Frohe Weihnachten
Frohe Weihnachten
Der Schnee fällt sanft auf den Fenstersims. An der Scheibe bilden sich Eisblumen. Innen steht ein altes Grammophon mit riesigem Trichter und spielt ein Weihnachtslied. Zitternd treiben die Töne durch die nach Tanne duftende Luft bis unter das Dach des großen Hauses. Ein aufmerksamer Spaziergänger würde merken, daß das Haus das Einzige ohne Schmuck und Beleuchtung ist. Doch am Heiligabend ist niemand unterwegs. Man ist in der Kirche und betet, um dann später nach Hause zu gehen, und im Kreise der Familie die Bescherung unter dem Tannenbaum abzuhalten. In dem großem Haus ist aber auch kein Baum zu finden, nur ein Zweig an dem viele Nadeln fehlen. Einige schwimmen im Kerzenwachs, andere liegen verkohlt daneben. Der Alte im Sessel starrt auf die erlöschende Flamme. Ein letztes Aufflackern reflektiert sich in den trüben Augen. Langsam quälen sich Gedanken durch das alte Hirn. 45 muß er jetzt sein, spricht einer, hat einen großen Wagen und zwei Kinder. Manager ist er. Ob es stimmt? Vielleicht hat er den Beruf gewechselt. Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen. Langsam fällt die runzelige Hand auf das Tischchen und schließt sich um den kalten Griff des Armeerevolvers. Ein neuer Gedanke drängt sich aus dem Hintergrund nach vorne. Nur du bist mir noch geblieben, will er murmeln, doch die Zunge liegt nur verlassen und schlaff zwischen dem blanken Zahnfleisch. Die Familie nebenan hört nicht das einsame Geräusch, das aus dem letzten Haus der Straße kommt; zu sehr sind sie damit beschäftigt, ihrem Herrn für die Stunden der Liebe und der Freude, die sie einander geben durften, zu danken. Als sie schon die letzten Beweise ihrer Zuneigung auspacken, hält ein Wagen vor dem dunklen Haus. Ein Mittvierziger steigt aus, geht um den Wagen und weckt vorsichtig seine Kinder. Seine Frau holt zwei kleine Päckchen aus dem großen Kofferraum. Der Mann geht zur Haustür und öffnet mit einem unbenutzt aussehenden Schlüssel. Er deutet seinen Kindern leise zu sein und betritt das duftende Haus. Sie folgen der Musik, und in dem Moment in dem die Musik mit einem ersterbenden Knacken endet, öffnet er die Tür. Frohe Weihnachten, Vater.