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Fridolins Odyssee
Guten Tag! Ich möchte mich Ihnen nur kurz vorstellen: Mein Name ist Fridolin.
Sie fragen sich bestimmt, was ich von Ihnen möchte. Ganz einfach: Mein größtes Abenteuer erzählen. Ich meine, wer macht das heute nicht? Und so möchte ich Ihnen nun die Freude des Meinigen bescheren. Mein größtes Abenteuer war vor einigen Jahren eine Reise nach Kanada. Aber es war keine gewöhnliche Reise, sondern eine regelrechte Odyssee!
Bevor ich Ihnen aber meinen Reisebericht geben werde, sollte ich mich Ihnen aber vielleicht noch genauer vorstellen. Ich bezweifle, dass mich alle Anwesenden sehen können, von daher müssen Sie noch einiges über mich erfahren, um meiner Erzählung folgen zu können. Wie ich bereits sagte, mein Name ist Fridolin und ich bin ein Koffer. Ja, Sie haben richtig gehört, ein Koffer! Um genau zu sein, ein Reisekoffer. Gut, es gibt andere Koffer, die stabiler sind als ich, aber das macht mir nicht aus. Auch wenn es eigentlich nur ein ganz dünner Metallrahmen ist, der meine wunderschöne schwarz-blau karierte Stoffhaut stützt, bin ich doch sehr groß. Zumindest sagen meine Besitzer, dass sie noch nie einen Koffer gehabt hätten, in den so viel hinein passe. Und ich denke, meine Damen und Herren, darauf kann ich zu Recht stolz sein.
Um Sie aber nicht länger auf die Folter zu spannen, beginne ich jetzt mit meiner Geschichte:
Der Anfang der Reise verlief ganz normal. Meine Besitzer füllten mein Inneres mit Kleidung, Kosmetika und anderen Sachen, von denen ich nicht weiß, wofür Menschen sie brauchen. Aber das ist nebensächlich. Meine Besitzer rannten ständig herum und brüllten sich an, ob sie nichts vergessen hatten. Am Ende des Tages war ich so voll, dass ich sogar noch ein Kofferband bekam, damit mir ja nichts passierte. Erna, der andere Koffer der mitsollte, wurde nicht mal halb so voll gepackt.
Hier können Sie sehen, wie groß ich bin. Fast alles, was für einen zweiwöchigen Kanadaurlaub benötigt wird, passt in mich hinein.
Um wieder zurück zu meiner Geschichte zu kommen:
Erna und ich wurden in das Auto geladen und auf ging es zum Flughafen. Von Hamburg über Frankfurt direkt nach Toronto. Erna schwafelte mich während der ganzen Autofahrt voll. Sie prahlte mal wieder mit ihrem guten Aussehen und das sie die schwereren Sachen tragen durfte. Aber musste sie deshalb gleich so prahlen? Sicher, sie war wesentlich neuer als ich, und aus einem anderen Stoff gemacht, der wohl etwas stabiler war als meiner, aber in sie passte noch nicht einmal die Hälfte von dem, was in mich passte. Außerdem sah sie mit ihrem giftgrünen Stoff definitiv nicht besser aus als ich! Und ich bin mir sicher: Wäre in mir noch Platz gewesen, hätte ich sicherlich auch Ernas Inhalt bekommen.
Meine Größe und mein gutes Aussehen sind auf jeden Fall der Grund, weshalb ich immer noch da bin und sie nicht. Entschuldigen Sie bitte, das war nicht sonderlich fair, aber ich kann es einfach nicht lassen.
Nun ja, wir kamen also ohne Probleme am Flughafen an. Das Einchecken verlief ganz normal. Ich bekam mein Ticket und weiter ging es auf dem Band, durch das Gummitor und die Metallrutsche hinunter. Unten griff mich ein Mann und lud mich, nachdem er meinen Bestimmungsort kontrolliert hatte, auf einen Wagen. Neben mir waren schon viele andere Koffer, die sich lebhaft über die bevorstehenden Reisen unterhielten. Ich konnte mich ihnen zu diesem Zeitpunkt leider noch nicht anschließen, denn ich musste noch nach Erna Ausschau halten. Schließlich gehörten wir irgendwie zusammen und ich sollte, als der Ältere, auf sie aufpassen, auch wenn es mir lieber gewesen wäre, sie würde nicht existieren. Nach kurzer Zeit erblickte ich sie. Zu meinem Leidwesen wurde sie direkt über mich gepackt. Sie würde sich noch länger darüber lustig machen, das war mir klar. Leider ließ es sich nicht ändern. Während ich mich mit den anderen Koffern über bisherigen Reisen unterhielt, ging es los zum Flugzeug. Erna konnte dabei Gott sein Dank nicht mitreden, immerhin war es ihre erste Reise mit einem Flugzeug.
Vielleicht sollte ich Ihnen noch erklären, dass wir Koffer alle eine Sprache sprechen. So haben wir untereinander keine Verständigungsschwierigkeiten. Aber kaum jemand von uns kann mit Menschen kommunizieren. Ich habe es erst nach dieser Reise gelernt, damit mir so etwas nicht noch einmal passiert.
Wieder zurück zum Flugzeug. Wir wurden in den Laderaum gepackt und schon kurze Zeit später hoben wir ab. Der Flug nach Frankfurt verlief ohne Probleme. Dort wurden wir wieder aus dem Flugzeug geholt. Schon im Frachtraum hatte ich Erna aus den Augen verloren und das änderte sich auch auf dem Kofferwagen nicht. Hoffentlich würde das nicht zum Problem werden.
Ich habe mir Sorgen um Erna gemacht, ist das zu glauben?
