen würde, oder noch schlimmer mit den Bibelforschern.
Er nippte an seinem Kaffee und verbrannte sich die Zunge.

Sie stand vor seiner Tür und wusste nicht, was sie tun sollte. Ihre Arme reichten gerade so an den Klingelknopf, wenn sie sich anstrengte und sie war sich nicht sicher, ob sich die Mühe überhaupt lohnte.
Sollte sie noch ein drittes Mal klingeln? Was hatte ihre Mama ihr denn gesagt? Der alte Mann da oben kommt nie aus seiner Wohnung heraus, der muss doch bestimmt sehr traurig sein. Denkst du nicht, dass wir ihm helfen sollten?
Sie hatte nur mit grossen Augen genickt und sich vorgenommen, ihren Freunden zu erzählen, dass ihre Mutter sie gebeten hatte, den alten Mann am Fenster doch zum Gottesdienst einzuladen. Sie hatte gehofft, Martin würde sich wie immer als Held aufspielen wollen, doch er hatte nur kleinlaut herumgedruckst, der alte Mann am Fenster sei unheimlich und ausserdem müsse er jetzt zum Essen nach Hause. Um zehn Uhr vormittags. Sie fand das ziemlich gemein von ihm und auch von den anderen, die alle ähnliche Ausreden fanden. Dabei waren sie doch alle in der gleichen Kindergruppe und alle erzählten immer so laut davon, wie wichtig es sei, den Menschen von Jesus zu erzählen. Aber wenn man dann wirklich mal was machen soll, dann hauen sie alle ab, dachte sie jetzt, da sie sich zum dritten Mal lang machte, um den Knopf, auf dem etwas stand, das sie nicht lesen konnte, zu erreichen.
Sie konnte nicht sagen, dass sie keine Angst hatte, aber was sollte so ein alter Mann denn schon gross mit ihr machen? Sie wollte ihn ja nur zum Gottesdienst am Freitag einladen. Am Freitag war Weihnachten, hatte ihre Mama ihr erklärt, und da gingen viele Menschen gern in den Gottesdienst, die es normalerweise nicht taten. Also warum sollten sie es bei dem alten Mann nicht zumindest einmal versuchen?
Der alte Mann war berüchtigt in der Gegend. Er wohnte schon seit Jahrzehnten in dieser Wohnung hier oben, direkt gegenüber der alten Grundschule und jeden Tag, wenn die Schule aus war, sahen die Kinder mit verstohlenen Blicken zu den Gardinen hinauf, die sich immer ganz leicht bewegten. Dann wussten sie, dass der alte Mann sie wieder beobachtete. Es gab die wildesten Geschichten um ihn. Dass er Kinder zum Frühstück ass und dort oben seltsame Zaubereien abhielt. Aber auch fantastische Geschichten, dass er ein Zauberer aus einer geheimen Welt sei, der jeden Tag auf seinen Zauberlehrling wartete und deswegen immer am Fenster stand und die Kinder beobachtete.
Auf jeden Fall hatte keiner ihn je wirklich gesehen. Sie erinnerte sich nur noch daran, dass Thomas Martensen aus der 1b eines Tages wie von der Tarantel gestochen durch das Schulhaus gerannt war und herumschrie, er hätte den Mann gesehen und dieser hätte ihm fast ein Ohr abgebissen. Natürlich glaubten alle Kinder diese Geschichten und sie selbst hätte sie wahrscheinlich auch geglaubt, wenn ihre Mutter ihr nicht immer wieder versichert hätte, dass der alte Mann einfach nur einsam und traurig war und kein Monster, das Kinder frass.
Und trotzdem schossen ihr jetzt all die Gruselgeschichten durch den Kopf, als sie vor seiner hohen Wohnungstür stand und darauf wartete, dass sich etwas tat.
Er musste ja daheim sein, wenn es stimmte, dass er niemals seine Wohnung verliess. Warum machte er denn bloss nicht auf?
Sie überlegte, ob sie einfach wieder gehen sollte, schliesslich hatte sie es versucht und Mami würde nichts sagen können. Aber dann beschloss sie, es doch noch einmal zu versuchen, ein letztes Mal. Sie stemmte sich noch einmal auf ihre Zehenspitzen und streckte ihren Arm aus.
Als sie gerade klingen wollte, da hörte sie, wie sich das Schloss in der Tür langsam umdrehte.
Ihre Augen wurden gross.

