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Freundschaft aus Lüge

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03.09.2015
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Freundschaft aus Lüge

Dörte lernte ich am ersten Schultag kennen. Sie war, genau wie ich, eine Außenseiterin im Klassenverband. Oft krank, die Jüngste von acht Geschwistern, ich war auch die Jüngste von drei Geschwistern, meine Mutter wurde 48 Jahre alt, als ich geboren wurde.
Schon in der Kindheit war Dörte von einigen ihrer älteren Brüder gehänselt und verspottet worden.
So wurden wir Freundinnen, bis zur vierten Klasse. Dann wurden wir ab der fünften Klasse getrennt, zwar in der gleichen Schule, aber in verschiedenen Klassen. Wir sahen uns kaum. Ab der siebten Klasse ging Dörte zur Hauptschule, ich in die Realschule.
Gegen Ende der siebten Klasse erfuhr ich von meiner Nachbarin Ute, die mit Dörte in die gleiche Klasse ging, dass Dörte versucht hatte, sich umzubringen.
Wir beschlossen, ihr zu helfen und uns um sie zu kümmern.
Längst hatte ich mitbekommen, dass Dörte ausgerechnet von einigen meiner Klassenkameraden in der Schulbücherei verspottet wurde, indem Jan ihr weisgemacht hatte, das sein Vater Plattenproduzent sei. Dörte, die der Meinung war, sie könnte gut singen, gab also den Schneewalzer zum Besten, in der Hoffnung, als Star entdeckt zu werden. Irgendwie habe ich sie aus der Bücherei herausbekommen.
Für die nächsten zwei Jahre trafen wir uns meistens bei Dörte, sie hatte ein eigenes Zimmer im Haus ihrer Eltern. Im Deutschunterricht hatten wir ein Spiel gemacht, jemand musste sich eine Geschichte ausdenken und erzählen aus von den anderen zugerufenen Hauptwörtern. Das spielten wir oft in abgewandelter Form, meist schrieb eine von uns, die beiden anderen flüsterten ihr die Wörter zu. Was lachten wir über den Quatsch, der dabei herauskam.
Dann begannen Dörte und Ute ihre Ausbildungen, Ute hatte keine Zeit mehr für uns, so hingen Dörte und ich weiterhin zusammen, ich noch in der Schule. Dörte hatte ihren ersten Freund, das ging aber ihres Vaters wegen wieder in die Brüche. Sie schleppte mich mit in Discos, wir hatten ein unbeschwertes Leben.
Dann begann ich meine schulische Ausbildung in Braunschweig. Dörte hatte zum dritten Mal die Sekretärinnenprüfung nicht bestanden und war arbeitslos.
Durch eine Freundin von mir lernte sie ihren nächsten Freund kennen, verlobte sich mit ihm und zog nach Braunschweig.
Auch ich hatte gegen Ende der Ausbildung jemanden kennengelernt und bin zu ihm gezogen, aber er wohnte in der Nähe der elterlichen Wohnung.
Dörte und ich besuchten uns regelmäßig. Wir spielten Karten oder unterhielten uns. Da ich nach Beendigung der Ausbildung keine Stelle finden konnte, entschied ich mich, es übergangsweise als Zeitungszustellerin zu versuchen. Bald merkte ich, dass das der ideale Job für mich war und meldete mich als arbeitssuchend ab.
Dörtes Verlobung ging in die Brüche, sie kam zurück ins Elternhaus. Weiterhin ohne Arbeit nahm sie auch einen Zeitungszustelljob an, allerdings für eins der beiden Wochenendblätter. Manchmal half ich ihr beim Verteilen. Dann begann sie außerhalb eine Umschulung, fand dort den nächsten Freund, dann noch einen und verlobte sich erneut, noch während der Umschulung zog sie mit ihm zusammen. Aber wieder gab es böses Blut und sie kehrte zurück ins Elternhaus, immer noch ohne Arbeit.
Auch in meiner Beziehung kriselte es nach sieben Jahren und ich kehrte zurück zu meiner Mutter, mein Vater war inzwischen verstorben. Immer noch hatte ich meinen Job als Zeitungszustellerin, inzwischen war ich für beide Zeitungsverlage tätig.
Eines Tages saßen wir in meinem Zimmer beim Kartenspiel. Dörte hatte verloren, mit einem Mal fing sie an zu weinen. "Ich bin nichts wert – ich will nicht mehr leben!", rief sie aus. Nur schwer konnte ich sie beruhigen.
Dörte blieb weiterhin ohne Arbeit, ihr Leben bestand aus Maßnahmen und Umschulungen vom Arbeitsamt.
