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Fridolin und seine tausend Schuhe
Der Tausendfüßler Fridolin sitzt in seinem roten Lieblingssessel und ist traurig. Dicke Tränen kullern über seine Backen.
„Ohh, ich bin doch der traurigste Tausendfüßler der ganzen Welt!“, denkt er und schaut auf seine tausend Füße. Ein Fuß hat einen blauen Hausschuh an, aber alle anderen neunhundertneunundneunzig Füße sind nackt. Der arme Tausendfüßler ist ganz verzweifelt. Plötzlich hat er eine Idee. Er könnte sich doch auf den Weg machen und Schuhe suchen. Für jeden einzelnen von seinen neunhundertneunundneunzig Füßen einen. Sofort hüpft er aus seinem Sessel und jetzt geht es ihm schon ein bisschen besser.
Nach einem langen Marsch kommt Fridolin in eine Stadt. Vor Staunen bleibt ihm der Mund offen stehen. So viele Menschen hat der Tausendfüßler in seinem ganzen Leben noch nie gesehen. Und alle haben es eilig. Aber Fridolin staunt noch viel mehr, als er sieht, dass alle Leute Schuhe anhaben. Halbschuhe, Turnschuhe, Sandalen oder Gummistiefel. Jeder hat Schuhe an den Füßen. Ganz sicher wird ihm jemand einen Schuh schenken. Der Tausendfüßler hat zwar ein bisschen Angst, aber er läuft gleich ganz mutig zu einem Mann, der wunderschöne schwarze Schuhe trägt.
„Entschuldigung…“, flüstert Fridolin. Aber der Mann hört gar nichts und geht einfach weiter.
Deshalb redet Fridolin beim Nächsten etwas lauter:
„Entschuldigung, könnten Sie mir vielleicht…!“
Aber es nützt auch nichts. Man hört ihn nicht. Jetzt reicht es Fridolin langsam.
„HAAAALLLLOOOOO!!!“, schreit er so laut er kann.
Aber niemand bleibt stehen und schaut zu ihm hinunter.
Der kleine Tausendfüßler ist enttäuscht. Muss er jetzt wirklich wieder heimgehen? Mit nackten Füßen? Da hat er eine neue Idee! Schnell holt er sein Taschentuch heraus und bindet es an einen Stock, der am Straßenrand liegt. Jetzt sieht es aus wie ein Fähnchen. Da kommt gerade eine alte Frau aus einem Haus heraus. Der Tausendfüßler hält seine Fahne in die Luft und winkt damit aus Leibeskräften.
Verwundert bleibt die Frau stehen und schaut zu Fridolin hinunter.
„Was machst denn du da?“, fragt sie erstaunt. Fridolin erklärt der Frau alles und fragt dann:
„Würden Sie mir bitte ein paar Schuhe schenken?“
Die Frau überlegt ein Weilchen. Dann erzählt sie dem Tausendfüßler, dass ihre Enkelin zwei schöne rote Hausschuhe hatte. Einen davon hat leider der Hund erwischt und so sehr verbissen, dass man ihn nicht mehr anziehen kann. Der andere allerdings ist noch einwandfrei. Den könnte sie ihm schon schenken.
Schnell verschwindet sie wieder im Haus und kommt dann mit einem wunderschönen, kleinen, roten Hausschuh zurück. Sie drückt ihn Fridolin in die Hand und wünscht ihm von Herzen alles Gute auf seiner weiteren Suche. Dann muss sie gehen.
Der Tausendfüßler probiert sofort seinen neuen Hausschuh an. Er ist zwar ein bisschen zu groß, aber immerhin hat er jetzt schon zwei Schuhe. Einen blauen und einen roten. Fridolin ist so glücklich, dass er einen Freudensprung nach dem anderen macht!
Als er wieder stehen bleibt, sieht er doch tatsächlich einen Schuhladen.
„Oh“, denkt Fridolin, „ da sind ja so viele Schuhe. Sicher finde ich dort für jeden Fuß einen.“
Schnell marschiert er in das Geschäft hinein.
Die Verkäuferin traut ihren Augen kaum, als sie den Tausendfüßler sieht. Aber sie versteht bald, was Fridolin eigentlich will. Und sie merkt auch, dass er kein Geld hat, um neunhundertachtundneunzig Schuhe zu kaufen. Aber sie findet den kleinen Kerl so lustig, dass ihr sogar eine Lösung für sein Problem einfällt.
Die Dame führt Fridolin eine Treppe hinunter in den Keller. Dort ist das Schuhlager. In einer Ecke liegt ein ganzer Berg Schuhe. Alle haben einen Fehler. Der eine hat einen Fleck im Leder, beim anderen löst sich die Sohle, beim dritten ist die Naht nicht richtig verarbeitet worden und so weiter. Solche Schuhe kauft bestimmt niemand mehr. Deshalb erklärt die Verkäuferin Fridolin, dass er so viele Schuhe aussuchen darf, wie er will.
Dem Tausendfüßler kommen fast die Freudentränen, als er einen Schuh nach dem anderen aussucht und anzieht. Nach einer Stunde ist er fertig. Jeder Fuß hat jetzt einen Schuh an. Unser kleiner Tausendfüßler dankt der Verkäuferin tausend Mal und stolziert dann aus dem Geschäft. Er läuft hin und her, und strahlt wie ein Maikäfer.
Aber auf einmal werden seine Füße immer wärmer und wärmer und plötzlich fängt Fridolin an, furchtbar zu schwitzen. Jetzt merkt er, dass ein Tausendfüßler eigentlich keine Schuhe braucht. Gott, der ihn gemacht hat, hat sich nämlich alles gut überlegt. Deshalb hat er die Tausendfüßler so geschaffen, dass sie es auch ohne Schuhe warm genug haben. Fridolin braucht gar keine Schuhe, auch wenn sie ihm noch so gut gefallen. Deshalb marschiert er schnurstracks zurück ins Schuhgeschäft. Dort erklärt er der Verkäuferin, was passiert ist und zieht alle tausend Schuhe wieder aus.
Und nochmal fällt unserem Fridolin etwas ein. Man könnte diese Schuhe doch Menschen schenken, die sie wirklich brauchen, weil sie zu arm sind um sich eigene Schuhe zu kaufen. Die Verkäuferin findet das eine prima Idee und verspricht dem Tausendfüßler ganz fest, die Schuhe solchen Menschen zu schenken. Zufrieden macht Fridolin auf seinen tausend Füßen rechtsum kehrt und wandert heim.
Zu Hause angekommen setzt sich Fridolin gleich in seinen roten Lieblingssessel. Er ist sehr müde von seinem Abenteuer.
„Ach“, denkt er, „ich bin doch der glücklichste Tausendfüßler der ganzen Welt.“
Und dann schläft er ein.