Fritzl und Strunzl - 18.12. - Der alte Großvater und der Winterwald
Der alte Großvater und der Winterwald
Heute ist Donnerstag, der 18 Dezember. Schon einer der letzten Schultage und viele Schülerinnen und Schüler der Winterwaldschule sind schon richtig in Weihnachtsstimmung. Sie singen Weihnachtslieder und erzählen sich gegenseitig von den Wünschen, die sie im Brief an das Christkind geäußert haben.
Heute allerdings möchte ich meine Erzählung nicht im Winterwald beginnen, sondern weiter abseits von den Tieren und Bäumen, am Rande des Waldes. Dort befindet sich nämlich eine Hütte, in der Menschen wohnen. Der neunjährige Sebastian lebt dort mit seinem Großvater, einem alten, launischen Mann, der am Winterwald nichts Gutes findet und nie einen Schritt hinein wagt. Auch Sebastian hat den Wald noch nie betreten, sein Großvater hat es ihm nämlich verboten.
Doch es soll heute geschehen, dass Sebastian und sein Großvater das erste Mal tief in den Winterwald eindringen.
„Sebastian, wo bist du?“, brüllt der Großvater an diesem Nachmittag sichtlich vergnügter als sonst. Sebastian kommt herbei gerannt und sein Großvater sagt: „Ich habe eine gute Nachricht für uns. Das beste, was uns je passieren hätte können!“
Sebastian ist schon sehr gespannt, was das denn sein könnte. Vielleicht kommt sie Tante Helena besuchen. Neben seinem Großvater der einzig lebende Verwandte des Jungen.
Aber Großvater sagt: „Ich lasse den hässlichen Wald abreißen und einen riesengroßen Parkplatz darauf entstehen. Ist das nicht toll?“
„Aber wo sollen denn dann die vielen Tiere hin, die im Wald wohnen?“ fragt Sebastian besorgt. „Die werden doch alle sterben!“
Doch der alte Mann zuckt nur uninteressiert mit den Schultern. „Das ist mir egal. Ich hasse die Tiere des Winterwaldes sowieso!“
Der Junge kann die Bosheit seines Großvaters beinahe nicht glauben. Seine Augen füllen sich mit Tränen. „Du bist ja so gemein!“ schreit er, nimmt seinen Mantel und läuft aus dem Haus.
Der Großvater sieht ihn durch das Fenster nach, wie er in den Wald hinein läuft und sagt zu sich: „Der wird schon wieder kommen. Jetzt plane ich zuerst den Parkplatz.“
Tränen laufen Sebastian übers Gesicht, während er zum ersten Mal den Wald betritt, doch bald hört er auf zu weinen. Er ist ganz erstaunt über das Licht, das sich in den Zweigen der Bäume spiegelt und sie glitzern lässt und über die sonderbare Wärme, die hier alles warm hält. Sebastian war schon in vielen Wäldern, doch keiner war so besonders wie der Winterwald.
Mit offenem Mund geht er weiter und merkt vor lauter Staunen nicht, dass er immer tiefer in den Wald hinein kommt.
„Und das will mein Großvater zerstören“, sagt er traurig zu sich selbst. Da sieht er plötzlich ein Eichhörnchen von einem Baum zum anderen springen. Es ist unser Strunzl, der gerade von der Schule nach Hause geht, aber das weiß Sebastian natürlich nicht. Für ihn ist es ein ganz gewöhnliches Tier.
„Hallo Eichhörnchen!“ begrüßt er Strunzl.
Als Strunzl das hört, erstarrt er. „Das ist also ein Mensch?“ denkt er sich. „Sieht eigentlich gar nicht so böse aus, wie man sagt.“ Doch als Sebastian auf ihn zu geht, bekommt er es dann doch mit der Angst zu tun und springt schnell auf einen Baum. Strunzl sieht hinunter auf den Menschen und Sebastian sieht auf den Baum hinauf zu dem Eichhörnchen.
„Willst du mit mir spielen?“ fragt Sebastian und das ist Strunzl zu viel. Schnell saust er davon, um zu Hause von der seltsamen Begegnung zu erzählen. Er denkt sich, der Mensch würde dort bleiben, wo er ist, aber weit gefehlt. Sebastian läuft unserem Strunzl nach, schließlich hat er noch nie so ein herziges, kleines Eichhörnchen gesehen. „Bleib doch stehen, ich tu dir nichts!“ ruft Sebastian Strunzl nach, doch dadurch bekommt er nur noch mehr Angst.
Sebastian hat große Mühe, dem schnellen Eichhörnchen zu folgen. Immer schneller laufen die beiden, und dann passiert es. Sebastian rutscht auf dem eisigen Boden aus und fällt hin.