Nach einiger Zeit lernte sie Frank kennen, wieder Verlobung, nach zwei Jahren tatsächlich die Heirat, Dörtes Traum war in Erfüllung gegangen, sie erwartete ein Kind.
Es war eine schwierige Geburt, Max musste letztendlich per Kaiserschnitt geholt werden. Für Dörte begann ein Martyrium im Krankenhaus. Erst nach Wochen stellten die Ärzte fest, dass ihre Blase angeschnitten worden war. Max hatte sich lange vor ihr gut erholt und konnte heim zum Papa. Dörte musste wegen der schweren Krankheit abstillen. Endlich war auch sie daheim - aber nur für einen Tag. Mit Thrombose zurück ins Krankenhaus. Nach weiteren sechs Wochen in der Klinik endlich zuhause.
Im Jahr darauf hatte ich zehn-jähriges Dienstjubiläum bei der ersten Zeitung, für die ich tätig war.
Dörte hatte sich gesundheitlich gut erholt, aber wir merkten bald, dass Max ein "Spätzünder" war. Er entwickelte sich nicht so wie andere Kinder seines Alters.
Ich wollte nie Kinder, so fiel es mir damals nicht auf, dass Max in eine Ecke gesetzt wurde, mit Spielzeug umhäuft - "Ach, Max spielt ja so schön alleine!" Abends wurde er ins Bett gesteckt, ohne zu warten, bis er einschlief, Licht aus, fertig, Ruhe. Das wurde mir erst Jahre später bewusst.
Bis drei oder vier Jahre musste er gefüttert werden, Windeln brauchte er bis sieben Jahre.
Meine Mutter sagte damals zu mir: "Dörte hält den Jungen dumm." Sie waren oft bei uns, oder ich bei ihnen. Oftmals kam Dörte zu mir, wenn sie ein Problem mit Max hatte, und irgendwie fand ich immer eine Lösung. Auch kleidete ich Max ein, machte mir Spaß. Inzwischen konnte ich nach einer Operation selber keine Kinder mehr bekommen, je älter ich wurde, umso mehr wurde mir bewusst, dass ich dadurch niemanden hatte, an den ich mein Wissen weitergeben konnte.
Aber immer öfter gab es Streit zwischen Dörte und mir, sie war irgendwie anders geworden, oberflächlich, abwesend.
Dann verstarb auch Dörtes Vater nach kurzer, schwerer Krankheit.
Nach 20, bzw. 15 Jahren im Zeitungszustelldienst musste ich aus gesundheitlichen Gründen meine geliebte Arbeit aufgeben, bin seitdem Erwerbsminderungsrentnerin.
Dörte schob nun Max vor, um nicht arbeiten gehen zu müssen. Sie hatte sich von Frank getrennt, angeblich hätte er Max geschlagen, aber ich nehme an, dass auch sie ihn geschlagen haben wird, einfach, weil Max es gewagt hatte, etwas zu fragen. Sie hat ihn gar nicht wahrgenommen, und wenn, hat sie gebrüllt: "Was ist denn, Max?" Das habe ich des Öftern beobachten können.
Max wurde mit sieben Jahren in den Vorschulkindergarten eingeschult, da kam er nicht mit, schließlich in eine Spezialschule nach Braunschweig. Als er zwölf Jahre alt war habe ich ihm mit einer eigens für ihn erdachten Methode das Lesen beigebracht. Ich erzielte damit einen Erfolg - "Max hat sein Lesen deutlich verbessert!", las Dörte freudestrahlend aus dem Zeugnis vor.
Leider verstarb dann plötzlich meine Mutter, und ich hatte mit Wohnungssuche, Ausräumen der großen Wohnung und schließlich Umzug so viel zu tun, dass ich mich nicht weiter mit Max' Lesen beschäftigen konnte.
Dörte und ich waren uns mal wieder böse, als plötzlich auch ihre Mutter verstarb. Sie hatte mir beigestanden, also war ich auch für sie da. So stellte ich fest, dass Max nach nur einem Jahr ohne meine Lesehilfe wieder herumstotterte wie ein Leseanfänger.
Da wurde mir bewusst, dass Max keinerlei Förderung von den inzwischen längst versöhnten Eltern erhielt. In Gesprächen drehte sich alles nur um Computerspiele und TV-Programm.
So habe ich versucht, den Kinderschutzbund aufmerksam zu machen, aber ich hatte schon lange bemerkt, dass Dörte sich "das Leben schön lügt". Sie muss Lügen so perfektioniert haben, dass ihr geglaubt wird. Jedenfalls wurde mir kein Glaube geschenkt.
Nachdem ich festgestellt habe, dass Dörte mich auch privat hintergangen hatte und, als ich sie zur Rede stellte, sie sich im Recht sah habe ich den Kontakt endgültig abgebrochen.
Eine Freundschaft nach fast 40 Jahren durch Lüge zerstört.
Ein Kind zum Werkzeug gemacht, ein Kind, ohne die Mutter nicht lebensfähig.
Ist das ihre Rache für die schwere Geburt, die Narben?