Er hatte die Faxen nun endgültig dicke. Diesem Vertreter würde er gehörig den Marsch blasen. Was fiel dem denn überhaupt ein, ihn in seiner wohlverdienten Morgenruhe so unwirsch zu stören? Anstand kannten die Leute heutzutage einfach nicht mehr.
Kurzerhand nahm er den Hausschlüssel aus dem Kästchen und öffnete die Tür. Mit wütender Miene riss er die Tür auf und erstarrte.
Da war ja gar niemand. Oder doch? Verwirrt ging sein Blick nach unten und erfasste das kleine Mädchen, das mit verängstigter Miene dastand und wohl nicht nur vor Kälte zitterte.
Sie hatte die Hände ineinander verkrampft und sah aus, als wolle sie jeden Augenblick davonlaufen. Plötzlich hatte er das Bild seiner Tochter vor Augen, als sie ungefähr in diesem Alter gewesen war. Er blinzelte kurz und versuchte dann, eine freundlichere Miene aufzusetzen. Langsam sprach er.
„Ja – bitte?“
Das Mädchen schlug die Augen auf und starrte ihn verblüfft an. Anscheinend hatte sie nicht damit gerechnet, dass er auch sprechen konnte. In ihrem Gesicht konnte er immer noch Furcht erkennen, aber nun schien sich etwas anderes dazuzumischen, etwas, das er schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte: Tatendrang.
Dies war kein gewöhnlicher Donnerstagvormittag, das wurde ihm in diesem Moment klar. Dieses Mädchen hatte einen Grund, warum es hier stand, vor seiner Tür und er war gewillt, es herauszufinden. Bevor er allerdings sprechen konnte ergriff sie das Wort.
„Äh… Entschuldigen sie bitte“, begann sie mit leiser, aber fester Stimme. „Ich heisse Marina und ich gehe in die Grundschule hier.“ Er musste schmunzeln, das hatte sie sich gut zurechtgelegt. Schmunzeln? Wann hatte er das letzte Mal geschmunzelt? Er konnte sich nicht erinnern. Sie sprach weiter.
„Ich, ähm, also ich bin auch in der freien evangelischen Gemeinde, oben beim Krankenhaus und da haben wir so Jungschargruppen und wir wollten sie gerne einladen zum Gottesdienst morgen…“ Sie stockte. Er hatte das Gefühl, dass sie nicht zufrieden mit dem war, was sie gesagt hatte. Sie schlug auch sofort wieder die Augen nieder.
Er war perplex. Deswegen hatte sie so lange und hartnäckig hier vor seiner Tür gestanden? Er schüttelte den Kopf. Armes Mädchen, jetzt schickten diese kranken Sektierer schon ihre Kinder, um die Leute einzuwickeln. Zum Gottesdienst? Er? Bei dem Gedanken musste er lachen und zwar so laut, dass sie ihn erschrocken ansah. Was tat er nur mit diesem Mädchen? Sollte er sie hereinbitten? Würde sie denn überhaupt hereinkommen wollen? Er verdrängte den Gedanken wieder, so etwas hatte er noch nie getan.
Das kleine Mädchen war zwar durch sein Lachen erschrocken, aber sie schien immer noch etwas sagen zu wollen.
Diesmal kam es noch leiser als zuvor.
„Sie…sie müssen auch gar keine Angst haben, dass sie da verk…bekehrt werden oder so, hat meine Mama gesagt,…sondern…äh…“, sie suchte nach den richtigen Worten. „Sie müssen sich nur reinsetzen und zuhören…das ist alles.“
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Das war doch nicht zu fassen. Jetzt sollte er doch wirklich von so einem kleinen Mädchen eingefangen werden. Mit der Kirche hatte er seit dem Tod seiner Frau sowieso abgeschlossen und mit diesen Seelenfängern von dort oben wollte er erst recht nichts am Hut haben. Er sah die Kleine nachdenklich an.
Es war ihm klar, dass die Situation ihr unangenehm war, weil er nichts sagte, aber er musste nachdenken.
Er schüttelte nur wiederum den Kopf und meinte dann: „Na meine Kleine, da muss ich dich wohl enttäuschen, ich gehe nicht in die Kirche, und schon gar nicht morgen, wo ja Freitag ist. Verstehst du das?“
Sie schüttelte den Kopf. Er seufzte.
„Weißt du“, meinte er. „Ich glaube nicht an Gott und da gehe ich natürlich auch nicht in den Gottesdienst.“ Er tat einen Schritt zurück in seine Wohnung und fühlte sich etwas verzweifelt, als er ihr trauriges Gesicht sah. „Du kannst deiner Mama ja sagen, dass ich nicht daheim war, in Ordnung?“
Sie blickte erschrocken auf. In einem Ton, den sie bis dahin nicht hatte vermuten lassen, sagte sie bestimmt: „Ich lüge meine Mama nicht an.“ Und als er sie prüfend ansah setzte sie ein kleinlautes „Nur manchmal“ dahinter.
Für ihn jedenfalls war die Sache erledigt, er würde nicht zum Gottesdienst gehen, niemals. Das sagte er ihr genauso, woraufhin sie nur schwach mit dem Kopf nickte und dann mit hängendem Kopf Richtung Treppenhaus schlurfte. Er blickte ihr nachdenklich nach. Als sie die Treppe schon fast erreicht hatte, rief er ihr noch einmal hinterher: „He du, äh… Mädchen!“
Sie drehte sich um. „Ja?“
„Warum feiert ihr denn überhaupt am Freitag Gottesdienst, tut man das nicht normalerweise am Sonntag?“
Er war erstaunt über ihre Reaktion, denn sie legte nur den Kopf schief und sah ihn an, als käme er vom Mond.
„Wissen sie das denn nicht?“, fragte sie ihn entgeistert, worauf er nur den Kopf schüttelte.
„Morgen ist doch Weihnachten!“
Weihnachten? Er blickte ins Leere, dachte nach. Es war schon wieder ein Jahr vorübergegangen? Wie konnte das denn sein? Ihm kam plötzlich ein Gedanke und er ging schnell nach drinnen ins Wohnzimmer, wo sein Kalender hing.
Tatsächlich! Konnte es denn wahr sein, dass er beinahe Weihnachten verpasst hätte, wenn dieses kleine Mädchen nicht gewesen wäre? Das Mädchen, fiel es ihm ein und er ging schnell zurück zur Tür.
Als er um die Ecke zur Treppe blickte, war sie weg. Einfach weg, so als sei sie niemals da gewesen. Seltsam kam ihm das vor. Hatte er sich all das am Ende nur eingebildet?
Langsam, fast zeitlupenartig trat er zurück in die Wohnung und schloss die Tür wieder ab.
Dann schlurfte er in die Küche und setzte sich vor seinen inzwischen kalt gewordenen Kaffee. Unweigerlich ging sein Blick zum Bild seiner Frau. Aber anders als sonst blieb er nicht kurz daran hängen und sah dann wieder weg, sondern diesmal glaubte er etwas im Gesichtsausdruck seiner Frau erkennen zu können, das anders war. Er konnte sich nicht helfen, aber auf eine gewisse Art und Weise schien sie ihm etwas sagen zu wollen.
Nur was? Er konnte seinen Blick nicht mehr von dem Bild reissen.
Das bildete er sich doch alles nur ein. Was war er denn nur für ein Kindskopf? Er zwang sich, wegzusehen und versuchte, den kalten Kaffee zu trinken. Es ging nicht, er schmeckte furchtbar.
Sein Blick ging wieder zum Bild. Sie schien noch mehr zu lächeln als gewöhnlich.
„Was willst du von mir?“, fragte er das Bild.
Das weißt du, schien es zu antworten.
Als Frau Henn eine halbe Stunde später mit der Zeitung kam, fand sie ihn in einer sehr nachdenklichen Stimmung vor.