„Au!“, schreit er. „Ich glaube ich habe mir das Bein gebrochen!“ Er versucht aufzustehen, doch zwecklos, sein Bein ist wohl wirklich gebrochen. „Oh nein!“, jammert er, „jetzt kann ich nicht mehr nach Hause gehen und werde hier erfrieren, oder die wilden Tiere des Waldes, von dem mir Großvater erzählt hat, werden mich fressen.“ Sebastian beginnt zu weinen.
Als Strunzl das hört, hält er ein und seine Angst verschwindet. Er bekommt Mitleid mit dem Menschen, der ganz hilflos auf dem Boden liegt und nicht mehr aufstehen kann.
Schnell läuft er nach Hause und erzählt seiner Familie von dem Vorfall.
Papa Schwanzbusch meint dazu: „Natürlich müssen wir ihm helfen. Schließlich können wir ihn nicht in unserem Wald erfrieren lassen! Schnell, trommelt alle Tiere des Waldes zusammen. Wir helfen dem Menschenkind!“
Schnell erklärt Papa Schwanzbusch allen Tieren des Winterwaldes seine Idee und bald haben sich alle an der Stelle versammelt, an der Sebastian frierend und mit gebrochenem Fuß liegt.
Als der Junge die Rehe, Hasen, Eichhörnchen, Marder, Otter und noch viele andere Tiere sieht, bekommt er es mit der Angst zu tun. „Oh, nein! Tut mir nichts!“ fleht er, doch die Tiere kommen immer näher. Und als sie schon ganz nahe sind, schmiegen sie sich an das Menschenkind. Der Hirsch lehnt sich an den Rücken des Menschen, damit er aufrecht sitzen kann, die Hasen und die Eichhörnchen drücken sich an seine Seite. Die Marder halten seine Füße warm.
Sofort spürt er die Wärme, die von ihnen ausgeht. „Danke für eure Hilfe“, bedankt sich Sebastian. „Ich wusste nicht, dass ihr so hilfsbereit seid.“
Doch auch als sich alle Tiere bei Sebastian versammelt haben, friert er noch.
„Das war eine gute Idee, Herr Schwanzbusch“, meldet sich Henri, der Hirsch, „Aber wir sind zu wenige. Wir bräuchten noch Verstärkung.“
“Ja, das ist richtig!“, gibt Papa Schwanzbusch zu. „Aber alle Tiere des Winterwaldes sind bereits hier!“
Da meldet sich Strunzl: „Nein, nicht alle! Einige haben wir vergessen!“ Er läuft davon.
Papa Schwanzbusch zuckt mit den Schultern. „Er ist ein kluges Eichhörnchenkind. Er wird schon wissen, was er tut.“
Strunzl läuft so schnell er kann. Er weiß nicht so recht, ob seine Idee auch wirklich gut ist, aber der Menschenjunge braucht jetzt die Hilfe der Tiere des Winterwaldes. Aller Tiere.
Strunzl klettert einen eisigen Berg hoch, rutscht auf der anderen Seite wieder hinunter und hat dann sein Ziel erreicht: Das Tal der Füchse.
„Hallo, Füchse!“ ruft das Eichhörnchen. „Wir, die Tiere des Winterwaldes brauchen eure Hilfe!“
Sofort kommt ein großer Fuchs herbei. „Und warum sollten wir euch helfen?“ knurrt er mürrisch. Gleich haben sich auch andere Füchse hinzu gesellt und schauen Strunzl böse an. Das Eichhörnchen bekommt es mit der Angst zu tun. Vielleicht war es ja doch keine gute Idee.
Er nimmt aber allen Mut zusammen und erklärt: „Eigentlich geht es gar nicht um uns, es geht um ein Menschenkind, das sich im Wald den Fuß gebrochen hat und nicht mehr aufstehen kann. Wir müssen es warm halten, sonst erfriert es.“
Der Fuchs beginnt zu lachen. „Ha! Ha! Ha! Und wie kommst du auf die Idee, dass wir Füchse ausgerechnet einem Menschen helfen sollten? Die, die uns jagen und Pelzmäntel aus uns machen. Soll das Kind ruhig erfrieren, wir helfen nicht!“
Strunzl merkt dass der Fuchs entschlossen ist, nicht zu helfen und so dreht er sich um, um wieder zu gehen. Es ist wohl zwecklos.
„Warte!“, hört Strunzl eine bekannte Stimme rufen. Es ist Fredo, das Fuchsjunge. „Papa! Wir müssen ihnen helfen“, sagt Fredo bestimmt. „Schließlich haben sie mir auch geholfen, wieder zurück zu Mutter zu kommen, als ich unerlaubter Weise über den Berg geklettert bin. Ohne die Hilfe der Eichhörnchen wäre ich immer noch auf der anderen Seite und du hättest mich nie wieder gesehen.“ Fredo blickt seinen Vater entschlossen an.