Schnell wurden die Wagen, auf denen wir lagen, voneinander getrennt und neu zusammengestellt.
Waren Sie schon mal auf dem Frankfurter Flughafen? Die Wege, die man dort zurücklegen muss, sind ewig lang. Man muss hoffen, dass sich die Leute, die für uns zuständig sind, beeilen, damit wir unseren Anschlussflug bekommen.
Aber dieses Mal waren sie schnell genug. Ich wurde ins nächste Flugzeug geladen und schon kurze Zeit später ging es wieder in die Luft. Ich schaute mich genau im Frachtraum um, doch ich konnte Erna nirgendwo entdecken. Nur einen Hund in einer Transportbox, der beim Schlafen vor sich hin sabberte.
Ekelhaft!
Der Flug erschien mir etwas kurz, aber manchmal täuscht man sich ja auch in der Zeit. Toronto war wesentlich kleiner, als ich erwartet hatte. Ich meine, als größter Flughafen Kanadas sollte es doch mehr als 2 Start- und Landebahnen geben! Es dauerte nicht lange, da lag ich wieder auf einem Kofferband. Ich wurde zur Abholzone transportiert, doch egal wie lange ich auch suchte, ich konnte weder Erna noch meine Besitzer entdecken. Bald lag ich alleine auf dem Band.
Erst zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass es nicht Erna gewesen war, um die ich mir hätte Sorgen machen müssen. Dabei hätte ich es schon früher herausfinden müssen!
Ich war offensichtlich am falschen Flughafen gelandet. Wie hatte das nur passieren können? Natürlich versuchte ich erst einmal herauszufinden, wo ich überhaupt gelandet war. Nachdem ich darauf achtete, merkte ich, dass es mir eigentlich viel früher hätte auffallen müssen. An mehreren Stellen, die ich vom Band aus sehen konnte stand Aeroport de València. Ich war in Spanien gelandet! Bestimmt warteten meine Besitzer in Kanada schon auch mich.
Es war zum Verzweifeln sage ich Ihnen.
Irgendwann wurde ich von einem Flughafenmitarbeiter vom Band genommen, mein Ticket wurde gescannt und schließlich kam ich in einen Raum mit ein paar andern Koffern. Wie ich schnell feststellte, war es den meisten von ihnen wie mir ergangen. Nur zwei andere Koffer waren einfach nicht abgeholt worden. Das musste ein noch schrecklicheres Schicksal sein. Nach einer endlosen Zeit, in der einige von uns schon wieder von Flughafenmitarbeitern abgeholt und andere hinzugekommen waren, wurde auch ich endlich aus dem Raum geholt. Wieder kam ich in ein Flugzeug. Ich konnte nur hoffen, dass es diesmal das Richtige war. Das es mich endlich nach Toronto bringen würde. Doch wieder schien es mir, als ob der Flug viel zu kurz war. Niemals hätte wir in dieser kurzen Zeit über den Atlantik fliegen können. Als ich aus dem Flugzeug geholt wurde, atmete ich erleichtert aus. Ich war wieder in Frankfurt. Immerhin kein komplett fremder falscher Flughafen. Offensichtlich sollte ich erneut über Frankfurt nach Toronto gelangen. Wieder gab es einen ewig langen Weg über das Rollfeld. Ein neues Flugzeug. Diesmal achtete ich auch auf die Fluggesellschaft. Air Canada! Das musste wohl richtig sein. Ich würden den Arbeitern wohl nicht mehr so einfach vertrauen können. Doch auch diese waren diesmal gründlicher. Immerhin kam ich alleine und sie kontrollierten noch einmal mein Ticket. Neues Flugzeug, neuer Flug und schließlich ein neuer Flughafen. Diesmal wurde ich schon vorher aussortiert. Ich kam gar nicht mehr auf das Kofferband. War ich wirklich in Toronto gelandet? Dieser Flughafen sah auf jeden Fall größer aus. Ein Mann packte mich in ein Auto. Dort standen schon zwei andere Koffer. Ich bekam Panik. Wurde ich etwa entführt? Doch die beiden anderen konnten mich schnell beruhigen. Sie erzählten mir, dass sie ebenfalls zuerst an den falschen Ort gebracht worden waren. Da das eigentliche Ziel der beiden auch Toronto gewesen war, war ich nun sicher Richtig. Und eine Entführung war auch annähernd ausgeschlossen. Der Mann fuhr uns durch die große Stadt. Erst trug er den einen Koffer aus dem Auto, dann den nächsten. Schließlich war ich an der Reihe. Er brachte mich in ein Hotel. Wohnten meine Besitzer etwa hier? Ich wurde an der Rezeption abgegeben. Der Mann ging wieder zurück. Ein anderer brachte mich durch verschiedene Gänge. Schließlich klopfte er mehrmals an eine Tür. Als niemand öffnete, zog er seine Schlüsselkarte durch den Schlitz an der Tür und stellte mich in einen schön möblierten Raum.
„Fridolin!“
Das war eindeutig Erna. Ich war noch nie im Leben so froh gewesen, ihre Stimme zu hören. Gerade so konnte ich sie unter dem Bett erspähen. Der Mann legte noch einen Brief auf mich und ging wieder aus dem Raum.
„Was ist dir denn bloß passiert?“, wollte Erna wissen.
Ich erzählte ihr von meiner Odyssee. Als meine Besitzer kamen, war ihre Freude riesig mich wiederzuhaben. Wobei es dabei wohl leider weniger um mich ging, sondern vielmehr um meinen Inhalt. Der restliche Urlaub verlief zum Glück ereignislos. Und auch auf dem Rückflug, vor dem ich richtig Angst hatte, ging Gott sei Dank nichts mehr schief.