Was ist neu

Friede mit Dir!

Mitglied
Beitritt
18.01.2004
Beiträge
37

Friede mit Dir!

Er hatte das Gesicht von mir abgewandt und schaute hinab auf die Dächer der Stadt. Die untergehende Sonne hatte den Himmel orangerot gefärbt. Einzelne Wolkenfetzen leuchteten goldgelb.
Ganz vorsichtig um ihn nicht zu erschrecken trat ich zu ihm und legte ihm behutsam meine Hand auf die Schulter.
„Sie sind gekommen um mich davon abzuhalten, nicht wahr?“ fragte er und blickte mir dabei mit seinen hellblauen Augen direkt in die meinen. „Ich brauche niemanden, der mich davon abhält. Ich weiß genau, was ich tue. Ich habe es mir gut überlegt. Machen Sie Sich keine Sorgen. Ich werde es nicht bereuen.“
Er lächelte, lächelte mich an, und wir schwiegen gemeinsam. Über den Dächern der Stadt neigte sich die Sonne immer mehr zum Horizont, doch wir schwiegen. Dann plötzlich sagte er: „Es ist schön, dass sie hier sind. Ausblicke wie dieser sind zu schade, um sie alleine zu betrachten. Sie werden erst wirklich zu dem, was sie sind, wenn man ihren Anblick mit jemandem teilt. Und sie sind es wert, dass man ihn mit Ihnen teilt.“
„Sie klingen, als würden Sie das Leben zu schätzen wissen, nicht wie einer, dem es nichts mehr bedeutet.“ „Ja, es stimmt,“ sagte er ruhig, „ich weiß es zu schätzen. Aber der Tod ist nicht mehr und nicht weniger als ein Teil davon. Er gehört dazu. Ich schätze ihn genauso wie den Rest meines Lebens!“
In weiter ferne die Sirene eines Polizeiautos und das Martinshorn eines Krankenwagens. Er und ich, wir standen da, blickten hinab auf die Dächer der Stadt und schwiegen. Dann sagte er plötzlich: „Es ist Zeit Abschied zu nehmen von diesem Leben in dieser Welt. Es ist Zeit aufzubrechen in eine andere Dimension.“ Noch einmal blickte er in meine Augen. „Haben Sie keine Angst?“ fragte ich. Er trat zum Rand und sagte: „Nein, keine Angst vor dem Tod, nur Angst vor dem Sterben. Der kurze Moment des Aufpralls, ihn fürchte ich, weiter nichts. Ich werde fliegen, mitten hinein in ein neues Leben, fliegen wie ein Vogel im Abendrot.“
Dann wandte er sich noch einmal mir zu und legte mir seine Hände auf die Schultern während er mir ernst ins Gesicht sah: „Machen Sie Sich keine Vorwürfe. Sie hätten mich nicht halten können. Alles was Sie tun konnten, haben Sie getan. Hätte ich aus Verzweiflung springen wollen, ich hätte es Dank ihnen nicht getan. In meinen Augen sind Sie eine Heldin. Verlieren Sie niemals den Mut!“
Er trat an den Rand und sprang, mitten hinein in das glühende Abendrot. Unten blinkte das blaue Licht eines Krankenwagens. Ich setzte mich auf den Rand, ließ die Beine baumeln und schaute zu, wie die Sonne im Meer versank. Ich genoss die frische Abendluft, die ich in vollen Zügen in mich aufsog, und die Stille hier auf den Dach.
„Annette! Annette! Bist Du noch hier?“ Mein Kollege Jean erschien auf dem Dach. „Machst Du Dir etwa Vorwürfe, weil er gesprungen ist? Du und ich, wir beide wissen es, dass Du Dein Bestes gegeben hast. Du bist nicht Schuld an seinem Tod. Mach Dir also keine Vorwürfe. Du hast Dein Bestes getan!“
„Ich mache mir keine Vorwürfe, Jean. Ich sitze nur hier und genieße den Sonnenuntergang. Siehst Du diese wunderschöne glutrote Wolke da drüben. Ausblicke wie dieser sind zu schade, um sie alleine zu betrachten. Sie werden erst wirklich zu dem, was sie sind, wenn man ihren Anblick mit jemandem teilt. Schön, dass es dich gibt!“


DL 2002

 

Hallo puregold,
mit dieser Geschichte kannst du mich wieder überzeugen, abgesehen von den kleinen Fehlern, die ich zu bemängeln habe. Du schaffst eine romantisch-verklärte Atmosphäre, die dennoch, ich weiß, dass das widersprüchlich klingt, durch ihre Klarheit überzeugt. Der Mann, der springt, tut dies zufrieden, weshalb man als Leser nicht endlos sinnlose Trauer zu lesen bekommt, sondern eine Geschichte, die Annette überzeugt, was sie am Leben hat und ihr empfiehlt, es zu genießen, ohne übertriebene Angst vor dem Ende.