Marina hustete wie verrückt und liess sich dann wieder in ihr Bett fallen. Sie war krank geworden ausgerechnet an Weihnachten hatte sie die schlimmste Grippe ihres Lebens erwischt und nun lag sie hier im Bett und liess sich von Mama pflegen, die genauso wie sie nun auf den Gottesdienst verzichten musste. Wenigstens hatte Mama nun etwas mehr Zeit für die Ente, die sie jedes Jahr machte.
Aber ein wirklicher Trost war das für Marina auch nicht. Sie wäre so gerne in den Weihnachtsgottesdienst gegangen. Sie hätte eigentlich beim Krippenspiel einen der drei Weisen spielen sollen. Ihre Rolle hatte man nun weggelassen.
Sie überlegte sich gerade, wie man es den Zuschauern wohl plausibel gemacht hatte, warum aus den drei Weisen nun plötzlich nur noch zwei Weise geworden waren, da hörte sie, wie die Haustür geöffnet wurde und Papa mit ihrem kleinen Bruder aus dem Gottesdienst wiederkam.
Glücklich richtete sie sich in ihrem Bett auf und erwartete jede Sekunde ihren kleinen Bruder. Zuerst bekam sie allerdings noch einmal einen Hustenanfall, der sie wieder zurück auf die Matratze verfrachtete.
Ihre Gedanken gingen wieder zurück zu gestern und dem alten Mann, der so unfreundlich zu ihr gewesen war. Sie hatte sehr viel geweint gestern und hatte ihrer Mama gesagt, dass sie so etwas nie mehr machen wollte. Ihre Mama hatte sie nur in den Arm genommen und ihr über den Kopf gestrichen.
„Weißt du Rina“, hatte sie gesagt. „Manchmal, da sagt der Herr Jesus eben nein.“ Marina wusste, dass ihre Mutter auch traurig war.
Als sie nun so darüber nachdachte trat plötzlich ihr Vater ins Zimmer und setzte sich auf ihre Bettkante.
„Hallo mein Grosse, na wie geht’s dir?“.
Sie richtete sich ein wenig auf und meinte nur: „Na ja, es geht schon.“
Ihr Vater nickte lächelnd und nahm dann ihre Hand.
„Marina, ich muss mal mit dir reden.“ Der ernste Blick ihres Vaters liess sie aufhorchen und sie fragte sich, was wohl passiert war. Ob es etwas mit dem Krippenspiel zu tun hatte? Vielleicht hatten sich ein paar Leute beschwert, oder…
„Mama hat mir erzählt, dass du gestern bei dem alten Herrn Zehringer gewesen bist“, begann ihr Vater.
Das Herz rutschte Marina in die Hose. Wie kam er denn nun da darauf? Sie hatte gehofft, Papa würde möglichst nichts davon mitbekommen. Was war denn nur passiert.
Sie nickte, ohne etwas zu sagen.
„Hmm…“, ihr Vater sah sie an. Und dann schien es, als würde seine Miene sich aufhellen. Was hatte das alles zu bedeuten? War der alte Mann doch im Gottesdienst gewesen? Das konnte sie sich einfach nicht vorstellen.
„Weißt du Rinchen, Herr Zehringer war heute Abend im Gottesdienst…“
Marinas Herz frohlockte. Dann hatte der Herr Jesus doch nicht nein gesagt, dann hatte er ihre Gebete doch erhört, dann war ja doch nicht alles umsonst gewesen. Sie bestürmte ihren Vater mit Fragen, wo er denn gesessen habe, was er gesagt habe, aber ihr Vater legte ihr nur den Finger auf den Mund und fuhr fort.
„Ich habe ihn gleich bemerkt, als er hereinkam. Er hat sich nicht so wohl gefühlt, das hat man schon gemerkt und er hat sich auch in die allerletzte Reihe gesetzt, aber irgendwie sah er aus, als ginge es ihm gut…“ Ihr Vater brach ab und sah sie wieder an.
„Rinchen…- als dann die Predigt begann hab ich ihn immer wieder angesehen. Er hatte total glasige Augen und ich glaube, ich habe sogar Tränen gesehen…“ Er musste schon wieder anhalten. Marina bekam grosse Augen, als sie bemerkte, dass auch ihr Vater kurz davor stand loszuheulen. Er drückte ihre Hand.
„Er ist dann nach dem Gottesdienst zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob ich dein Vater wäre. Ich sagte ja und da meinte er zu mir, ich solle dir doch etwas ausrichten…“
Marina hielt es kaum aus in ihrem Bett, am liebsten wäre sie herum gesprungen, aber der ernste Blick ihres Vaters hielt sie davon ab. Ihr Vater blickte sie an, diesmal standen wirklich Tränen in seinen Augen.
„Ich sagte ihm, dass ich dir gern etwas von ihm ausrichten würde und dann…“, er stockte. „Dann griff er sich plötzlich an sein Herz, sah mich mit riesigen Augen an und fiel dann einfach um.“ Er wischte sich kurz über die Augen und fasste sich dann wieder.
„Er lag dann da auf dem Boden und ich habe versucht, ihm zu helfen, aber es war zu spät. Er röchelte nur noch und zog mich zu sich herab.“ Ihr Vater schüttelte den Kopf. „Rinchen, er hat mir gesagt, ich soll dir etwas ausrichten, das du bestimmt verstehen würdest.“
Marina spürte, wie ihr die Tränen kamen. Was war es denn nur?
Ihr Vater sprach weiter: „Er sah mich an und meinte nur, ganz ruhig, ohne Qualen: >Sagen sie ihr: Frohe Weihnachten<, dann ist er gestorben.“
Marina war sprachlos. Ihr rannen die Tränen über die Wangen und alles, was sie im Moment tun wollte, war ihren Vater zu umarmen und ihn nie wieder loszulassen.
Frohe Weihnachten. Was wollte er ihr damit sagen?
„Papa“, schluchzte sie. „Glaubst du…glaubst du, er ist…“
Ihr Vater zog die Nase hoch und lächelte. „Ich weiss es nicht, mein Kind, vielleicht hat er den Herrn Jesus noch gesehen, ich kann es nicht sagen, aber ich hoffe es sehr.“
Marina nickte nur und verkroch sich dann unter ihrer Decke.

