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Fritz ist im Fernsehen

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16.06.2002
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Fritz ist im Fernsehen

Für zehn Sekunden ist Fritz im Fernsehen. Die Kamera ist auf seine fettig glänzende Nase gerichtet. Wie ihm das Fest gefalle, wird er gefragt. Fritz darf - „Tolle Fete. Super, gefällt mir" - sagen. Geschmeichelt hat es ihm, dem Fritz. Ganz stolz tänzelt er durch das Lokal. Ganz Österreich werde ihn sehen, denkt er. Fritz lächelt.

Froh ist er, so froh, dass er hierher gekommen ist. In der Zeitung ist es gestanden, groß angekündigt als Fest des Monats. Und nun ist er gar im Fernsehen. Welch eine Nacht! Samstag ist es, wenn Wien Rio spielt und nicht schlafen geht zumindest am Wochenende, bis Sonntagnachmittag. Bumm bumm dröhnt es aus allen Ecken, schweißnasse Tänze und das Fernsehen dann und wann. Mitgefilmt muss werden. Nun ist auch Fritz berühmt, für zehn Sekunden. Tamtaratei! Das Leben ist wunderbar!

Kampfa ist mit ihrer Freundin Konga hier. Spaß haben, es kostet ja viel, der Eintritt, die Getränke. Konga schreit Kampfa ins Ohr. Sie habe die Partnervermittlung verklagt. Kampfas Blicke fragen warum. Halbgötter habe sie im Katalog bestellt. Schließlich wäre immer nur ein Häufchen Mensch erschienen am Treffpunkt. So etwas, brüllt sie, könne man sich nicht gefallen lassen, es koste ja eine Stange Geld. Kampfa nickt und widmet sich dem Lärm, wackelt mit dem Körper. Fritz nähert sich den beiden. Er riecht nach Vorstadt, Konga stößt ihn weg.

Die Fernsehleute huschen durch die zuckende Menge. Schnell, schnell. Die Schanka kommt gerade, die prominente Schanka! Scheinwerfer ergrellen den Saal. Sogar die Schanka ist gekommen! Welch ein Erlebnis. Sie erblitzt im Scheinwerferlicht, hebt das hochhackig beschuhte Beinchen in die Kamera. Voller Bewunderung der Reporter. Er liebedienert die Berühmtheit an. Stellt viele Fragen über ihr Leben. Gefärbtes Blondhaar schüttelt sich gegen die Linse, ein rot glänzender Kussmund spitzt sich in ihrem Gesicht. Schanka steht im Mittelpunkt, entblößt ihre Brüste, lässt sich genussvoll filmen.
„Bin ich nicht schööööön?", piepst sie der Welt entgegen.

Fritz stellt sich auf die Zehenspitzen, kann einen Blick auf Schanka werfen, für zehn Sekunden. Getrunken hat er auch einiges, der Fritz. Er geht aus dem Lokal. Schön ist es gewesen. Zehn Sekunden im Fernsehen und ein Blick auf die berühmte Schanka.

Hinter ihm drängeln sich Konga und Kampfa. Fritz dreht sich um, sieht die beiden, lächelt sie an.
„Schleich dich, du schiacher!" Konga ist erbost.
Fritz ist gekränkt. Ein wenig freundlicher hätte die Ablehnung ausfallen können.
„Ich war im Fernsehen!", sagt er trotzig.
„Na wenn schon!", grummelt Kampfa zu sich selbst.

Früher Morgen. Menschen wuseln die Prachtstraße entlang. Lachen, Neon, Lärm. Sich selbst vergessen, auch die Tage, von welchen einer dem anderen gleicht. Schal und leer das Lachen, der Tanz, die wohlbekleideten Leiber, die Arten von Beischlaf, welchem so manche sich noch hingeben werden. Ein Püppchen fürs Leben, das wird erträumt.