Hier noch die Liste:

Ganz vorsichtig um ihn nicht zu erschrecken trat ich zu ihm
... vorsichtig, um ... erschrecken, trat ...
Sie sind gekommen um mich davon abzuhalten
wieder Komma vor "um"
Und sie sind es wert, dass man ihn mit Ihnen teilt.
Du könntest zwei Dinge gemeint haben, doch beidemale wäre der Satz grammatikalisch nicht korrekt:
"Und Sie sind es wert, dass man sie (oder "diesen einen hier")mit Ihnen teilt" "Und sie sind es wert, dass man sie mit Ihnen teilt"
In weiter ferne die Sirene eines Polizeiautos und das Martinshorn eines Krankenwagens
wie wäre es, wenn du "ertönten" oder ein anderes Verb einbaust?
Dächer der Stadt
der Stadt würde ich Streichen, da du es schon mehrfach benutzt hast
glühende Abendrot
du solltest etwas wie "mittlerweile" einbauen, da du vorher von Orange gesprochen hast

Fazit: Trotz der Fehler gut gemacht.
Gruß
Arthuriel

 

Hallo Arthuriel,

fühle mich wieder einmal geehrt, eine so positive Antwort von Dir zu bekommen. Erstaunlich ist nur, dass ich selbt diese Geschichte noch nicht für ganz so ausgereift gehalten habe und daher erwartet habe, dass auch in den Kommentaren zu Lesen zu bekommen.
langsam lerne ich auch deinen Stil kennen und ich denke, dass es in meiner Sammlung noch einiges geben könnte, was Dir gefallen dürfte.

Viele liebe Grüße
puregold

 

Hallo puregold,

ich kann mich Arthuriel nur anschließen - eine schöne Geschichte, hat mir gefallen. Direkt im ersten Absatz dachte ich, ich hätte sie durchschaut: jemand will Selbstmord begehen und wird selbstverständlich von Annette davon abgehalten. Schön, dass Du mich dann doch überrascht hast. Du fängst die Stimmung auf dem Dach sehr gut ein, ich konnte mir die Atmosphäre gut vorstellen.

Neben den Fehlern, die ja bereits genannt wurden, ist mir noch Folgendes aufgefallen:

In weiter ferne
In weiter Ferne
ich hätte es Dank ihnen nicht getan.
ich hätte es Dank Ihnen nicht getan.
und die Stille hier auf den Dach.
und die Stille hier auf dem Dach.

Außerdem benutzt Du einige Wortwiederholungen, wie z.B. beim Wort "schweigen", die sich vielleicht durch andere Formulierungen vermeiden lassen.

Liebe Grüße
Juschi

 

Erstaunlich ist nur, dass ich selbt diese Geschichte noch nicht für ganz so ausgereift gehalten habe und daher erwartet habe, dass auch in den Kommentaren zu Lesen zu bekommen.

Hallo Puregold,

ganz ausgereift ist die Geschichte noch nicht. Du beschreibst einen Menschen, der behauptet das Leben zu schätzen zu wissen, wie den Tod als Teil des Lebens. Er stürtzt sich nicht aus Verzweiflung vom Dach, warum aber dann? Den Tod schätzen zu wissen, erscheint mir als Grund nicht genug. Dazu greift er mir zu drastisch in das, was er zu schätzen glaubt ein.
Ein anderer Schwachpunkt ist, dass dich erzählende Person mit zu abgezockt erscheint. Sich keine Vorwürfe zu machen ist eine Sache, aber, als wäre nichts geschehen den Sonnenuntergang zu genießen, nachdem jemand vom Dach gesprungen ist, eine andere. Ich mag grundsätzlich deine Idee von der Verkehrung des Tröstlichen in der Geschichte. Ich finde sie nur noch nicht ganz glaubwürdig getroffen.
Stilistisch hast du deine Geschichte schön erzählt, inhaltlich finde ich sie bisher zwar in der Idee, nicht aber in der Umsetzung ganz nachvollziehbar. Versuch mal in dir Argumente für den Sprung zu finden, die du einbauen kannst, damit der Gegenpart dann auch wirklich nach dem Sprung getröstet sein kann.

Lieben Gruß, sim

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom