Friseur auf dem Mond
Friseur auf dem Mond
Toni war Friseur. Toni war aber nicht irgendein Friseur, sondern der Friseur Hollywood`s. Eine seiner Lieblingsgeschichten war es, von Madonna zu erzählen, die einmal so begeistert von ihrer neuen Fönfrisur war, dass sie sagte: „Toni, mein Süßer, für diese Frisur werde ich ein Lied über Dich singen.“ Toni wartete zwar immer noch auf dieses Lied, doch erzählte er jedem seiner Kunden in der Zwischenzeit davon.
Da Toni sich selber für den besten Friseur der Welt hielt, war er auch nicht besonders verwundert, als sich plötzlich eines Abends die NASA bei ihm meldete. Er hatte gerade Bratfett in eine Pfanne eingelassen, um sich ein riesiges Steak zu braten, als sein Telefon klingelte. „O`Keefe von der NASA,“ hörte er eine leicht näselnde Stimme und Toni wusste sofort, dass er „Godfather“ persönlich am Apparat hatte.
„Spreche ich mit Herrn Toni Anduras?“
Toni bemühte sich, den Kloß in seinem Hals nicht weiter zu beachten und bejahte. Was folgte, war eine recht langwierige Erklärung über die bevorstehende Planung des ersten bemannten Fluges zum Mars und die Notwendigkeit, hierzu eine Basisstation auf dem Mond zu errichten. Toni fand es zwar nett, dass der Chef der NASA ihn persönlich von seinen Plänen unterrichtete, fragte sich jedoch, was er zu dieser Mission beitragen könne.
„Wir werden zweihundert Männer hochschicken, die mindestens ein Jahr mit dem Bau der ersten bewohnbaren Kugel auf dem Mond beschäftigt sein werden. Dazu brauchen wir Ärzte, Wissenschaftler, Bauarbeiter, Ingenieure und ..“ O`Keefe zögerte einen kurzen Moment, „und einen Friseur.“
„Sie meinen, ich soll dort oben auf dem Mond Ihren Männern ein Jahr lang die Haare schneiden?“ Toni war nicht sonderlich begeistert, seinen gutgehenden Friseursalon im Herzen Hollywoods zu verlassen, um auf dem verlassensten Winkel des Universums anderen Männern die Haare zu stutzen.
„Toni, ...ich darf Sie doch Toni nennen, Toni, wir brauchen den Besten! Wir zahlen Ihnen dafür...“ Der Chef der NASA nannte eine Summe, die zum ersten Mal dafür sorgte, dass Toni an diesem Abend wirklich überrascht war.
„Sie werden der erste Friseur auf dem Mond sein und ihr Name wird in den Geschichtsbücher der Vereinigten Staaten erwähnt werden. Was sagen Sie?“
Die Stimme O`Keefe`s klang nun reichlich ungeduldig und Toni antwortete rasch: „Okay, ich bin dabei!“
Toni gehörte zum Trupp der Serviceleute, die mit einer der letzten Raketen zum Mond starteten. Persönlich hatte er überwacht, wie sein Koffer mit den wichtigsten Utensilien für seine Tätigkeit verstaut wurde, die lange, beschwerliche Zeit des Astronautentrainings war vergessen. Wochenlanges Proben mit dem neuen NASA-Haartrimmgerät hatten sich ausgezahlt, der Umgang mit Bürste und Haarspray unter den simulierten geringeren Anziehungskräften des Mondes ihm die Gewissheit gegeben, dass er auf alle Eventualitäten vorbereitet war. Dennoch spürte er ein mulmiges Gefühl, als die Rakete startete und ein kräftiges Rütteln den Innenraum erbeben ließ. Toni nahm sich fest vor, der Mannschaft noch vor Erreichen des Zieles seine Begegnung mit Madonna zu erzählen.
Die Region, in der sie landeten, hatte er schon oft im Fernsehgerät gesehen. Eine private Gesellschaft brachte seit Wochen 24 Stunden am Tag Bilder über den Fortschritt der Baumaßnahmen auf dem Mond und die Nation hing gebannt vor ihren Geräten und jubelte.
In den ersten Tagen hatte Toni genug damit zu tun, sich dem Leben auf dem Mond anzupassen. Er richtete seinen Frisiersalon in einem kleinen, abseits gelegenen Außencontainer ein und stattete seinen privaten Bereich mit all den Dingen aus, die er von der Erde hatte mitnehmen dürfen. Dann kam die lange Zeit des Wartens. Toni wusste, dass irgendwann die ersten seine Dienste in Anspruch nehmen mussten, er legte Zeitschriften mit den aktuellen Haarmodetrends aus, lud jeden Morgen das für ihn eigens entwickelte Trimmgerät mit dem Turbolader auf und blickte aus dem Fenster. Um ihn herum wuchs die Station zu beeindruckender Größe heran, die gesamte Belegschaft schien wie ein emsig bauender Ameisenhaufen, der nur auf ein einziges Ziel bedacht war.