Ein schriller Tanz Unbeseelter. Morgengrauen. Prächtige Gemäuer von den Sonnenstrahlen in Gold gehüllt. Koren tragen Gesimse von Portalen, Atlanten und Fabelwesen die Giebel oberhalb der Fenster. Rotgolden schimmern die Kuppeln, die Ziegeldächer. Einstmals war diese Stadt groß gewesen, in den alten Mauern ruht der verblichene Glanz. Zu dieser Stunde kann man einen Hauch davon erfühlen.

Fritz wankt zum Taxistandplatz, fällt auf den Polstersitz. Mit süffisantem Lächeln babbelt er seine Adresse in der Vorstadt. Im Fernsehen sei er gewesen, erzählt er. Mit gähnendem Maul erwidert der Lenker. Gelb getüncht ist die Fassade von Fritz’ Wohnhaus. Hübsch, in sanftem Gelb und Weiß. Drinnen bröckelt der Verputz ab. Eine Glühbirne hängt auf schwarzem Draht von der schimmeligen Decke herab. Am Gang miefelt es nach Zwiebeln, Gebackenem und Gebratenem. Kalte Küchendünste. Geschimpfe in fremden Sprachen, selbst um diese Morgenzeit. Fritz fällt in sein ungemachtes Bett. Er schläft lächelnd ein. Im Fernsehen ist er zu sehen gewesen, für zehn Sekunden.

 

Hallo Echna!

Gefällt mir sehr gut, als kleiner Happen für Zwischendurch. Vielleicht hatte ich beim Lesen sogar das gleiche Bild wie du vor Augen: Irgend so ein Anonymus stammelt was in die Kamera und eine Pseudo-Berühmtheit entnuttet sich vor Tausenden Menschen.
Ein bisschen merkwürdig fand ich die Namen: Zu etwas surrealistisch erscheinenden Namen wie Kampfa, Konga und Schanka passt Fritz irgendwie nicht so richtig... Oder vielleicht doch, um zu symbolisieren, dass er "gewöhnlich" ist. Hm. Bin da etwas unsicher.

Stilistisch extrem fein finde ich diese Stelle:

Prächtige Gemäuer von den Sonnenstrahlen in Gold gehüllt. Koren tragen Gesimse von Portalen, Atlanten und Fabelwesen die Giebel oberhalb der Fenster. Rotgolden schimmern die Kuppeln, die Ziegeldächer. Einstmals war diese Stadt groß gewesen, in den alten Mauern ruht der verblichene Glanz.

Ah, das sind die kleinen Unterschiede, die den bemühten von einem gereiften Autoren filtern!


Wie einige deiner Geschichten lebt auch diese nicht von "Action" oder Humoresquen, sondern vom Stil und dem harten Gegensatz der Realität zu diesem. Was mir auffällt: Du beschreibst manche Dinge wie hier Häuser auf entrückend schöne Weise, während die Menschen selbst "hässlich" sind. Zufall oder Intention? Das wirkt auf mich ein bisschen, entschuldige, misanthrop. :)

Als winzigen Kritikpunkt könnte ich einflechten, dass deine Menschensicht sehr düster ist: Die Schönen sind arrogant, die Hässlichen dumm, die Klugen anmaßend, die Dummen finden sich mit ihrem Wesen ab. Jedenfalls habe ich das Gefühl bei einigen deiner Geschichten, die in der Gegenwart spielen. Ich könnte mich aber auch irren.
Ansonsten: Tolle Geschichte!


Ein paar Kleinigkeiten:

So etwas, brüllt sie, könne man sich gefallen lassen, es koste ja eine Stange Geld.

Da fehlt ein "nicht".

„Na wenn schon!", meint Kampfa zu sich selbst.

Wahrscheinlich irre ich. Aber "zu sich selbst" klingt in Zusammenhang mit "meinen" etwas komisch. Vor allem, da noch ein Ausrufezeichen die Stärke des Satzes betont.

Gelb getüncht ist die Fassade von Fritz’ Wohnhaus.