Ein Jahr später, zu Heiligabend, stand sie zusammen mit ihrem Vater vor dem alten Haus, in dem Herr Zehringer gewohnt hatte und blickte hoch zu dem Fenster, in dem nun keine Gardinen mehr hingen.
„Was glaubst du, ob da jetzt einer drinnen wohnt?“, fragte Marina ihren Vater. Er zuckte nur die Achseln.
„Ich glaube nicht, das hätte bestimmt in der Zeitung gestanden. Es hat ja ein ganz schönes Theater gegeben damals.“
„Hmm“, Marina nickte nur.
Ihr Vater nahm ihre Hand. „Komm, lass uns gehen, Mama wartet sicherlich schon auf die Ente.“
„Ist gut“
Als sie davongingen blickte Marina noch einmal zurück, hinauf zu diesem Fenster, zu dem sie alle so oft Furcht erfüllt geblickt hatten und das nun so unscheinbar wirkte. Und da erschien es ihr plötzlich, als sähe sie den alten Mann wieder am Fenster stehen. So als blicke er zu ihr hinunter, mit warmen Augen und einem freundlichen Gesicht. Sie traute ihren Augen nicht, doch hinter der Scheibe schienen seine Lippen etwas zu sagen. Sie brauchte es nicht hören, sie wusste, was er sagte.
Frohe Weihnachten.
Sie lächelte. Dann wurde das Lächeln zu einem Lachen.
Und als sie sich umdrehte und ihren verdutzten Vater ansah, der Schnee unter ihren Füssen knirschte und die Sonne gleissend auf sie herab schien, da wusste sie, ganz, ganz sicher, dass der alte Herr Zehringer nun beim Herrn Jesus im Himmel war.
Frohe Weihnachten.