Mitte des zweiten Monats war es endlich so weit. Ein Kamerateam begleitete den ersten Arbeiter auf seinem Weg zu Toni`s Friseurladen. Eiligst aufgestellte Scheinwerfer erleuchteten den Container, der erste Haarschnitt auf dem Mond sollte live allen Zuschauern in den USA gezeigt werden. Toni war aufgeregt. Doch routiniert ließ er seine Hände durch das buschige Haar des Mannes fahren, scherzte in die Kamera, massierte die Kopfhaut seines Kunden, shampoonierte es mit einer Spezialentwicklung der NASA, erzählte die Geschichte von Madonna, die einmal... und war glücklich. Die Bilder seines Auftritts wurden in allen Hauptnachrichtensendungen auf der Erde gezeigt – aber nicht nur dort.
In einer sehr fernen Galaxis, an einem Ort, den nie ein Mensch zuvor gesehen hatte und auf dem Wesen lebten, die sich selbst der NASA-Chef in seinen kühnsten Vorstellungen nicht ausmalen konnte, wurden die Bilder ebenfalls empfangen. Die Wesen, die diese Bilder sahen, waren begeistert. Um ehrlich zu sein, waren sie sogar mehr als begeistert. Eine Welle der Ekstase ergriff einen großen Teil von ihnen und eiligst wurde ermittelt, aus welchem Teil des Universums diese Bilder kamen.
Toni ahnte zu seinem Glück nichts von diesen Dingen. Seit der ersten Übertragung hatte er genug mit den Arbeitern zu tun, die nun seine Dienste in Anspruch nehmen wollten. Doch dann kam jener Tag, an dem sich alles ändern sollte. Plötzlich erschienen über dem sternenklaren Horizont des Mondes zahlreiche silbrige Raumschiffe. Gleißende Strahlen hüllten die kleine Station ein und der wimmelnde Ameisenhaufen reagierte äußerst anfällig auf diesen unerwarteten Angriff aus dem Weltall. Toni, der sich refelexartig hinter einem seiner Friseurstühle versteckte, nahm die hellen Explosionen wie in einem alptraumhaften Stummfilm wahr. Menschen zerplatzten vor seinen Augen in ihren Raumanzügen und das Fürchterlichste war für ihn die absolute Lautlosigkeit, die über allem herrschte. Irgendwann war es vorbei und die kläglichen Reste eines menschlichen Traumes waren menschenleer. Toni krabbelte unter seinem Frisierstuhl hervor.
Er sah durch sein Fenster eine lange Reihe von merkwürdig gekleideten Wesen, die auf das einzige Gebäude zustrebten, welches noch intakt war – seinen Frisiercontainer. Sie waren wesentlich größer als Menschen und als das erste durch die Luftschleuse in seine Frisierstube trat und den Helm abnahm, war Toni endgültig davon überzeugt, dass er es nicht mit dem hinterhältigen Angriff russischer Raumfahrer zu tun hatte.
Auf dem Kopf des Wesens war ein dicker, schwarzer und einzeln abstehender Haarschopf zu sehen, der heftigst vibrierte und an einen Turkanschnabel erinnerte. Das Wesen musterte ihn durch ein großes, in der Stirnmitte sitzendes Auge, dann nahm es auf seinem Frisierstuhl Platz und richtete eine Waffe auf ihn, die stark an ein Requisit aus einem Enterprisefilm erinnerte. Toni wäre nicht Toni gewesen, wenn er nicht sofort gewußt hätte, was dieses Wesen von ihm wollte. Er schob das Waschbecken zum Kopf seines ungebetenen Besuchers, die Hände umfassten zitternd das, was er für einen Haarschopf hielt, routiniert ließ er warmes Wasser über den sich zu einer kürbisartigen Frucht anwachsenden Kopfauswuchs fließen und massierte das Shampoo ein.
Woher hätte er auch wissen sollen, dass sich das Sexualorgan eines männlichen Wesens nicht immer dort befand, wo er es vermutete? Vor seinem Container bildetete sich eine lange Schlange.
„Kennen Sie eigentlich Madonna?“ fragte Toni und hörte ein sehr zufriedenes Grunzen.