Ist der Apostroph bei Fritz richtig?

 

Servus rainer,

danke für Deine Kritik. Hab nochmals einiges korrigiert. Freut mich, daß es Dir gefallen hat. Surreale Namen kommen in meinen Geschichten dieses Typs andauernd vor. Das hat viel mit meiner Einstellung zur heutigen Zeit zu tun. Sie ist mir fremd geworden, deshalb die surrealen Ansätze. Ich verstehe sie nicht und finde mich nur schwer zurecht. Anstatt die Freiheiten, die man heute genießen darf vernünftig zu nützen, bildet sich zum Teil eine Art Mensch heraus, zu der ich öffentlich lieber nichts sagen möchte. Den Göttern sei's gedankt, es gibt glorreiche Ausnahmen.

Nicht daß ich Bigotterie, Reaktionismus, o.ä. aus früheren Zeiten nachweine (katholische kirche, ein rotes Tuch für mich), aber Geist hat diese Zeit keinen mehr.

Langer Rede, kurzer Sinn, ein Misanthrop (auch aus eigener schmerzlicher Errfahrung) der Postmoderne, der sich aber selbst nicht so ganz ernst nimmt.

Deshalb meine "modernen Geschichten", die bald eine Sammlung ergeben werden, die ich dann unter "Schöne Neue Zeit" zusammenheften werde.

danke Dir fürs Lesen. Deine Kritik war echt wohltuend.

liebe Grüße aus Wien

Echnaton

Der Apüostrohp ist richtig, weil Genitiv

 

Das mit dem Apostroph glaub ich einfach mal unbesehen. :)
Zu den Namen: Ist mir wohl erst bei dieser Geschichte aufgefallen. Der Kontrast von Fritz zu den anderen Namen ist ziemlich hart.
Dass ich deine "Weltsicht" zumindest teilweise nachvollziehen kann, muss ich wohl nicht erwähnen. Es freut mich aber, dass du nicht in blindes "Alles ist scheiße, buhu"-Geheule ausbrichst, sondern deine Kritik in (schöne) Worte zu kleiden vermagst.
Interessant wäre eine längere Geschichte zum Thema "Wie entwickelt sich der Mensch in der Moderne?"
Es freut mich übrigens, dass ich nicht der einzige bin, der sich mit zunehmendem Alter der (modernen) Welt entfremdet fühlt. Was Wunder, wenn unsere Wurzeln verschüttet werden unter dem Druck der nachfolgenden Schichten? Geologisch ein völlig normaler Prozess; gesellschaftlich finde ich ihn bedenklich. Aber gut...

So, dann will ich mal Platz machen für weitere Kritiken! :)

 

So, dann will ich mal Platz machen für weitere Kritiken!
Oh wie aufmerksam, Herr Rainer, dankeschön. :)


Lieber Echnaton!

Auch diese Geschichte aus Deiner Feder hat mir wieder gut gefallen und war erfrischend zu lesen. :)

Kennst Du "Wallace & Gromit"? - Irgendwie haben Deine Beschreibungen der Menschen was mit diesen Plastilinfiguren gemeinsam, ich kanns nicht erklären, was genau, aber vielleicht weißt Du ja, was ich meine. Kann sein, daß es an den überzeichneten Gesichtsausdrücken dieser Plastilinfiguren liegt, die irgendwie Deinen Charakteren gleich sind...:D
Jedenfalls gefällt mir das ausgezeichnet. :)

Rainer hat Dir ja schon beim Fehlersuchen geholfen, aber einen hab ich noch gefunden:

"Konga ist erbosst."
- erbost (kommt von böse)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Häferl,

danke auch Dir fürs Lesen, freut mich, wenn die Geschichte angekommen ist. Den Fehler hab ich wieder mal übersehen, seufz.

Ich kenn die Figuren leider nicht. Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt überzeichne, sehe ich mir so manche unserer Zeitgenossen an.