Nachtrag
Nach Fertigstellung dieser Geschichte warf ich sie im Kummerbriefkasten des Rathauses ein, in der Hoffnung, es würde eine Änderung für Max bringen.
Vor zwei Jahren habe ich den Kontakt zu Dörte wieder aufgenommen. Seit letztem Jahr reden wir wieder miteinander. Sie ist in Psychotherapie, Max, mittlerweile volljährig, holt seinen Hauptschulabschluss nach und lebt in einer Wohngruppe.
Es wird wohl nie wieder die Freundschaft werden, die es einst war, aber eine andere.

 

Hallo, Katerli

So, bevor ich was Generelles sage, gehe ich mal ins Detail:

Sie schleppte mich mit in Disco's, wir hatten ein unbeschwertes Leben.

"Discos"

Er entwickelte sich nicht so, wie andere Kinder seines Alters.

kein Komma

Auch kleidete ich Max ein, machte mir Spaß.

Dieses "machte mir Spaß" ohne Subjekt gefällt mir nicht so gut. Es gibt Autoren, die solch nachlässige Sprache als Stilmittel verwenden, aber hier knallt das so plötzlich rein. Besser wäre: "Mir machte es Spaß, Max einzukleiden." So als Vorschlag.

je älter ich wurde, um so mehr wurde mir bewußt

"umso"

Habe ich des öfteren beobachten können.

"Öfteren" wird hier großgeschrieben. Außerdem fehlt wieder das Subjekt, und der Satz wirkt dahinten so wackelig angeklebt. Ich würde ihn streichen oder besser in die vorherige Struktur integrieren.

Als er zwölf Jahre alt war, habe ich ihm mit einer, eigens für ihn erdachten Methode, Lesen beigebracht. Ich erzielte damit einen Erfolg - "Max hat sein Lesen deutlich verbessert!" las Dörte freudestrahlend aus dem Zeugnis vor.

Kommata um "eigens für ihn erdachten Methode" weg. Entweder "das Lesen", dann wird es großgeschrieben, oder "lesen", dann kleingeschrieben. Nach der wörtlichen Rede fehlt ein Komma.

Da wurde mir bewusst, dass Max keinerlei Förderung von den, inzwischen längst versöhnten Eltern erhielt.

Komma vor "inzwischen" weg.

So habe ich versucht, den Kinderschutzbund aufmerksam zu machen, aber, ich hatte schon lange bemerkt, dass Dörte sich "das Leben schön lügt", sie muss Lügen so perfektioniert haben, dass ihr geglaubt wird. Jedenfalls wird mir kein Glauben geschenkt worden sein.

Komma nach "aber" weg. Ich würde einen zusätzlichen Punkt setzen, am besten zwischen "das Leben schön lügt" und "sie muss". Der letzte Satz: Futur II? Warum? Wäre nicht "Jedenfalls wurde mir kein Glaube geschenkt" richtiger und schöner?

So, jetzt zum Inhaltlichen. Du erzählst ein ganzes Leben in sehr kurzer Zeit. Das ist extrem anspruchsvoll und meiner Meinung nach nicht besonders gut gelungen. Du streifst alles nur, es gibt keine Emotionen, nur einen nüchternen Bericht. Ich nehme an, dass es als Bericht auch gemeint ist, da die Prota die Geschichte ja später im Rathaus einwirft. Dafür eignet sich dann natürlich eine klassische Darstellung der Geschichte nicht.

Andererseits, wenn die Prota dies fürs Rathaus schreibt, wieso erzählt sie dann ihre ganze Lebensgeschichte? Ist nicht viel relevanter die Geschichte von Max? Könnte man nicht in diesem Sinne die ganze erste Hälfte streichen?

Ein paar symptomatische Stellen:

Dörtes Verlobung ging in die Brüche, sie kam zurück ins Elternhaus, begann außerhalb eine Umschulung, fand dort den nächsten Freund, dann noch einen und verlobte sich erneut, noch während der Umschulung zog sie mit ihm zusammen. Aber wieder gab es böses Blut und sie kehrte zurück ins Elternhaus, immer noch ohne Arbeit.

