Freundschaft
„Kennst du den Unterschied zwischen dir und mir?“ fragte er und sah bedeutungsvoll in die Runde. Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an und ich ahnte, was passieren würde.
„Du hast weniger Haare auf dem Kopf und du bist ein Arschloch.“ Alle fingen an zu lachen und auch ich konnte ein Verlegenheitslachen nicht unterdrücken. Es folgte eine Schweigephase, die mir unerträglich lange vorkam. Britta steckte sich eine Zigarette an. Ich gab ihr Feuer. Wie auf Kommando zündeten auch die anderen eine Zigarette an.
Er saß auf einem der aufklappbaren Metallstühle, puhlte an seinen Fingern und fixierte jeden einzelnden - länger als gewöhnlich.
„Habe ich dir eigentlich schon das neueste erzählt?“ begann Ismir und wartete, bis er die ungeteilte Aufmerksamkeit aller bekam.
„Ja, toll. Tolle Story. Wen interessierts." fiel er ihm mit dem Ausdruck gequälter Langeweile ins Wort. Wir grinsten.
„Du weißt ja, ich bin Türke.“ Was weder ein Geheimnis war noch wirklich interessant. „Ach?! Wirklich.“ Mit trägen Augen beobachtete er ihn. „Ja, aber nicht mehr lange.“ sagte Ismir mit freudiger Stimme. „Ich war gestern auf dem Amt und habe die Deutsche Staatsbürgerschaft beantragt.“ Alle stöhnten laut auf. „Scheiße, ein Türk´, der seine Heimat verrät. Es gibt nichts Schlimmeres.“ Wieder lachten alle laut auf, als hätte er den besten Brüller seines Lebens gemacht.
„Brauchst gar net so zu lachen...“ er sah in meine Richtung und mein Lachen erstarb. „Ihr Moselaner könnt froh sein, dass man euch noch nicht entdeckt habt, sonst hätte man euch schon längst ausgerottet.“ Obwohl es mich verletzen sollte, war ich auf eine unerklärliche Weise froh über diese Attacke. Es machte mir noch nie so wenig aus, im Mittelpunkt des Gespötts zu stehen. Ich sah in die Runde und erkannte die Fröhlichkeit in den Gesichtern, die Ausgelassenheit, die mir angesichts der Umstände ein wenig merkwürdig vorkam.
Sein ungehobelter Charme und seine rebellische Art waren abstoßend und faszinierend zugleich. Sein Bruder sah etwas verwirrt aus. „Ihr seid ja nicht gerade höflich zueinander. „Wieso?“ fragte er schelmisch. „Das ist ganz normaler Umgangston. Außerdem braucht er das.“
„Wir sind nur nett zueinander, weil wir uns kennen. Solltest uns mal erleben, wenn wir auf einen Fremden treffen.“ versuchte ich mich zu retten. „Damit hast du ja Erfahrung. Dich kann ja eh´ keiner Leiden.“ Während die anderen wieder in ein hysterisches Lachen verfielen, dachte ich über diesen Satz eine Zeit lang nach.
Ich kannte ihn schon etliche Jahre. Seitdem er dem Verein beigetreten war, vergingen kaum Tage, an denen man sich nicht getroffen und gemeinsam gespielt hatte. Obgleich ich zugeben mußte, dass wir nie die besten Freunde waren und Sympathie in diesem Zusammenhang ein auslegbarer Begriff war. Über die Jahre hinweg hatte sich eine Freundschaft gebildet, in der man sich akzeptierte und in gewissem Maße auch respektierte. Eine innige Freundschaft verband uns nicht wirklich. Erst in letzter Zeit überkamen mich mehr und mehr echte freundschaftliche Gefühle und eine tiefere Verbundenheit.
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, da Ismir noch zur Nachtschicht musste, blickte ich zurück und sah, wie sein Bruder ihm auf half und ihn stützend zur Eingangstür begleitete.
War die Hinfahrt noch geprägt von angeregten Gesprächen und einer lockeren Atmosphäre, verlief die Rückfahrt geradezu gespenstisch. Niemand sprach ein Wort. Keiner heiterte die gedrückte Stimmung auf. „Ich habe es mir schlimmer vorgestellt.“ sagte Christian. Für diesen Satz hätte ich ihn am liebsten erwürgt. Was kann schlimmer sein, als keine Hoffnung mehr zu haben.
[ 29.07.2002, 17:55: Beitrag editiert von: André ]