Danke fürs Lesen

liebe Grüße

Echna

 

Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt überzeichne, sehe ich mir so manche unserer Zeitgenossen an.
Hehe, da hast Du natürlich Recht. :thumbsup:
Sie sind einfach so, wie Plastilinfiguren, ganz ohne Überzeichnung... :D

Aber Wallace & Gromit hab ich auf Video, Du kannst es Dir gern mal anschauen, damit Du weißt, wovon ich spreche. :)

 

Hallo Echnaton,
auch mir hat Deine Geschichte gut gefallen. Ein durchschnittlicher Typ, der sich für ein paar Augenblicke im Glanz der Berühmten sonnen will, durch seinen zehnsekündigen Fernsehauftritt und meint, dass er nun etwas Besonderes ist. Leider ist das aber seiner Umwelt (den beiden Mitzen und dem Taxifahrer) vollkommen egal. Für die bleibt er eine gewöhnliche, anonyme Nummer.
Besonders schön fand ich die Beschreibungen der Strassen von Wien.
Ein paar Formulierungen sind mir aufgefallen, die ich so noch nicht gehört habe, weiss aber nicht, ob man das vielleicht bei euch in Österreich so sagt.

Scheinwerfer ergrellen den Saal
Hier würde ich sagen: Grelle Scheinwerfer erhellen den Saal.
Sie erblitzte im Scheinwerferlicht
Sie glänzte im Scheinwerferlicht.
Mit gähnendem Maul erwidert der Lenker.
Hier fehlt für mein Sprachgefühl, was er erwiderte.
Vielleicht: Mit gähnendem Maul nimmt es der Lenker zur Kenntnis.
Aber wie gesagt, ist nur mein persönliches Gefühl.
Ansonsten habe ich Deine Geschichte gerne gelesen.

LG
Blanca

 

hi Echnaton - ich würde rainers idee noch etwas weiter spinnen..nicht nur "Wie entwickelt sich der Mensch in der moderne?" sondern wie hat sich der Mensch in den letzten 50 Jahren entwickelt UND wie entwickelt er sich in der modern?"

ich finde nämlich auch bei dieser geschichte wieder, dass du sehr treffend, stilistisch angenehm und interessant einige ausuferungen der gegenwart beschreibst ....nur - mein lieblingseinwand - war es früher besser, ist alles heute schlecht?.. deshalb siehe oben..

aber wie so oft eignet sich auch diese Geschichte wieder hervorragend, um darüber nachzudenken, was man selbst so macht und was um einen herum geschieht.. die dinge wieder einmal einzuordnen..

liebe grüße, streicher

 

Ach, das hab ich ganz vergessen gestern, Echnaton:

Die zehn Sekunden find ich etwas zu lang geraten, solche Interviews von Zuschauern oder Passanten usw. sind immer kürzer. Zähl mal mit bei "Wien heute" oder "Seitenblicke" - ich würde sagen, daß 5 bis 7 Sekunden das Maximum sind. ;)

 

Blanca,

danke fürs Lesen. Freut mich, daß Dir die Geschichte gefallen hat. Ergrellen, erblitzen sind meine eigenen Kreationen, das gibt's so auch in Österreich nicht. Des Lenkers Antwort ist schlichtweg das Gähnen. Ne, das belibt so.

Danke Dir auch für Deine Kritik und liebe Grüße aus Wien (immer einen besuch wert, hehe)

Echna

Streicher,

danke auch Dir fürs Lesen. Unsere Diskussionen bezüglich der Postmoderne haben wir ja schon mehrmals ausgefochten, was aber auch Spaß macht.

Wie sich der Mensch entwickelt hat, wie er sich in der Postmoderne Entwicklen wird, ist in der Tat ein interessanter Diskussionspunkt.

Danke auch Dir für den Kommentar

liebe Grüße

Echna

Häferl,

geh bitte gönn doch dem Fritz die zehn (sic) Sekunden im Fernsehen, der hat ja sont nix vom Leben... :D

 

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