 

dreissig mal im Monat
dreißig
Die ganze Wohnung war voll gestellt von Bildern
vollgestellt
wenn er nur lange genug warten musste.
wenn er nur lange genug wartete.
Dies war kein gewöhnlicher Donnerstagvormittag
dann würde ich weiter obne nicht von Freitag, sondern einfach von morgen reden
"Äh… Entschuldigen sie bitte
Sie groß
Als sie nun so darüber nachdachte trat plötzlich ihr Vater ins Zimmer und setzte sich auf ihre Bettkante.
nachdachteKOMMA
"Hallo mein Grosse, na wie geht's dir?".
Punkt weg
stand sie zusammen mit ihrem Vater vor dem alten Haus, in dem Herr Zehringer gewohnt hatte
wohnten sie nicht in dem selben Haus?
"Ist gut"
PunktKOMMA
Hallo Ben Wieland,
schöne Geschichte erst mal. Flüssiger Stil, angenehm zu lesen. Inhaltlich auch ziemlich gut.
Eine der wenigen Geschichten, die es zwar nicht in meine top ten schafft, aber an die ich noch lange denken werde.
:heilig: Bruder Tserk

 

Hi Tserk
schön zu sehen, dass wenigstens einer die Geschichte gelesen hat...ist wohl nicht so der Fall der meisten..
Wie auch immer, freut mich auf jeden Fall, dass sie dir gefallen hat.
Die Doppel-S musst du mir verzeihen, ich hab die Geschichte in der Schweiz geschrieben und da gibts bekanntlich kein ß...werds aber verbessern, auch die anderen Fehler.
Vielen Dank nochmal fürs Lesen und Schreiben
Lieben Gruß
b

 

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