Holla. Eine Verlobung, ein Umzug, Umschulung, zwei Freunde, eine Verlobung, ein Umzug, Trennung, Umzug. In einem Absatz! Und so zieht sich das leider durch die gesamte Geschichte.

Ich kann aufgrund dieser rasanten Geschwindigkeit, in der biografische Fakten - niemals Emotionen oder Gedanken - runtergerattert werden keinerlei Beziehung zu den Personen aufbauen. Weder zur Prota, noch zu Dörte, nicht einmal zu Max.

Ich glaube, Du musst Dir nochmal überlegen, wo Du den Fokus setzen willst. Wenn es ein Kummerkastenbrief wegen Max sein soll, muss der Fokus mehr auf Max liegen, weniger auf der Beziehung zwischen Deiner Prota und Dörte und ihren verstrickten Lebensläufen. Das ist zwar ein Faktor, der in Max' Leben eine Rolle spielen wird, aber das kann man auch in einem Satz abhandeln. Wenn es um die Geschichte einer Freundschaft geht, würde ich den Fokus mehr auf die emotionale Variante der Beziehung zwischen Dörte und der Prota eingehen. Wir haben keine Ahnung, was sie verbindet - außer dass sie in der Schule Außenseiter waren. Was haben sie all die Jahre zusammen unternommen? Was mögen sie aneinander? Was ertragen sie voneinander? Gibt es Freundschaftsrituale, z.B. ein wöchentliches Kaffeetrinken? Wenn es um Dörte und ihren schwierigen Lebensweg geht, würde ich mehr auf die emotionalen Aspekte ihrer Rückschläge und ihre Persönlichkeit eingehen. Wie geht es ihr mit ihren wechselnden Beziehungen? Woran liegt das, dass sie so kurzlebig sind? Wieso bringt Dörte keine Ausbildung oder Umschulung zu Ende? Was ist Dörte überhaupt für ein Mensch?

In Deiner Geschichte steckt extrem viel drin, aber Du sagst es nicht. Ich muss mir das alles selbst ausdenken. Für einen Kummerkastenbrief bezüglich Max werden die Beziehung und der Lebenslauf der Mutter und ihrer Freundin zu langwierig aufgerollt. Für eine Geschichte über Freundschaft fehlt die Freundschaft, die Liebe zwischen zwei Menschen, die Unbequemlichkeit, die sich über Jahre anstauen kann. Für eine Geschichte über eine Frau fehlt die Person und ihre Persönlichkeit, ihre Beziehungen, ihre Leidenschaften.

Ich hoffe, ich konnte Dir ein paar Denkanstöße geben.

Viele Grüße,
Maria

 

Hallo liebe@ Teddy Maria!

Was du zu meiner Geschichte schreibst, finde ich sehr interessant und danke herzlich dafür, die Fehlerkorrektur inbegriffen.

Wie aus anderen Geschichten schon bekannt, hatte ich bisher keine "fremden" Kritiker.

Ein Nachbar hielt es für emotionslos, mehrere andere sahen einen Hilferuf darin, sowohl für die Mutter, als auch für den Sohn.
So scheint es auch im Rathaus aufgefasst worden zu sein.

Aber, du hast Recht, man kann mehr daraus machen.

Nochmals vielen Dank und liebe Grüße

Evi

 

Hallo, Katerli

... eine andere Art, so würde ich diesen Text beschreiben. Er strotzt nur so von Naivität, unbekümmerter Oberflächlichkeit und fast leierst Du die Eckpunkte im Leben der beiden Frauen herunter. Die Frage ist nicht, ob Du es nicht anders kannst, sondern, wie Du dazu gekommen bist, es so zu tun. Es gibt so unendlich viele "Kunstformen" in der Art, wie man etwas erzählt - und Deine ist schon eigenartig, aber nicht uninteressant. Jetzt wäre nur die Frage, ob Du die Form noch etwas verbiegen kannst - entweder zynischer, dass es fast als Kabarett wirkt, noch "prolliger", dass es wie ein Comic daherkommt oder theatralischer, d.h. noch mehr feeling in die Story, auch den Schwerpunkt mehr verlagern: entweder die Geschichte um diesen Max herausarbeiten (dann kannst Du die Bemerkungen über Ute, die Verlobungen usw. streichen) oder eben das etwas unbeholfene Leben der Dörte lebendiger schildern. Ja, mehr als Denkanstöße kann ich nicht geben.
Viele Grüße - Detlev

 

Hallöchen @ Detlev,

auch dir vielen Dank.

Wie in Beantwortung des ersten Kommentars bereits erwähnt, ist es durchaus ausbaufähig.

Netten Gruß

Evi

 

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