„Ist das wahr?“ fragt der große Fuchs und Strunzl nickt. „Dann stehen wir in deiner Schuld, kleines Eichhörnchen. Wir werden dir helfen.“
Der Fuchs wendet sich zu den anderen und befielt ihnen mit zu kommen. Strunzl geht voran und neun Füchse, große und kleine folgen hinter ihm.
Als sie bei der Stelle, an der Sebastian liegt, ankommen, erschrecken die Tiere des Winterwaldes. „Was machen die denn hier?“ fragt ein Otter und ein Murmeln geht durch die Menge.
„Seid still!“ sagt Strunzl streng. „Sie sind gekommen, um uns zu helfen. Wir müssen nun für kurze Zeit unsere Streitigkeiten vergessen.“
Widerwillig stimmen die Tiere des Winterwaldes zu. Die Füchse nähern sich Sebastian und legen ihre buschigen Schwänze um ihn herum. Nun ist Sebastian nicht mehr kalt.
In der Hütte am Rande des Winterwaldes ist Sebastians Großvater schon sehr wütend! Wo kann denn sein Enkelsohn nur sein, fragt er sich. Vor Stunden hat er ihn in den Wald laufen sehen, doch er ist bis jetzt nicht mehr aufgetaucht.
Der Großvater beschließt, ihn suchen zu gehen. Er nimmt das Gewähr von der Wand und schreitet hinaus ins Freie. Draußen weht ein kalter Wind und es hat zu schneien begonnen. Fest entschlossen, jedes Tier dass sich ihn in den Weg stellt zu erschießen, betritt er den Wald.
Doch schon während er die ersten Meter zurücklegt, schwindet die Wut aus seinem Herzen. Er kann das warme, funkelnde Licht des Waldes sehen und fühlen. Er geht weiter und weiter und staunt immer mehr über die Schönheit des Winterwaldes. So einen schönen Wald hat er noch nie gesehen, denkt er sich. Er lässt das Gewähr sinken.
Dann kommt er zu einer Lichtung und als er sie betritt, fühlt er die Wärme in seinem Herzen ganz stark. Hier weht kein Wind, nur Schneeflocken fallen sanft und behutsam auf die Erde nieder. Da erblickt er einen ganzen Haufen Tiere. Er kann Rehe, Hirsche, Hasen, Eichhörnchen, Mader sehen. Sogar Füchse erblickt er. Und da flackert wieder der alte Hass in seinem Herzen auf. Er legt das Gewähr an und zielt auf die Gruppe von Tieren.
„Los, verschwindet!“ brüllt er, doch zu seiner Überraschung weichen die Tiere nicht von der Stelle. Er lässt das Gewähr sinken und nähert sich den Tieren. Bei genauerem Betrachten sieht es so aus, als beschützten sie etwas in ihrer Mitte.
Als der Großvater die Tiere erreicht hat, weichen sie nicht zurück.
„Großvater, bist du es?“, sagt eine Stimme aus der Mitte der Tiere, und obwohl dieser jemand von den buschigen Schwänzen der Füchse verdeckt ist, erkennt der alte Mann seinen Enkelsohn Sebastian.
Mit der Hand schiebt er die roten Schwänze der Füchse zur Seite und enthüllt seinen Enkelsohn.
„Ach Sebastian, ich hab mir solche Sorgen gemacht!“, sagt der Großvater und beginnt zu weinen. Der alte Mann hebt seinen Enkel hoch.
„Danke, Tiere des Winterwaldes. Ihr habt meinen Enkel vor dem erfrieren gerettet“, erklärt der Mann den Tieren und plötzlich ist ein lautes Geräusch zu hören. Alle zucken zusammen. Es klingt, als würde eine Lawine von einem Berg brechen.
„Keine Angst“, meint der Großvater. „Das war nur das Eis, das von meinem Herzen gebrochen ist. Die Wärme des Winterwaldes hat es aufgetaut.“
Noch einmal bedankt sich der Großvater bei den Tieren und trägt dann seinen Enkelsohn nach Hause, um ihn eine warme Suppe zu kochen und ihn aufzuwärmen.
„Und jetzt Sebastian brauchst du keine Angst mehr zu haben“, sagt der Großvater, als Sebastian die hei0ße Suppe schlürft. „Ich werde keinen Parkplatz aus dem Winterwald machen. So viel Liebe, so viel Hilfsbereitschaft und so viel Wärme darf man einfach nicht zerstören!“